Protokoll der 32. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. III, S. 16-22

[Datum: Di, 22.05.1923 - Protokollant: Paul Heinrichsdorff]


Um 8 Uhr leiten Herr Bandmann und Kroll die Abendaussprache mit dem ersten Satz der Händelsonate Nr. 3 ein.

1. Punkt: Bücherfrage. Gawronski sagt, daß für die von Frl. Dr. Rotten zugunsten der Scharfenberger Bibliothek gespendeten 50.000 M aus vier Gebieten Bücher vorgeschlagen worden sind.

I. Naturwissenschaft
  1. über die Ernährung
  2. " " Botanik
  3. Himmelsbeobachtungen mit bloßem Auge.
  4. Himmelskunde

II. Spiel und Sport
  1. Olympischer Sport
  2. Erdkundliches Wanderbuch
  3. Experimentierbuch

III. Sprache
  1. englische Literaturgeschichte auf englisch.
  2. englische Geschichte auf englisch.


IV. Schöne Literatur
  1. Stephan George
  2. Rainer Maria Rilke
  3. Felix Dahn: Der Kampf um Rom [Anm. 1].


Man beschließt mit großer Mehrheit Karstens Buch über die Botanik [Anm. 2] und Rusch: Himmelsbeobachtungen mit bloßem Auge [Anm. 3] anzuschaffen.

Blume regt an, daß sich schon einige überlegen können, in welcher Form wir der Stifterin unseren Dank abstatten wollen.

2. Punkt: Antrag Blume auf Wahl eines Musikwartes. Blume sagt, daß die Neuwahlen für alle Ämter erst in der nächsten Abendaussprache stattfinden, damit die Aufbauschüler mitstimmen können. Was diesen speziellen

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Fall angeht, will er nur fragen, wie man sich zu diesem neuen Amte stellt. Die Veranlassung dazu ging von Herrn Bandmann [aus], der sich bitter über die schlechte Behandlung der Noten beklagt hat. Die Pflichten dieses Musikwartes würden sein, für gute Behandlung der Noten und des Flügels zu sorgen; die Spieler, die es ernst mit ihrem Üben nehmen, zu schützen und Störungen, unnötigen Lärm und Geklimpere zu verhindern. Er bekommt den Flügel- und Notenschrankschlüssel, besorgt die Notenständer rechtzeitig hinunter und wieder herauf und überwacht die Übungsstundenverteilung; er soll überhaupt darauf bedacht sein, die Interessen der Musici mit denen der Nichtmusici, soweit ihnen an Ruhe beim Arbeiten gelegen ist, auszugleichen. - Für dieses Amt ist die Majorität (18 Stimmen).

3. Punkt: Blume stellt den Antrag, die Werkzeuge unter Verschluß zu bringen, damit endlich mal Ordnung wird. Der Werkzeugwart bekommt den Schlüssel und hat täglich eine bestimmte Zeit für Ausgabe der Geräte zur Verfügung und hat über Entleiher und Gerät Buch zu führen; in derselben Zeit soll er, falls keine große Nachfrage nach Werkzeugen ist, in der Werkstatt aufräumen. Jedes Gerät muß am Abend des Tages, an dem es entliehen ist, an den Werkzeugwart zurückgegeben werden. Kroll meint, die Zeit (Mittag - Abend) sei zu lange für den Gebrauch eines Werkzeugs; denn es könne auch vorkommen, daß mehrere zu gleicher Zeit dasselbe Gerät gebrauchen wollen. - Bei der Abstimmung über den Antrag Blume ist die Majorität für diesen. -

4. Punkt: Blume stellt den Antrag auch die Spielgeräte,

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die der Spielwart verwaltet, auch unter Verschluß zu bringen, um sie, da sie wahrscheinlich jetzt häufiger als nur am Spielnachmittag gebraucht werden, in Ordnung zu halten. Im übrigen sollen für die Spielgeräte dieselben Beschlüsse wir für die Werkzeuge gelten. - Böhm ist dafür, daß die Spielgeräte nicht bei schlechtem Wetter herausgegeben werden. - Die Mehrheit ist für Antrag Blume.

