Wilhelm Blume

Gesuch an den Magistrat, die Deputation für die äußeren Angelegenheiten der höheren Schulen und den Ausschuß für Versuchsschulen um Ausbau der 1921 für das städtische Humboldtgymnasium begründeten Sommerschule auf der Insel Scharfenberg zu einer ständigen Sammelwahlschule für Schüler Berlins zunächst in der Form einer Versuchs-Oberschule, - eingereicht von Studienrat Wilhelm Blume vom städtischen Humboldtgymnasium (Anfang Februar 1922)

Quelle: Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA, Rep. 76 VI, Sekt. 14 z, Nr. 48 II, Bl. 76-134 [immer nur aus einer Seite ('r') bestehend].
Veröffentlichung: Marburg 1999: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0001/q12.html
Literatur: Haubfleisch, Dietmar: Schulfarm Insel Scharfenberg. Mikroanalyse der reformpädagogischen Unterrichts- und Erziehungsrealität einer demokratischen Versuchsschule im Berlin der Weimarer Republik (=Studien zur Bildungsreform, 39), Frankfurt [u.a.] 2001, bes. S. 199-206.


((Bl. 77 - [S. I]))

Gesuch an den Magistrat, die Deputation für die äusseren Angelegenheiten der höheren Schulen und den Ausschuss für Versuchsschulen um Ausbau der 1921 für das städtische Humboldtgymnasium begründeten Sommerschule auf der Insel Scharfenberg zu einer ständigen Sammelwahlschule für Schüler Berlins zunächst in Form einer Versuchs-Oberschule, eingereicht von Studienrat W. Blume vom städtischen Humboldtgymnasium. [Anm. 1]

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"Erst muss man Experimentalschulen errichten, ehe man Normalschulen errichten kann"
(Kant)

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"Das Beste wird freilich nicht deutlich durch Worte. Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste."
(Goethe)

((Bl. 78 - [S. II]))

Inhaltsübersicht [Anm. 2]

I. Teil.
Die Ausnutzung der städtischen Insel Scharfenberg von 1912 bis heute
[...]

II. Teil
Der Zukunftsplan: Scharfenberg als Schulinsel durch Ausbau der Sommerschule zu einer selbständigen Versuchsschule
[...]

((Bl. 79 - [S. III]))

[...]

((Bl. 80 - S. 1))

I.Teil.

Die Ausnutzung der städtischen Insel Scharfenberg von 1912 bis heute.

Die Insel Scharfenberg lediglich als Naturschutzpark 1912 bis 1921.

Seit nunmehr 10 Jahren ist die Stadt Berlin - nach einem schwierigen Prozess mit der Humboldterbin - in unbestrittenem Besitz der Inseln Scharfenberg und Baumwerder, deren Erwerbung ihrer Zeit die Kaufsumme von 800.000 M erfordert hat. Während das kleinere Baumwerder alsbald der Bürgerschaft zur Erholung freigegeben wurde, war für die benachbarte Insel Scharfenberg wegen der einzigartigen Flora, die hier die Vorbesitzer Alexander v. Humboldt und Dr. Carl Bolle in mehr als einem halben Jahrhundert herangepflegt hatten, besondere Rücksicht geboten; nur mit Erlaubnis der städtischen Behörden dürfen Forscher, wissenschaftliche Vereine, interessierte Private diesen Naturpark vor den Toren Berlins betreten; ab und an haben in- und ausländische Dendrologen die seltenen Kiefern- oder Magnolienarten, die amerikanischen Eichen und Taxodien,die berühmten Populi Bolleanae, die Eiben, den wildwachsenden winterharten Bambus, den japanischen Tulpenbaum, die gewaltige Douglasfichte oder die üppig wuchernden Schlingpflanzen und nur hier vorkommende immergrüne Gewächse mit Entzücken betrachtet und wissenschaftlich aufgenommen. Im übrigen jedoch ist die 93 Morgen grosse Insel, deren Verwaltung der Deputation der städtischen Wasserwerke untersteht, für die Stadt Berlin bisher totes Kapital geblieben. Der einzige Bewohner und Nutzniesser, ein früherer Angestellter Dr. Bolles, der auf dem kleinen ein Wohnhaus, eine Scheune und Stallungen nebst Werkstatt umfassenden Wirtschaftshof mit seiner Familie Ackerbau, Viehzucht und Obstkultur betreibt, hat von der Stadt als Wärter der Insel jahrelang festes Gehalt bezogen; seit 1921 ist zwar das Beamtenverhältnis durch einen Pachtvertrag ersetzt, aber der naturgemäß nur geringe Pachtzins schlägt so gut wie nichts zu Buche. Die im Jahre 1884 von Dr. Bolle erbaute Villa, die abseits von den Wirtschaftsgebäuden,

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in überaus reizvoller Umgebung sich erhebt (siehe Anlage 1: Photographien), hat das Jahrzehnt über leergestanden, bis sie nach einem glücklichen Hinweis der Dezernentin für Jugendpflege im Magistrat April 1921 3 Studienräten des städtischen Humboldtgymnasiums - den Herren Cohn, Schmidt und Blume - zur Realisierung ihrer Sommerschulpläne zur Verfügung gestellt worden ist.

Die Insel Scharfenberg als Herberge für die Sommerschule des Humboldtgymnasiums April bis September 1921.

Diese Studienräte haben mit Hilfe jetziger und ehemaliger Schüler unter Ersparung jeglicher Arbeitslöhne wenigstens einen Teil des inzwischen selbstverständlich recht verwahrlosten Hauses - das Erdgeschoss mit seinen 6 Zimmern und dem Saal sowie die Küche im Souterrain und die Bodenkammern (siehe Anlage 2: Inventarzeichnung) - in einen einigermassen wohnlichen Zustand gebracht und mit Unterstützung des Jugendamtes und des Büros für Ausstattung städtischer Verwaltungsgebäude einfach möbliert; von Mai bis September - 4 Schulmonate hindurch hat dann die Untersekunda ihrer Anstalt, die im ungesunden Norden liegt und fast ausschliesslich aus den Kreisen des verarmten Mittelstandes, des wirtschaftlich jetzt soviel schlechter gestellten Beamtentums beschickt wird, bei Sport und Spiel und unverkürztem wissenschaftlichen Unterricht, der zu 90 % aller Stunden im Freien gehalten werden konnte, in enger Gemeinschaft mit ihren drei Lehrern dauernd draussen gelebt. Der Versuch, "die herrliche Insel zu einer sommerlichen Freiluftschule zu benutzen" (aus dem "Vorwärts") und sie so etwas mehr der Allgemeinheit zu erschließen, ohne jedoch ihre Eigenart zugefährden, fand in der Öffentlichkeit lebhaften Widerhall, wie zahlreiche anerkennende Pressestimmen vom Vorwärts bis zum Lokal-Anzeiger bezeugten; holländische und schwedische Pädagogen haben die Stadt Berlin bei Besuchen um diese "Schulinsel" beneidet. Und in der Tat - die Praxis dieses Sommers hat die ausserordentlich günstige Eignung der Insel für den Schulzweck erwiesen. Die insulare Lage verbürgt die denkbar reinste Luft, bietet ohne jeden Zeitverlust die schönste Gelegenheit zum Baden und Rudern, macht unliebsame Störungen von aussen ganz unmöglich; die stille Einsamkeit mit dem ständigen Blick

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auf den See lädt zur Besinnlichkeit ein; die vielen lauschigen Plätzchen ermöglichen jedem, der es sucht, ein völlig ungestörtes Arbeiten; die Mannigfaltigkeit der Fauna und Flora ermuntert ungezwungen zu ständigem Beobachten der Natur; historisch-literarische Erinnerungen an die Humboldts, an den Robinson-Bearbeiter Campe, an H. Seidel und Gottfried Keller kommen anregend hinzu; ein von Mauern und Buchsbaumhecken umgebener Platz im Garten, wo Dr. Bolle exotische Pflanzen im Windschutz akklimatisierte, ist als Schulplatz wie geschaffen; der Speisesaal der Villa ist gross genug, um bei günstiger Witterung eine Klasse in hufeisenförmiger Gruppierung sehr hübsch aufzunehmen; die weiten Rasenflächen sind die wundervollsten Spielplätze, die man sich denken kann. Wie die Statistik über Gewichtszunahme und Brustumfangsmessung sowie die vielfach wesentlich freier und schöner gewordene Körperhaltung beweisen, sind die Jungen gesundheitlich ungemein gekräftigt von der Insel in die Gartenstrassen zurückgekehrt; die Mutter des zierlichsten in der Schar hat nach längerer Trennung ausgerufen: "Junge, statt der Stöcker hast du ja jetzt richtige Arme!" Im ständigen Verkehr mit der Natur bei Tage und manchmal auch bei Nacht, im Umgang mit den Kameraden, im Austausch mit den Lehrern ist ihr Innenleben merklich reicher geworden; die täglichen Dienste, die gruppenweise in den Zimmern, im Treppenhaus, Waschraum, in der Küche, bei Tisch und im Fährkahn im Umlauf zu leisten waren, sind für manchen Willensübungen im Försterschen Sinne gewesen und haben alle in unserer so egozentrisch bestimmten Zeit durch unmittelbares Erleben einsehen lassen, dass man nicht immer fragen darf, ob es der andere auch tut, sondern das man vor allem selbst zupacken soll, ohne sich auf die Selbstsucht der anderen zu berufen. Die innere Anteilnahme am Unterricht ward zusehends stärker, da die Schüler jetzt mit den Lehrern soviel ausserdienstliche Beziehungen menschlich verbanden und die Stunden durch Leseabende, freiwillige Deklamationscirkel, gemeinsames Musizieren und Theaterspiel, Experimente und Exkursionen, zwangloses Zusammenfinden im kleinsten Kreis beim Betrachten von Bildern und Besprechen von Büchern vertieft und belebt werden konnten; die Lektüre etwa von Ovids Metamorphosen [Anm. 3] unter dem Rauschen der Bäume oder der Nausikaagesänge am Gestade des Sees hatte mehr Stimmung und fand

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so weit aufgeschlossenere Herzen; Apparate für die Physikstunden wurden selbst gefertigt; statt Chemie ward mehr Biologie und Astronomie getrieben; manche Mussestunde ist dem Bestimmen der Pflanzen gewidmet; die Scharfenbergflora ist in Herbarien gesammelt; in Geographie boten sich Anknüpfungspunkte in der nächsten Umgebung. Das Geschichtspensum ward in nachmittäglichen Sonderkursen gefestigt; an den selbstgewählten Aufgaben aus dem eigenen Erleben, die sie nach Überwindung einer anfänglichen Scheu hier in Mengen fanden, konnte sich die selbständige stilistische Gestaltungskraft ganz anders entfalten als an den literarischen Thematen, zu denen man sonst wohl oder übel auch schon auf dieser Stufe in der Hauptsache greifen muss. Durch das ständige Zusammensein mit den Lehrern, die beim Übersetzen der fremdsprachlichen Lektüre oder in den Nöten der Lösung mathematische Aufgaben methodisch Helferdienste leisten konnten, ist besonders die Gruppe der langsamdenkenden, aber fleissigen Schüler bei geringerer Zeitaufwendung auffällig gefördert; leichtsinnigere haben erklärt, sie hätten in Scharfenberg mehr als zu Hause gearbeitet, da das Beispiel präparierender Kameraden auch sie zum Mittun veranlasst habe; so standen die Leistungen den in anderen Jahren daheim erreichten keineswegs nach; ja, man kann mit gutem Grunde behaupten, dass sie in manchen Fächern noch wesentliche Sondergewinne heimgebracht haben. Die Lehrer konnten weit mehr als im gewöhnlichen Schulbetrieb sich in die Schülerindividualitäten vertiefen, auf sie eingehen, gerade den sonst schwierigen Naturen im vertrauten Umgang etwas sein. In einer der wöchentlichen "Abendaussprachen" ward nach einem Schülervortrag postuliert, aus dem engen Verhältnis zu den Lehrern die moralisch gebotene Konsequenzen zu ziehen und aus dem Schulleben den Geist der Unehrlichkeit zu verbannen. Ein Vater hat in der ersten Elternversammlung nach Abschluss der Sommerschulzeit bezeugt: "Mein Junge hat in Scharfenberg nicht bloss körperlich 14 Pfund zugenommen!" An den meist sehr lebhaften Besuchstagen, bei dem hochgestimmten unter dem Zeichen Friedrich Kaysslers stehenden Gartenfest [Anm. 4] oder dem schlichtinnigen Abschiedsnachmittag begann sich so etwas wie eine grosse Scharfenberger Familie, eine

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Schulgemeinde im umfassenden Sinne anzubahnen. Das Gros der Eltern und Schüler hat zur stillen Freude der Lehrer mit der Zeit doch herausgefühlt, dass das Hygienische letzten Endes garnicht das Entscheidende bei diesem Unternehmen gewesen ist, sondern das Erziehliche, die andere Einstellung zur Schule und - zum Leben. In dieser Beziehung hat sich das Berliner Sommerschulexperiment von den in den letzten beiden Jahren unternommenen Landschulheimversuchen anderer Stadtschulen nicht unwesentlich unterschieden, woraus sich naturgemäss auch ganz anders gerichtete Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft ergeben.



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II. Teil

Der Zukunftsplan: Scharfenberg als Schulinsel durch Ausbau der Sommerschule zu einer selbständigen Versuchsschule.

1. Grundlagen für die Dauerschule.

Organisches Hervorwachsen des Gedankens einer Dauerschule auf Scharfenberg aus der dortigen Sommerschulpraxis.

Die Frankfurter Musterschule, die auf dem Geist der "Landschulheimpädagogik" vorangegangen ist, vereinigt in Soden die erholungsbedürftigen Schüler aller Klassen, ebenso das Berliner Dorotheenstädtische Realgymnasium in seinem neuerdings eröffneten Riesengebirgsheim, wodurch das Leben darin sich mehr dem Betrieb eines Sanatoriums annähern muss. Der Unterricht beschränkt sich je nach Wunsch darauf, dass die Schüler die bis dahin erworbenen Kenntnisse nicht vergessen, oder darauf, dass sie nicht allzusehr hinter dem Pensum zurückbleiben.

Die Frankfurter Viktoriaschule und die Kaiser Wilhelm II Oberrealschule in Göttingen pflegen zwar ganze Klassen hinauszusenden, aber nur mit dem Ordinarius und auf kurze Zeit (1 Tag (!) bis höchstens 4 Wochen), wobei das Unternehmen mehr den Charakter einer gemeinsamen Ferienreise annehmen wird. Auch diese Arten haben ihre Berechtigung, zumal solange die Schüler noch unter den Schäden der Kriegs- und Nachkriegszeit zu leiden haben. Die Sommerschule des Humbodtgymnasiums hat sich demgegenüber von dem Grundsatz leiten lassen, dass die innere Entwicklung der Jugend nur bei längerer Dauer des Aufenthalts in der Natur und der Kameradschaft nachhaltig beeinflusst werden kann, dass sich ein wirklich inhaltsreiches Gemeinschaftsleben auf dieser Stufe nur bei gemeinsamer strammer Arbeit herausbildet, die noch dazu in der schönen Luft und Umgebung, in der vielseitig anregenden Gesellschaft weit weniger anstrengt; ganz abgesehen davon, dass ein Ausdehnen der Sezessio auf ein ganzes Semester

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ohne weiteres die Notwendigkeit mit sich bringt, den Unterricht zu seinem vollen Rechte kommen zu lassen, dessen Kürzung im Winter nicht mehr einzubringen wäre. Freilich je länger das Fernsein von der Mutterschule dauert, je lockerer wird der Zusammenhang mit ihr; es war bezeichnend, dass viele Eltern, nachdem erst die Besorgnisse vor einem Sinken der unterrichtlichen Leistungen durch die Praxis zerstreut waren, bereit gewesen wären, ihre Söhne auch noch den Winter über bis zur Osterversetzung draussen zu lassen. Einige hegen den Wunsch, sie dauernd bis zum Abschluss ihrer Schulbildung wieder nach Scharfenberg geben zu können!

Sicher nicht ohne Grund befürchten die Sommerschullehrer, dass die Ansätze zu grösserer Selbständigkeit und Offenheit, der Hinwendung zu einem natürlichen Leben ohne Blasiertheit voll Einfachheit, Ehrlichkeit und abhärtender Selbstzucht, die sich draussen zwanglos entwickeln, nachher in der alten Umgebung, im großstädtischen Milieu nur Ansätze bleiben oder wieder verkümmern werden. Gern würde man mit viel stärkerer Absichtlichkeit nach den Grundsätzen der Arbeitsschulmethode, die die besonderen Verhältnisse solchen Insellebens geradezu fordern, unterrichtet und so vielleicht noch neue Kräfte entbunden haben, - aber die Erwägung, dass die Schüler sich im Winter im Organismus ihrer Stadtschule wieder einfügen müssen, liess es nicht zu. Das schönste Ergebnis des Sommeraufenthalts, dass die Klasse seitdem vielmehr als die anderen familienhaften Charakter trägt, dass die Schüler dem Unterricht durchschnittlich ein viel innerlicheres Interesse entgegenbringen, weit fröhlicher, ungezwungener mitarbeiten, in einigen Fächern den Gang mancher Unterrichtsstunde durch häufiges Fragen und Anregungen ihrerseits zu bestimmen anfangen, ihnen die Stunden am meisten gefallen, in denen sie die Kosten selber bestreiten müssen, die Lehrertätigkeit äusserlich mehr zurücktritt, - wird das sich weiter entfalten oder wird es nicht im Laufe der Schuljahre bei etwas anders eingestellten Lehrern wieder verloren gehen? Es ist klar, dass die alle physischen und psychischen Kräfte der Lehrer anspannende Tätigkeit solchen

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Zusammenlebens, wie es sich im letzten Sommer ganz von selbst ohne lange vorherige theoretische Ueberlegung in Scharfenberg anzubahnen begonnen hat, sich weit mehr lohnen würde, wenn Schüler und Lehrer dauernd zusammen bleiben könnten bis zum Abschluss der Schulzeit!

