Protokoll der 11. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. I, o.S.

[Datum: Do, 24.08.1922 - Protokollant: Alfred Kraemer]


Kraemer leitet sie mit Bachs Präludium auf dem Flügel ein [Anm. 1].

I. Herr Blume beginnt damit, über die Tage auf Scharfenberg während der großen Ferien zu berichten, einige besonders ereignisreichen Tage werden aus der Chronik wieder von neuem heraufbeschworen. Herr Blume erzählt, daß er und einige Scharfenberger in den Ferien nach einem für unsere geplante Theateraufführung lange gesucht jedoch leider nichts gefunden hätten. Seine Frage, ob man an Fuldas "Schlaraffenland" [Anm. 2] festhalten wolle, das die Gemeinschaft vor den Ferien gewählt hätte [Anm. 3], wird von der Mehrzahl mit nein beantwortet. Soll nun überhaupt vor Oktober noch etwas aufgeführt werden? Gawronski meint, man solle das Stück jetzt fallen lassen, da man ja im Winter Gawan aufführen wolle [Anm. 4]. Auch Herr Blume glaubt, daß es zu viel werde, es sei wahrscheinlich schon am 29.IX. Schulschluß. Auch sei jetzt nur noch sehr schwer etwas zu finden, im Winter könne man zwar keine Naturaufführungen machen, doch sei dann alles besser vorzubereiten. Freys Behauptung, die Eltern hätten eine zweimalige Aufführung gewünscht, wird von Herrn Blume widerlegt. Auch sei es die Frage, ob wir und auch die Eltern sich zweimal die Unkosten machen könnten. Soll nun vor dem 29.IX. noch ein Stück aufgeführt werden? Die Gemeinschaft: Nein.

II. Wo sollen die Bücher, die Wernecke von der "Kosmos"gesellschaft und vom Raabeverlag Klemt für die Schule geschenkt erhalten hat, untergebracht werden? Grotjahn: "Im Laboratorium! Da es naturwissenschaftliche Bücher sind, ist dies der einzig richtige Platz!!["] Wernecke verlangt, man solle eine allgemeine Bibliothek begründen, in der auch, wie in jeder anderen, die Naturwissenschaft vertreten sein müsse. Grotjahn: "Die Bücher sind auch oben jedem zugänglich. Außerdem werden sie oben am meisten gebraucht." Herr Prof. Cohn: Die Bücher sollen der weiteren Bildung dienen. Wernecke erklärt, es sei am besten, wenn die Bücher unten untergebracht würden, wenn später die Bibliothek erweitert würde, könne man außerdem Abteilungen für Technik usw. einrichten. Ulm schlägt vor, die Bücher auf dem Zeitschriftentisch auszulegen, Böhm, sie im Schrank im Saal unterzubringen. Schließlich nimmt die Mehrheit Gawronskis Vorschlag an, sie in Herrn Blumes Zimmer wenigstens "vorläufig" aufzustellen.

Sodann stellt Herr Blume allen Frl. Kägelmann, unsere Stütze im Haushalt, vor und erklärt sie für aufgenommen in die Gemeinschaft.

III. Holzfrage. Herr Blume: Die Situation ist ernst. Wir brauchen Fäller, Holer und Säger, die uns Winterholz verschaffen. Ulm: Kein Material. Herr Blume: Das stimmt. Daran krankt ja alles. Wieviel Geld in der Fährkasse? 600 M.! Auf Herrn Oberstadtschulrat Paulsen's Frage, wie diese Kasse begründet sei, gibt Herr Blume Auskunft über ihre Entstehung. Herr Blume: Wer ist dafür, daß aus der Fährkasse das Geld für eine Säge genommen werde. Alle! Doch solle die Ausgabe 300 M. nicht übersteigen. Herr Blume: Sollen Arbeitsgruppen gebildet werden? Die Majorität stimmt dafür. Es werden dann sofort Gruppen gebildet. Näheres solle der Ausschuß regeln. Baader betont, daß das Küchenholz nach wie vor vom Küchendienst besorgt wird! "Wie steht es mit Tischlerholz?", fragt Herr Blume. Herr Netzband erklärt sich bereit, an einem Mittwoch mit einigen Schülern auf zwei Flößen nach Spandau zu fahren, wo die Stämme zersägt werden können.

