Protokoll der 36. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. III, S. 75-77

[Datum: Do, 30.08.1923 - Protokollant: Erich Grundschöttel]


Musikalische Einleitung: Lied von Beethoven [...].

Der Leiter eröffnete die Abendaussprache mit einigen Mitteilungen : 1. Die Filmangelegenheit sei trotz des Besuches einer Vertreterin der Gesellschaft noch nicht zum Abschluß gekommen, zum mindesten mußten viele Punkte, die wir aufgestellt hatten, fortfallen. 2. Herr Blume erklärte das Fortbleiben Heinz Röhrborns, der als Baptist mit seinen Eltern zu einer Zusammenkunft religiöser Vereinigungen gereist war. - Reschke machte uns mit der Stiftung eines Fiebertermometers durch Herrn Bandmann, Herr Blume mit der Stiftung einer Haarschneidemaschine durch Frau Woldt bekannt.

I. Punkt. Wirtschaftliches . Auf die Anfrage Böhmes von der vorigen Abendaussprache her, wozu das für die Milch in den Ferien eingenommene Geld verwendet würde, machte Herr Blume darauf aufmerksam, daß wir uns einen landwirtschaftlichen Fonds anlegen müßten, um das Saatgut und die Düngemittel im nächsten Frühjahr bestreiten zu können.

II. Punkt: Aus dem Prinzip der Arbeitsteilung und der möglichsten Schülerselbstverwaltung heraus wurde der Antrag auf Wahl eines Geflügelwartes und eines Lampenwartes gestellt. Auf den Einspruch Frau Prengels, die sich bisher des Geflügels angenommen und nun die Tiere liebgewonnen hatte, unterblieb die Wahl des Geflügelwartes. Zum zweiten Teil des Antrages bemerkte der bisherige Lichtwart, daß die Praxis für die Wahl eines Lampenwartes spreche, dessen Funktionen sein würde, die Gemeinschaftslampen tagtäglich zu putzen. Daraufhin äußerte sich Baader: Wenn uns schon die größtmöglichste Arbeitsteilung als Ideal vorschwebe, so sei es nötig, sie auch konsequent durchzuführen. Daher wollen wir auch den Hauswart entlasten und einem anderen den Posten des Lichtwartes übergeben. Vorschlag Baader wird angenommen und Peter Grotjahn zum Lichtwart. Horst Heidtmann zum Lampenwart gewählt. Im Anschluß daran wurde noch einmal die Lampenfrage erörtet, besonders auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich beim Mangel an Gemeinschaftslampen bei größeren Abendveranstaltungen (Orchesterproben etc.) herausstellen würden. Man vertröstete sich jedoch auf die Zukunft und hoffte, daß in der nächsten Woche noch mehrere Lampen einlaufen würden.

III. Punkt: Der Antrag auf Wahl eines Wartes für den Bullenbau an der Braunschen Scheune wurde überflüssig durch das Verbot, jenen Bullenbau zu benutzen.

IV. Punkt: Etwas zur Reformierung der

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öffentlichen Ausgaben der Scharfenberger Bücher. Woldt: Da sich jeder die Bücher, ohne einen Vermerk zu hinterlassen, aus der Bibliothek herausnehme, sehe er sich genötigt, eine bestimmte Zeit für die Ausgabe der Bücher, und zwar die Zeit kurz nach dem Mittagessen festzusetzen. Als auch unsere Klagen über die Behandlung der Privatbücher vorgebracht wurden, beschloß man, daß kein Buch von der Insel genommen werden dürfe.

V. Punkt: Etwas über das Scharfenberger Leben . (Referent Herr Bandmann.) Er hatte während seines Hierseins mehrere Beobachtungen gemacht, die ihn nicht angenehm berührt hatten. Eine gewisse Taktlosigkeit, die das Wandervogelmäßige mit sich bringe, gefiele ihm nicht. Er wünsche eine Zurückdämmung dieser Lebensart. Jene Taktlosigkeit mache sich auch beim Hören guter Musik bemerkbar, indem man ihr zu wenig Aufmerksamkeit schenke, was eine Profanisierung sondergleichen sei. Ferner berühre ihn die Frage, ob es nicht gut sei, auf einmal auf die Vertiefung seines persönlichen Innenlebens zu achten und nicht ganz in der Gemeinschaft aufzugehen, indem man sich pflegt zu sehr vernachlässige; je gediegener die Einzelpersönlichkeit um so wertvoller für das Ganze! Da Herr Bandmann selbst wünsche, daß nicht weiter über diese Dinge debattiert würde, ging man sogleich zum nächsten Punkt über.

VI. Punkt: Die Rauchfrage . Der Ausschuß meldete sich zum Wort: Da es bisher als Selbstverständlichkeit galt, nicht zu rauchen, habe man die Frage noch nicht erörtert. Jetzt aber sei die Zahl der Raucher um zwei gestiegen, auch hätten die Aufbauschüler schon gefragt, wie man sich zu der Rauchfrage zu verhalten habe. Darum sei dieser Punkt auf die Tagesordnung gesetzt worden. Auf die Anfrage Kraemers warum das Rauchen hier eigentlich verpöhnt sei, wurde ihm geantwortet, daß es abgesehen von den hygienischen Schaden nicht zum Lebensstil passe, den wir hier herausbilden wollten. Glasenapp weist darauf hin, daß die ungeschriebenen Gesetze die besten seien, die man aber auch zu befolgen gewohnt wäre. "Wer nicht so stark ist, seine Gelüste zu unterdrücken, ist ein Trauerkloß und gehört nicht hierher." M. Grotjahn unterscheidet geschriebenes und ungeschriebenes Gesetz; das eine übertrete er in keinem Falle; dem anderen füge er sich nur, wenn er von seiner Richtigkeit überzeugt sei. Baader: "Der springende Punkt ist auf einem ganz anderen Gebiet zu suchen. Beim Übertreten des geschriebenen Gesetzes ist man faktisch[?] erledigt, beim Übertreten des anderen - moralisch." In ähn-

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lichem Sinne äußerte sich P. Grotjahn: Den Übertreter des ungeschriebenen Gesetzes strafe man mit Verachtung. Zum Schluß stellte der Leiter die Frage, ob Mitglieder der Gemeinschaft das Rauchen mit unserem Lebensstil für vereinbar hielten. 2 Stimmen bejahen. Die andere Frage, ob in dieser Angelegenheit ein geschriebenes Gesetz eingeführt werden solle, wird gegen 10 Stimmen verneint.

VI. Punkt: Festfrage . Da bereits ein Antrag auf Schluß einlief, wurde bei diesem Punkte nur die prinzipielle Frage erledigt, ob überhaupt ein Fest stattfinden sollte oder nicht. Die Gesamtheit bejaht es.

Musikalischer Ausklang: Der erste Satz aus der Sonate op. 10.1. c - moll von Beethoven.

Grundschöttel.



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