5. Punkt: Naturschutz. Der Ausschuß, der diesen Punkt auf die Tagesordnung setzte, wendet sich in dieser Sache deshalb in öffentlicher Abendaussprache an die Gemeinschaft, weil er glaubt dadurch mehr erreichen zu können, als Blumes Ansprachen bis jetzt bewirkt haben. Es wäre doch nicht schön, daß z.B. Heide Fische totzappeln läßt und Blumen köpft und Gawronski, der als Ausschußmitglied über diese Frage in der Abendaussprache redete, fragte die Gemeinschaft, ob sie dafür sei, dem Täter ihre Mißbilligung auszusprechen. - Wernecke ist dafür, daß Blume als gesetzlicher Vertreter der Pachtverwaltung allein die Sache in die Hand nehmen soll und fragt ihn, was mit Heide geschehen soll. Blume stellt noch einmal die Absicht des Ausschusses fest, der die schärfste Mißbilligung eines ungesetzlichen Vertreters für richtiger hält. Frey ist dafür

1.) darüber abzustimmen, ob die Gemeinschaft mißbilligt.

2.) das Angeln, weil es nur Tierquälerei ist zu untersagen.

Die Gemeinschaft spricht mit 18 Stimmen ihre Mißbilligung aus.

H. Lehmann bemerkt zu Freys Antrag, das Angeln überhaupt zu untersagen, daß der, dem es Spaß mache, ruhig zu angeln

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solle. Wolff meint, daß das Angeln keinen Zweck habe, da wir doch keine großen Fische fangen, von denen alle etwas haben. - Der Antrag Frey auf Verbot des Angelns wird angenommen.

Es ist während der Abendaussprache ein Antrag Grotjahn eingelaufen, der besagt, daß die Gäste, die Pflanzen von der Insel mitnehmen, nicht übergesetzt werden sollen, und die Bestimmung, keine Pflanzen mitzunehmen, möglichst deutlich, vielleicht auf einem Schild an der Fährstelle, gemacht wird. Eine Ausnahme könne geschehen bei besonderen Gästen. - Link sagt, daß er gesehen hat, wie viele Gäste von Brauns Blumensträuße weggetragen haben. Als man sie fragte, wie sie dazu kämen, sagten sie, ihr Vater sei der Wasserwerksdirektor. Blume findet das sehr merkwürdig, denn der Wasserwerksdirektor verbot, Pflanzen von der Insel mitzunehmen. - Der Antrag Grotjahn wird angenommen. Ulm ist dafür, daß dieser Beschluß der Elternversammlung mitgeteilt wird.

6. Punkt: Haffner stellt den Antrag, jetzt mit dem Baden unter Aufsicht des Chroniden zu beginnen. Blume teilt aus dem vorigen Jahr mit, daß, bevor man zu baden anfing, mehrere Tage vorher warmes Wetter gewesen ist. Baader ist gegen diesen Antrag; denn jetzt kann man nur höchstens 5 Minuten im Wasser bleiben; wenn jedoch das Baden genehmigt ist, würde die Zeit nicht innegehalten werden. Böhm glaubt, daß die 5 Minuten nicht überschritten werden.

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Blume meint, daß die als Freude gedachte Inscenierung durch die lange Zeit gestört werden würde. Haffners Antrag wird mit 13 Stimmen abgelehnt; für den Antrag waren 8.

7. Punkt: Baader teilt die Beschlüsse der früheren Abendaussprachen mit; er schickt voraus, daß dies nicht viele sind, da man Prinzipielles nicht in eine Form zwängen wollte, sondern es dem Takt überließ. Zum Punkt den Dauerlauf obligatorisch zu machen, wendet Blume mit der Frage an die Gemeinschaft, wer von ihr heute einen vernünftigen Dauerlauf gemacht hat; es melden sich 17. Baader stellt den Antrag, daß sich alle um eine bestimmte Zeit bei der Glocke zum gemeinsamen Dauerlauf versammeln. Bandmann ist, um ein rechtzeitiges Fertigwerden zu erreichen[,] für pünktliches Wecken um 6.10 [Uhr] und Dauerlaufbeginn um 6.20 [Uhr]. Wolff hält es für richtig den Saaldienst vom Dauerlauf zu befreien. Dasselbe beantragt Ulm als Ziegenwart für sich. Bei der Abstimmung entscheidet sich die Mehrheit für den Antrag Baader - Bandmann; Saaldienst und Ziegenwart werden vom Dauerlauf befreit. - Zum Beschluß die Feldfrüchte, die auf den Privatfeldern geerntet werden[,] zu einem 1/4 Tagespreis an die Küche zu verkaufen, bemerkt Frey, daß Ulm doch darauf achten soll, daß die Ziegen und Schafe nicht auf die Felder gehen und alles zertreten oder abfressen. Glasenapp und Blume sind dafür, daß die Ziegen und Schafe einen anderen Weideplatz bekommen. Haffner stellt den Antrag, mit einer etwaigen Änderung in der Felderverteilung bis zur nächsten Abendaussprache zu warten, damit die Aufbauschüler mitstimmen können; wird angenommen. - Zum Punkt Umwandlung