Und noch andere, mehr äussere Gründe, die sich aus den Erfahrungen dieses Semesters ergeben haben, sprechen dafür, die Sommerschule zu einer Dauerschule auszubauen. Wird es doch stets seine grossen Schwierigkeiten haben, die Einwilligung aller Eltern der Schüler einer Klasse, die doch auch finanzielle Opferim Gefolge hat, ohne weiteres zu bekommen; Söhne von Eltern aber, die etwa gar bei prinzipiellen Bedenken erst nach längerem Zureden unter dem gewissen moralischen Zwang, das ganze Unternehmen nicht scheitern zu lassen, zugestimmt haben, oder Schüler, die an sich viel lieber in der Großstadt blieben und draussen deren mannigfaltige Zerstreuung entbehren, sind wenig angenehme Haus- und Zimmergenossen; seinen vollen Segen kann solches Zusammenleben erst entfalten, wenn nur Gleichgerichtete sich dazu zusammenschliessen. Die vorwurfsvollen Fragen mancher Schulen, warum denn gerade das Humboldtgymnasium sich der Sommerschule in Scharfenberg erfreue, entbehrt zwar jeder stichhaltigen Begründung; denn selbstverständlich ist die Schule Nutzniesserin, deren Lehrer die Idee angeregt und unter Ueberwindung grosser Schwierigkeiten verwirklicht haben; aber wenn diese im Interesse einer noch schöneren Ausgestaltung ihres ursprünglichen Planes sich des historischen Vorrechtes begeben und nach der Umwandlung in eine Dauerschule auch aus anderen Anstalten gleichgerichtete Jungen hinzutreten würden, brauchte man die Vergünstigung nicht ab und zu auch Widerstrebenden oder Gleichgültigen aufzudrängen, wie sie naturgemäss in jeder Zufallsklasse sich finden, sondern sie käme nur Schülern zugute, die für ein solches Leben eine starke innere Neigung haben; für diese Naturen wären dann hier die denkbar günstigsten Lebensbedingungen geschaffen, unter denen sie ihre Anlagen besser entwickeln könnten, als unter den bisherigen, ihnen weniger

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adäquaten Verhältnissen.

Es ist ferner, - und diesmal mit einer gewissen Berechtigung - der Vorwurf erhoben worden, dass die nun fertig eingerichteten Räume der Scharfenberg-Villa im Winterhalbjahr unbenutzt seien; ein Uebelstand, der freilich mit dem Wesen der Sommerschule logische verbunden und ebenfalls nur auf dem vorgeschlagenen Wege ihres Ausbaus zu einer selbständigen Dauerschule zu beseitigen ist. Denn die Sommerklasse noch länger draussen zu lassen, hiesse, sie der Mutterschule gar zu sehr zu entfremden; eine andere - etwa die entsprechende Michaelisklasse - hinauszuschicken, verbietet sich aus gesundheitlichen Gründen; nur Schüler, die den Sommer über in einem Robinsonleben sich abgehärtet, bis tief in den Herbst hinein im See gebadet und auch bei windigem Wetter ihren Unterricht unter freiem Himmel gehabt haben, können bei Wintersturm und Schnee auf der Insel wohnen.

Die speziell für eine Dauerschule auf Scharfenberg günstigen Vorbedingungen.

Für Dauerschüler wäre ein Winteraufenthalt in hygienischer Beziehung durchaus einwandfrei, böte sogar noch seine besonderen Vorzüge. In einem, dem städtischen Jugendamt unter dem 3. März 21 von Herrn Dr. Harms als Vertreter des Medizinalamtes erstatteten Gutachten (s. 1. N. 507. Pfleg. I a. 1921) heisst es: "Die im Erdgeschoss gelegenen Räume sind durchweg sehr gross und hell, heizbar und mit Doppelfenstern versehen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Errichtung eines Heims für Jugendliche in dem Gebäude nach Ausführung der notwendigen Reparaturen und Erfüllung der baupolizeilichen Vorschriften von gesundheitlichem Standpunkt keine Bedenken entgegenstehen. Etwaige klimatische Einflüsse (Nebel etc.) kämen als Hinderungsgrund nicht in Frage." Die sportlichen Spiele können denn von den Rasenplätzen auf das Eis verlegt werden (Eishockey, Schlittschuhlaufen, Segelschlitten!) der steile Abhang des wenige Minuten vom Haus sich erhebenden "Scharfenberges" gibt ohne besondere Zurichtung die schönste Rodelbahn ab. Die winterliche Einsamkeit wird ganz von selbst das

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Bedürfnis nach intensiverem Studium verstärken; in ihr werden sich zur Vertiefung oder zur Erweiterung des Unterrichts oder auch ganz ohne Verbindung mit ihm Gruppen mit und ohne Lehrer zu gemeinsamem Lernen in den Zimmern zusammenschliessen. Allzu einseitiges Abkapseln in der verschneiten Schulsiedlung verhütet glücklich die Nähe zu Berlin; der Besuch der Museen, Konzerte, Theater oder industrieller Anlagen wird zuweilen anregende Abwechslung bringen, notwendige Ergänzungen, die zu ermöglichen die im Gebirge liegenden Landerziehungsheime viel Zeit und Kosten aufwenden müssen. Ferner nähme im Winter Bastel- und Werkstättenarbeit, für die sich die jetzt leerstehenden Räume im Souterrain trefflich eignen würden, mehr Zeit in Anspruch, zum Teil an Stelle der sommerlichen Betätigung in Feld und Garten. Diese Beschäftigung würde den spielerischen Charakter, der ihr bei vorübergehendem Aufenthalt und ständigem Wechsel der Schülerjahrgänge mehr oder weniger anhaften muss, unter den veränderten Umständen verlieren; die Schüler würden bald die Insel als ihre Scholle ansehen lernen und, wo sie selbst für die Gemeinschaft ernten, mit grösserem Eifer und steigendem Interesse beim Säen und Pflanzen sein; die Grösse der Insel würde es der Schule ermöglichen, in erheblichem Umfange Eigenwirtschaft zu treiben; Kartoffeln zu bauen, ihr Gemüse zu ziehen, den Bedarf an Eiern, Milch und Butter aus dem Wirtschaftsbetrieb zu decken, dem ein - auch pädagogisch geschickter - Landwirt vorstehen müsste; der augenblickliche Pächter [Braun], dessen Vertrag laut einer Klausel gelöst werden kann, wenn der Magistrat die Insel zu anderen Zwecken verwenden will, hat cirka 20 Morgen in Kultur, die weiten Kirschbaumplantagen, sowie die Enten- und Gänsezucht, für die das Wasser ringsum gedeihliche Vorbedingungen schafft, könnten in Zukunft nicht unerhebliche Einnahmeposten für den Schuletat abwerfen. Ein mooriger Teich im Inneren der Insel liesse sich, in seinem Pflanzen-, Wasser- und Sumpfgetierbestand systematisch ergänzt, leicht zu einem vielseitigen Hilfsmittel des biologischen Unterrichts, das idyllische Turmzimmer im Haus mit seinem Luginsland zu einem kleinen

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Observatorium ausgestalten; sogar die Einrichtung einer von den Schülern zu bedienenden meteorologischen Hilfsstation könnte sehr wohl erwogen werden; die gegenwärtig zum Teil etwas gar zu sehr verwilderten Anpflanzungen aus Humboldts und Bolle's Zeiten, deren Pflege eine Ehrenpflicht für den Fachlehrer und seine Schüler wäre, stellen einen botanischen Garten dar, wie ihn eine Schule sich eigenartiger und lehrreicher nicht danken kann. Alles in allem - die Vorbedingungen für eine Dauerschule in Scharfenberg sind in jeder Beziehung ungemein günstig.

Schlussfolgerung: Die heute gangbaren Schultypen durch Versuche zu verbessern und zu erweitern, ist bekanntlich ein auf der Reichs-Schulkonferenz - sogar von der Mehrheit des Ausschusses II - den Behörden anheimgegebener Wunsch. Ihr XI. Ausschuss hat einstimmig bei der Beratung der "Schülerfragen" nach Dr. Andreesen's Referat die Leitsätze angenommen:

"Die Schule der Zukunft muss eine erzieherische Arbeitsgemeinschaft, eine Lebens- und Kulturgemeinschaft der Jugend mit ihren Lehrern und Führern werden. Gesetzgebung und Verwaltung müssen dieser Entwicklung die Freiheit gewähren, Versuche zu lassen und zu fördern." Der Berichterstatter ans Plenum Schulrat Götze hat dazu ergänzend bemerkt: "Die staatlich organisierte Schule muss den Kräften der neuen Jugend Raum geben in einer Schulreform, die wir erst jetzt in ihrer ethischen Bedeutung erkennen und daher bisher nicht gewertet haben für den gesamten Aufbau unseres Volkes." (S. 710, 792, 795 und 987 des amtlichen Berichts, erstattet vom Reichsministerium des Innern [Anm. 5]). Von den verschiedensten Seiten - Anhängern wie Gegnern - ist bezeugt, dass sich die Erfahrungen und Ergebnisse dieser Richtung am besten zunächst in öffentlichen Internaten, werden gewinnen lassen, aus denen dann die anderen Unterrichtsanstalten Schritt vor Schritt nach längerer Bewährung das Gute übernehmen könnten. Hamburg hat in

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der Lichtwarkschule, deren Gebäude sich "am bewaldeten Teil des Stadtparkt in unmittelbarer Nähe der weiten Spielplätze" erheben sollen, die Pionierarbeit begonnen, allerdings nur in Form einer Tagesschule, deren Teilnehmer in den späten Nachmittagsstunden nach Hause fahren; Braunschweig plant die Umwandlung eines privaten Realschul-Internats in Seesen zu einer Landesversuchsschule; der preussische Kulturminister Boelitz hat sich (Vossische Zeitung 19.11.21) als Anhänger der Versuchsschulen bekannt, "von denen er für jede Provinz etwa 2 durchgeführt sehen möchte" [Anm. 6]; von den Plänen seines Vorvorgängers ehemalige Schlösser zu derartigen Anstalten einzurichten, ist es inzwischen wieder still geworden. Die Stadt Berlin aber drängt sich jetzt auf ihrer ein Jahrzehnt ungenutzt gebliebenen Insel mit dem 93 Morgen Grund und Boden, einem fertigen Wirtschaftshof und dem, wenn auch reparaturbedürftigen Herrenhaus, die Gelegenheit, fast möchte man sagen - die Forderung auf - bei selbstverständlicher Schonung der wissenschaftlichen und landschaftlichen Werte unter organischer Fortentwicklung der im letzten Sommer gemachten vielbemerkten Ansätze bei naturgemäss relativ geringer Kostenaufwendung auf diesem Gebiet ihrerseits voranzugehen, und ein vielleicht folgenreiches Schulbeispiel zu geben! - und zwar ist die bei der jetzigen finanziellen und schulpolitischen Lage zunächst gebotene Form die einer Versuchsoberschule.

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2. Aufbau der Dauerschule in Scharfenberg in Form einer Versuchsoberschule.

"Nach gutem Alten zu neu gestalten,
Am schönen Neuen sich zu erfreuen,
Wird niemand gereuen."
   (Alter Torhausspruch)

Präliminarien: Stadträte des Bezirks Wedding haben bei ihrem Besuch der Sommerschule den Gedanken hingeworfen, auf der Insel grosse Hallen zu errichten und täglich Tausend Schulkinder hinauszuschaffen und sie in der Art der Waldschulen zu beschäftigen. Abgesehen von der Umständlichkeit des Transports (1 1/2 Std. Fahrt bis Tegelort mit Umsteigen) brächte ein derartiger Massenandrang kleinerer Kinder schon wegen des Uebersetzens über den See Gefahren mit sich, er würde bei der Nähe des Wassers ringsum ein unverhältnismässig zahlreiches Aufsichtspersonal erfordern und ferner die vor allen Dingen unbedingt zu schonenden Fauna und Flora bald unwiederbringlich zerstören.

Bei dem Besuch der Deputation für die äusseren Angelegenheiten der höheren Schulen im Juli, die auch der Ansicht war, dass die Insel noch mehr als durch die Aufnahme einer Sommerschulklasse einer Anstalt ausgenutzt werden müsse, ist von der Möglichkeit gesprochen, hierher eine vollständige Schule von unten auf zu verlegen. Die Verwirklichung eines so weit schauenden Planes, die auf Jahre hinaus die Errichtung neuerumfänglicher Gebäude, Engagement und Unterbringung zahlreichen Personals im Gefolge haben müsste, sowie es sich die Stadt vor einigen Jahren noch für Fürsorgezöglinge und Psychopathen in "Struwes Hof" mitten im Wald hat leisten können, erscheint vorerst ausgeschlossen; auch diesen entscheidenden Punkt einmal beiseite gesetzt

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bei zunehmenden Aufbau würden sich die Missstände der Massenschule auch hier draussen einstellen und mit ihren Reibungen den Versuchseifer lähmen, das Schönste daran, die persönlichen Beziehungen veräusserlichen und so vielleicht die Segnungen engen Gemeinschaftslebens in ihr Gegenteil verkehren, auch würden weite Kreise nicht damit einverstanden sein, hier eine Schule zu schaffen, welche die Kinder dem Elternhaus in einem Alter entzöge, in dem sie, wenn es geht, am besten in der Familie aufwachsen; hier ist vielmehr für Jungen in der Periode erwachenden Selbständigkeitsstrebens nach dem Zeitpunkt der Einsegnung, in dem auch ihre die Schule verlassenden Altersgenossen mehr und mehr vom Elternhaus sich lösen müssen, der geeignete Boden, hierher gehören Jungen, gross genug, um sich ohne die ständige mütterliche Fürsorge zu behelfen und bei der Arbeit im Zimmer, im Haus und im Garten tüchtig mit Hand an zu legen, junge Menschen, denen die mannigfaltigen Anforderungen solchen Zusammenlebens, die Regelmässigkeit und ungebundene Natürlichkeit seines Zuschnitts, die Anpassung bei täglich betriebenem Sport und Spiel, die potenzierten Anregungen und Debattemöglichkeiten auf geistigem Gebiet über manche Unrast der Sturm- und Drangzeit hinwegzuhelfen vermögen.

Nicht nur, dass der höheren Schule in dieser speziell "jugendkundlich" bestimmten Richtung von der Stadt noch gar keine besondere Versuchsmöglichkeit hat geboten werden können - auch in unterrichtlicher Beziehung ist die Notwendigkeit der Reform gerade für die Oberstufe von Schülern und Lehrern am dringendsten empfunden; in einer neuerdings wieder vielbesprochenen Schrift von Vilmar, dem Direktor des Grunewaldgymnasiums, wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass unsere älteren Schüler von

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15-18 Jahren leider nicht bloss unter dem täglichen Zwang einer Ordnung gehalten werden müssen, die auch für Neunjährige gilt, sondern auch täglich geistige Aufgaben erhalten, denen sich ihre inzwischen erkennbar gewordenen Veranlagungen und damit ihre Interessen nicht mehr zuwenden können [Anm. 7]. Dem zweiten Uebelstande haben er und einige Direktoren, wie Bolle am Realgymnasium und an der Oberschule in Karlshorst durch grössere Bewegungsfreiheit in den Primen in verschiedenen Variationenabzuhelfen begonnen, um so gleichzeitig einen planmässigen abgestuften Übergang zur Universität und damit auch zum Leben zu schaffen [Anm. 8]; ihn zu beschreiten soll nach einer Verfügung des preussischen Ministeriums vom 3. März 1921 auch an anderen Schulen "nach wohlüberlegten Vorschlägen" gestattet sein [Anm. 9]; da der Minister noch einen zweiten in die gleiche Richtung wirkenden Erlass in Aussicht gestellt hat und ferner von Ostern 22 ab Anträge auf Genehmigung der Einführung eines weiteren Typus der Oberstufe - der sogenannten deutschen Oberschule eingereicht werden können (Aufsatz von Boelitz in der Vossischen Zeitung vom 1.1.22 [Anm. 10]) sind sogar innerhalb der amtlich gezogenen Schranken allerhand verlockende Versuchsmöglichkeiten gerade für die Oberstufe und zunächst nur für sie gegeben. Dass ein ständiges Zusammenleben von Lehrern und Schülern im Internat von selbst diese Entwicklung beschleunigt und zu neuen Versuchen auf diesem Wege führt, liegt auf der Hand.


Allgemeiner Charakter der Scharfenberger Versuchsschule.