IV. Soll im Herbst der sogenannte "Hottentottenkraal" als Schulpavillion ausgebaut werden? Herr Blume erklärt, daß das Decken desselben mit Schilf abgelehnt sei, doch könnten Schalbretter dafür verwendet werden, unten müsse der "Schulpavillion" mit Reisig geschützt werden. Die Mehrheit nimmt den Vorschlag an, und 23 der Anwesenden erklären sich bereit, bei der Einrichtung des Pavillions mitzuhelfen. Herr Blume meint, daß der Ausbau an einem Sonntag bewerkstelligt werden müsse, das Geld dazu würde noch aus dem "Oberbürgermeisterfond" entnommen werden können.

V. Musikalische Fragen: 1.) Das Üben am Klavier: Herr Rosolleck: "Da es für solche, die ernstlich am Flügel üben wollen, um sich weiterzubilden, nicht möglich ist, zu üben, ohne gestört zu werden, möchte ich vorschlagen, zu einer bestimmten Zeit am Tage den Saal zu schließen. Es brauche ein jeder wöchentlich mindestens zweimal eine halbe Stunde." Grotjahn: "Wir haben hier kein Flügelzimmer, sondern ein Gemeinschaftszimmer!" Herr Rosolleck meint sehr skeptisch, daß es unter 22 wohl kaum beim Zeitungslesen bliebe, wie Grotjahn meine. Wähle man eine bestimmte Zeit, so wisse ein jeder, woran er sei und könne sich danach einrichten. Grotjahn: "Wir streiten uns schon um die Zeit, und wissen noch gar nicht, ob der Gedanke jemals verwirklicht wird." Herrn Blumes Frage, ob man den Saal zu bestimmten Zeiten schließen wolle, beantworteten 14 mit Ja. Da dies nur knappe Majorität ist, macht Herr Blume den Kompromißvorschlag, es bei einem Anschlag bewenden zu lassen und nicht zu schließen. Herr Paulsen: "Auch ich finde, das ist keine Frage des Zwanges, sondern des Taktes." Herr Rosolleck: "Es gibt doch Fälle, wo wir im Geheimen etwas vorbereiten wollen, da wäre es sehr erwünscht, wenn man den Saal schließen könnte." Nach Freys Bemerkung, daß in solchen Fällen die Spielenden doch die Badezeit benützen könnten, nimmt die Gemeinschaft Herrn Blumes Vorschlag einstimmig an.

2.) Herr Rosolleck äußert sich nun zum eigentlichen Punkt; er wolle eine Musikarbeitsgemeinschaft außerhalb des Unterrichts ins Leben rufen, da das eingehende Studium der Theorie innerhalb desselben nicht für alle interessant und möglich sei. Herr Blume weist darauf hin, daß das die erste Vereinigung innerhalb unserer Gemeinschaft sein würde. Billigt die Gemeinschaft dies? Herr Rosolleck findet, daß dem Prinzipiellen wohl nichts im Weg stände, die Teilnehmer müßten auch außerhalb der Zeit dafür arbeiten. Herr Blume: Sind schon Teilnehmer vorhanden? Rosolleck: Einige, doch manchen sei der Gedanke neu. Herr Wahle und Grotjahn finden, daß die ganze Sache nicht hierher gehöre. Herr Blume weist nochmals auf das Prinzipielle hin, worüber die Gemeinschaft beschließen müsse. Kraemer wünscht, daß Herr Rosolleck seine Ziele genau auseinandersetze. Herr Rosolleck: Musikphilosophie, Harmonielehre, Eindringen in die Technik der Musik, Musikgeschichte, Musikästhetik. Wer würde mitmachen? Es melden sich 11. Herr Blume will nun die Frage an die Gemeinschaft stellen, ob sie eine Vereinigung innerhalb derselben billige, jedoch Herr Paulsen sucht ihn davon abzuhalten: "Ich halte eine Abstimmung hierüber für vollkommen falsch. Das ist eine private Angelegenheit, keine stundenplanmäßige Veranstaltung." Eine Abstimmung wäre eine Vergewaltigung derer, die diese Sache eigentlich nur anginge. Die Arbeit des Zirkels dürfe natürlich nicht störend in die Arbeit der Gemeinschaft eingreifen. Grotjahn wirft dazwischen, dann solle man nicht reden und die Zeit hinbringen, wenn man keinen Beschluß fassen wolle. Herr Paulsen: "Ich sehe das Ganze nur als eine Orientierung aufgefaßt." Herr Blume weist nochmals auf die Gefahr hin, daß sich die Gemeinschaft in Kliquen auflöst; wozu der große Name "Arbeitsgemeinschaft"? Eine Bekanntmachung am schwarzen Brett von Fall zu Fall tun es auch. Aber die [Ge]meinschaft hat auch nichts gegen die Gründung einer speziellen Vereinigung [Anm. 5].

