Protokoll der 40. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. IV, S. 51f.

[Datum: Mi, 14.11.1923 - Protokollant: Wilhelm Blume]


[...] am 14. abends, als sich alles wieder zusammenfindet, ist man angenehm überrascht, und es macht einen viel netteren Eindruck, als man im Halbkreis um die Sofaecke herumsitzt, die Standuhr dazwischen tickt; die 40. Abendaussprache bietet ein noch weniger parlamentarisches und geschäftliches Bild, auch ein Schritt zu unserem Ideal. Herr Bandmann spielt in seiner Beziehung den Einzugsmarsch der Gäste auf der Wartburg. Die "Aussprache" ist die Mal mehr ein Monolog; Blume hat viel zu erzählen aus diesen unglaublich glücklichen Ferien; schon sie selbst waren ein Glück, nicht in Pennälersinne, sondern deshalb, weil sie uns über die allerschlimmste Dollarkrise hinweggeholfen haben; sie haben auch den Minderbemittelten durch die Atempause im Bezahlen die Möglichkeit gegeben, das restierende Defizit abzutragen. Und für die nächsten 2 Wochen sind wir mit Brot versorgt; hat uns doch der Onkel unseres Glasenapp Dr. Fischer aus dem städtischen Ernährungsamt 3 Doppelzentner Mehl um ganz billigen Preis überwiesen. Mußte erzählen von unserem neuen Gönner Schulz in Weißensee und seinem charakteristischen Ausspruch: "Sollte mal eins der Pferde krank werden, versichern könnt Ihr doch nicht, dann nehmt ein Messer und schnell den Hals ab; dann klingelt an, dann kann ich's noch vom Schlachter abholen lassen, und Ihr kriegt nen neuen!" Mußte sprechen von den Haupttendenzen der Neuen Ära, der Sauberkeit der einzelnen im Anzug und in Stiefeln, der Achtung fremden Eigentums, dem Besserverstehenwollen des anderen. Er stellt es als Vorbedingung für den

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Gesellschaftsraum hin, daß in ihm nicht gegessen, nicht unterrichtet und nicht geschrieben wird. Deshalb ist im Pächterhaus das hellste Zimmer als Unterrichtsraum eingerichtet; man kann es "Kultursaal" nennen, weil dort namentlich der "Kern" der Oberstufe gegeben werden wird; und im Gartensaal muß gegessen werden. Ferner schlägt er vor, die tägichen Dienste in Wochendienste zu verwandeln; er erhofft dadurch ein besseres Erfüllen der Obliegenheiten, da man sich bei so langer Dauer verantwortlicher fühlen werde und auch ein Vergessen ausgeschlosssen sei. Der Protokollant dieser Abendaussprache hebt die durch den Reiz der neuen Umgebung gesteigerte Gemütlichkeit hervor.

In den nächsten Tagen gehen die Umzüge vor sich, meist nach den Wünschen der Bewohner; nur Heinz Link wird Zwangsmieter bei Karl Berisch in der alten Aztekenbude; u. Lehmann der Dicke und seine Kumpanen Paulmann und Heidtmann erhalten ihre Bitte um Zusammenwohnen nicht erfüllt; Erwin Hoffmanns Unterbringung gelingt nur mit Hilfe des Ausschusses im sogenannten bunten Zimmer. Im Pächterhaus wohnen fortan mit Glasenapp zusammen G. Metz und der neue Eleve in der hinteren Hälfte des geteilten Zimmers; in der anderen L. Schmidt und R. Wernecke; im Geisterzimmer bleiben mit dem Heinz Böhm u. Arno Müller, dazu kommt Erwin Sommer. Unten in den eigentlichen Braunschen Wohnräumen Ulm, Reschke, Kroll, Paulmann; sowie Heinrichsdorff, Klemer, Heide, Haffner. Im Stammhaus wechselt Herr Bandmann mit Kraemer - Grotjahn, da der Mathematikus in dem unteren Zimmer Platz zur Beherb[erg]ung seines Kurses hat.



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