Indem die neue Versuchsoberschule unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Gesichtspunkte und unter Auswertung der Erlebnisse in der Sommerschulzeit sich aufbaut, erhält sie folgende charakteristische Züge:

Sie möchte ihren Angehörigen der ständigen Beeinflussung durch die Grossstadt mit ihren tausenderlei von aussenkommenden Eindrücken, ihrem Kunst- und Literaturgeschwätz, ihren politischen Augenblickerregungen entziehen

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und ihr Leben aufs Engste mit der Natur verbinden, nicht nur durch den Brauch, bei irgend geeigneter Witterung den Unterricht unter freiem Himmel zu halten;
Sie möchte ferner im Gegensatz zu dem meist einseitigen Intellektualismus der bisherigen Schulbildung die Kunst zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Lebens machen, dem Einzelnen Gelegenheit geben, ihre künstlerischen Ausdrucksmittel je nach Neigung und Talent in Wort, Ton, Farbe, Rhythmus Handwerk zu entwickeln; durch gemeinsames Ausüben und vertiefendes Aufnehmen die Empfänglichkeit und das Verständnis dafür steigern, Sinn für Stil in Kunst und Leben wecken.
Sie möchte in der geschlossenen, sich selbst verwaltenden undkameradschaftlich lebenden Siedlungsgemeinschaft, in der alle für alle die zur Führung des gemeinsamen Lebens notwendigen Dienste verrichten, zu Einfachheit, frischer Selbständigkeit, zu einer gesunden Offenheit in allen Dingen, ohne Reglementierung zu einer eigenen inneren Disziplin und zu einem wachen Verantwortlichkeitsgefühl für ein grösseres Ganze erziehen;
Sie möchte auch den wissenschaftlichen Unterricht mehr als bisher den Anlagen der einzelnen anpassen, seine Auswahl und seinen Gang durch das natürliche geistige Wachstum der jungen Menschen und ihrer inneren Bedürfnisse mitbestimmen lassen, denen zu folgen und zu dienen, vor allem das dauernde Zusammenleben im Internat mit dem Lehrer die Möglichkeit bietet; sie möchte alles daran setzen, die Schüler dahin zu bringen, dass sie die Kraft, die sie zu dem, was

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sie lernen notwendig brauchen, immer in sich selbst suchen und finden; sie möchte so, ohne seine Qualität und Intensivität irgend wie zu vernachlässigen, zu einem Unterricht kommen, bei dem nicht das Lehren und Zensieren, sondern auch das mit- und selbsttätige Schaffen und die Freude an der Arbeit um ihrer selbst willen die Hauptsache ist; dahin zunächst äusserlich den Weg zu bereiten, möchte sie die Zahl der Pflichtfächer vermindern, und die jetzt meist nach dem Schubkastensystem getrennten, in ihrer Isolierung oft als zweckloser Gedächtnisballast empfundenen sogenannten allgemein bildenden Unterrichtsgegenstände unter weitgehendster Konzentration zu einem das Weltbild vermittelnden Kernunterricht vereinigen und daneben zu ernstester Vertiefung in einem nach eigenem Ermessen gewählten Kurs von Neigungsfächern anleiten; weiss sie doch, dass das Fundament, auf dem sie ruht, - das Gemeinschaftsgefühl zwischen Lehrern und Schülern in dieser Altersstufe sich am leichtesten und echtesten an gemeinsamer geistiger Tätigkeit entzündet und von hieraus wieder und wieder seine nachhaltigsten Impulse empfängt.


Die Gesunderhaltung des Leibes und die Schulung seiner Kräfte möchte sie nicht so sehr durch Sport, soweit er sich nicht infolge der insularen Lage von selbst aufdrängt, sie durch Feld-, Garten- oder Werkstattarbeit je nach Neigung gefördert sehen; sie soll, ohne Selbstzweck zu werden und wirkliche Facharbeiter auszubilden, die Eigenwirtschaft unterstützen und die vorwiegend geistig arbeitenden Jünglinge die Schwierigkeiten und Segnungen körperlicher Arbeit schätzen lehren im Sinne der Goethe'schen pädagogischen Provinz [Anm. 11].

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Wenn die Scharfenbergschule nach Art dieser Grundlage sich entwickeln darf, hofft sie den in ihr freiwillig sich sammelnden Schülern die Freude an der Schule wiederzugeben und sie - trotz Abiturium - gesunder, natürlicher, aufgeschlossener, mehr der Sache hingegeben, selbständiger und persönlicher entwickelt zu entlassen, als es bisher in der Regel möglich war; sie hofft bei dem in ihr dann herrschenden Geist, zu ihrem bescheidenen Teil mit dazu beitragen zu können, die Brücke zu bauen zwischen echter Jugendbewegung und Schule, damit diese und nicht alle möglichen ausser ihr stehenden politischen und unpolitischen "Bunde", zum Zentrum der jugendlichen Interessen werden, wie es doch wohl in ihrer Natur liegt; in diesem Sinne die Praxis zu beeinflussen ist umsomehr an der Zeit, da die Jugendbewegung in ihren besten Elementen nicht nur aus dem Parteiengezänk, sondern auch aus der Periode der blossen Negation, dem blossen schwärmerischen Sichausleben und der damit in Verbindung stehenden Wandervogelpassivität hinauswill, zu positiver Tat (Vergl. "Stuttgarter Tatgemeinschaft deutscher Jugend") [Anm. 12]; es gibt zu denken und ermutigt zu entgegenkommender Tat auch umgekehrt von der Schule aus, dass Eduard Spranger, der Pädagogikprofessor an der Universität Berlin, jüngst in einem Aufsatz über "die drei Motive der Schulreform" geschrieben hat: "Das Schulleben auch als staatliche Organisation wird künftig, wenn nicht alle Zeichen trügen, auf einer anderen soziologischen Grundlage ruhen, in einem anders gearteten Gesamtleben eingebettet sein; denn die Jugendbewegung wird in einer zukünftigen Kultur ein wertvolles Stück Volksleben sein; sie wird Formen schaffen, in denen die freie Regung der Jugendlichkeit zum Ausdruck kommt ... Ein neues, von innen wachsendes Führertum wird aus der Gleichheit eine echte Aristokratie, aus der Gemeinschaft geistige Höhenmenschen herauswachsen lassen ... Die Schulen werden von diesem Geist getragen sein und an ihm das Mass ihrer Volkstumsbedeutung gewinnen." [Anm. 13] Und wenn gesagt werden könnte, ein Versuch in dieser Richtung noch dazu in dem kleinen Umfang einer Inselschule, einer Versuchsoberstufe, lohne die Kosten

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nicht: Massenhaftigkeit widerspricht dem Charakter jeder Versuchsschule und noch dazu einer auf der völligen Lebensgemeinschaft basierenden; die eine kann die Keimzelle für ähnliche Gründungen werden, und auch ohne das wird sie durch Erproben neuer Erziehungs- und Unterrichtsformen der Entwicklung der unter weniger günstigen Verhältnissen arbeitenden Stadtschulen und somit der Gesamtheit zugute kommen. Wenn ihr Organismus nach einigen Jahren erst gefestigt ist, liesse sich sogar daran denken, angehende Berliner Lehrer in ihrer Vorbereitungszeit eine Zeitlang hinauszuschicken, wie schon jetzt von anderen Kommunen freilich mit viel mehr Unkosten Studienreferendare auf einige Zeit in die privaten "Landerziehungsheime" entsandt werden. Hier könnte der Anfänger die Jugend ganz anders kennen lernen als im hastigen Betrieb der Seminaranstalt, von Angesicht zu Angesicht, ohne die Tarnkappe der Schülerminen; da draussen würde bald eine Scheidewand nach der anderen fallen und er unwillkürlich den kameradschaftlichen Ton finden, der das Vertrauen der Jugend gewinnt. "Es wird", liest man bei dem Schweizer von Greyerz in seinem wundervollen Buch über den Deutschunterricht als Weg zur nationalen Erziehung (1921) [Anm. 14], "eine Zeit kommen, wo als erste Anforderung an den Lehrerberuf der Ausweis darüber verlangt werden wird, dass der Kandidat in einer Erziehungsanstalt am ganzen Zusammenleben der Jugend teilgenommen habe. Man erwarte in der Umgestaltung der öffentlichen Schule nicht von Plänen und Verfügungen; mit den jungen Lehrern muss der neue Geist in die alten Schulhäuser einziehen. Allein, wo sollen die angehenden Lehrer den Geist einer neuen Schule in sich aufnehmen, wenn ihre Vorbereitungsanstalten nur wenig oder garnicht von Herkömmlichen abweichen? Ein einziger Blick in ein Gemeinschaftsleben höherer Ordnung, als wir es vorher gekannt haben, erleuchtet blitzschnell die Dämmerung unseres sittlichen Bewusstseins und erfüllt uns mit dem Glauben an eine neue, höhere Bestimmung. Darum gebe man dem künftigen Lehrer das

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begeisternde Erlebnis dessen er bedarf, um an einen Wandel der Dinge zu glauben und daran mitzuwirken!" - Oder gleichfalls später einmal könnte die Scharfenbergschule nach Verwirklichung der Paulsen'schen "Grundpläne und Grundsätze einer natürlichen Schulordnung" [Anm. 15] ohne weiteres die Oberstufenschüler einer "Schulengemeinschaft" [Anm. 16] in sich aufnehmen und diese mit den von den höheren Schulen gekommenen in freien Gruppen neben einander wetteifern lassen. Auch der Direktor des Kasseler Provinzialschulkollegiums Oberschulrat Borbein hat jüngst im Zusammenhang mit dem Einheitsschulgedanken in der Monatsschrift für höhere Schulen von dem Plan gesprochen, Sammelschulen als Internate in der Teilung nach Altersstufen zu gründen [Anm. 17]. - Solcher Kombinationen und Zukunftsmöglichkeiten, die der Allgemeinheit dienen können, springen noch mehr aus dem Scharfenbergplan, wenn er Gestalt gewonnen hat. -

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Organisatorische Einzelvorschläge und ihre Begründung.

Bei der Neuorganisation einer Schule, noch dazu für ihre ältesten Jahrgänge kann man nicht mit Fritz Jöde, so tief er "die Lebensfrage der neuen Schule" erfühlt hat, einfach sagen: "Wenn Menschen wahrhaft mit einander leben, braucht es keines Gesetzes von aussen." [Anm. 18] Ein Grund- und Umriss muss aufgezeichnet werden, wenn man auch über Einzellinien sehr wohl verschiedener Meinung sein kann und nachher das praktische Erleben hoffentlich noch manches anders zurechtrücken wird. -

Der Umriss: Die Scharfenberger Versuchsschule soll eine ein-resp. zwei-jährige Zwischenschule und eine 3-jährige Oberstufe umfassen.

Die Zwischenschule sammelt gleichgerichtete Untersekundaner 1). der Berliner Gymnasien, 2). die ihre letzten 4 Schuljahre in enger Gemeinschaft mit Kameraden und Lehrern draussen verleben wollen, ohne Anwendung des Prinzips der Begabten-Auslese 5b) und evtl. zur Aufbauschule strebende Gemeindeschüler 3). Der wissenschaftliche Unterricht der Untersekunda (30 Stunden), der in der Regel 1 Jahr dauert, hält sich im wesentlichen an den bisherigen Lehrplan; 4). die Aufbauschüler werden 2 Jahre hindurch zum Teil mit ihnen zusammen z.T. in besonderen Förderkursen unterrichtet. 3).

Die Oberschule vereinigt: alle aus der Zwischenschule übergetretenen Schüler nebst einzelnen, die noch nachträglich aus dem Gymnasium (und im Notfall auch aus den Realgymnasien) sich anschliessen wollen, 5a) in einem 17-stündigen Deutsch, Geschichte, Kunst, Religions- und Erdkunde ohne eigentliche Fächertrennung sowie Math. und Naturwiss. umfassenden Kernunterricht 6). und sondert sie in 6- je 10-stündigen Neigungskursen 7), von denen der eine dem Studium der Antike 7a), der 2. der Vertiefung der modernen Sprachen 7b), der 3. in der Hauptsache der Mathematik und Naturwissenschaft 7c), der 4. spezieller dem geschichtlichen Verständnis der deut-

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schen Sprache und deutschen Philosophie sowie einer gegenwartsfrohen Kenntnis der deutschen Umwelt sich widmet 7d), der 5. und 6. das Ausüben und das Studium der Kunst sei es der Musik 7e), sei es des Zeichnens, Malens und Kunsthandwerks 7f) in den Mittelpunkt stellen.

Die Unterrichtsstunden werden so gelegt (in der Zwischenschule 6x5, in der Oberstufe 2x6 und 3x5 Stunden), dass ein Wochentag davon freibleibt; 8). Garten-, Feld- und Werkarbeit, Sport, Gymnastik 3) Gesang, Musik, Theaterspiel werden von allen in den Mussestunden nach freier Wahl betrieben. Solange die ministeriellen Bestimmungen ein Abiturium mit einer Sprache noch nicht zulassen, werden die Schüler der Kurse 3-6, die es abzulegen wünschen, einen Teil ihrer Freizeit dem Lernen einer 2. Sprache nach besonderer Anleitung, wenn nötig, unter Nachhilfe widmen. 10)

In allem ausser dem Unterricht bilden auch die Zwischenschüler und Oberstufenschüler unter Vermeidung jedes Penalismus eine völlige kameradschaftliche Einheit; Schüler und Lehrer, die die speziellen Angelegenheiten des Lehrkörpers nach den Grundsätzen der kollegialen Verfassung regeln, 11) sowie das Personal treten 1 Mal wöchentlich zu einer offizielleren "Abendaussprache" zusammen, bei der alle - in Wirtschaftliches berührenden Fragen, auch das Personal - gleiches Stimmrecht haben. Periodisch wiederkehrende Aussprachen auch mit den Eltern, möglichst zwanglos verlaufende Besuchstage, an denen die Familien den Alltag mit seinen Mühen und Freuden miterleben sollen, Bildungsabende, an denen die Schüler mit ihren Lehrern, aber auch Väter, Mütter oder Freunde der Anstalt die Gebenden sind, gemeinsam zu feiernde Feste von bestimmter Tradition fördern das Zusammenwachsen der "Scharfenberggemeinde." Die Schüler zahlen dasselbe Schulgeld, das sie bisher entrichtet haben, zu den Verpflegungskosten schätzt sich der Erziehungsberechtigte unter Zugrundelegung eines Normalsatzes je nach der Höhe seines Einkommens und Vermögens selber ab; Zuschüsse und die Er-

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richtung von Frei-resp. Ehrenstellen sind von der Stadt und Privaten zu erhoffen.

Begründung ad.1): Sonstige Vorschläge zu "Sammeloberstufen" wie von Ziertmann und Oestreich rechnen gemäss der üblichen Terminologie und da ihnen die Form der Tagesschule vorschwebt - auch mit Recht, nur mit Obersekundanern oder gar Primanern; diese sind aber meist schon zu sehr mit grosstädtischen Interessen verflochten, um für die einfachen natürlichen Formen eines dauernden Zusammenlebens da draussen innerlich gewonnen zu werden, und so nicht der geeignete Grundstoff, die Tradition zu bestimmen, wie sie dort vonnöten ist; wenn sich ein wirkliches Gemeinschaftfsleben untereinander und gar mit den Lehrern entfalten soll, muss damit früher begonnen werden; jeder Lehrer weiss, dass eine Prima, deren Schüler er schon auf der Mittelstufe gehabt hat, anders zu ihm steht und er zu ihr, als eine Klasse, die er erst auf dieser Stufe kennen gelernt hat, weiss, dass das gewisse Fluidum, dass dann bis zum Schluss her- und hinüber weiterströmt, sich in Obertertia und vor allem in Untersekunda zu bilden beginnt. Das ist - wofür schon oben Seite 12 die anderen Gründe beigebracht sind, das geeigneste Alter zum Sicheinleben, zum dauernden Liebgewinnen ihrer Insel und ihrer Schule.

ad 2): Falls Schüler aus allen Arten höherer Lehranstalten aufgenommen würden, müssten nicht nur die Stunden in der Untersekunda in verschiedenen Zweigen erteilt, sondern auch nachher der abweichenden Höhenlage der Vorkenntnisse in den einzelnen Fächern entsprechend die "Kurse" in sich wieder variiert werden, im mathematisch-naturwissenschaftlichen Teil sogar des für alle verbindlichen Kernunterrichts Oberrealschüler und Gymnasiasten getrennt werden; bei der aus dem Charakter der Schule sich von selbst ergebenden Beschränkung der Schülerzahl darf aus Rentabilitätsgründen nicht mit

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allzugrosser Auswahl von Lehrern gerechnet werden, daraus folgert die Notwendigkeit, höhere Schüler nur aus einer der bestehenden Typen aufzunehmen. Das Gymnasium empfiehlt sich dafür nicht bloss deshalb, weil die Scharfenberger Dauerschule an den Sommerschulversuch der Humboldtgymnasiums unmittelbar anknüpft; es ist für den kulturellen Teil des Kernunterrichts, wie er geplant ist, ohne Fremdsprachenbetrieb, aber gerade deshalb mit starkem humanistischen Einschlag (Linie Humboldt, Schiller, Hölderlin, Gleichen-Russwurm, Spitteler) nicht zu verachten, wenn ein grosser Teil der Schüler mit dem Griechischen vertraut geworden ist, seinen Homer gelesen hat. Und wenn Prof. Oestreich (Neue Erziehung 1921, S. 288 in seinem Aufsatz über die elastische Oberstufe [Anm. 19]) gegen die Form einer Sammeloberstufe allein für Gymnasiasten den Einwand macht, sie biete diesen nicht Gelegenheit, sich in der Obersekunda noch zu den realistischen Fächern umzustellen, so trifft er auf unseren Plan nicht zu, man darf nur nicht das Lateinische und Griechische gleich in den Kernunterricht aufnehmen, sondern muss den antiken Zug neben den neusprachlichen und mathematischen setzen. Die Tatsache, dass gerade auf Gymnasien in der Oberstufe die Schülerverdrossenheit und sie Sehnsucht nach grösserer Wahlfreiheit vielfach am verbreitetsten ist, könnte sogar in der getroffenen Wahl bestärken.

