Die psychische Gesundheit von Asylsuchenden- Der Einfluss somatischer Symptome und Diskriminierungserfahrungen sowie Ansätze zur Verbesserung

Basierend auf dem Forschungszweig der transkulturellen klinischen Psychologie untersucht die vorliegende Dissertation Faktoren, welche mit der psychischen Gesundheit in Deutschland lebender asylsuchender Personen in Zusammenhang stehen. Darüber hinaus wird eine kultursensitive psychoedukative Gruppe...

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Main Author: Giesebrecht, Julia Magdalena
Contributors: Nater-Mewes, Ricarda (Priv.-Doz. Dr. Dr. Dipl.-Psych.) (Thesis advisor)
Format: Doctoral Thesis
Language:German
Published: Philipps-Universität Marburg 2024
Subjects:
Online Access:PDF Full Text
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Description
Summary:Basierend auf dem Forschungszweig der transkulturellen klinischen Psychologie untersucht die vorliegende Dissertation Faktoren, welche mit der psychischen Gesundheit in Deutschland lebender asylsuchender Personen in Zusammenhang stehen. Darüber hinaus wird eine kultursensitive psychoedukative Gruppenintervention zur Verbesserung der mentalen Gesundheit Asylsuchender vorgestellt und deren Evaluation, die in Deutschland und Österreich erfolgte, diskutiert. Die erste Studie untersucht die Auswirkungen unerklärter somatischer Symptome und der B-Kriterien (Gesundheitsängste, ein katastrophisierender Denkstil und/oder exzessive Reaktionen auf körperliches Unbehagen) der DSM-5 Diagnose Somatische Belastungsstörung auf die Lebensqualität in Deutschland lebender asylsuchender Personen. Bei Asylsuchenden lässt sich eine hohe Prävalenz somatischer Symptome beobachten, die häufig mit anderen psychischen Störungen assoziiert sind. In der querschnittlichen Erhebung wurden neben somatischen Symptomen auch posttraumatische und depressive Symptome sowie Postmigrationsstressoren erfasst. Mittels multipler Regressionsanalysen in der Gesamtstichprobe und in Gruppen verschiedener somatischer Belastungsgrade (mild/moderat und schwer) wurden die Zusammenhänge zwischen den somatischen Symptomen und den psychobehavioralen B-Kriterien im Hinblick auf die Lebensqualität untersucht. Schlafprobleme und Schmerzen wurden am häufigsten als somatische Symptome genannt und über die Hälfte der Stichprobe erfüllte alle drei B-Kriterien der Somatischen Belastungsstörung. In der Gesamtstichprobe korrelierten stärkere depressive und somatische Symptome mit einer geringeren Lebensqualität, während die B-Kriterien damit nicht assoziiert waren. Allein die Gruppe mit einem schweren Belastungsgrad somatischer Symptome zeigte eine reduzierte Lebensqualität im Zusammenhang mit dem B-Kriterium Verhalten (exzessive Reaktionen auf körperliches Unbehagen). Letztlich erscheint das B-Kriterium Verhalten neben depressiven und somatischen Symptomen für asylsuchende Menschen mit schwerwiegenden somatischen Symptomen von besonderer Bedeutung für die Lebensqualität zu sein. Die zweite Studie befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen ethnischer sowie institutioneller Diskriminierung, mentaler Gesundheit, Haarkortisolkonzentrationen (hair cortisol concentrations: HCC) und protektiven Faktoren bei asylsuchenden Personen. Sowohl auf der Flucht als auch im Aufnahmeland (hier Deutschland) macht diese Gruppe häufig diskriminierende Erfahrungen, die zu chronischen Stressreaktionen und einer Beeinträchtigung der mentalen Gesundheit führen können. Ein gängiges physisches Korrelat für die Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA-Achse) ist eine erhöhte Kortisolkonzentration im Haar. Die vorliegende Studie untersucht, ob