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des Holzdienstes in den Hilfsdienst berichtet Blume, daß Baader, als der Holzdienst im vorigen Jahr unnötig geworden war, ihn nicht aufgeben wollte, sondern dafür war, daß alle bestimmten Leute für jede andere Arbeit zur Verfügung ständen. Der Hilfsdienst würde von jetzt ab Glasenapp unterstützen. Auf Blumes Frage wieviel Leute Glasenapp täglich braucht, antwortet er 8. Blume will nicht, daß die Hilfsdienstleute mehr als 2 Stunden am Tag arbeiten. Berisch ist deshalb für 2 Schüler am Tag. Frau Prengel stellt den Antrag, daß der Hilfsdienst, falls er nicht gebraucht wird, für den Tischdienst Holzholen soll. Steinauer ist gegen den Hilfsdienst; diese Arbeiten sollen freiwillig getan werden. Blume hält dies noch nicht für möglich; es gibt noch zu viel dickfellige Leute auf Scharfenberg. - Bei dem Punkt übriggebliebene Stullen kommen wieder in die Küche zurück, bemerkt Ulm, daß diese Bestimmung selbstverständlich auch für Fleisch usw. gilt. - Blume stellt den Antrag beim Beschluß Mittwoch Nachmittag ist Gemeinschaftsarbeit, die Abiturienten davon zu befreien; wird angenommen. - Die Mehrheit ist dafür, daß der Tischdienst wie früher die Tische am Mittwoch abscheuert. -

Bandmann hält es für unmöglich seinen Klavierstundenunterricht fortsetzen zu können, wenn weiter so ein Lärm im Saal bleibt, daß es ausgeschlossen ist, den Spielern zu[zu]hören. Zum Arbeiten wären genug Plätze [anderswo] vorhanden.

8. [Punkt]) M. Grotjahn stellt den Antrag, die Bestimmung, die Abendaussprache um 1/4 10 zu schließen, aufzuheben oder immer durchzuführen. Er erweitert seinen Antrag dahin, daß jeder nach 1/4 10 den Schluß-

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antrag stellen darf; vor dieser Zeit hat nur der Leiter der Abendaussprache das Recht, die Sitzung aufzuheben. Der Antrag Grotjahn wird angenommen.

9. Punkt. Preisausschreiben. Blume sagt, daß für den Wagen ein Schild hergestellt werden muß; es kann dies in tischlerischer und malerischer Ausführung geschehen. Der Preis dafür ist eine Tafel Schokolade.

Anregungen

Wolff: hält es für dringend notwendig, daß jeder, der die Insel verläßt, dieses dem Chroniden meldet. Blume fragt, ob man dieses ungeschriebene Gesetz zum gesetzlichen Beschluß erheben will. Es sind 8 dafür, also abgelehnt.

Zum Schluß der Abendaussprache spielt Fritz Geister das Menuett von Mozart in es dur.

Schluß gegen 3/4 10 Uhr.

19.V.1923
P. Heinrichsdorff.




Anmerkungen:

Anm. 1:
DAHN, Felix, Ein Kampf um Rom. Historischer Roman, 3 Bde. 113.-125. Aufl., Leipzig 1920.

Anm. 2:
[Wohl:] Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. Begr. 1894 von Eduard STRASBURGER [u.a.], 16. umgearb. Aufl. bearb. von Hans FITTING, Ludwig JOST, Heinrich SCHENK und George KARSTEN, Jena 1923.

Anm. 3:
RUSCH, Franz, Himmelsbeobachtungen mit dem bloßen Auge. Zugleich eine Einleitung in die Methoden und Ergebnisse der Astronomie (=Teubners Naturwissenschaftliche Bibliothek, 5), 2. Aufl. Leipzig 1921.



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