ad.3): Ausser der "Elastisierung der Oberstufe höherer Lehranstalten" steht augenblicklich im Vordergrund des pädagogischen Interesses die Frage nach der sogenannten Aufbauschule die Schülern nach 6- bis 8-jährigem Besuch der Volksschule noch Zugang zur höheren Bildung erschliessen will. Es wäre eine schöne Tat sozialen Ausgleichs, ein Beispiel der Versöhnung auf dem zerklüfteten Gebiet der Bildungsgegensätze, wenn sich in Scharfenberg die elastische Gymnasialoberschule mit einer solchen Aufbaumöglichkeit verbinden liesse! Vielleicht tut sich hier schon den Berliner Aufbauschülern ein Anschlussweg sogar an die elastische Oberstufe auf, wie ihn

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der Stadtverordnete Dr. Witte vor kurzem im Novemberblatt des Lehrerverbandes Berlin S. 326 herbeigesehnt hat [Anm. 20]. Er scheint sich hier sogar für sie in besonders günstiger Weise ebnen zu lassen. Die üblichen Aufbauschulentwürfe rechnen mit einem 6-jährigen Gesamtgang; im Internat im engeren Zusammensein mit den Lehrern, beim dauernden Zusammenleben mit den Kameraden,die schon jahrelang die Luft der höheren Schule geatmet haben, unter besonders günstigen Arbeitsbedingungen (im Freien), die gerade bei solchen Jungen daheim meist dürftig sind und hemmend wirken, scheint der Versuch, sie den Anschluss an die gemeinsame 3-jährige Oberstufe schon nach 2 Jahren gewinnen zu lassen, wohl diskutabel, umsomehr, als sich praktische Erprobungsmöglichkeiten an den anderen vorhandenen Institutionen auf Schritt und Tritt bieten. In einigen Fächern wie Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Physik, (Chemie ist Pensum der 1. Volksschulklasse, im Gymnasium erst in U II) werden die Aufbauschüler sogleich oder nach kurzer Quarantäne mit den anderen eben aus der Obertertia (!) versetzten Zwischenschüler vereinigt werden können, wer von ihnen hierin gut mitfortschreitet, könnte im nächsten Jahr periodenweise von diesem Unterricht dispensiert werden, um noch mehr Zeit für die ihm bis dahin fremden Gebiete zu gewinnen, dieser oder jener könnte, um auf dem Laufenden zu bleiben und sich zu orientieren, sogar schon in einigen Stunden des kulturellen Kernunterrichts der neuen Oberstufe hospitieren; andere, bei denen es im 1. Jahr auch in diesen Fächern weniger glatt gegangen ist, nehmen diese oder doch einzelne davon in der neuen Untersekunda nochmals mit. Im Mathematischen sodann, wo die Stoffpensen der Obertertia und der 1. resp. Oberklasse der Gemeindeschule wieder sich vielfach berühren, käme es in der ersten Zeit vor allem auf die Umstellung in der Methode und ein Nachholen in arithmetischen (Buchstabenrechnung, Gleichungen) an; je nach den Leistungen könnte der Lehrer den einen früher, den anderen später schon einmal in seinem Unter-

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sekundarunterricht probeweise mitschwimmen lassen, wobei sich dann wenn auch wohl in geringerem Umfange dieselben praktischen Folgerungen, die bei der ersten Fächergruppe (Teildispensationen im zweiten Jahr usw.) ergäben. Sollte es nun den Aufbauschülern in den übrigen Teil der Stunden, die die Untersekundaner den drei Fremdsprachen widmen, in 2 Jahren, selbstverständlich hierin dauernd von ihnen getrennt, nicht möglich sein, wenigstens eine Fremdsprache (Französisch) nachzulernen? Dann könnten sie am Kernunterricht nicht bloss, sondern je nach Wunsch an einem der Kurse der Oberstufe ausser dem Antiken in gleicher Front mit den anderen teilnehmen, auch an dem neusprachlichen, in dem ja die Gymnasialschüler mit dem Englischen ebenfalls erst beginnen. Stundenplanschwierigkeiten, an denen in einer gewöhnlichen Schule diese Kombinationen scheitern müsste, sind in einem Internat zu überwinden, weil Schüler und Lehrer Hohlstunden ohne weiteres nutzbringend verwenden und ohne Zeitverlust im gegebenen Augenblick wieder zur Stelle sein können. Es trifft sich zu dem gut, dass bei der Wahl einer Gymnasialsekunda mit ihren 3 französischen Stunden gerade dem neuphilologischen Lehrer für den Sprachunterricht der Aufbauschüler Zeit bleibt; wo es nötig sein sollte, könnten Oberstufenschüler angehalten werden, ihren in dieser Beziehung vom Geschick stiefmütterlich bedachten kleineren Kameraden nachzuhelfen. Für den Fall, dass die ministerielle Verfügung auch für die Aufbauschüler bei dem Abschluss 2 Pflichtsprachen fordern sollte, gälte auch für ihre Schüler in Scharfenberg das oben S. 19 als Aushilfsweg allgemein Angeratene.

ad. 4): Damit den Schülern die notwendige systematische Anleitung zur Handgeschicklichkeit gegeben werden kann, die sie später bei den physikalischen Uebungen der Oberstufe oder zur erfolgreichen freiwilligen Betätigung in den Mussestunden brauchen, sollen die beiden Zeichenstunden, die im Gymnasium fakultativ vorgesehen sind, für alle Zwischenschüler verbindlich sein und namentlich in dieser Richtung (Zeichnen, Linolschnitt, Papp-, Pa-

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pier-, Bastelarbeit, Buchbinderei und Holzarbeit) ausgestaltet werden (vergl. Anl. 3!). Ausserdem wird eine Wochenstunde innerhalb der 30 der musiktheoretischen Vorbildung zugewandt: Grundlagen der Harmonie- und Formenlehre, Notenschrift, Gehörübungen, Musikdiktat, Finden von Motiven, Ausschnitte aus der Musikgeschichte an Beispielen (vergl. Anl. 4!); es soll dadurch der Vertiefung in die Kunst, die ein Grundprinzip der Oberstufe ist, vorgearbeitet, die für das Aufnehmen der etwa abends durch Chor, Einzelspiele oder Orchester vorgeführten Werke doch erforderliche elementare Sachkenntnis vermittelt und der Wille zu freiwilligem Mittun auch auf diesem Gebiet geweckt werden. Es ist anzunehmen, dass durch diese Stunden sich jeder seiner wirklichen Veranlagungen und Interessen im Bereich der künstlerischen und der Werkbetätigung bewusst wird und so das für ihn Beste selbst auswählen kann.

Dass sich die übrigen 27 Stunden der gymnasialen Abteilung der Zwischenschule im wesentlichen an das Pensum der Untersekunda halten, ist in folgenden Erwägungen begründet: 1. soll diesen Zwischenschülern die Möglichkeit gegeben sein, nach 1 Jahr ohne Zeitverlust in ihre Mutteranstalt zurückzutreten, sei es, dass ihnen das Leben da draussen wider ihr ursprüngliches Erwarten für die Dauer von weiteren 3 Jahren nicht zusagt, sei es, dass sie nach Ansicht ihrer Lehrer und Kameraden sich zu einer derartigen Gemeinschaft nicht eignen. 2. ist es gewiss geboten, dass sie den angefangenen Bildungsgang erst zu einem gewissen Abschluss bringen, und der liegt, zumal wenn die jetzt in der Obersekunda behandelten Endkapitel der griechischen Grammatik noch hier eingefügt würden, nach dem Untersekundajahr, in dem die Schüler dieverstandesbildenden Werte ihres Sprachunterrichts ruhig erst voll ausschöpfen sollen; da sie bis zu diesem Einschnitt in alle Fächer, die sprachlichen, alt- wie neu-, die deutsch-geschichtlichen, die mathematisch-naturwissenschaftlichen doch immerhin schon tiefer eingedrungen, mit ihnen wirklich hand-

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gemein geworden sind, können sie sich dann wirklich auf Grund eigener Erfahrungen für einen der Kurse der Oberstufe entscheiden. - In der Methode wird der Umwelt gemäss eine allmähliche Annäherung an den sogenannten Arbeitsunterricht erstrebt, um so wie es dem Charakter einer Zwischenschule entspricht, zu den freieren und freiesten Arbeitsformen der Oberstufe überzuleiten.

ad 5a): Es sind Fälle denkbar, dass Schüler, die die Sehnsucht nach einem Leben da draussen im Herzen tragen, von der Existenz und dem Wesen der Scharfenbergschule erst später hören, oder dass in ihnen erst auf der Oberstufe das Gefühl der Unbefriedigtheit mit den Umständen, unter denen sie leben, übermächtig wird; sie sollen, wenn Platz ist, nach vorsichtiger Sondierung noch hinzutreten dürfen, weil zu erwarten ist, dass sie sich der von den ehemaligen Zwischenschülern getragener Tradition assimilieren werden; im Notfall kann sogar mit einzelnen Realgymnasialobersekundanern eine Ausnahme gemacht werden, falls ihr Sinn nicht auf den antiken oder neusprachlichen Kurs, wozu ihnen entweder die Kenntnis des Griechischen mangeln, oder ihr Englisch schon zu weit vorgeschritten sein würde, sondern auf einen der Kurse 3-6 gerichtet ist.

ad 5b): Das wird überhaupt bei der Auswahl der Schüler das Entscheidende sein, dass sie ein wirklicher Herzensdrang zu uns hinaustreibt, Jungen, die an sich grosses Interesse an geistigen Dingen haben, aber unter der Gebundenheit der Massenschule, oder dem Zwiespalt mit häuslichen Verhältnissen leiden, dürften für die neue Lebensstätte besonders geeignet sein, Jungen vom Schlage jenes Werner-Siemens-Realgymnasiasten, der in einer Weihnachtsansprache (S. 17 der Hilkerschen Schrift über Jugendfeiern) in der Aula vor seinen Mitschülern bekannte: "Keiner sieht, wie vielen schlechten Hinflüssen ein Grossstadtjunge ausgesetzt ist, wie zerfasert und zersplittert sein ganzes Wesen wird in all dem Getümmel der Grossstadt, wie er gar keine Ruhe findet, um tiefer in sich zu gehen. Zivilisation der Grossstadt hat alles Natürliche in ihm zivilisiert und er hat sich nicht wehren können,

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weil er niemals ein anderes Leben kennen gelernt hat. Unddoch ist im tiefsten Grunde unseres Wesens der grosse Wille da, der Wille zum Ewigen, die Sehnsucht zum Guten, Wahren, Schönen. Der Wille dazu, angeregt durch Kunst, Musik, Literatur ist grösser und stärker als bei anderen Jungen, die in ländlicher Stille gross geworden sind; und doch bleiben wir im Anfang stecken. Weil wir Grossstadtjungen sind." [Anm. 21]

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Der für alle verbindliche Kernunterricht widmet 11 Stunden dem Kulturellen, 6 Stunden dem mathematisch- naturwissenschaftlichen Bildungsgut.

Und zwar dürfte es sich in der zweiten Stundenserie empfehlen, umgekehrt wie im bisherigen Gymnasium der Naturwissenschaft den Hauptanteil (etwa 4), der Mathematik den kleineren (2) zuzuweisen. Dass das für die Mathematik - etwa durch starke Reduzierung des Algebraischen (Operationen bis zur komplexen Zahl!), durch die Beschneidung der rein formalen Lehrsätze in der Trigonometrie und ihrer theoretischen Anwendung auf Dreieckberechnung (Differenz der Projektionen usw.!), durch Weglassung des allgemeinen Lehrsatzteils in der Stereometrie und einer nur die Probleme andeutenden Behandlung der analytischen Geometrie sowie bei einer hier ausnahmsweise mehr dogmatischen Methode - praktisch durchführbar ist, haben Versuche innerhalb der elastischen Oberstufen zu Karlshorst und Grunewald mit 2 Stunden bewiesen (vergl. den farbigen Übersichtsplan in Anlage 5). Abgesehen davon, dass bei dem Gros der Schüler das Interesse an Naturwissenschaftlichem wesentlich stärker zu sein pflegt, wie die lebhafte Beteiligung an physikalischen und biologischen Nachmittagsextrakursen an verschiedenen Schulen bezeugt, erscheint ihr intensiver Betrieb bei einem Leben in der Natur und in einer auf Werkarbeit Wert legenden Schule ohne weiteres geboten. Dieser Gesichtspunkt wäre auch für die Stoffauswahl entscheidend: Keine Chemie (wovon das Wichtigste in der Zwischenschule vorgeführt ist) sondern 2 Teile Physikalisches (besonders auch Meteorologie!) Ein Teil Biologie und ein Teil Astronomie und Geodädie, wobei die für die letztere in Aussicht genommene Stundenzahl nur im Sommer und dann gehäuft anzusetzen ist, ebenso wäre Biologie nicht etwa in einstündiger Wochenportionierung die 3 Jahre hindurch zu geben, sondern abschnittweise kontinuierlich hintereinander zu treiben, wofür dann das währenddessen vernachlässigte Gebiet später wieder mehr zu seinem Rechte käme. Tröstlich ist's für

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eine Anstalt in der Entwicklung, dass geschickte Bastler unter Sekundanern und Primanern schon des öfteren Elektrisiermaschinen, Induktionsapparate und Galvanometer gebaut haben, die den Wettbewerb mit fachmännischen Leistungen aushalten, dass sich sogar mit geringsten Mitteln, etwa Wellpappe, physikalische Apparate hervorzaubernlassen. Ist doch selbstverständlich an einen "naturwissenschaftlichen Arbeitsunterricht" gedacht, wie ihn W. Schoenichen in den Dienst der Gemeinschaftserziehung gestellt hat [Anm. 22]. Ein anderer leitender Gesichtspunkt wäre der, stets den Zusammenhang der naturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen untereinander herauszuarbeiten, damit die Schüler schliesslich die naturwissenschaftlichen Materialien zur Bildung einer Weltanschauung zusammenhaben, wie sogar überall, soweit es irgend geht, von hier aus auch die Brücken zum kulturellen Kernunterricht hinüberzuschlagen wären. In dieser Beziehung kann z.B. die Biologie eine wichtige Vermittlerrolle spielen, so führt das Besprechen der Entstehung des organischen Lebens von selbst zur Erdgeschichte, diese zum Wesentlichen der physikalischen Erdkunde, zur Kennzeichnung der natürlichen Lebensbedingungen, der Bodenschätze, der ursprünglichen und jetzigen Kulturformen und damit ist der Naturwissenschaftler mitten drin in Wirtschafts- und Kulturkunde, in der Geographie im umfassenderen Sinne, in der er sich mit dem Leiter des kulturellen Unterrichts teilen wird. Oder noch besser, sie machen's beide an geeigneten Stellen zusammen, damit die Schüler Natur und Menschheit als ein grosses Ganzes erfassen und in diesem Ganzen dann sich auf sich selber besinnen lernen, nicht aber in ihrem Gedächtnis soviel Wissenskompendien neben einander, fein säuberlich getrennt wie im Schaukasten des Museums, aufstapeln, ein arbeitsreiches, aber wenig fruchtbares Bemühen, das unsere jetzige Schule durch Einführung immer neuer Einzelfächer wie Kunstgeschichte, Staatsbürgerkunde ... geradezu ins Groteske steigert.

