Zusammenfassung:
Die Arbeit stellt einen neuen Ansatz im Fachbereich der Motologie/Psychomotorik vor, der sich auf die theoretischen Grundlagen der Individualpsychologie (IP) Alfred ADLERs bezieht. Jene tiefenpsychologische Richtung bietet der Motologie mit ihren Konzepten einer als Organdialekt bezeichneten Körpersprache, des Bewegungsgesetzes und dem Anspruch einer ganzheitlich verstehenden Ausrichtung interessante Anknüpfungspunkte.
Die vorgestellten Überlegungen gliedern sich mit Lebensweltanalyse (A), herangezogener Entwicklungstheorie (B), entworfener Praxeologie (C) und Fallbeispiel (D) in vier Hauptkapitel.
Dabei skizziert die Lebensweltanalyse die Postmodernediskussion. Diese scheint in dreifacher Hinsicht relevant: (1.) zur Darstellung der aktuellen Herausforderungen des Individuums, auf die jene ausgewählte Entwicklungstheorie und beschriebene Praxeologie spezifische Antworten vorschlagen, (2.) zur Verdeutlichung der Kompatibilität postmoderner und individualpsychologischer Überzeugungen und (3.) zur Legitimierung des Festhaltens an einem ganzheitlichen Menschenbild, gemäss dem jeder einzelne angehalten ist, seine Einheit unter den Bedingungen wechselnder Teilhabe an komplexen Zusammenhängen immer wieder zu erneuern. Als Ergebnis des Kapitels werden für eine den umrissenen Anforderungen genügende Entwicklungstheorie drei originäre Bezugspunkte festgehalten: die Annahme eines Kernselbst, das den postmodernen Erschütterungen der individuellen Einheit Orientierung bietet, die Propagierung einer gebundenen Flexibilität, die der Beliebigkeit gleichwertiger Alternativen individuelle Grenzen setzt und so eine Profilierung erlaubt sowie die explizite Beachtung der menschlichen Leiblichkeit, die zum einen im Erspüren der erlebten Differenzen Wertehierarchisierungen konstituiert und in der damit zum anderen das bisherige Gewordensein – das in ihr aufgehoben ist – als Ausgangspunkt für das perspektivische Werden zusammenfällt.
Das Kapitel der Entwicklungstheorie orientiert sich an den genannten originären Bezugspunkten, die nun auf ihre individualpsychologischen Korrelate untersucht werden. Dies erfolgt zunächst in der Beschreibung des zugrundeliegenden Menschenbildes und anschliessend anhand einzelner isolierter Konzepte zur Persönlichkeitstheorie der IP, die zuletzt in ein differenziertes Entwicklungsmodell zusammengeführt werden. Ausgehend von der intentionalen Einheit des Individuums, das sich im Zuge von unvermeidbaren Ohnmachtsgefühlen und resultierender Kompensation dynamisch stabilisiert und erweitert, zeigen die das individuelle Bewegungsgesetz konkretisierenden Prioritätsausprägungen die Kompensationsrichtung an, die über autonom-personale oder gemeinschaftlich-soziale Ressourcenaktivierung entweder individuellen Sicherheits- oder Lust- bzw. Machtbestrebungen folgen. Die dabei zentralen Prioritäten beschreiben abstrahierte Verhaltensstrategien, von deren Erfüllung (Überlegenheit, Kontrolle, Gefallen, Bequemlichkeit) sich das Individuum Schutz vor befürchteten Erfahrungen (Bedeutungslosigkeit, Ausgeliefertsein, Ablehnung, Überforderung) erhofft.
Das Erkennen dieser bipolar angelegten Verhaltensprioritäten steht im Mittelpunkt des ersten Teils der Praxeologie. Im Sinne einer Förderdiagnostik werden sie über acht Betrachtungsfelder der psychomotorischen Praxis spezifiziert. Die notwendige Unterscheidung zwischen tendenziellen Prioritätsausprägungen, die eine entsprechende Disposition beinhaltet, dem Vertreter aber eine prinzipielle Handlungsfreiheit in seiner Problemlösungssuche ermöglicht und einer fixierten Variante, die eben diese Freiheit in einer alternativlosen Abwehrstrategie aufhebt, eröffnet das Interventionsziel des dargelegten Ansatzes: die Überwindung jener fixierten Prioritätsausprägungen zugunsten grösserer individueller Variationsbreite. Dazu wird eine vierstufige Methodik (Akzeptanz, Konfrontation, Toleranz, De- und Neukonstruktion) vorgeschlagen, die sich jedoch nur auf die Prioritätenanalyse bezieht, in der das individuelle Bewegungsgesetz gemäss definierter Kategorien verallgemeinert und typisiert wird. Die Teleoanalyse verlangt ein individualisiertes Vorgehen und wird dann herangezogen, wenn dem Individuum eine der beiden Sicherungsdimensionen, Autonomie oder Gemeinschaft, versperrt scheint. In ihr werden die zuvor abstrahierten Beobachtungen gemäss individueller Parameter interpretiert: sie sucht die Ursache eines konkreten Verhaltens und die zugrundeliegende Zielfiktion.
Das abschliessende Fallbeispiel gibt einen Einblick in die praktische Arbeit mit diesem Konzeptionsentwurf. Die nämliche Fallstudie wird im Anschluss noch aus der Sicht etablierter Ansätze der Motologie diskutiert. Nach dieser Tiefendifferenzierung der ansatzspezifischen Unterschiede, stellen einige Metaüberlegungen zu jenen Ansätzen, in die sich die prioritäten- und teleoanalytische Variante einordnen möchte, die Gemeinsamkeiten heraus.
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