die wahrgenommene Diskriminierung (aktiv, passiv, institutionell) mit der mentalen Gesundheit und den HCC Asylsuchender assoziiert ist. Dabei werden auch potenzielle protektive Faktoren wie soziale Unterstützung und die Identifikation mit der eigenen Gruppe berücksichtigt. Zur Erfassung der mentalen Gesundheit wurden somatische, depressive und posttraumatische Symptome erhoben. Mithilfe von multiplen Regressionsanalysen wurden die Variablen auf ihre Zusammenhänge hin überprüft. Die beiden protektiven Faktoren wurden als potenzielle Moderatoren in die Modelle aufgenommen. Alle Maße der psychischen Gesundheit korrelierten mit aktiver Diskriminierung und erhöhte depressive Symptome hingen mit allen drei Diskriminierungsformen (aktiv, passiv, institutionell) zusammen. Jedoch zeigte sich zwischen wahrgenommener Diskriminierung und HCC keine Assoziation. Eine geringere soziale Unterstützung hing zwar mit erhöhten Werten aller psychischer Symptome zusammen, jedoch konnte der Zusammenhang zu Diskriminierungserfahrungen durch soziale Unterstützung nicht abgefedert werden. Die mentale Gesundheit scheint durch Diskriminierungserfahrungen negativ beeinflusst worden zu sein, dieser Zusammenhang spiegelt sich aber nicht in erhöhten HCC wider. Die dritte Studie präsentiert eine kurze, psychoedukative und transdiagnostische Gruppenintervention, die den Namen Teegarten (tea garden: TG) trägt. Das Ziel des TG ist die Vermittlung von Wissen über psychische Gesundheit, wobei ein besonderer Fokus auf einer kultursensitiven Einbettung für asylsuchende Personen unterschiedlicher Herkunft liegt. Neben Kultur- und Sprachbarrieren ist fehlendes Wissen über psychische Symptome und deren Behandlung häufig ein Grund dafür, dass betroffene Personen keine psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Die Evaluation des TG in Deutschland und Österreich zeigte dessen Durchführbarkeit und Akzeptanz. Eine quantitative Auswertung ergab außerdem, dass die Gruppenintervention sowohl von männlichen als auch weiblichen Teilnehmenden aus verschiedenen Herkunftsländern (z.B. Syrien, Afghanistan, Pakistan, Irak) als hilfreich empfunden wurde. Selbst solche Personen, die bereits einige Jahre in den Aufnahmeländern gelebt hatten, profitierten von den im Teegarten vermittelten Informationen. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften des Teegartens, kultursensitiv, transdiagnostisch und niederschwellig zu sein, kann dieser flexibel eingesetzt werden und betroffene Personen und jene ohne Symptome, die ihr erworbenes Wissen zur Unterstützung anderer nutzen können, gleichermaßen für psychische Erkrankungen sensibilisieren. Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass asylsuchende Menschen eine Gruppe mit hoher psychischer Belastung darstellen. Zu den Faktoren, die sich auf die Lebensqualität und psychische Gesundheit auswirken, zählen unerklärte somatische Symptome sowie ethnische und institutionelle Diskriminierung. Die Behandlung psychischer Störungen sollte im Fokus der Versorgung stehen und Barrieren für die Inanspruchnahme wie beispielsweise fehlendes Wissen über Angebote sollten bestmöglich minimiert werden. Die vorliegende Dissertation zeigt mit der Vorstellung und Evaluation einer kultursensiblen, psychoedukativen Gruppenintervention eine Möglichkeit auf, diesem Problem zu begegnen. Zudem liefert sie neue Erkenntnisse für die Behandlungsplanung und Diagnostik geflüchteter Menschen mit unerklärten somatischen Symptomen und unterstreicht die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Diskriminationserfahrungen für die psychische Gesundheit dieser Personengruppe.
DOI:10.17192/z2025.0068