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Deshalb soll auch der kulturelle Kernunterricht in 10 seiner 11 Wochenstunden von jeder Fächereinteilung absehen. Der Antragsteller, dem es vergönnt war, jahrelang in Sekunda und Prima Deutsch, Geschichte, Erdkunde (in der Sekunda auch zeitweise Religion) gleichzeitig zu unterrichten, hat - anfangs zu seiner eigenen Überraschung - die stundenplanmässigen Schranken zwischen diesen Fächern immer niedriger werden sehen und sie schliesslich, zumal wenn er eine Generation mehrere Jahre behalten durfte, sogut wie ganz niedergelegt; dabei hat er wieder und wieder die Erfahrung gemacht, wie das Interesse und die Mitarbeit der Schüler durch ein derartiges Ineinandergreifenlassen der Fächer ungemein gewinnt. Noch in Briefen ehemaliger Schüler, lange Zeit nach ihrem Abgang geschrieben, klingt das nach: "Durch diese Art des Unterrichts lernte ich die wahre Freude an der Kunst und der Dichtung kennen; sie zeigte uns zuerst den engen inneren Zusammenhang zwischen Geschichte und Literatur." Oder: "Gewiss dieser innige Kontakt zwischen Geschichte, Deutsch, Erdkunde machte es an sich gewiss nicht leichter. Aber dennoch! Viel interessanter: Und was interessiert, wird auch leichter." Die Schüler sehen viel deutlicher,wozu man das alles lernt und treibt, empfindet Entdeckerfreude beim Finden der mannigfachen inneren Beziehungen herüber und hinüber, und das gedächtnismässige Behalten braucht dabei keineswegs zu leiden, nur erfordert es weniger Memorierarbeit, da es durch die grössere Fülle der Kombinationsmöglichkeiten, durch das selbständige Operieren mit den Stoffen beim Einordnen und Zusammenfassen unbemerkt die stärksten Stützen erhält. Als der Antragsteller vorübergehend im Kriege und jetzt wieder im Scharfenbergsommer seine Deutsch-, Geschichts- und Erdkundestunden den beiden Primen notgedrungen kombinieren und an 2 Tagen, d.h. in je 3 Stunden hintereinander geben musste, hat das folgerichtig zu einer noch stärkeren Fächerkonzentration geführt, der Lehrer hat dabei erkannt, dass das Zusammenlegen der Klassen und Stunden für diese Art des Unterrichts keinen Uebelstand, sondern grosse Vorteile mit sich bringt; die Schüler haben empfunden, dass das

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Hasten und Jagen des Kursstundenvormittags mit seiner häufigen Umstellung des Geistes eine Energieverschwendung bedeutet. Das, was sich hier angebahnt hat, konsequenter verfolgen hiesse das, was man in der Grundschule Gesamtunterricht, in der Unterstufe mancher Landerziehungsheime Weltkunde nennt (vergl. Dürerschule Hochwaldhausen!), mutatis, mutandis auf die Oberstufe übertragen! Eine Schule, wie die in Scharfenberg eine werden soll, bietet alle Vorbedingungen, diese Art des Kernunterrichts zu einer charaktergebenden Eigenart auszubilden. Dort arbeiten die Schüler bis zum Abschluss aller Wahrscheinlichkeit nach mit denselben Lehrern; ohne Stundenplanschwierigkeiten lassen sich dort die Kernstunden in Gruppen zu je 3-4 hintereinander legen, da dort alle Lehrer dauernd zusammen wohnen und ständig zur Verfügung stehen, können die Kräfte aller dem Kernunterricht zugute kommen, womit der Vorwurf zu entkräften wäre, dass ein Lehrer einen so umfassend abgesteckten Kulturunterricht, in dessen Bereich natürlich auch die Künste eingezogen werden müssen, unmöglich in allen seinen Teilen fachmässig beherrschen könne. Es liesse sich sehr wohl eine Art "fluktuierenden Helfersystems" der Lehrer denken. Einige mit Rücksicht auf die Zeit der Leser von der Oberfläche aufgenommene Beispiele können nur andeuten: Selbst schon im naturwissenschaftlichen Kernunterricht ist so etwas möglich und erwünscht. Oder sollte dem Physiker nicht die Assistenz seines Musikkollegen willkommen sein, bei Behandlung der Akustik? Welche Auswertungsmöglichkeiten sich dabei ergeben könnten, das hat Dr. P. Mies, Cöln, in einer Abhandlung über Musikwissenschaftliches im Lehrplan der höheren Schulen ausgeführt [Anm. 23]: Die verschiedene Konstruktion der Tonleiter führt zu exotischer Musik; das Verständnis der gleichschwebenden Temperatur zu einer Erklärung von Bach's "Wohltemperiertem Klavier"; experimentelle Versuche mit Unterschiedsmöglichkeiten gegenüber Tonhöhen, Tonstärken, zur Feststellung der musikalischen Begabungshöhe; das Kapitel der Obertöne zu ihrer Bedeutung für die Klangfarbe und zur Aufklärung über die Orgelregister usw. oder es handle sich im kulturellen

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Kernunterricht beispielsweise um die Reformations- und Renaissancezeit. Wenn man damit einander Luthers Glauben, Zwinglis Besonderheiten, Calvinismus Loyolas gewaltige Schöpfung kennen gelernt, sich in eine Streitschrift Luthers, Wendelin, Hiplers, Heilbronner Reformprogramme, Machiavellis epochale Schrift vertieft, mehr privatim die Szenen Gobineaus, die Florentiner Novellen von Isolde Kurz und Strindbergs Luther gelesen hat, wird die Mithilfe des Altphilologen wesentlich sein, wenn es sich darum handelt, einen Eindruck von dem Witz der Dunkelmänner-Briefe oder der Art und Sprache eines wirklichen Humanistendramas (etwa Frischlins Julius redivius) zu vermitteln, und noch erwünschter das Eingreifen des Neuphilologen, wenn man als Zeugnis der Renaissance in England ein Shakespearsches Drama (Cäsar, Coriolan) behandelt. Denn gerade, wenn die Schüler ein Werk in der Uebersetzung vor sich haben, ist es ungemein viel Wert, wenn der Lehrer als Vermittler im Original heimisch ist; und für die bildenden Künste holt sich der Kernunterrichtslehrer den Kunstkollegen heran, damit er etwa an Gobineaus Szenen anknüpfen - an der Hand von Abbildungen auch die grössere Unmittelbarkeit seines Studiums in einigen Stunden einströmen lasse zum Besten des Ganzen, oder schon vorher hat für ein Stündchen der Naturwissenschaftler an gegebener Stelle das Wort erhalten, um sich über Copernikus und die Folgen der Umgestaltung des Weltbildes dieser Zeit mit den Schülern zu unterhalten; und der Musiklehrer bekommt auch seinen Teil ab, damit man sich von der meist übersehenden musikalischen Seite der Wiederherstellung griechischen Altertums in Florenz, von der Entdeckung der Oper [...] eine Vorstellung mache oder von Recitativ, Monodie, Generalbass, den Grundlagen eines hier einsetzenden neuen Musikstils vernehme. Oder wie eng und mannigfach wechselnd müsste sich solche Zusammenarbeit gestalten, etwa beim Vertiefen ins 19. Jahrhundert!

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Wie willkommen und notwendig wäre beim Geniessen der Romantik die zeitweise Mithilfe des Musikfachmanns (Weber, E.T.A. Hoffmann, Wagner, Schumann usw.), des Naturwissenschaftlers, wenn Dampf und Elektrizität ectr. als die grossen Umgestalter besprochen werden, des Kunstlehrers, wenn Realismus, Impressionismus, Expressionismus, in Parallelwerken der Schwesterkünste anschaulich gemacht werden sollen! - In solchen "Einlegstunden" seines Kerunterrichts wird sich der Deutsch- und Geschichtslehrer (resp. der Naturwissenschaftler) oft mit unter die Schüler setzen, sich am Fragen und Debattieren beteiligen, wie umgekehrt auch die Fachlehrer, wenn sie Zeit haben, in ähnlicher - nicht etwa bloss steif hospitierenderweise bei ihm "mitmachen" werden, damit bei Leibe nicht eine uniforme, aber doch eine lebendige Einheit herauswachse und noch allerhand gegenseitige Anregungen nebenbei mit herausspringen. Gewiss werden die Lehrer von Abschnitt zu Abschnitt sich in gemeinsamen Besprechungen über den Hauptweg des Unterrichts und seine evtl. Ausbuchtungen einigermassen Klarheit verschaffen müssen; aber selbstverständlich wird im Drang des gemeinsamen Schaffens durch die Fragen und Anregungen der Schüler und ihre sich erst dabei herausstellenden Bedürfnisse dann noch manches anders verlaufen. Ist doch sicher mit einer viel regeren Mitarbeit der Schüler zu rechnen, da jeder zum Ausbau und zur Verschönerung des Fernunterrichts von seinem Sondergebiete aus, mit dem er sich im gewählten Neigungskurs spezieller beschäftigt, manches beitragen kann, was dem Gros der anderen fremder ist. So werden bei Behandlung des Problems, wo und wie die Antike in der deutschen Kultur nachgewirkt hat, die Teilnehmer des ersten Kurses aktiver werden, es sich auch sicher nicht nehmen lassen, bei Lektüre eines Sophoklesdramas in Uebersetzung den Kameraden, die kein oder weniger Griechisch können, durch freien und kunstgerechten Vortrag eines Chorliedes einen Eindruck von dem wundervollen Klang der griechischen Sprache zu vermitteln, worauf vielleicht die Deutschkundler mit der Deklamation der Messias-Chöre antworten werden!

((Bl. 115 - S. 30a))

Oder diese gehen bei der Besprechung der Deutschen Gotik mit Referaten voran, führen die anderen in die Spitzbogenwelt Wolframs und bieten Ritterlieder mittelhoch deutsch dar. Die Neusprachler werden bei der Lektüre Shakespearscher Dramen etwa die unübersetzbaren Wortspiele den andern vom Urtext aus verständlich machen oder bei Besprechung der Fragen französischer Kultureinflüsse im 17. und 18. Jahrhundert

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mit aus den Orginalen geschöpften Belegen auf dem Plane sein. Wenn in Zusammenhang mit Goethe von Newton und Cuvier, bei Entwicklung des 19. Jahrhunderts Helmholtz, Robert Mayer, Darwin, L. Büchner die Rede ist, werden die Naturwissenschaftler aus ihrer spezielleren Kenntnis den Tieferdringenden Antwort stehen. Die Mitglieder des Kunstkursus liefern Modelle zur Veranschaulichung der Kunstgeschichte (Grundrisse, Dombauten usw.) sind die Hilfstruppe des Deutsch- und Geschichtslehreres in all jenen Stunden, die (im Sinne des Waetzoldschen Vortrags) die Verbindung zwischen deutscher Wort- und Bildkunst suchen [Anm. 24], und die Musikbeflissenen werden reichlich zu tun haben, die bei den verschiedenen Gelegenheiten erwähnten Kompositionen (Sequenzen der mittelalterlichen Kirche, Messen, Choräle, Schäferpoesien, Friedrichs des Grossen Konzerte, die Schnörkel der Rokokomusik, Bach, Mozart und sei es nur aus Anlass der Mörikelektüre usw. usw.) zu Gehör zu bringen. - Durch solche Aktivität von Lehreren und Schülern in gleicher Front wird auch der für alle verbindliche Kernunterricht, den der neue inzwischen erschienene Ministerialerlass über Wahlfreiheit auf der Oberstufe noch als Klassenunterricht im alten Sinne vorsieht ("es können die Klassen in den Kernfächern getrennt bleiben, dagegen in den Sonderfächern vereinigt werden") bald das Bild einer völligen Arbeitsgemeinschaft ergeben. Der Betätigungsmöglichkeiten in diesem Sinne sind so viele, dass zwei Befürchtungen nicht ganz von der Hand zu weisen sind: es möchte unter den vielen von verschiedensten Seiten beigebrachten lebensvollen Detail bei der Aufhebung der Fächereinteilung der doch nötige längsschnittliche "systematische" Ueberblick verloren gehen und zweitens zu dem allen die Stundenzahl nicht reichen. Um dem ersten Einwand zu begegnen, ist die 11. Wochenstunde des kulturellen Kernunterrichts als "Paukstunde" reserviert, in der ein Mal der rein historische, ein anderes Mal der literarische, dann der religionsgeschichtliche, der kunstgeschichtliche und musikwissenschaftliche oder der erdkundliche "Stoff" (und gerade für diesen wird's ab und zu heilsam sein) aus dem Gesamtbild gelöst und für sich zusammengefasst wird (vergl. die Abschnürung der 11. Stunde auf dem buntfarbigen Uebersichtsplan!)

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Und was die zweite Befürchtung angeht, - gerade durch die Konzentration wird ja so viel Zeit erspart und zumal einem Internat, bei dem Leben und Unterricht so vielfach eins werden, braucht deshalb nicht bange zu sein; wieviel Zeit beansprucht z.B. die Aufsatzrückgabe im jetzigen Schulbetrieb, wenn sie Zweck haben soll. Hier setzt sich, wenn der Lehrer die Arbeiten durchsieht, für die sich übrigens in einem derartigen Kernunterricht die Wahlthemata aus den verschiedenen Interessengebieten massenhaft aufdrängen werden, der Verfasser einfach dazu und wie zwanglos - das hat auch die Sommerschulpraxis gezeigt - kann an den gemeinsamen Unterhaltungsabenden beim Vorlesen oder in musikalischen oder Lichtbildvorführungen das im Unterricht aus Zeitmangel nur flüchtig Berührte zum Weiterklingen gebracht werden, ohne dass diese darum in den Ton schulmässiger Lehrhaftigkeit verfallen; im Gegenteil solche künstlerischen Abenddarbietungen pflegen einem lebhafteren Interesse zu begegnen, wenn Assoziationen zu dem im Unterricht Erarbeiteten aufleuchtet. - Und ein triftiger Gegengrund gegen beide oben heraufbeschworenen Befürchtungen wäre der, dass die prinzipielle Einstellung von vornherein die Gefahr uferlosen zersplitternden Ausschweifens hintanhält, die Einstellungaller gemeinsamen Arbeit auf das einheitliche Ziel deutscher Lebenserkenntnis zur Bildung eines deutschen Lebenswillens. Jede Einzelheit bekommt ihren Wert lediglich in ihrem Verhältnis zum Ganzen; die alles wie eine Klammer doch fest zusammenhaltende Frage ist die: Was bedeuten alle Einzeltatsachen deutschen Lebens von der Frühzeit bis heute in Landschaft, Klima, Stammesgliederung, Wirtschaft, Politik, Religion, Sitte, Schrifttum, Kunst, Musik für das Wesen und Werden des deutschen Menschen und seine aus der Gegenwart erwachsende Zukunft? Indem dieser Kernunterricht die eigene Kultur aus der bisherigen peripheren Stellung in das Zentrum des Unterrichts rückt und deshalb in seinem Bezirk vom Fremdsprachenbetrieb absehen muss, wird er gerade, was schon die oben willkürlich herausgegriffenen Beispiele zur Veranschaulichung des geplanten Helfersystems verrieten, auf die Berührung mit der Fremde achten, die Einflüsse fremder Kulturen, ihre Ein- und Umbildung

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überall durchverfolgen. Wie weit ein solcher Kernunterricht in seiner Konzentration den Absichten hoch bedeutsamer Schriften aus der jüngsten Zeit - eines Dehio ("uns selbst verstehen, unsere angeborenen Anlagen und was das Schicksal aus ihnen gemacht hat, unser Selbstgeschaffenes und Erworbenes, die Kunst als etwas mit der Ganzheit des geschichtlichen Lebensprozesses unseres Volkes unlöslich Verbundenes") [Anm. 25], eines Troeltsch ("Humanismus und Nationalismus in unserem Bildungswesen") [Anm. 26], "der deutschen Bildungseinheit" von Hans Richert - entgegenkommen würde, kann an dieser Stelle leider nicht ausgeführt werden. Soviel ist klar, wird er im Leben der Scharfenbergschule wirklich der "Kern" könnte seine Erprobung der praktische Beitrag werden zur Lösung der Frage, ob eine Schule von scharf ausgeprägtem deutschen Charakter möglich ist, "die der Forderung einer straffen unterrichtliche Konzentration in demselben reichen Masse gerecht zu werden vermag, wie das einst das wirklich alte Gymnasium auf seine Art vermocht hat", was mit Ulrich Peters - Hamburg viele von der sogenannten "deutschen Oberschule" erhoffen [Anm. 27].

Wenn die Zahl der Oberstufenschüler nach mehrmaligem Aufrücken der Zwischenschüler zu gross werden wird, ist erst noch zu überlegen resp. auszuprobieren, ob die Trennung nach Jahrgängen zu erfolgen hätte oder durch Lehrerwahl, das hiesse - dass sich die einen etwa für einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Kernunterricht bei einem mehr mathematisch gerichteten Lehrer, die anderen bei einem mehr naturwissenschaftlich interessierten entschieden, die einen den kulturellen Unterricht lieber bei einem vom Deutschen herkommenden, die anderen bei dem von Geschichte und Erdkunde ausgehenden Lehrer nähmen oder etwa der eine Lehrer soziologisch, der andere gegenteilig eingestellt wäre.

