Protokoll der 21. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. I, o.S.

[Datum: Mi, 29.11.1922 - Protokollant: Wilhelm Blume]


[...] am Mittwochabend war trotz allem die Aufnahmefähigkeit noch so groß, daß eine Tagesordnung von 12 Punkten in der 21. Abendaussprache abgewickelt wurde, und zwar mit viel Heiterkeitsausbrüchen gewürzt. Es waren alle sehr angeregt; hatten doch viele sogar auch Zeit gefunden, in den Zwischenschichten die auf der Wiese entstandene Eisbahn auszuprobieren; die Aussichten in dieser Beziehung sind gut: auf der Wiese vor der Villa und hinten links vom Spielplatz wird man ohne große Gefahren laufen können schon nach leichtem Frost.

Die Abendaussprache am 29. November wurde von Grundschöttel durch ein "Lied ohne Worte" von Mendelssohn eingeleitet. Blume gibt 2 Stiftungen: Nägel und ein kleines Lämpchen, das aber schon nach eintägigem Gebrauch entzwei gemacht wurde, bekannt.

P. I. Woldt beantragt Abschaffung des Wasserholens des Waschdienstes. Jeder solle sich sein Wasser selbst holen, da ja morgens oft doch kein Wasser in den Kannen sei. Es wird ihm entgegengehalten, daß die Kannen dann noch eine eine viel schlechtere Behandlung zu erdulden hätten. Antrag Woldt wird abgelehnt. Der Waschdienst muß abends noch einmal sämtliche Kannen füllen. Die Badenden dürfen nicht die Kannen ausleeren. Blume bittet Baader, vor der Hauptmahlzeit die Lampe im Waschraum anzuzünden. Ferner bittet er den, der sich morgens als letzter wäscht, die Lampe auszulöschen.

Wir kommen zu Punkt II. Antrag Wahle. "1/2 Stunde genügt vollkommen, um uns zu waschen und uns anzuziehen. Selbstverständlich müssen wir dann, wenn um 6 1/2 geweckt wird, sofort aufstehen." Blume, Wolff und Netzband sprechen dagegen, da es unpraktisch ist. Die Saaldienste werden nicht fertig. Schramm tritt für den Antrag ein und findet es schon traurig, daß die anderen sich nicht soviel zusammenreißen können, beim Wecken sofort aufzustehen. Der aus Humanitätsgefühl gestellte Antrag wird abgelehnt.

Wir kommen zu Punkt III: Arnold Fritz' Antrag, auch nach 9 Uhr im Saal nicht zu sprechen, um die im benachbarten Zimmer Schlafenden nicht zu stören, wird angenommen, ebenso ein Zwischenantrag Blume: die Redner bei Begründung eines Antrags sprechen stehend. Punkt IV: Aus gesundheitlichen und ästhetischen Gründen hält Blume eine einmalige Zimmerinspektion durch den Ausschuß für angebracht; leider habe er sich zu diesem Antrag, wenn auch schweren Herzens entschließen müssen, nachdem er auf der Suche nach einem Medikament einen Blick in einen Schrank getan habe.

Herr Wolff rät, bei dieser Gelegenheit auch die Waschschüsseln mit auszuscheuern.

Der Ausschuß wird beauftragt, am nächsten Sonnabend einen Rundgang zu machen.

Punkt V: Mit Rücksicht auf die zu erwartende Eislaufzeit beantragt R. Frey, den Nachmittagsunterricht statt um 3 erst um 4 1/2 beginnen zu lassen. Netzband ist dagegen, da die Konzentration im Unterricht dann schwerer sei als um 3.

Blume meint, doch erst den Frost abzuwarten und dann von Fall zu Fall den Unterrichtsbeginn festzusetzen; er wendet sich auch gegen die Behauptung Freys, er habe nur Donnerstag Nachmittag Zeit, sich im Freien aufzuhalten, und zwingt den Redner zuzugestehen, daß er an 4 Nachmittagen der 7tägigen Woche unterrichtsfrei sei. "Wenn man etwas anrichten will, hüte man sich vor rhetorischen Übertreibungen!" Freys Antrag wird abgelehnt.

Punkt VI: Abgelehnt wird auch Paul Heinrichsdorffs human gedachter Antrag, aus der Fährkasse Minderbemittelten Zuschüsse zu Konzert- und Theaterbesuchen zu bewilligen nach Blumes Ermessen; Grotjahn macht demgegenüber geltend, Konzert- und Theaterbesuch seien Privatsache; sein Dringlichkeitsantrag, für das Fährkassengeld (2.146 M.) möglichst schnell einzukaufen, wird gebilligt, und zwar beauftragt man Netzband, Preßbretter für die Buchbinderei zu erhandeln.

