Akzeptanz einer Standard Operating Procedure (SOP) im stationären Setting am Beispiel der „SOP – Prophylaxe und Therapie von PONV (postoperative nausea and vomiting)“

Postoperative Übelkeit und Erbrechen sind vergleichsweise häufige, potentiell vermeidbare Ereignisse, die sowohl die Patient*innenzufriedenheit als auch das körperliche und ökonomische Outcome beeinflussen. Der Einführung evidenzbasierter PONV-Prophylaxe und -Therapieregime stehen nicht ausreichend...

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Main Author: Ritzhaupt, Hanna Erna Susanne
Contributors: Eberhart, Leopold (apl. Prof. Dr. med.) (Thesis advisor)
Format: Doctoral Thesis
Language:German
Published: Philipps-Universität Marburg 2024
Subjects:
Online Access:PDF Full Text
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Description
Summary:Postoperative Übelkeit und Erbrechen sind vergleichsweise häufige, potentiell vermeidbare Ereignisse, die sowohl die Patient*innenzufriedenheit als auch das körperliche und ökonomische Outcome beeinflussen. Der Einführung evidenzbasierter PONV-Prophylaxe und -Therapieregime stehen nicht ausreichend sinkende PONV-Inzidenzen gegenüber, denen eine mangelnde klinische Implementierung der Leitlinien zu Grunde zu liegen scheint. Um die Inzidenzen weiter zu minimieren, müssen der Einführung von Leitlinien Kontrollen von Compliance und Outcome folgen. Eine solche Überprüfung der Marburger ‚SOP – Prophylaxe und Therapie von PONV‘ fand bisher nicht statt. Zur Überprüfung der Akzeptanz der SOP wurden Daten von 1216 Patient*innen mit Hinblick auf deren PONV-Prophylaxe und -Therapie analysiert und bezüglich deren SOP-Konformität und des PONV-Auftretens (mit Hilfe der ‚Simplified PONV Impact Scale‘ (SPIS) nach Myles & Wangritzky) beurteilt. Im Anschluss fanden halbstandardisierte Interviews in OP und Aufwachraum mit den Behan delnden statt, um Gründen für ein nicht SOP-konformes Handeln nachzugehen und Optimierungsansätze zu erarbeiten. Die Marburger SOP wurde im Bereich der PONV-Prophylaxe vergleichsweise häufig umgesetzt. Trotzdem erfüllte jede achte Prophylaxe nicht die Vorgaben der SOP. Patient*innen, die eine insuffiziente Prophylaxe erhielten, wiesen auffallend viele Risikofaktoren auf. Vor allem solche Risikofaktoren, die anamnestisch erhoben werden mussten, wie der Raucher*innenstatus und positive Reiseübelkeit erhöhten das Risiko einer Untertherapie. Im Gegensatz dazu hatten das weibliche Geschlecht, die OP-Dauer oder ein erhöhter postoperativer Opioidbedarf einen weniger starken Einfluss. Ein explizit gefährdeter Fachbereich zeichnete sich nicht ab. Patient*innen der Urologie wiesen jedoch ein besonders geringes Risiko auf, eine insuffiziente Prophylaxe zu erhalten. Patient*innen, die eine insuffiziente Prophylaxe erhalten hatten, berichteten post- operativ häufiger über Übelkeit und Erbrechen. Vor allem Patient*innen unter einem hohen a priori Risiko entwickelten deutlich häufiger PONV-Symptome, wurde ihnen eine insuffiziente Prophylaxe zuteil, als Patient*innen mit dem gleichen Risikoprofil, die eine SOP-getreue Prophylaxe erhalten hatten. Gleiches zeigte sich auch in der Analyse klinisch relevanten PONVs (SPIS ≥ 5). Jede dritte PONV-Therapie im Aufwachraum enthielt ein bereits prophylaktisch verabreichtes Antiemetikum. In den meisten Fällen handelte es sich dabei um Granisetron. Damit wurden diese Patient*innen nicht nur weniger effektiv, sondern auch nicht SOP-konform therapiert. Hinweise für die vergleichsweise niedrige SOP-Adhärenz im Aufwachraum gaben unter anderem die Interviews. Zwei der vier befragten Pflegefachkräfte im Aufwachraum kannten die SOP nicht. Eine weitere gab an, sich bei ihrer Therapieplanung weniger auf die SOP, sondern vielmehr auf ihre langjährige Erfahrung zu stützen. Die erneute Vorstellung der SOP und ihrer evidenzgestützten Hintergründe im Rahmen einer Fortbildung könnte hier zu einer gesteigerten Compliance führen. Außerdem sollte die SOP gut sichtbar in OP und AWR angebracht sein und so als ständige Erinnerung dienen. Der Inhalt der SOP wurde im Rahmen der Interviews überwiegend gelobt. Vor allem die freie Gestaltung lasse den Behandelnden ausreichend Spielraum in der Prophylaxe- und Therapieplanung, während zur Verfügung stehende Präparate durch Auflistung in der SOP bekannt seien. Optimierungsbedarf wurde vor allem in Bezug auf Design und Übersichtlichkeit geäußert. Eine Anpassung des SOP-Layouts an andere klinikinterne Leitlinien mit farblicher Gestaltung wurde gefordert. Anmerkungen wie die Aufnahme von relativen Kontraindikationen, Zeitpunkt der Medikamentenapplikation oder Priorisierung der Antiemetika zur PONV-Therapie waren vor allem mit Blick auf ohnehin schon mangelnde Übersichtlichkeit kritisch zu bewerten. Neben (regelmäßiger) Schulungen verspricht die Einführung individueller Rückmeldung zur persönlichen SOP-Treue der Behandelnden und resultierender PONV-Inzidenzen eine weitere Steigerung der SOP-Adhärenz im OP-Bereich und Aufwachraum. Der erhebliche Aufwand ist dabei jedoch gegen den möglichen Nutzen abzuwägen. Die Etablierung von Checklisten stellt eine, wenngleich nicht unumstrittene, Alternative für die Steigerung der SOP-Adhärenz im OP dar. Die Einleitung solcher Maßnahmen sollte optimalerweise durch Interventionsstudien begleitet werden, um die Effektivität der jeweiligen Methode zu prüfen. Die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen hält weitere hoch effektive Möglichkeiten zur Steigerung der Leitlinien-Compliance, wie die Einführung elektronischer Erinnerungssysteme im Rahmen elektronischer Anästhesieprogramme, bereit.
DOI:10.17192/z2025.0022