Im kulturellen Kernunterricht hat die Religionskunde ihren Platz, der nie zu verkennenden Stellung der Religion als Kulturmacht entsprechend. Wer ausserdem konfessionellen Religionsunterricht haben will, muss ihn in extra veranstalteten Nachmittagsstunden nehmen, wie während der Sommerschulzeit z.B. ein Kaplan für 2 Stunden

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nach Scharfenberg herübergekommen ist, die katholischen Schüler um sich zu versammeln. Gelegenheit zum Besuch des Gottesdienstes aller Konfessionen ist im nahen Tegel.

ad 7): Nach allem Voraufgehenden bedarf die Einrichtung der Neigungskurse einer allgemeinen Begründung nicht mehr. Es verdient vielleicht nur besonders hervorgehoben zu werden, dass die Gymnasialschüler sowohl die Möglichkeit haben, sich weiter spezieller mit der Antike zu beschäftigen als auch jeder anderen ausgesprochenen Neigung nachzugehen in den anderen fünf Kursen, in denen sie sich mit Aufbauschülern treffen; den auch für diese kommt umgekehrt nicht etwa bloss deutschkundliches in Betracht.

ad 7 a-c): Nach dem oben über die elastische Oberstufe Gesagten ist auch im speziellen zu dem antiken, dem neusprachlichen und dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Kursus an dieser Stelle nicht viel zu bemerken nötig, zumal die Unterschiede dieser drei Verzweigungsarten von den anderen bisherigen Gabelungsversuchen auf der graphischen Darstellung in Anlage 5 sichtbar werden. Ausgeführtere Richtlinien werden bearbeitet und stehen auf Wunsch zur Verfügung. Die Vorbedingung für Abiturium: höhere Leistungen im Spezialgebiet als Ersatz für anderes, was mehr dahinten bleibt (im 1. Kurs französisch, im 2. in gewisser Beziehung die Mathematik, im 3. das Sprachliche), trifft hier gut mit der aus der Sache selbst folgernden Zielsetzung zusammen. Kann doch ohne Mitläufer aus Zwang selbstverständlich rascher vorwärtsgegangen und tiefer eingedrungen werden.

ad 7 a): Der antike Kursus z.B. wird wirklich mit der Antike einmal wieder Ernst machen können und manches von den schweren, aber verlockenden Forderungen verwirklichen, die Spranger in der Vereinigung der Freunde des humanistischen Gymnasiums für den Gesamttenor [Anm. 28], Dresdner und Wichmann in ihren bekannten Preisarbeiten [Anm. 29] sowie Kranz [Anm. 30] im September 21 auf der Jenenser Tagung deutscher Philologen und Schulmänner für die Einzelarbeit aufgestellt haben: Los von der bloss literarischen Einstellung, Befruchtung des ganzen Lebens durch

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wirkliches Erfassen [...]. Ohne Lockerung der grammatischen Schulung im Lateinischen ein weit stärkeres Ausgreifen in der griechischen Lektüre (Plato! Lyriker! Blick ins Neugriechische). Freiere Auswahl in der lateinischen Lektüre mit Vordringen bis ins Mittelalter, Vagantenlieder, [...], päpstliche Enzykliken.

ad 7 b): Die Neusprachler werden anfangs das Englische mit erhöhter Stundenzahl treiben müssen, um es in sprachlicher Fertigkeit und grammatischer Sicherheit mit dem Französischen auf gleichen Stand zu bringen; wie sie dann weiterhin ihre Kursstunden auf die Sprachen verteilen, ob dauernd zu gleichen Teilen oder periodenweise wechselnd, nur einer sich widmend, - ist ins Belieben der Teilnehmer gestellt, wenn sie nur auf beiden Gebieten der Realgymnasiasten und Oberrealschüler überflügeln.

ad 7 c): Die Teilnehmer daran, die den entsprechenden Kernunterricht eingerechnet auf 12 Stunden Mathematik und Naturwissenschaft kommen, werden voraussichtlich im Kursteil anders als in jenem gut die Hälfte der Stunden der Mathematik zuwenden, bis in analytische Geometrie und Differenzialrechnung hin; bei dem Plus, das für sie herausspringt, wird weniger daran gelegen sein, das Wissen zu verbreitern, als möglichst in die Höhe zu klettern! Sehr wohl liesse sich auch an die gemeinsame Durcharbeitung klassischer Fachlektüre denken, von der neuerdings Dieck in einem "mathematischen Lesebuch" eine interessante Auswahl vereinigt hat [Anm. 31]. Die der Naturwissenschaft verbleibenden Teile werden in methodischer Abwägung gegen den Kernunterricht in der Hauptsachen schwierigen physikalischen Uebungen, die gerade mit der Mathematik verklammert sind, und der Chemie zu widmen sein; doch nimmt der allgemeine Uebersichtsplan, den für unsere Zwecke Dr. Hans Witte, Professor an der Technischen Hochschule in Braunschweig entworfen hat, auch andere Kombinationen und Dosierungsmöglichkeiten in Aussicht; der Entscheid der Teilnehmer wird dabei stets bestimmend sein, ebenso bei der Wahl der Fremdsprache, wenn auch diese

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in der ersten Zeit bei der geringeren Schülerzahl einigermassen durch Opportunitätsgründe gebunden sein dürfte.

ad 7d): Der vierte Kurs, der an den Kernunterricht sich anschliesst, stellt mit diesem am konsequentesten das dar, was man augenblicklich speziell deutsche Oberschule nennt (vergl. S. 33), und dürfte daher als aktuellster Versuch das lebhafte Interesse der Fachleute erregen. Um ihn nicht von vornherein zu diskreditieren, muss man jeden abschrecken, der diesen Kurs nicht aus innerer Wahlverwandschaft wählt, sondern in der insgeheim gehegten Meinung, dass er leichter sei als die anderen,ohne ihn deshalb in das andere Extrem - in die Art eines Proseminars für zukünftige Studenten der Germanistik fallen zu lassen. Freilich darf er sich, da ja der kulturelle Kernunterricht die Wechselwirkungen mit den grossen fremdländischen Kulturen ständig im Auge hat, in seinen 6 Hauptstunden mehr auf das spezifisch Deutsche einengen, darf und soll er unter Absehen vom Literarischen und Künstlerischen, dessen Kennenlernen und Geniessen wieder eine Hauptaufgabe des für alle verbindlichen Kernunterrichts ist, ruhig die Sprache zum Gegenstand eines gewissen nüchternen Studiums machen, etwa in den von O. Behagel in seinem bedeutenden Buch [Anm. 32] abgesteckten Grenzen, in ihrem mittelhochdeutschen Lautstand, ihren Mundarten, ihrer Etymologie, dem Bedeutungswandel der Wörter, dann aber auch vom Erkennen der Bedeutungsnuancen über das logisch genaue Bestimmen von Begriffen oder von Ueberlegungen über den Ursprung der Sprache zum Durcharbeiten philosophischer Schriften unserer deutschen Dichter und Denker emporschreiten. Für junge Leute in diesem Alter wusste schon Friedrich Paulsen keine bessere Uebung als die, derartige kleinere und grössere Werke im Ganzen zu lesen, ihren Inhalt und Zusammenhang in scharf durchgeführter Gliederung sich ganz durchsichtig zu machen, sodann verschiedene Ansichten über eine Sache zu vergleichen und zu prüfen, die Gründe auf jeder Seite festzustellen und mit dem eigenen Urteil dazu Stellung zu nehmen zu versuchen. Handelt es sich dabei um Werke modernen Schlages, werden die Schüler zum Auseinandersetzen mit ihnen ohne Weiteres die im

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2.Teil des Kernunterrichts gewonnenen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse heranholen und verwerten und so von selbst die Synthese zwischen deutsch-humanistisch historischer Bildung mit dem modernen Realismus vollziehen, die das Wesen der "deutschen Oberschule" ausmacht. Um seinerseits nicht bloss die humanistische Seite zu pflegen durch das Versenken in die deutsche Sprache und in die deutsche Philosophie wird der Kernunterricht gut tun, auch für die äußere deutsche Umwelt die Augen offenzuhalten, d.h. deren realsten Faktor dem Wirtschaftsleben, der Detailbetrachtung seiner geographischen Grundlagen, seiner Arbeitsmethoden, seiner Verflochtenheit mit der Weltwirtschaft ein Drittel jener 6 Stunden zu widmen. Ob das Studium der fremden Sprache, der die Reststunden unseres gleichfalls 10-stündigen Kurses reserviert bleiben, um die Möglichkeit selbständigen Vergleichens mit einer anderen Kulturwelt zu bieten, mehr den humanistisch-geschichtlichen Bildungsgedanken oder das realistische Gegenwartsziel der deutschen Oberschule stützt, wird von der Wahl der Sprache abhängen: da es sich hier zunächst um die "grundständige" Sprache handelt, in die bei einem etwaigen späteren Examen aus dem Deutschen übersetzt werden müsste, kann nach derVergangenheit unserer Oberschüler in der Regel nur Latein oder Französisch in Betracht kommen.

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ad 7e u. f): Die Kurse 5 und 6 in Scharfenberg werden ein Novum sein, der erste Versuch, innerhalb der deutschen Oberschule zwei neue Bildungswege zu eröffnen für Schüler, bei denen die künstlerische Veranlagung alles andere überwiegt. Gerade solche Naturen pflegen in den höheren Klassen der jetzigen Schule sich bitter weh zu tun. Ihre leistungsfähigsten Kräfte müssen dort brach liegen; auch ausserhalb der Unterrichtszeit werden sie durch die täglichen Anforderungen der Schule vielfach gelähmt. Der alte Kampf zwischen Neigung und Pflicht wird gekämpft und hat schon manchen zerbrochen: Schülertragödien, wie sie Emil Strauss in seinem Freund Hein [Anm. 33] ohne jede tendenziöse Uebertreibung und darum um so erschütternder klassisch dargestellt hat am Einzelfall seines musikfrohen Heiner, der als Primaner den Tod sucht! - Derartige Begabungen verraten sich aber und stärker noch als andere; im Obersekundaneralter ist's sicher ganz deutlich, ob's sich um ausgesprochene Talente handelt, nur für 6 Stunden sie freizumachen innerhalb des Unterrichts für das, was sie eigentlich angeht, schlägt unser Plan zunächst vor; wenig nur, aber für sie schon viel, nun wirklich im eigentlichen Schulleben, im obligatorischen Unterricht ein freies Feld, ein kleines Königreich zu besitzen! Und der 17-stündige Kernunterricht, wie er oben umschrieben ist, mit seinen ständigen Beziehungen zur Kunst, wie er gerade aus dem Spiegel der Kunst das Selbstbekenntnis deutschen Innenlebens ablesen möchte zumal mit dem häufigen Eingreifen des Kunst- und Musiklehrers auch in ihn, mit den vielen Betätigungsmöglichkeiten für die Jünger der Kunst zum Belehren, Erbauen, Mitreissen der anderen - sollte er als Martyrium empfunden werden? Blieben noch die sprachlichen Stunden, an sich sind sie meist gar nicht so drückend, nur weil das Ganze so drückte. Noch dazu - die Sprache könnte ja Italienisch sein! Und die ganz andere Atmosphäre jetzt! Der Maler dauernd draussen in der

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Natur, am See in seinen verschiedstenen Stimmungen, unter exotischen Bäumen; der Kunsthandwerker hat die Werkstatt im Hause, der Musiker täglich Gelegenheit zum Zusammenspiel mit dem Lehrer und mit Kameraden! Und das Zusammenleben wird gerade diesen jungen Menschen, die leicht zum Einsamsein, zum Sonderlingtum, auch zum Egoismus neigen, noch in anderer Beziehung heilsam werden.

Wie der Unterricht im einzelnen angelegt ist, was aus der Fülle des Stoffs für unseren besonderen Fall ausgewählt werden könnte, haben zwei junge Zeichen- und Musiklehrer, ehemalige Schüler desAntragstellers, die für den Plan begeistert sind, zur Klärung der eigenen Ansichten zu Papier gebracht. In Anlage 3 und 4 ist's in Schlagworten zur vorläufigen Orientierung zusammengefasst. Der Plan des einen (G. Netzband) ist von den Herren Tappert und Hasler, Professoren an der Staatlichen Kunstschule freudig gebilligt worden, der des anderen (A. Rosolleck) ist von dem Komponisten Heinz Tiessen miterwogen, von Prof. Dr. Schünemann, dem stellvertretenen Direktor der Staatlichen Hochschule für Musik, nach ausführlicher Kenntnisnahme "für gut und durchführbar" erklärt und hat beim Musikreferenten im Ministerium für Unterricht, Kunst und Volksbildung Prof. Leo Kestenberg lebhaftes Interesse gefunden.

In seinem Buch über Musikerziehung und Musikpflege (Quelle & Meyer 1921) [Anm. 34] hat Kestenberg selbst, wie wir zu unserer Freude ersehen, "eine Musikoberschule", "ein Musikgymnasium" gefordert mit 7 Stunden für die musikalischen Fächer, 3 Stunden rhythmischer Gymnastik, 8 Stunden Deutsch, Geschichte und Philosophie, 5 Stunden Mathematik-Naturwissenschaften, 5 Stunden Fremdsprachen und von der Möglichkeit einer Uebergangszeit gesprochen, in der das Musikgymnasium zunächst den bestehenden Schulen angegliedert werden könne und zwar so, dass die Schüler den allgemeinen wissenschaftlichen Unterricht mit den anderen gemeinsam erhielten, die besondere musikalische Ausbildung getrennt,

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er hebt dabei selbst bedauernd hervor, dass dabei freilich die Einstellung des Gesamtlehrplanes auf die Kunst verloren gehe. Unser 5. Kurs an den Kernunterricht angeschlossen, würde dem weit mehr entgegenkommen, ja eigentlich im Rahmen der elastischen Oberschule "das Musikgymnasium" ebenso wie der 6. Kurs mit dem Kernunterricht zusammen das entsprechende "Kunstgymnasium" sein! Wenn auch hier wie in allen Kursen der spätere Berufszweck erst in zweiter, dritter Linie steht, und es sehr wohl denkbar ist, dass einer diese Bildungswege auf der Oberstufe einschlägt, ohne an ein berufliches Ausüben der Kunst zu denken, würde sie auch - ohne das ihr Gang durch solche ausser der Sache liegenden Rücksichten irgendwie bestimmt ist, unleugbar ein späteres kunstgeschichtliches Studium und noch mehr den Eintritt in die Hochschule für Musik resp. die Kunstschule bedeutend erleichtern und ferner gleichzeitig die Lücke zwischen dem alten Einjährigenexamen und dem Beginn dieser Schulen in weit wissenschaftlicherer und künstlerischerer Weise ausfüllen, als dieses Triennium von den Kunstjüngern meist mit buntem, planlosem Hin und Her und schliesslich fast presseartigem Drill hingebracht wird.

ad 8): Der freie Wochentag kann zu einer überaus segensreichen Einrichtung werden, ist in solchem Internatsleben mit seinen mannigfachen Anforderungen direkteine Notwendigkeit, damit die Schüler, die es wollen, einmal zu sich kommen können; einige Male kann er zu Wanderungen, Schlittschuhpartien und Besichtigungen benutzt werden, damit der Unterricht durch solche Unternehmungen nicht gestört wird. Die Zwischenschüler, die anfangs von Blumen und Bäumen sehr wenig Ahnung zu haben pflegen, werden in der ersten Zeit an solchen Tagen - wenn nötig nach Anleitung - sich mit der Flora der Insel heimisch machen. Wenn die Feld- und Gartenarbeit oder die freiwillige Werktätigkeit vorankommen soll, muss sie auch einmal hintereinander weg betrieben werden können. Ein Bastler, der sich einen

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Tisch, Stuhl oder eine Gartenbank baut, verliert die Freude daran, wenn sich die Arbeit daran wochenlang hinzieht, von noch grösseren Unternehmungen, gemeinsamen Erdarbeiten, Schuppen- oder Zaunbauten und ähnlichem ganz zu schweigen. Die musikalischen oder dramatischen Vereinigungen wollen auch einmal in continuo proben und ihr Werk wachsen sehen. Was die wissenschaftliche Beschäftigung an solchen Tagen angeht, wäre den einzelnen anzuraten, vielleicht gerade einmal das zu treiben, wofür sei sich sonst weniger interessieren, - etwa einige zu leichterer französischer Lektüre (Zeitungen!) im Garten zusammenzutreiben, deren Französisch sonst ganz einzurosten in der Gefahr ist u.s.f. u.s.f.

ad 9): Von dem Ansetzen eines lehrplanmässigen Turnunterrichts kann abgesehen werden. Der morgendliche Dauerlauf in Gruppen, allmählich zu einem Umkreisen der ganzen Insel gesteigert, gymnastische Uebungen in den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden und vor dem Schlafengehen, ein freiwilliger Spielenachmittag, dem durch wechselnde Abkommandierung eines Eleven der nahen Hochschule für Leibesübungen in Spandau, der den Schülern unbekanntere Sportarten einführt (Diskus, Bogenschiessen usw.), durch Veranstaltung von Wettkämpfen ab und zu neuer Schwung gegeben werden könnte, das viele Baden, Schwimmen, Rudern, der Eissport, das Klettern in den Bäumen, das Versteckspielen an manchen Abenden bieten reichen Ersatz; die Erfahrungen im Sommer haben gezeigt, dass bei der Fülle nutzbringender körperlicher Arbeiten auf der Insel und im Haus die Kräfte sowieso schon bis an die Grenze des Möglichen angespannt waren.

ad 10): Die Zahl wirklicher Unterrichtsstunden soll unter keinen Umständen noch über 27 gesteigert werden; ihre Herabsetzung im Sinne des alten Wahrwortes: Multum non multa ist der Anfang jeder wahren Schulreform! Die

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Pariser medizinische Akademie hat jüngst eine besondereKommission zu dem Zweck eingesetzt, die Pädagogen an der Einführung immer neuer Einzelstunden zu verhindern! Der neueste preussische Ministerialerlass vom 3. Februar 1922 empfiehlt allen höheren Schulen, die Wochenstundenzahl des Normalplans auf 30 zu mindern [Anm. 35]. In einem Internat, in dem auch ausserhalb des Unterrichts ein reges, geistiges Gemeinschaftsleben seine Anforderungen stellt, sind eigentlich 27 schon zu viel. Es lässt sich die von demselben Ministerium anscheinend, so widerspruchsvoll es klingen mag, gleichzeitig geforderte zweite Fremdsprache im Unterrichtsplan der Neigungskurse 3-6 nicht unterbringen, falls man ihnen nicht durch Beschränken des für sie Wesentlichen das Rückgrat brechen will. Wenn Teilnehmer an 3-6 zu etwaigen Abituriumszwecken gezwungen sein werden, die zweite Fremdsprache in den Mussestunden zu treiben bis zur Fähigkeit, eine Uebersetzung aus ihr zu liefern, könnte aber aus dieser Not sogar noch eine Tugend werden. Wieviele Jungen haben von sich aus begonnen, losgelöst vom Unterrichtsschema eine weitere Fremdsprache zu Haus für sich zu erlernen! Wie wenige haben die Energie und die Kunst der Zeiteinteilung aufgebracht, bis ans Ende durchzuhalten! Hier sind die Vorbedingungen günstiger. Ein gewisser Druck, der nicht von ihrer Schule, mit deren Wesen diese Abituriumsforderung nichts zu tun hat, sondern sozusagen schon vom Leben, diesem viel härteren Schulmeister, ausgeübt, treibt vorwärts, wer sucht, wird die Wintermonate hindurch sicher Arbeitsgenossen finden; bei Stockungen sind Helfer: Teilnehmer der sprachlichen Kurse, der Anstalt schon jetzt befreundete Studenten oder auf ausdrücklichen Wunsch die Lehrer zur Hand. So werden sich hier in den Mussestunden nun auch auf mehr wissenschaftlichem Gebiet "halbstarre" Gruppen zusammenfinden als Uebergang zu völlig freiwillig zusammentretenden fliessenden Arbeitsgemeinschaften, denen man dann, wenn Früchte gezeigt werden, auch andere Ge-

