Wie sind Medizinstudierende gegenüber Früherkennungsuntersuchungen eingestellt und welche Faktoren nehmen Einfluss auf die Meinungsbildung? What are medical students' attitudes towards screening tests and what factors influence their opinions?

Hintergrund: Gesundheit gehört zu den wichtigsten Gütern der Menschen. Früherkennungsuntersuchungen sollen Krankheiten und ihre Vorstufen früh erkennen oder verhindern. Der Nutzen vieler Früherkennungsuntersuchungen wird in der Bevölkerung überschätzt und die Risiken unterschätzt. Daher stellt die...

Full description

Saved in:
Bibliographic Details
Main Author: Kühlewind, Anne
Contributors: Donner-Banzhoff, N. (Prof. Dr.) (Thesis advisor)
Format: Doctoral Thesis
Language:German
Published: Philipps-Universität Marburg 2025
Subjects:
Online Access:PDF Full Text
Tags: Add Tag
No Tags, Be the first to tag this record!
Description
Summary:Hintergrund: Gesundheit gehört zu den wichtigsten Gütern der Menschen. Früherkennungsuntersuchungen sollen Krankheiten und ihre Vorstufen früh erkennen oder verhindern. Der Nutzen vieler Früherkennungsuntersuchungen wird in der Bevölkerung überschätzt und die Risiken unterschätzt. Daher stellt die Beratung durch Vermittlung von evidenzbasierten Informationen unter Berücksichtigung individueller Werte und Bedürfnisse des Patienten/der Patientin eines der wichtigsten Instrumente dar, damit die betroffene Person eine informierte Entscheidung treffen können. Mediziner*innen weisen teilweise ein Defizit an Faktenwissen und einen suboptimalen Umgang mit evidenzbasierten Daten auf, was sich in mangelhaften Beratungsgesprächen widerspiegelt. Um die zukünftige Beratung der Patienten/Patientinnen zu verbessern, fokussierten wir uns auf die folgende Generation – auf die angehenden Mediziner*innen. Unsere Forschungsfrage war: „Wie beschreiben die Medizinstudierenden ihre Einstellung zu Früherkennungsuntersuchungen und welche Faktoren nehmen Einfluss auf ihre Sichtweise?“ Sekundär interessierte uns ihre Einschätzung zur eigenen Umsetzung und Anforderungen an Beratungsgesprächen, um mögliche Implikationen für die Lehre ableiten zu können. Methodik: Für die Beantwortung der explorativen Fragestellung wurde ein qualitativer Ansatz verfolgt. In Face-to-Face-Einzelinterviews befragten wir 14 Medizinstudierende zwischen 20 und 30 Jahren aus unterschiedlichen Semestern. Die Datenerhebung erfolgte mit Hilfe eines semistrukturierten Interviewleitfadens. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, transkribiert und mit Unterstützung einer Software inhaltsanalytisch ausgewertet. Hierbei wurde ein gemischt deduktiv - induktiver Ansatz verfolgt.   Ergebnisse: Die Medizinstudierenden besitzen grundsätzlich eine positive Einstellung zu Früherkennungsuntersuchungen. Krankheiten früh zu erkennen, dadurch besser zu therapieren und womöglich das Leben zu verlängern wurde als wichtigster Grund für diese positive Sichtweise der Studierenden genannt. Trotzdem merkte ein Großteil der Studierenden auch kritische Aspekte an, die sie die jeweiligen Untersuchungen differenziert bewerten lassen. Unterschiedliche Emotionen wie Angst, Beruhigung, Pflichtgefühl oder Antizipierte Reue spielen sowohl in der eigenen Entscheidung als auch in der Beraterfunktion für oder gegen eine Teilnahme an einer FU eine bedeutende Rolle. Das Wissen und die Erfahrungen aus dem Studium sowie Krankheitsfälle aus dem Familien- und Freundeskreis hatten laut der Studierenden den wichtigsten Einfluss auf ihre Meinungsbildung zu FU. Diskussion: Im Einklang mit anderen Studien zeigen unsere Ergebnisse, dass auch die Studierenden eine stark positive Einstellung zu FU haben und hierbei den Nutzen von FU sehr positiv bewerten, mögliche Risiken aber weniger diskutieren. Sie legen bei der Beratung großen Wert auf ein umfassendes Informationsgespräch mit einer individuellen Nutzen-Risiko-Analyse, um potenzielle Schäden von Patienten/Patientinnen abzuwenden. Wenn es jedoch um das eigene Teilnahmeverhalten geht, entschieden sich Studierende eher interessensgeleitet und weniger rational in Bezug auf eine Schadensabwägung. Affektivität hat einen erheblichen Einfluss auf die Einstellung der Studierenden zu Früherkennung und kann sich im späteren Arztberuf nachteilig zum Beispiel in Form von Defensivmedizin und Überversorgung in der Patientenversorgung auswirken.   Schlussfolgerung für die Praxis: Das Thema Früherkennung bedarf in der medizinischen Ausbildung einer kritischen Auseinandersetzung. Früherkennungsuntersuchungen sollten nicht unkritisch propagiert werden. Chancen und Risiken von Früherkennungsuntersuchungen sollten realistisch dargestellt werden. Nur damit haben die Patienten/Patientinnen die Möglichkeit auf eine informierte Entscheidung. Dabei sollten bedeutende Aspekte wie Evidenzkompetenz für die Beurteilung des Nutzens und auch der starke Einfluss von Emotionen thematisiert werden, um gut informierte und entscheidungssichere Ärzte /Ärztinnen auszubilden und Defensivmedizin sowie Überversorgung zu vermeiden.  
DOI:10.17192/z2025.0186