Protokoll der 14. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. I, o.S.

[Datum: Do, 14.09.1922 - Protokollant: Martin Grotjahn]


Zur Einleitung spielt Grundschöttel das Frühlingslied von Mendelssohn.

1.) Der Ausschuß beantragt, die Abendaussprachen spätestens immer um 9.15 zu schließen. Gawronski spricht für Ausschuß: Gesundheitsrücksichten verlangen die Annahme. Blume erhofft dadurch eine Vereinfachung und Verbesserung der Geschäftsführung. Der Antrag auf festgesetzten Schlaftermin wird einstimmig angenommen. Da 13 für 9.15 sind, fallen Antrag Baader um 8.45 und Antrag Wernecke um 9 zu schließen, fort.

2.) Reform des Studientages. Blume will die Auflösung der Gemeinschaft am Studientage verhindern und schlägt vor, Privatausflüge auf Sonntag zu verschieben. Dagegen Museumsbesuche aber, die am Mittwoch gemacht werden sollen, vorher anzuregen und vorzuschlagen. Stenger, Frey verlangen vollste Freiheit am Studientag, auch wenn man allein nach Berlin will. Dorn bittet um Vertagung des Beschlusses bis nach der Besprechung der Oberstufe. Wird angenommen.

3.) Zeitungsfrage. Da die Tägliche Rundschau nicht mehr erscheint, sind wir zu einseitig links orientiert. Wernecke will nochmalige Stiftung der Täglichen respective der Zeit versuchen. Schramm schlägt Lokal-Anzeiger vor, Stenger den Tag. Beschluß: Blume schreibt an den Tag, Wernecke versucht die Tägliche respective die Zeit zu bekommen.

4.) Das Zensurenproblem. Beim Heranrücken des Oktobertermins hält es Blume im Einvernehmen mit dem Ausschuß für notwendig, die Stimmung der Gemeinschaft zur Zensurenfrage festzustellen. Die endgültige Entscheidung soll erst in der Schulgemeinde fallen. Berisch: In Wickersdorf verhandelten Lehrer und Schüler über die Zensuren. Die Entscheidung lag allerdings doch letzten Endes - im Fall von Kompromissen - beim Lehrer. Kraemer: Wir in Scharfenberg brauchen keine Zensuren. Jeder weiß über sich Bescheid. Bei dem außerordentlich regen Verkehr zwischen Eltern und Lehrern sind auch die Eltern in der Lage sich zu orientieren. Frey: Ob es Zensuren gibt oder nicht, ist ja gleichgültig. Aber 1.) möchte man doch gerne eine Erinnerung an die Schule für später haben (Stürmische Heiterkeit. Zuruf: Für seine Kinder!). 2.) sieht man aus dem Vergleich, ob man sich verschlechtert oder verbessert. 3.) Der Eltern wegen. Kraemer: Das Wechseln der Leistungen erkennt man viel besser in Besprechungen unter 4 Augen mit dem Lehrer. Metz schlägt zur Vermeidung der Nummern auf der Zensur ein kurze Charakteristik vor. Grotjahn: Ob ich nun lese, ob ich vier oder mangelhaft bin, ist mir höchst gleichgültig. Blume berichtigt Vorschlag Metz dahin, daß eine Charakteristik, wie sie hier im Vorjahre gewollt war, gemeint sei. Böhm, Fritz bitten die Zensur auf den Vorschlag des Schülers selbst sagen zu lassen. Grotjahn wendet sich gegen das Selbst- und Mitbestimmungsrecht der Schüler in diesem Falle. Zensur ist die Ansicht der Lehrer, muß daher auch vom Lehrer ausgehen. Dem Schüler fehlt oft die nötige Objektivität. Entweder eine Zensur, wie es bisher der Fall gewesen ist, oder garnichts. Wahle: Der Schüler schätzt die Leistungen nur relativ, nicht gemessen an dem absoluten Maßstab des notwendigen Endzieles. Die Herabsetzung dieser Ziele sei bei einem Wegfall der Zensuren stark zu befürchten. Es muß bei uns heißen: Hinauf! nicht hinab. Blume sagt in der Zusammenfassung der Debatte auch seine Ansicht: Die Mitwirkung der Schüler ist in diesem Falle Spielerei. Wenn Zensuren überhaupt einen Zweck haben sollen, haben sie es nur als Meinung der Lehrer über die Schüler. Bei einem ständigen Verkehr zwischen Schülern und Lehrern weiß der Schüler auch ohne schriftliche Zensuren genau über sich Bescheid und über sein Verhältnis zu den Zielforderungen. Dasselbe gilt sicher, im Gegensatz zu den Stadtschulen, auch für die Eltern. Wenn sie mit jedem unserer Lehrer über ihren Sohn sprechen, müßte sich daraus für sie ein gerechtes und anschauliches Bild ergeben. Allerdings heiße es bei uns: Hinauf und nicht hinab! Aber die Entwicklung nach oben besteht darin, den Schüler zu erziehen, nicht um der Nummer, sondern der Sache wegen zu arbeiten. Freilich dürfte die Zensur nicht aus Furcht, sondern aus Stärke abgelehnt werden. Frey: Die Aussprache an Stelle der Zensur kann allerdings Nutzen bringen. Aber wer die Zensur nun haben will, soll denn der keine bekommen? Dorn: Ohne Zensur trägt der Schüler selbst das Risiko und kann vor dem Abiturium eine üble Überraschung erleben. Blume hält das bei einer ständigen Fühlungsnahme für ausgeschlossen. Er betont, daß ein Schüler, der einen solchen Stimulus wie die Zensur von Vierteljahr zu Vierteljahr braucht, nicht zu uns paßt, sondern in die frühere Schule zurückkehren muß. Wahle befürchtet eine ähnliche Überraschung für die Eltern. Blume stellt fest, daß bis auf einen Ausnahmefall (Grotjahn) alle Eltern hier gewesen sind - vile sogar mehrmals - und ausführlich Rücksprache genommen hätten. Baader hält die Aussprache zwischen Lehrern und Eltern auch für die Lehrer zum besseren psychologischen Verständnis von Wert. Dorn möchte zum Schluß bemerken, daß ihm persönlich die Zensur schon als Schüler als Lappalie erschienen sei: Das gelte für jeden, der seine Pflicht tue. Er könne nicht verstehen, weshalb man soviel Aufsehen von ihr machen könne. Trotzdem halte er sie von Nutzen. Nachdem er aber die Stimmung der Gemeinschaft kennengelernt habe, halte er den Versuch eines Verzichtes im Falle Scharfenberg für vielleicht nicht ganz unmöglich. Dann schritt man zur Abstimmung: Für Vorschlag Berisch: Keiner. Für Vorschlag Metz: Keiner. Für Zensuren in Scharfenberg: Einer.

5.) Geburtstagsfeiern. Wird vertagt [Anm. 1].

6.) Anregungen: Die Gemeinschaft beschließt

  1. der II. Saaldienst hat das Staubwischen im Saal zu übernehmen.
  2. auch die abgefallenen Früchte gehören der Gemeinschaft.
  3. Alle Früchte des Gemeinschaftslandes sollen nur der Küche verkauft werden.


Ferner wird Ulm ermahnt, den Schlüssel zur Gerätekammer fernerhin nicht öffentlich hängen zu lassen und Wernecke das Schloß zum Fährkahn in Ordnung bringen zu lassen.

Dauer der Abendaussprache von 7.15-10.00.
20. September 1922


Anmerkungen::

Anm. 1:
Vom Protokollanten wurden zwei Punkte mit 4 bezeichnet; die Zählweise wurde hier korrigiert.



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