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biete überlassen könnte, die jetzt noch in lehrplanmässig angesetzten "obligatorischen" Stunden festliegen. Denn es ist klar, dass eine derartige Schule immer mehr wegstreben wird von den blossen Unterrichtsstunden zu ganz freiem selbständigen Schaffen, zu dem dann die Mitarbeit der Lehrer zur Anregung, Weiterhilfe und Kontrolle von der anderen Seite gesucht wird. An drei Stellen böte unsere noch überall vorsichtig an das Alte anknüpfende Unterrichtsorganisation vielleicht entwicklungsfähige Ansätze dazu: in der den Klassenverband auflösenden Gruppierungs- und Förderungsart der Aufbauschüler, in der Freiwilligkeit von Feld-, Garten- und Werkarbeit, des Chorsingens und der übrigen künstlerischen Betätigung sowie drittens in diesem vmtl. zur Beseitigung der Abituriumsnot sich selbsttätig bildenden Zyklen.

ad 11): Der Lehrkörper der neuen Versuchsschule würde nur klein werden (6): seine Mitglieder müssen die gleiche Lebensrichtung haben. Bei solcher Homogenität, wie sie hier eine conditio sine qua nun wäre, ist "kollegiale Schulverwaltung" - fast klingt das Schlagwort in diesem Zusammenhang zu frostig - eine Selbstverständlichkeit und in derartigen Fällen auch keine Gefahr. Dass die drei Lehrer, die den Sommer über in ungetrübter Kollegialität die Scharfenbergschule durch alle Fährlichkeiten geführt haben, an der Dauerschule weiter zusammen wirken, verbieten, da zwei von ihnen eine grössere Familie haben, die beschränkten Wohnverhältnisse der Insel. Aber dafür sind dem Antragsteller jüngere Freunde und Kollegen, die sich mit einem Zimmer begnügen könnten, in gleicher Begeisterung für die Sache sich anzuschliessen bereit; sie sind zum Teil schon den Sommer über häufige Gäste in Scharfenberg gewesen und haben in engster Gemeinschaft mit der Jugend den Grund mitgelegt zu dem, was Aussenstehende schon jetzt als "Scharfenbergtradition" bezeichnen. - Auch zu den weiteren Sätzen des oben Seite 19 gegebenen

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"Umrisses" über Abendaussprachen, Schulgemeinde usw. liesse sich noch manches begründende und erläuternde Wort sagen, doch wir brechen ab ... - denn "der Geist aus dem hier gehandelt werden soll," dürfte nunmehr aus dem Obigen zu erkennen sein, die einflussreichen Leser werden vielmehr fragen, was den von ihrer Seite getan werden müsste, den Aufbau einer solchen Versuchsoberschule in Scharfenberg zu ermöglichen.

((Bl. 130 - S. 43))

Augenblickliche Notwendigkeiten.

Es ist klar, dass bei der augenblicklichen Finanzlage der Stadt an eine sofortige volle Verwirklichung des obigen Entwurfs nicht gedacht werden kann, es kann nur ein Anfang gemacht werden, aus dem sich dann Schritt vor Schritt, ohne jemals allzugroße finanzielle Opfer auf einen Schlag zu erfordern, das Ganze zu entwickeln vermag, sich von Jahr zu Jahr dem Zukunftsbilde nähernd, das hier aufgestellt ist. Damit dieser Anfang gemacht werden kann, ist jetzt folgendes nötig:

I. Verwaltungstechnische Maßnahmen.

Die Verwaltung der Insel Scharfenberg muß, wenn sie eine Schulinsel werden soll, der Magistrat von der Deputation für Wasserwerke auf die Schuldeputation übertragen.

Zur Begründung braucht nur auf den monatelang sich hinziehenden Schriftwechsel zwischen der Wasserwerksdeputation, dem Jugendamt und dem Büro für Kirchen und höhere Schulen über dieMietsforderungen der Werksdeputation für Überlassung des Scharfenberger Landhauses im letzten Sommer im Betrage von 5.000 M. verwiesen und an die Erschwerungen des Geschäftsganges erinnert werden, die auch für die Sommerschulleitung aus diesem Doppelverhältnis sich ergeben haben.

Ferner ist darauf Bedacht zu nehmen den bisherigen Pächter in nicht allzuferner Zeit - selbstverständlich unter Vermeidung jeder Härte - zum Rücktritt von seinem noch 3 Jahre laufenden Kontrakt zu bestimmen (vgl. oben Seite 1 und Seite 9).

Denn erst dann, wenn Land und Wirtschaftshof frei sind, kann an Eigenwirtschaft in größerem Umfange gedacht werden, die aus finanziellen und pädagogischen Gründen für die neue Schule fast eine Lebensnotwendigkeit ist, ganz abgesehen davon, daß dadurch auch dem allgemeinen, städtischen Interesse weit besser gedient sein würde.

Für die Übergangszeit, in der Schule und Pächter neben einander auskommen müssen, erscheint es unbedingt geboten, die beiderseitigen Rechte genau zu umgrenzen.

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II. Bauliche Veränderungen.

a) an Instandsetzungsarbeiten ist auf Grund eines Gutachtens des Magistratsbaurats Salingre vom 5.3.21 und einer Detailaufstellung des Bauamtes durch Herrn Jacobs vom 30.3.21, die sich bei den Akten befinden, folgendenes notwendig:

  1. Austrocknung der Umfassungswände des Kellergeschosses durch Ausheben in 1 m Tiefe und 60 cm Breite, Streichen der Wände mit Gudron und Neuverstampfung,

  2. Teilweise Neuverputzung der Fassadenflächen und Instandsetzung der Zinkabfallrohre,

  3. Einrichtung einer Abflußanlage aus der Küche in eine ausgemauerte Sammelgrube nebst Rohrleitung und Flügelpumpe,

  4. Vollständige Renovierung des augenblicklich völlig unbenutzbaren, geräumigen Kellergeschosses,

  5. Abbrechen einer Kochmaschine im Erdgeschoß, Setzen einiger Öfen, Wiederherstellung der Rolljalousien,

  6. Ersetzen des durchaus schadhaften Zementfußbodensim Dachgeschoß durch Holzfußboden,

  7. Streichen sämtlicher Räume mit Leimfarbe.
Diese Instandsetzungsarbeiten sind von den Architekten Oskar und Johanne (?) Grothe nach genauester Lokalbesichtigung auf 135.000 M. veranschlagt, worüber im einzelnen die Seite 18-20 der im Januar 1922 gelieferten Kostenaufstellung (Anlage 7) Aufschluß geben. Jedoch könnten Wiederauffüllung und Verstampfung der Erde rings um das Haus (siehe oben Punkt 1) sowie das Streichen der Räume mit Leimfarbe (siehe oben Punkt 7) im kommenden Sommer von den Schülern selbst besorgt werden.

b) An Neueinrichtung ist erforderlich:

  1. Die Errichtung eines Klosettschuppens;

    Die von den Schülern im Sommer gebaute Notanlage würde für den Daueraufenthalt einer größeren Anzahl von Menschen nicht ausreichen. Mit den Aborten ließen sich am einfachsten Räume zur Aufbewahrung der Gartengeräte, des Heizmaterials und der Rohstoffe für die Werkarbeit unter einem Dache vereinigen. (Vgl. die Skizze des Nebengebäudes in Anlage 8). Die Kosten

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    dafür belaufen sich nach dem Anschlag der Firma Grothe auf 40.000 M. (Ein hinter dem Wirtschaftshof stehendes remisenartiges Gebäude, das augenblicklich nur mit Gerümpel angefüllt ist, würde an sich gut dazu passen, aber die Entfernung vom Wohnhause brächte auf die Dauer doch beträchtliche Unbequemlichkeiten mit sich.)

  2. Das Aufstellen einer winterharten Baracke mit Gemeinschafts- und Schulraum, Zimmern und Waschraum für ca. 20 Schüler.

  3. Der Ausbau des Dachgeschosses im alten Haus zu Wohn- und Schlafräumen.

Im alten Haus können, wie es jetzt ist, nach der Reservierung einiger Räume für Schulzwecke, die geplanten Buchbinder- und Tischlerwerkstätte, für Krankheitsfälle zu dauerndem Wohnen 22 Personen untergebracht werden.

Damit die mit Rücksicht auf die verschiedenen Fächergruppen notwendigen Lehrkräfte verschiedener Fakultät voll ausgenutzt werden können, muß die Zwischenschule doch wohl mit ca. 30 (teils Gymnasial-, teils Aufbau-) Schülern (vgl. oben Seite 19 und Seite 21) eröffnet und gleich daneben, wenn auch in kleinerem Umfang (etwa 15), mit der dem Charakter dieser Versuchsschule bestimmenden Oberstufe ein Anfang gemachtwerden, zumal für sie aus den Reihen der letztjährigen Sommerschüler ein für die Bildung der Tradition ein äußerst schätzenswerter Stamm draußen schon eingelebter Jungen zur Verfügung steht. Es müßten also - die Lehrer und die Köchin nebst weiblicher Hilfe eingerechnet - ca. 53 Personen Wohn- und Schlafgelegenheit haben. Soweit sie fehlt, soll sie durch Ausbau des Dachgeschosses und Aufstellen einer Baracke geschaffen werden.

Die Kosten für den Ausbau, bei dem ein teilweises Hochziehen des Hausdaches, das Einsetzen von 6 Mansardenfenster, 210 qm Stakerarbeit, Rabitzumspannung von Stielen und Rahmen notwendig ist, belaufen sich einschließlich der Aufwendungen für den bei stärkerer Belegung nötigen Einbau größerer Wasch- und Baderäume im Kellergeschoß mit Abflußanlage nach dem Anschlag der Firma Grothe auf 155.000 M. Das Überlassen einer in nächster Zeit freiwerdenden Baracke hat das Schulbüro in Aussicht stellen können.

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Sollte sich der Ausbau des Dachgeschosses, der ein Plus von 10 Schlafgelegenheiten ergeben würde (über die dann mögliche ganz vorzügliche Ausnutzung des Herrenhauses orientiert beiliegender Umbauplan, Anlage 9) aus Geld- oder Zeitmangel in diesem Jahr nicht ermöglichen lassen, müßte dafür evtl. durch Aufstellen einer 2. kleineren Baracke Ersatz geschaffen werden.

Die Instandsetzungsarbeiten (135.000 M.) muß die Stadt, falls das einst so stattliche Haus nicht gänzlich dem Verfall überlassen werden soll, unter allen Umständen vornehmen, auch wenn die Dauerschule nicht hineingelegt wird. Danach würden für die Gründumg der Scharfenberger Versuchsoberschule speziell zu bewilligen sein:

ca. 45.000 M. für den Schuppen,

ca. 155.000 M. für den Aus- und Umbau des Hauses und die Kosten für das Aufstellen der Baracke.

Ob es vielleicht angängig wäre, aus der vor wenigen Tagen der Stadt überraschend zugefallenen Bolle'schen Millionenerbschaft eine Summe diesem Unternehmen zuzuwenden, entzieht sich der Kenntnis des Antragstellers.

Für die Ergänzung der Einrichtung und Beschaffung der Lehrsammlung private Mittel flüssig zu machen, besteht begründete Hoffnung. Die A.E.G. und ihr früherer Präsident Dr. Rathenau, die schon für das Sommerschulexperiment in Scharfenberg namhafte Summen überwiesen hatten, die Firmen [...] Peters und Breitkopf und Bartel, Leipzig, haben bereits Stiftungen in Aussicht gestellt; mit Herrn Kommerzienrat von Borsig, dem nächsten Nachbar der Insel, sind Verhandlungen im Gange.

Ministerium und Provinzialschulkollegium haben durch Herrn Oberregierungsrat Kummerow, der den ganzen Plan geradezu mit Begeisterung aufgenommen hat, jede mögliche Förderung zugesagt.

((Bl. 134 - S. 47))

Das Interesse einflußreicher Kreise und ihre Bereitwilligkeit zum Weiterhelfen wird wachsen, wenn erst ein Anfang gemacht ist und der neue Schulorganismus zu blühen beginnt. Am 14. April 1921 ist in der Stadtverordneten - Versammlung magistratsseitig gesagt worden: "innerhalb gewisser Grenzen müssen wir Opfer bringen. Es gibt keine wirtschaftliche Erneuerung, die nicht begleitet wird von einer inneren ... Voller Ungeduld erwartet man den Anfang der aufbauenden Arbeit."

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Anlagen 1, 2, 7, 8, 9 befinden sich bei dem Exemplar, das für den Ausschuß für Versuchsschulen bestimmt ist, in den Händen des Herrn Oberstadtschulrats Paulsen.

Anfang Februar 1922.

gez. Blume.

N.W. Tile Wardenbergstr. 28




Anmerkungen

Anm. 1
Das Gesuch war mit (mindestens) 9 Anlagen versehen, diese sind jedoch leider nicht mehr erhalten. Die Anlagen 1, 2, 7, 8 und 9 existierten nur in "dem Exemplar, das für den Ausschuß für Versuchsschulen bestimmt ist, in den Händen des Herrn Oberstadtschulrat Paulsen." (S. 47). -
Anlage 1 enthielt Photographien von der Insel (s. S. 2),
Anlage 2 eine Inventarzeichnung des 'Bollehauses' (s. S. 2),
Anlage 3 Übersichten zum Zeichenunterricht (s. S. 24),
Anlage 4 Übersichten zum Musikunterricht (s. S. 24),
Anlage 5 farbige Übersichten zum elastischen Oberstufenunterricht (s. S. 25),
Anlage 7 eine Kostenaufstellung der erforderlichen Instandsetzungsarbeiten am 'Bollehaus' S. 44),
Anlage 8 eine Skizze der Nebengebäude des 'Bollehauses' S. 44,
Anlage 9 einen Umbauplan des 'Bollehauses' S. 45.

Anm. 2
Das Inhaltsverzeichnis, das der Gliederung des Gesuchs im Detail nicht entspricht, wurde in der Edition gekürzt.

Anm. 3
OVID, Metamorphosen. Auswahl für den Schulgebrauch, bearb. und erl. von Franz HARDER (=Sammlung lateinischer und griechischer Schulausgaben), Bielefeld 1921.

Anm. 4
Man führte hier auf: KAYßLER, Friedrich, Simplicius. Tragisches Märchen in fünf Akten, Berlin 1905.

Anm. 5
Die Reichsschulkonferenz 1920. Ihre Vorgeschichte und Vorbereitung und ihre Verhandlungen. Amtlicher Bericht, erstattet vom Reichsministerium des Innern, Leipzig 1921. Unveränd. Neudruck als Bd. 3 der Reihe 'Deutsche Schulkonferenzen', Glashütten 1972.

Anm. 6
HILDEBRANDT, Paul, Das Programm des Kultusministers. Eine Unterredung mit Dr. Boelitz, in: Vossische Zeitung vom 19.11.1921, Morgenausgabe, 1. Beilage: "Im übrigen ist der Minister Anhänger der Idee von Versuchsschulen. Erhält sie für die Schulreform für unbedingt notwendig und möchte für jede Provinz etwa zwei durchgeführt haben."

Anm. 7
VILMAR, Wilhelm, Vorschläge zu einer Neuordnung des Unterrichtswesens, Leipzig [u.a.] 1917.

Anm. 8
BOLLE, Wilhelm, Zur Wahlfreiheit auf der Oberstufe der höheren Schulen, in: Deutsches Philologen-Blatt, Jg. 29 (1921), S. 226-229. -
VILMAR, Wilhelm, Bewegungsfreiheit in den Primen des Grunewald-Gymnasiums, in: Deutsches Philologen-Blatt, Jg. 29 (1921), S. 265-267.

Anm. 9
Es ist unklar, worauf Blume hier anspielt; ein entsprechender Erlaß wurde jedenfalls nicht veröffentlicht.

Anm. 10
BOELITZ, Otto, Preußen und die Schulreform, in: Vossische Zeitung vom 01.01.1922, Morgenausgabe, 1. Beilage: "Auch ein Erlaß über die freiere Gestaltung der Oberstufe an den höheren Lehranstalten ist in Vorbereitung [...]. Zu Ostern des Jahres 1922 werden 50 Aufbauklassen eingerichtet werden, und zwar in erster Linie nach dem Typus der deutschen Oberschule, die die Deutschstunde in den Mittelpunkt des Unterrichts stellt, daneben aber zwei fremde Sprachen betreibt.".

