Protokoll der 45[,2]. Abendaussprache [Anm. 1]




Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 1f.

[Datum: , ......1924 - Protokollant: Walter Schramm]


Man hatte es so eilig mit den beiden Dringlichkeitsanträgen, daß man jede musikalische Einleitung vergaß, zumal auch die schon beim Abendessen verlesenen Anträge eine merkliche Spannung hervorriefen.

Der erste Antrag, beide Anträge stammen von Martin Grotjahn, verlangt den Rücktritt Karl Berischs als Ausschußmitglied. Berisch hat die von ihm zerschlagene Fensterscheibe in der Buchbinderwerkstatt trotz Hinweis und Ermahnung nicht erneuert. Grotjahn sieht in diesem Verhalten eine Verletzung des Wiedergutmachungsprinzips. Der Führung eines Ausschußmitgliedes schlägt das selbstverständlich ins Gesicht; darum hält Grotjahn ein weiteres Verbleiben Karl Berischs im Ausschuß für nicht möglich. Berisch zählt zu seiner Verteidigung seine Bemühungen um die Reparatur auf, die aber erst am Anfang dieser Woche begonnen wurden. Es wird festgestellt, daß die Scheibe schon vor 5 Wochen zerschlagen worden ist und 5 Wochen lang den Buchbindern ein längeres Arbeiten in der Werkstatt unmöglich war. Die darauf folgende Abstimmung ergibt mit 21 gegen 5 Stimmen die Absetzung Karl Berischs.

Der 2. Antrag verlangt den Rücktritt des gesamten Ausschusses. Grotjahn geht in seiner Begründung aus vom Hilfsdienst und der Gemeinschaftsarbeit, deren Niedergang der Ausschuß nicht verhindert hat oder zu verhindern im Stande nicht war. Grotjahn hält es für eine Aufgabe des Ausschusses, durch zeitweise energische Kontrolle diesen wesentlichen Faktor Scharfenbergs nicht zur Phrase werden zu lassen. Der Ausschuß erklärt sich allgemein, daß eine Art von polizeilicher Kontrolle doch nicht seine Aufgabe sein könnte; zumal doch dann unsere Arbeit überhaupt keine Gemeinschaftsarbeit mehr sei. Trotzdem hätte der Ausschuß nach einer der letzten Abendaussprachen auch in der Gemeinschaftsarbeit halbstarres System einführen wollen, das aber absolut keine polizeiliche Kontrolle zur Folge haben sollte. Diese Entscheidung wollte der Ausschuß der Gemeinschaft mitteilen; das sei aber durch die Vergeßlichkeit eines Mitgliedes, das es übernommen hatte, noch nicht geschehen. Ungerer verlangt nun vor der Abstimmung über den Antrag Grotjahns überhaupt erst zu beschließen, ob eine Kontrolle bei der Gemeinschaftsarbeit eingeführt werden soll. Grotjahn meint zwar, das wwürde die Abstimmung über seinen Abtrag ergeben; doch findet eine

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Abstimmung nach Vorschlag Ungerers statt, die die Kontrolle mit 27 Stimmen gegen 7 annimmt. Metz hält hiernach den Grund der Absetzung des Ausschusses für hinfällig. Grotjahn verlangt aber von der Gemeinschaft noch die Vertrauensfrage, ob sie den Ausschuß für die Durchführung des eben beschlossenen Punktes für fähig erklärt. Frey schlägt einzelne Abstimmung über die Ausschußmitglieder vor, was abgelehnt wird. Die folgende Abstimmung ergibt eine Majorität für Absetzung des Ausschusses.

Die Neuwahl findet im Anschluß hieran statt. Es werden vorgeschlagen als Lehrermitglied Bandmann, Glasenapp, Wolff. Glasenapp hält die Übernahme dieses Amtes für unmöglich. Weiter werden genannt Geister, Grundschöttel, Jandt, Kroll, Metz, Reschke, Schramm, Ulm, Ungerer und Woldt. Bei der Abstimmung erhalten Wolff und Schramm absolute Majorität, Kroll ebenfalls bei der folgenden Stichwahl. ein 3. Schülermitglied erhielt keine Majorität. Die Stichwahlen ergaben für Geister 16, für Woldt 15; da aber die absolute Majorität diesen Abend 17 betrug, ist keiner gewählt. Ein Antrag, Geister ohne absolute Majorität zum Ausschuß zu ernennen, wird abgelehnt. Somit besteht der Ausschuß nur aus 2 Schülern und einem Lehrer.

Walter Schramm.


Anmerkungen::

Anm. 1:
In der Chronik erscheinen zwei Abendaussprachen als 45. Abendaussprache. Sie werden hier als 45,1 und 45,2 bezeichnet.



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