Erzählen, Denken, Handeln. Die epistemische Valens von Narrativen aus der Perspektive einer neoaristotelischen Erzähltheorie

Kurzzusammenfassung: Erzählen, Denken, Handeln Die epistemische Valenz von Narrativen aus der Perspektive ei-ner neoaristotelischen Erzähltheorie In Forschungsanträgen, Patientengesprächen, historischen Dar-stellungen, Reportagen, Polizeiberichten, Kosmogonien, Evoluti-onstheorien und Biografien...

Full description

Saved in:
Bibliographic Details
Main Author: Dreyer, Malte
Contributor: Philipps Universität Marburg (Issuing body)
Contributors: Demmerling, Christoph (Prof. Dr.) (Thesis advisor)
Format: Doctoral Thesis
Language:German
Published: Philipps-Universität Marburg 2022
Subjects:
Online Access:PDF Full Text
Tags: Add Tag
No Tags, Be the first to tag this record!
Description
Summary:Kurzzusammenfassung: Erzählen, Denken, Handeln Die epistemische Valenz von Narrativen aus der Perspektive ei-ner neoaristotelischen Erzähltheorie In Forschungsanträgen, Patientengesprächen, historischen Dar-stellungen, Reportagen, Polizeiberichten, Kosmogonien, Evoluti-onstheorien und Biografien wird erzählt. Mit all diesen sprachli-chen Praxen verbinden sich bestimmte Aussageabsichten und Erkenntnisinteressen. Doch was geben uns diese Erzählungen eigentlich zu wissen? Unterscheidet sich erzählend vermitteltes Wissen, weil es erzählend vermittelt wird, von nicht-erzählend vermitteltem Wissen? Und müssen wir gar erzählen, um jeman-dem bestimmte Kenntnisse vermitteln zu können? In der Philosophie der Erzählung herrscht sowohl in Hinblick auf die Form erzäh¬lend vermittelten Wissens als auch in Hinblick auf den zugrunde gelegten Narrationsbegriff keine Einigkeit. Die De-batte um die Form und den Gehalt narrativen Wissens kreist in der Hauptsache um die Fragen, wie verlässlich durch Erzählungen vermitteltes Wissen ist, ob spezifische Gehalte existieren, die ausschließlich narrativ vermittelbar sind, und ob das Verhältnis zwischen erzählender Person und Erzählung sich von dem einer sprechenden Person zu einem nicht-narrativen Ausdruck unter-scheidet. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zu diesen aktuellen Forschungsfragen und macht im ersten Teil vor dem Hintergrund einer eigenständig erarbeiteten Bestimmung von „Erzählen“ und „Erzählung“ einen Vorschlag zur Beantwortung dieser Fragen. Ausgangspunkt ist dabei eine insbesondere in der klassischen Narratologie und in der analytischen Philosophie viel diskutierte Bestimmung von „Erzählung“, der zufolge Erzählungen aus kausal und temporal zusammenhängenden, semantischen Einheiten oder „Ereignissen“ bestehen. Darüber hinaus wird von der For-schung in verschiedenen, meist explikationsbedürftigen Formu-lierungen eine sogenannte „subjektive Perspektive“ eine „Inten-tionalitätsbedingung“ oder eine besondere Art emotionaler In-volviertheit postuliert, um damit der Beobachtung Rechnung zu tragen, dass Erzählungen von Wesen handeln, die Wünsche ha-ben, Absichten verfolgen und sich Zwecke setzen. Diese Bestimmung zieht jedoch zahlreiche Anschlussfragen nach sich. Zum einen ist in Bezug auf die Form des Ereigniszusammen-hanges – im Folgenden narrative Kohärenz genannt – ungeklärt, worin sich Erzählungen von Beschreibungen technischer Prozesse etwa in Gebrauchsanweisungen oder den Darstellungen von Stoffwechselprozessen in Medizinbüchern unterscheiden. Wird narrative Kohärenz ausschließlich als Kausalkonjunktion be-stimmt, wird der Unterschied zwischen der Beschreibung eines technischen Kausalprozesses und einer Erzählung eingezogen. Zum anderen fehlt eine einheitliche und präzise Explikation des Bezugsgegenstands von Erzählungen – hier narrative Referenz genannt. Die Bezeichnungen „subjektiv“, „intentional“ oder „emotional“ erweisen sich entweder als anfällig gegen Einwände durch Beispielerzählungen, die die genannten Bedingungen nicht erfüllen, oder ziehen terminologische und epistemologische Anschlussprobleme nach sich. Mein Vorschlag im Hauptteil der Arbeit knüpft an diese Theorie-diagnose an. Dabei gehe ich davon aus, dass die oben formulier-ten Problemstellungen zur narrativen Referenz innig mit denen zur narrativen Kohärenz verschränkt sind. Im Anschluss an eine Aristotelische Strömung, die von Hannah Arendt über Arthur C. Danto und J. David Vellemann bis in zahlreiche gegenwärtige Debattenbeiträge reicht – etwa die von Gregory Currie oder Noël Carroll – argumentierte ich in diesem Sinne für die Annah-me, dass narrative Kohärenz nicht durch eine kausale Vermitt-lung semantischer Einheiten zustande kommt, sondern durch die Art von Logik, mit der wir praktische Zusammenhänge denken. Erzählungen verfügen über eine besondere Form der Kohärenz, weil sie notwendig von Handlungen handeln. Der besagte praktische Zusammenhang verknüpft Gründe mit Handlungen oder Handlungen und Folgehandlungen. Im Gegen-satz zu den bisher diskutierten Formen narrativer Kohärenz wei-sen praktische Zusammenhänge ein präzise bestimmbares Kon-tingenzmoment auf. In Teil II präzisiere ich diese Art von prakti-schem Zusammenhang mit Hilfe eines neoaristotelischen Hand-lungsbegriffes, für den die Ausarbeitungen von Michael Thomp-son und Douglas Lavin repräsentativ sind. Dabei zeige ich, dass mit Hilfe dieses Handlungsbegriffes das lediglich am Rande analy-tischer Debatten thematisierte Verhältnis von Handlungsbe-schreibungen und Narrationen einer grundlegenden Analyse zu-gänglich gemacht werden kann. Zusätzlich wird mit Blick auf mög-liche Anschlussforschungen erörtert, welchen Ort narrative Infe-renzen im Rahmen einer zeitgemäßen philosophischen Anthro-pologie einnehmen könnten. Am Ende des Hauptteils zeige ich schließlich auf, dass aristote-lisch inspiriertes Nachdenken über Erzählungen in der verborge-nen Tradition einer ganzen Reihe moderner philosophischer Klassiker des 20. Jahrhunderts steht. In der Rekonstruktion zwei-er dieser philosophischen Klassiker – Hannah Arendt und Alasdair Macintyre – spüre ich Varianten der anthropologischen und handlungstheoretischen Grundannahmen auf, die meine Arbeit tragen und vertiefe damit das Verständnis der hier vorgestellten neoaristotelischen Erzähltheorie.
Physical Description:283 Pages
DOI:10.17192/z2024.0473