Anm. 11
Diese "charakteristischen Züge" sind abgedr. in: LEHMANN, Walter, Die Schulfarm Insel Scharfenberg, in: Pädagogisches Zentralblatt, Jg. 5 (1925), S. 145-167, hier S. 146f. - Eine Fassung mit einigen inhaltlich unwesentlichen Abweichungen sowie unter Einschub des folgenden Absatzes als Punkt 5: "[...] sie möchte [5.] mit der elastischen Oberstufe, die Schüler aller 4 Schultypen die Möglichkeit gibt, in den letzten 3 Schuljahren ihr Neigungsfach zum Hauptfach zu machen, eine Aufbauabteilung für begabte 14jährige Gemeindeschüler verbinden und so ein Beispiel der Versöhnung auf dem zerklüfteten Gebiet der Bildungsgegensätze geben [...]" in: BLUME, Wilhelm, Bericht über die Entwicklung der städtischen Scharfenbergschule, erstattet von ihrem Leiter Wilhelm Blume unter Mithilfe der Fachvertreter, verbunden mit dem Gesuch um staatliche Anerkennung zu Oktober 1923, unter Beifügung von Stundentafeln und Lehrplänen. Eingereicht an Herrn Geheimrat Dr. Michaelis als Vertreter des Provinzialschulkollegiums im Juli 1923 [Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA, Rep. 76 VI, Sekt. 14 z, Nr. 48 II, Bl. 174-267], hrsg. von Dietmar HAUBFLEISCH, Marburg 1999: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0001/q13.html;
diese erw. Fassung auch abgedr.: BLUME, Wilhelm, Die Schulfarm Insel Scharfenberg bei Berlin, in: Deutsche Schulversuche, hrsg. von Franz HILKER, Berlin 1924, S. 312-330, hier S. 315-317.

Anm. 12
Die 'Stuttgarter Tatgemeinschaft' war im November 1918 auf Initiative von Albrecht Leo Merz entstanden. Merz hatte die Freideutsche Jugendbewegung mehrfach kritisiert und ihr u.a. "eine allzu intellektuell-kritizistische, tatfeindliche rein reflektierende Einstellung" und einen "Mangel an dem, was Goethe produktive Phantasie nennt" vorgeworfen (MERZ, Albrecht Leo, Das Fest auf dem Meißner [1923], in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, Jg. 15 (1923/24), Bd. : April/September 1923, S. 712-716.

Anm. 13
SPRANGER, Eduard, Die drei Motive der Schulreform, in: Monatsschrift für höhere Schulen, Jg. 20 (1921), S. 260-274; u.a. wieder in: SPRANGER, Eduard, Kultur und Erziehung. Gesammelte pädagogische Aufsätze, 4. vermehrte Aufl. Leipzig 1928, S. 142-162; wieder in: Die deutsche Reformpädagogik, hrsg. von Wilhelm FLITNER und Gerhard KUDRITZKI, Bd. II: Ausbau und Selbstkritik, 2. unveränd. Aufl. Stuttgart 1982, S. 9-22; hier (1921) S. 272: "[...] dieses Schulleben als staatliche Organisation wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, künftig auf einer anderen soziologischen Grundlage ruhen, in ein anderes Gesamtleben eingebettet sein. Denn die Jugend wird im Schoße der ganzen Volksgemeinschaft ihre eigene Rolle und ihren organischen Platz finden. Die Jugendbewegung [...] wird Formen schaffen, in denen die freie Regung der Jugendlichkeit zum reichen Ausdruck kommt; nationale Feste, auf die das Auge des geamten Volkes mit Stolz und Freude gerichtet ist, werden die Höhepunkte dieser bleibenden Gemeinschaft bezeichnen. Gymnastische Spiele und musischer Wettkampf werden alle Schichten und alle Berufszweige der Jugend einen. Ein neues, von innen wachsendes, auf inneren Adelseigenschaften ruhendes Führertum wird aus der Gleichheit selbst eine echte Aristokratie, aus der Gemeinschaft geistige Höhenmenschen herauswachsen lassen. Die Schulen werden diesen Geist nicht erst schaffen und anerziehen - sie werden von ihm getragen sein und an ihm das Maß ihrer Volkstumsbedeutung gewinnen."

Anm. 14
GREYERZ, Otto von, Der Deutschunterricht als Weg zur nationalen Erziehung (=Pädagogium, 3), 2. Aufl. Leipzig 1921, S. 132f.: "Ich glaube, es wird wieder eine Zeit kommen, wo, wie in August Hermann Franckes Stiftungen, eine Kinderschule den Mittelpunkt jeder Lehrerbildungsanstalt, das Gemeinschaftsleben mit den Kindern den Anfang aller Lehrerweisheit bilden wird; eine Zeit, wo als erste Anforderung zum Lehrberuf der Ausweis darüber verlangt werden wird, daß der Kandidat in einer Erziehungsanstalt am ganzen Zusammenleben der Jugend teilgenommen und dabei erzieherische Begabung bewährt habe. Soll wirklich, wie wir heute glauben, eine Neugestaltung der öffentlichen Schule von Grund aus ins Werk gesetzt werden, so erwarte man diese Wandlung nicht von Behörden und Verwaltungsorganen. Mit den jungen Lehrern muß der neue Geist in die alten Schulhäuser einziehen; dann wird er die trüben Räume erhellen, die Lebensformen der Schule umgestalten, bis schließlich von selber auch die organisatorischen und baulichen Einrichtungen, weil unmöglich geworden, zusammenstürzen. Allein wo sollen die angehenden Lehrer den Geist einer neuen Schule in sich aufnehmen, wenn ihre Vorbereitungsanstalten selber immer noch im alten Geiste verharren? Was nützt es viel, wenn im Seminar die modernsten Grundsätze gelehrt und gepredigt werden, aber eben nur gelehrt und gepredigt? wenn das Seminar theoretisch die Arbeitsschule vertritt und praktisch eine Lernschule bleibt? wenn die erzieherische Kunst hoch über das pädagogische Wissen gestellt wird, aber schließlich beim Examen doch das Wissen über das Können den Ausschlag gibt? Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldener Baum. Die Wahrheit, die uns das Leben lehrt, das ist die, die wir auch wieder ins Leben übertragen; das ist die, die uns mit festem Vertrauen erfüllt und mit Zukunftsglauben. Ein paar Tage unter guten Menschen gelebt ist für unsern Glauben an die Menschheit mehr wert als alle Beispiele der Geschichte und als die schönsten Vorträge über Ethik. Ja, ein einziger Blick in ein Gemeinschaftsleben höherer Ordnung, als wir es vorher gekannt haben, erleuchtet blitzschnell die Dämmerung unseres sittlichen Bewußtseins und erfüllt uns mit dem Glauben an eine neue, höhere Bestimmung. Darum gebe man den künftigen Lehrern das begeisternde Erlebnis, dessen sie bedürfen, um an einen Wandel der Dinge zu glauben und daran mitzuwirken. Man stelle sie so jung wie möglich in einen Erfahrungskreis ihres künftigen Berufs hinein, in eine Erziehungsgemeinschaft, an der sie, wenn auch in bescheidener Stellung, tätigen Anteil nehmen und in der sie lernen können, daß es in Tat und Wahrheit, nicht bloß auf dem Papier, eine höhere Form des Schullebens, einen freieren Geist des Unterrichts gibt, als sie sie von Jugend auf kennen. Gewinnen sie diese Überzeugung, so seid ohne Sorge, daß sie ihnen wieder verloren gehe, mag sie ihr Beruf führen, wohin er will."

Anm. 15
PAULSEN, Wilhelm, Grundpläne und Grundsätze einer natürlichen Schulordnung [Plan Paulsens, 1922 dem preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung als Diskussionsgrundlage für anstehende Beratungen um ein Reichs-Schulgesetz vorgelegt]; abgedr. u.d.T. 'Natürliche Schulordnung. Ein Entwurf', zuerst in: Vossische Zeitung vom 23.01.1922, Abendausgabe, Beilage; wieder in: Der Elternbeirat. Halbmonatsschrift für Eltern, Lehrer und Behörden, Jg. 3 (1922), S. 62-64; wieder in: Das Werdende Zeitalter, Jg. 1 (1922), S. 24-26; u.d.T. 'Grundpläne und Grundsätze einer natürlichen Schulordnung. Schulen wahrhafter Volksgemeinschaft' wieder in: ENGEL, Ernst, Die Gemeinschaftsschulen (Hamburg und Berlin). Ein Bild aus der Gegenwartspädagogik (=Versuchsschulen und Schulversuche, 1), Prag [u.a.] 1922, S. 34f.

Anm. 16
Vgl. u.a.: PAULSEN, Wilhelm, Schulengemeinschaft, in: Pädagogische Reform, Jg. 44 (1920), [Nr. 52 vom 29.12.1920], S. 358; wieder in: FOERTSCH, Karl, Der Kampf um Paulsen. Eine kritische Beleuchtung der neuen Schule, Berlin 1922, S. 26f.: "Damit unsere Schüler nicht genötigt sind, Ostern 1921 in andere Schulanstalten (Gymnasien, Realschulen, Aufbauschule, Seminar, Fortbildungsschule) überzutreten, ihren inneren Entwicklungsgang also abzubrechen und das Gemeinschaftsleben aufzugeben, haben sich die Schulen Berliner Tor, Tieloh, Breitenfelderstraße, Telemannstraße, Humboldtstraße und Billbrook zusammengeschlossen. Auf einer gemeinsamen Oberstufe sollen alle Schüler im 9. Schuljahre und darüber hinaus zu neuen Arbeits- und Lebensgemeinschaften vereinigt werden, in denen die mannigfachen Begabungen und Neigungen der älteren Jahrgänge weitere Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten finden [...]." - Daß Paulsen im Sinne einer von ihm auch für Berlin vorgesehenen 'Schulengemeinschaft' auch die Schulfarm Insel Scharfenberg im Sinne hatte, machte er schriftlich deutlich: PAULSEN, Wilhelm, Die Überwindung der Schule. Begründung und Darstellung der Gemeinschaftsschule, Leipzig 1926, S. 19f.: "Aufbauschulen, die den Typ der höheren Schule durchbrechen, nehmen die Gemeinschaftsschüler auf, soweit diese den Wissenschaftsweg zur Akademie oder zu den höheren Fachschulen suchen. Genannt seien [als Aufbauschulen, die den Typ der höheren Schulen durchbrechen,] die Neuköllner Aufbauschule und die Inselschule Scharfenberg. Beide haben ihre Arbeit auf den Gemeinschaftsgeist umgestellt, die eine wagemutig mitten in der Großstadt, die andere in der herrlichen Landschaft der havelländischen Seen als Erbin der Insel und hoffentlich auch des Geistes Alexander von Humboldts [...]."

Anm. 17
BORBEIN, Hans, Hermann Lietz und die höheren Schulen, in: Monatsschrift für höhere Schulen, Jg. 20 (1921), S. 292-308, hier S. 296.

Anm. 18
JÖDE, Fritz, Die Lebensfrage der neuen Schule, Lauenburg 1921, S. 11: "wenn menschen miteinander leben[,] da braucht es keines gesetzes von außen".

Anm. 19
OESTREICH, Paul, Die Elastische Oberstufe, in: Die Neue Erziehung, Jg. 3 (1921), S. 239-243 und 287-292, hier S. 288.

Anm. 20
WITTE, Erich, Die Anfänge einer elastischen Oberschule in Groß-Berlin, in: Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung. Beiblatt des Lehrerverbandes Berlin, Jg. 2 (1921), [Nr. 45 vom 11.12.1921], S. 325f., hier S. 326.

Anm. 21
HILKER, Franz, Jugendfeiern. Mit einem Geleitwort von Paul OESTREICH (=Die Lebensschule. Schriftenfolge des Bundes entschiedener Schulreformer, 1), Berlin 1921, S. 17f.: "Keiner sieht, wie vielen schlechten Einflüssen ein Großstadtjunge ausgesetzt ist, wie zerfasert und zersplittert sein ganzes Wesen wird in all dem Getümmel, Lärm und Hasten der Großstadt, wie er gar keine Ruhe findet, um tiefer in sich zu gehen. Zivilisation der Großstadt hat alles Natürliche in ihm 'zivilisiert', hat ihn im Gegensatz zum Landjungen zu kompliziert und schwierig gemacht, um schlichte Religion aufnehmen zu können. Und er hat sich nicht wehren können, weil er von Kindheit an in dieser Großstadt lebte, weil er niemals ein anderes Leben kennen gelernt hat. Und doch ist im tiefsten Grunde unseres Wesens der große Wille da, der Wille zum Ewigen, die Sehnsucht zum Guten, Wahren, Schönen. Der Bauernjunge findet Ziel und Inhalt des Lebens in der Natur, sieht und fühlt es täglich, erlebt es und nimmt es in sich auf. Wir können das nicht. An uns hat die Großstadt schon zuviel verdorben. Selbst wenn wir hinausgehen in die Natur, ist es nicht naives Lebensgefühl, sondern nur Großstadtmüdigkeit, die uns hinausführt; wir sind einmal der Zivilisation satt. Darin liegt die Tragik der Großstadtjugend: Sie will hin zum Ewigen; der Wille dazu, angeregt durch Kunst, Musik und Literatur, ist größer und stärker als bei anderen Jungen, die in ländlicher Stille oder kleinstädtischer Behaglichkeit groß geworden sind. Wir streben hin zum Großen, Schönen; doch schon im Anfang bleiben wir stecken. Weil wir Großstadtjungen sind."

Anm. 22
SCHOENICHEN, Walter, Der biologische Unterricht in der neuen Erziehung, Leipzig 1919, bes. S. 63f.

Anm. 23
MIES, Paul, Musikwissenschaftliches im Lehrplane der höheren Schulen. Ein Beitrag zur Konzentration im Unterricht, in: Zeitschrift für Deutschkunde, Jg. 34 (1920), S. 488-493.

Anm. 24
WAETZOLDT, Stephan, Die Aufgabe des neusprachlichen Unterrichts und die Vorbildung der Lehrer [vervollständigter und erw. Fassung des auf dem 5. Allgemeinen Deutschen Neuphilologentages zu Berlin 1892 gehalteten Vortrages], Berlin 1892.

Anm. 25
DEHIO, Georg, Geschichte der deutschen Kunst. Des Textes erster Band, 2. Aufl. Berlin [u.a.] 1921, S. V: "Deutsche Kunst verstehen heißt: uns selbst verstehen, unsere angeborenen Anlagen und was das Schicksal aus ihnen gemacht hat, unser Selbstgeschaffenes und unser Erworbenes, unser Erreichtes und unser Versämtes, unser Glück und unsere Verluste - alles in allem: die Kunst als etwas mit der Ganzheit des geschichtlichen Lebensprozesses unseres Volkes unlöslich Verbundenes."

Anm. 26
TROELTSCH, Ernst, Humanismus und Nationalismus in unserem Bildungswesen. Vortrag, gehalten in der Versammlung der Vereinigung der Freunde des humanistischen Gymnasiums in Berlin und der Provinz Brandenburg am 28. November 1916, Berlin 1917.

Anm. 27
PETERS, Ulrich, Die soziologische Bedingtheit der Schule (=Ziele und Wege der Deutschkunde, 5), Frankfurt 1922, S. 108-117: Kap. 'Die deutsche Oberschule als Arbeitsschule'.

Anm. 28
SPRANGER, Eduard, Humanismus und Jugendpsychologie. Vortrag, gehalten in der Versammlung der Vereinigung der Freunde des Humanistischen Gymnasiums in Berlin und in der Provinz Brandenburg am 3. Dezember 1921, Berlin 1922.

Anm. 29
Neues im altsprachlichen Unterricht. 3 Preisreden. Albert Dresdner: Der Erlebniswert des Altertums und das Gymnasium. Richard Gaede: Welche Wandlung des griechischen und lateinischen Unterrichts erfordert unsere Zeit? Ottomar Wichmann: Der Menschheitsgedanke auf dem Gymnasium, Berlin 1918.

Anm. 30
S.: Verhandlungen der dreiundfünfzigsten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Jena vom 26. bis 30. September 1921, hrsg. von Benno von HAGEN, Leipzig 1922, S. 32f. (hier Hinweis auf Vortrag von Walther Kranz (1884-19..) (Berlin-Grunwald) über 'Die Aufgabe der klassischen Studien auf dem Gymnasium').

Anm. 31
Mathematisches Lesebuch. 1.-2. Bd. für die Mittelstufe, 3.-5. Bd. für die Oberstufe höherer Lehranstalten aller Art, die Volkshochschulen, Fachschulen usw., hrsg. von Wilhelm DIECK, Sterkrade 1920/21.

Anm. 32
BEHAGEL, Otto, Die deutsche Sprache (=Das Wissen der Gegenwart, 54), 6. Aufl. Wien [u.a.] 1917.

Anm. 33
STRAUß, Emil, Freund Hein. Eine Lebensgeschichte, Berlin 1902.

Anm. 34
KESTENBERG, Leo, Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig 1921.

Anm. 35
Gemeint ist der Erlaß 'Freiere Gestaltung des Unterrichts auf der Oberstufe der höheren Schule' vom 24.01.1922, abgedr. in: Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen, Jg.64 (1922), Heft 3 (05.02.1922), S. 38f.; wieder in: Deutsches Philologen-Blatt, Jg. 30 (1922), S. 92f.; wieder in: Der Elternbeirat Jg. 3 (1922), S. 180-183.


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