Protokoll der 47. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 31

[Datum: , ......1924 - Protokollant: Wilhelm Blume]


Die 47. Abendaussprache findet draußen an den Tischen statt; Bandmann spielt zur Einleitung aus dem Saal heraus die Aida-Ouvertüre. Die Neuen werden an der Hand der Chronikbände mit den wichtigeren Gemeinschaftsbeschlüssen bekannt gemacht, Unklarheiten über die "Dienste" beseitigt; man spricht aber auch die Erwartung aus, daß die Neuen neue Vorschläge machen und an dem Vorgefundenen, das ihnen nicht gefällt, Kritik üben; positive Kritik wird die beste Tätigkeit im Probevierteljahr sein, nicht etwa stillschweigendes Sicheinfügen etwa gar gegen die eigene Überzeugung. - Einer der Neuen Martin Knaut hat sich nicht eingewöhnen können und ist vor den Pfingstferien von sich aus ausgeschieden; er war eine Einspännernatur, die auffällig schweigsam war; sein Lieblingsplatz war auf dem Scharfenberg, wo er stundenlang präparierte oder las; es ist der zweite Fall seit dem Bestehen der Schule, daß jemand freiwillig die Insel wieder verläßt; der erste war Friedel Hörnecke [Anm. 1]. Der Ausgeschiedene hat geäußert, er habe sich die Gemeinschaft anders vorgestellt gehabt; auch hier habe er den Anschluß, den er in seiner Klasse in Berlin vergeblich gesucht, nicht gefunden. Der Vorsitzende der Abendaussprache gibt zu bedenken, ob auch bei uns und gerade bei uns nicht etwas mehr von jener Robustizität der Jugend bewußt verschwinden könne, die den Schwächeren zu wenig beachtet. - Daß man sich um den Schwächeren auch zu viel kümmern kann, davon wußte der Ausschuß zu erzählen; der dicke Samson ward eines abends mit einer Beule am Schilf gefunden; Heinz Link, Peter Schwatlo und Genossen hatten ihn "überfallen". Als der Ausschuß eingreifen wollte, waren sie zu Bett, wo nun noch eine energische Standrede auf sie niedergegangen war. Auch ein Novum in Scharfenberg! - Die durch Martin Grotjahns Abgang vakant gewordene Stelle des Laboratoriumswarts wurde durch Wahl Rolf Wernecke übertragen, nachdem ein im Ton nicht gerade vorbildliches Wortgefecht zwischen ihm und Herbert Reschke stattgefunden hatte, in das auch Erich Ulm in der bei ihm jetzt üblichen Resignation sich eingemischt.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Berlin, LA, SIS: CH, I, o.S.: "Am 24. [September 1922] kamen die Eltern Friedel Hörneckes, ihn abzumelden; sein schwaches Herz braucht mehr Ruhe und Höhenluft; er soll das Gymnasium in Clausthal besuchen. Die Herzschwäche ist wohl mit der Hauptgrund gewesen, daß er seit den großen Ferien sich über Widerwärtigkeiten wie Zahnschmerzen und Bindehautentzündung so schwer hinwegzusetzen vermochte. Sein vornehm-stilles Wesen, innerlich gerichtet, hatte ihn uns allen wert gemacht, wenn auch tiefere Freundschaft sich nicht entwickelt hatte. In der Gesamtcharakteristik, die der Vater als Abgangszeugnis mitnahm, weil die neue Schule eine Bescheinigung wünschte, hieß es: 'Es fehlt ihm an frisch-fröhlicher Entschlußkraft; durch allzuviel Überlegen, durch zu viel Sinnieren über sich selbst und sein Verhältnis zu anderen kommt er nicht zum geniesen seiner Jugendzeit... [sic!] Möge es ihm fernerhin trotzdem gelingen, sich sein Leben nach den persönlichen Idealen zu zimmern, die seinem vorurteilsfreien Herzen vorschweben [...]."



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