Punkt VII: Blume bittet, sich in der nächsten Zeit eine Umgruppierung des Unterrichts nach den Weihnachstsferien zu überlegen. Auf den Gedanken einer Änderung des Plans sei er gekommen erstmals durch die Klagen der Oberstüfler über zu große Arbeitszersplitterung und zweitens durch Klagen der Fachlehrer über Hintansetzung der sprachlichen und naturwissenschaftlichen Fächer. Er glaubt, einen Weg zur Abstellung beider Klagen gefunden zu haben unter teilweiser Anlehnung an die Praxis der Odenwaldschule, in der in 4wöchigem Turnus immer nur 2-3 Fächer gleichzeitig betrieben werden. "4wöchentlicher Wechsel ist zu langfristig; dann sind doch Kurse zum Aufdemlaufendenhalten in den anderen Fächern notwendig. Auch neigt ein jüngeres Alter doch noch mehr zur Abwechslung als die Oberstufe. Aber wie wäre es, wenn wir in der Oberstufe in jeder Woche nur einen Fächerkomplex trieben: also eine Woche nur Kulturunterricht, in der zweiten nur Sprachen, in der dritten Mathematik und Naturwissenschaften? Dann hat jeder Lehrer in einer Woche sich nur mit der Oberstufe zu beschäftigen, steht ganz und ungeteilt zu ihrer Verfügung; der Unterricht wird dadurch noch mehr das Klassenmäßige verlieren, und wechselnde Arbeitsgemeinschaften können sich bilden. Die Zwischenstufe hat dann in jeder Woche statt 3 ständiger Lehrer nur 2, woraus sich auch für sie eine Herabminderung der Zahl gleichzeitig betriebener Fächer ergeben würde, doch keine absolute Konzentration. Vielleicht läßt sich durch eine derartige Umgruppierung sogar Zeit erübrigen für einen Zeichnenund Handfertigkeitskurs auch in der Oberstufe, sicher aber muß sie in der Sprachenwoche der Oberstufe dem intensiveren Treiben der sog. zweiten Sprache zugute kommen." Der Vorschlag findet recht freudige Aufnahme; Kraemers Besorgnisse, daß auch eine Verschulung in der den einzelnen Fächern zugemessenen Stundenzahl eintreten könne, sind nicht ganz von der Hand zu weisen, scheinen aber bei der nötigen Umsicht überwindbar.

VIII. Rolf Wernecke und Willi Grundschöttel beantragen Neuwahl des zweiten Heizwarts, da der Eßsaal des öfteren schlechter beim Morgenunterricht erwärmt gewesen sei als der große Saal, ein noch früheres Aufstehen aber dem kleinen Karlchen Berisch nicht zuträglich sein könne. Herbert Reschke erklärt sich bereit, an Berischs Stelle das Amt zu übernehmen. Nachdem man Karlchen durch Erheben von den Sitzen (wobei nur Röhrborn sitzen bleibt) für seine entsagungsvolle Mühewaltung gedankt hat, übergibt er mit einem weinenden und einem lachenden Auge dem Nachfolger die Streichholzschachtel.

IX. Der Vorschlag von Heinz Böhm, der Saaldienst möge am Mittwoch innerhalb der Gemeinschaftsarbeit die Eßtische mit warmem Seifenwasser abscheuern, wird zum Beschluß erhoben und dahin erweitert, daß die Tische vom 2. Saaldienst täglich feucht statt wie bisher nur trocken abzuwischen seien.

X. Der Antrag Metz, Zimmer für die zu heizen, die nicht mehr kalt schlafen zu können glauben, findet außer bei Kraemer keine Unterstützung und wird abgelehnt, angenommen wird der Vorschlag Blume - Grotjahn, der Ausschuß solle einige Stunden des Tages ansetzen, in denen in einem der Säle geplaudert werden könne, um so in den anderen Arbeitsräumen ein umso strikteres Silentium fordern zu können. Doch muß von dieser Reform wegen der vielen Proben, die zu wechselnden Zeiten in verschiedenen Räumen stattfinden, bis nach dem Fest Abstand genommen werden.

XI. Ulms Anregung, die Tür zum Ziegenkeller abzuschließen, um die Tiere vor Zug zu schützen, wird anerkannt; der Schlüssel soll fortan in der Küche hängen.

Eine andere Anregung soll ebenfalls durchgeführt werden: Werkzeuge sind vom Werkzeugwart abzuholen, diese Entleihungen von ihm zu buchen und die Werkzeuge nach Gebrauch bei ihm persönlich abzugeben! Man mahnt Heinz Böhm, endlich für einen neuen Schlüssel zum Werkzeugschrank zu sorgen, da sonst die eben beschlossene Maßnahme doch hintergangen werden könne.



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