Protokoll der 46. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 3f.

[Datum: , ......1924 - Protokollant: Heinz Röhrborn]


Anfang 3/4 8 Uhr.

Nachdem Bandmann ein Larghetto von Beethoven gespielt hatte, wurde das Protokoll der vorigen Abendaussprache verlesen. Nach einer allgemeinen Begrüßung der Abiturienten von Seiten Blumes wird Grotjahn dazu aufgefordert, der Gemeinschaft einige Worte zu sagen, da Blume eine längere Rede des Schulleiters für zwecklos hält. Grotjahn freut sich, aus dem untätigen Schulleben in ein aktives getreten zu sein und kommt dann auf die Nachteile unserer Schule zu sprechen, die zum Teil in übertriebener Betonung der ungeschriebenen Gesetze bestehen, die nach seiner Meinung das Individuum nicht vergewaltigen dürfen. Außerdem spricht er sein Bedauern über die Interesselosigkeit an den Naturwissenschaften aus und schlägt zur Hebung des Interesses Planktonuntersuchungen vor, da Plankton das einzig lebend zu mikroskopierende Objekt ist. Es folgt ein Lob der Planktonforschung, worauf die Rede mit einem Hinweis auf die intellektuelle Verseuchung Scharfenbergs schließt, doch erklärt er sich augenblicklich noch außerstande, dem durch praktische Vorschläge abzuhelfen. Blume unterstreicht die Äußerungen Grotjahns über die Naturwissenschaften. Ihm schwebe der Plan vor, bei uns auf der einen Seite das Griechisch-Deutsche, auf der anderen das Naturwissenschaftliche zu betonen. Er kommt dann noch einmal auf die Abiturienten zurück, von denen wir dem einen mehr Objektivität, dem anderen mehr Optimismus und eine neue Einstellung zur Gemeinschaft mitgegeben hätten. Nach dem gemeinsamen Gesang von "Ich fahr' dahin" fragt Schramm, wann man am Sonntag zurückkommen soll. Frey ist für die bestimmte Zeit von 7 Uhr, da der Einbruch der Dunkelheit ein zu vager Begriff sei. Ulm ist für 9 Uhr im Sommer und 7 Uhr im Winter, da das dem Fährdienst keine Schwierigkeiten bereiten würde. Blume weist darauf hin, daß es sich nicht um das Überholen, sondern um das Prinzip handle. Durch eine Abstimmung wird der Antrag 9 Uhr = Sommer und 7 Uhr = Winter angenommen. Blume verliest nun eine Offerte, in der ein naturwissenschaftliches Institut um Lieferung von Schmetterlingen engros bittet. Blume selbst ist dafür, weil er davon eine Hebung des naturwissenschaftlichen Interesses erwartet. Reschke und Kroll, die das als eine Schädigung der Natur ansehen, hält er entgegen, daß man in diesem Falle zur Zucht greifen müsse. Nachdem sich Glasenapp aus landwirtschaftlichen Gründen gegen eine Zucht ausgesprochen hat und Grotjahn die hiesige Beute für

((4))

gering hält, wird der Vorschlag abgelehnt. Berisch erhält nun das Wort für seinen Antrag auf Wahl eines Hauswartes, der die Gegend um das Haus herum instand hält. Röhrborn schlägt vor, dieses Amt mit dem für den Sommer wieder zu wählenden Blumenwart zu vereinigen. Trotzdem Metz es dem Hilfsdienst und Blume dem einzelnen überlassen will, für die Sauberkeit des Gartens zu sorgen, wird Röhrborns Vorschlag angenommen. Unter dem Titel "Alt und Neu" spricht sich nun Schramm mit Rücksicht auf die Ostern neu Hinzukommenden gegen die jetzt im Schwange befindlichen Modeworte aus. Krampe rügt bei dieser Gelegenheit das Benehmen bei Tisch, und Bandmann weist darauf hin, daß das "Berlinern" schon Fremden aufgefallen ist. Blume glaubt, daß man diesen Neuerungen am wirksamsten durch das gute Beispiel eines Sturmtrupps auch in unterrichtlicher Beziehung abhelfen könne und müsse, damit der Idealismus der Neuen nicht verwässert. Metz tritt gegen das Schrippen- und Kuchenkaufen in Tegelort auf, Ulm gegen das Essenhalten, woüber der Ausschuß wachen müsse, was aber Wolff nicht für durchführbar hält. Frey glaubt es nicht von den Schülern verlangen zu können, wenn die Eltern, denen auch in der Schulgemeinde die Meinung der Gemeinschaft mitgeteilt worden war, sich nicht danach richten, wozu man sich jedoch ablehnend verhielt. Blume sagt dazu auch, daß jeder, dem es nicht paßt, jetzt die beste Gelegenheit habe, zu gehen. Bandmann beschwert sich darüber, daß die fakultative Musikstunde als Taubenschlag angesehen wird, was ihm als Lehrer keine Freude mache. Unter Punkt Anregungen bittet Fritz um Schonung des Privateigentums. Die Frage Bandmanns, ob von dem Gesetz über Sonntagsrückkehr Ausnahmen gemacht werden dürfen, bejaht Berisch, Schramm will jedoch keine Ausnahmen machen, Ungerer schlägt Ausnahmen vor, wenn schriftliche Bitten der Eltern vorliegen, Metz, wenn man sich vor der Gemeinschaft entschuldigt. Der Vorschlag Metz wird mit 24 Stimmen angenommen. Blume schlägt den Ausfall des Unterrichts am morgigen Tag vor zugunsten der Reklame für Kabale und Liebe, da man das Fest trotz der vielen Vereinsveranstaltungen in diesen Tagen nicht verschieben wolle. Der Vorschlag wird angenommen und die Abendaussprache um 3/4 10 ohne Musik, der müden Schauspieler wegen, offiziell geschlossen.

Nach Schluß spielt Bandmann das Stück "Krönungsmarsch" von [Edmund] Kretschmer.

Heinz Röhrborn.



[Zum nächsten Protokoll]
[Zum Anfang "Protokolle der Abendaussprachen der Schulfarm Insel Scharfenberg 1922-1929/32"]
[Zum Anfang "Quellen zur Geschichte der Schulfarm Insel Scharfenberg"]