VI. Antrag Martin Grotjahn, betreffend Petroleumversorgung im Winter. Grotjahn beantragt, daß ein jeder sich selbst im Winter mit Petroleum versorge. Begründung: die hohen Preise [sind] für die Schule nicht möglich zu bezahlen; Sparsamkeitsrücksichten zwingen zum pünktlichen Zubettgehen. Doch sind Grotjahn und Gawronski dafür, auf Gemeinschaftskosten eine Lampe im Saale zu brennen. Herr Blume hält die Petroleumsfrage auch für einen sehr wunden Punkt, der der "Schulgemeinde" vorgelegt werden müsse, da von der Entscheidung wohl eine Erhöhung des Betrages abhinge. Mit der Stimmenmehrheit (16 Stimmen) wird Grotjahns Antrag angenommen in dem Sinne, daß man dafür sei, nur noch die Lampen in den öffentlichen Räumen auf allgemeine Kosten zu beliefern [Anm. 6].

VII. Antrag Martin Grotjahn, betreffend Entfernung von im Hause aufgehängten Bildern. Grotjahn: Er wäre sehr erstaunt gewesen, nach den Ferien auf dem Boden Bilder vorzufinden, deren Scheußlichkeit ... [sic!] Er beantrage, die Bilder zu entfernen. Herr Blume berichtet, daß er einige seiner Steindrucke in den Ferien aus dem Humboldtgymnasium mitgebracht und auf den kahlen Bodenwänden aufgehängt habe, nicht um Bilderschmuck dort zu haben, sondern um die Fläche durch die Farben zu beleben. Herr Netzband, der Fachmann, meint, dann solle man sie wenigstens umgekehrt hinhängen. "Farbe wirkt am besten ohne Form." Grotjahns Antrag, daß die Gemeinschaft über die aufzuhängenden Bilder abstimmen solle, wird von der Mehrheit sofort angenommen. Als Grotjahn Abstimmung über seinen ersten diesbezüglichen Antrag verlangt, ruft Herr Oberschulrat Blankenburg: "Wie kann die Gemeinschaft über den Geschmack beschließen?" Herr Paulsen findet jedoch auch, man dürfe nichts hinhängen, was wider den Geschmack der Gemeinschaft verstößt. Diese beschließt, daß fortan die Gemeinschaft über Ausschmückung öffentlicher Räume entscheiden soll, der Modus wird noch offen gehalten [Anm. 7].

VIII. Anregung: Wozu sind die Zimmer nummeriert? Kann das nicht abgeschafft werden. Herr Paulsen unterstützt diese Anregung: Die Zimmer sollen namenlos sein oder das Charakteristische seiner Bewohner wiedergeben. Herr Blume: Die Zimmer sind noch nie mit Nummern genannt worden; die Bezeichnung sei nur für Handwerker, die in den Zimmern zu arbeiten hätten, beibehalten, da sie auf Rechnungen den Ort der Reparaturen angeben müssen [Anm. 8].

Herr Blume schließt die 11. Abendaussprache.

Zum Schluß spricht Herr Paulsen seinen Dank aus für die Einblicke, die er in unser Leben und Treiben habe tun dürfen. "Ich habe gesehen, daß Ihr Scharfenberger nicht bloß zu lachen, sondern auch zu arbeiten versteht. Und wenn ihr nach Berlin kommt, dann besucht mich einmal, damit auch ihr einen Einblick in unsere Arbeit tun könnt. Ein anderes, nicht so freudenreiches Leben ist es dort. Ich werde gern an Euch zurückdenken und hoffentlich auch bald einmal zurückkommen."

Willi Grundschöttel spielt als Abschluß der Abendaussprache auf dem Flügel Schuhmanns "Grillen".


Anmerkungen:

Anm. 1:
Diese Bemerkung wurde von Blume vorangestellt.

Anm. 2:
FULDA, Ludwig, Schlaraffenland. Märchenschwank in drei Aufzügen, Stuttgart 1900.

Anm. 3:
S. Protokoll der 10. Abendaussprache vom 04.07.1922.

Anm. 4:
Vgl. unten Protokoll der 20. Abendaussprache vom 10.11.1922.

Anm. 5:
Der Abschnitt "Herr Blume weist" bis "einer speziellen Vereinigung" wurde von Blume in das Protokoll eingefügt.

Anm. 6:
Die Ergänzung von "in dem Sinne" bis "Kosten zu beliefern" wurde von Blume in das Protokoll eingefügt.

Anm. 7:
Der letzte Satz wurde von Blume eingefügt.

Anm. 8:
Der letzte Teil des Satzes, beginnend mit "da sie auf Rechnungen", wurde von Blume eingefügt.



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