Morbiditätsorientierung der regionalen hausärztlichen Bedarfsplanung
Die hausärztliche Bedarfsplanung zielt auf der Basis des §99 Sozialgesetzbuch V und der Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) auf eine bedarfsgerechte, flächendeckende und wohnortnahe Gesundheitsversorgung mittels der Festlegung der regionalen Verhältniszahl, die den Soll...
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Contributors: | |
Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2024
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Online Access: | PDF Full Text |
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Summary: | Die hausärztliche Bedarfsplanung zielt auf der Basis des §99 Sozialgesetzbuch V und der Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) auf eine
bedarfsgerechte, flächendeckende und wohnortnahe Gesundheitsversorgung mittels
der Festlegung der regionalen Verhältniszahl, die den Soll-Wert an Hausärzt*innen
angibt. Dabei werden Alter, Demografie und Krankheitslast der Bevölkerung mitberücksichtigt. Während der Ist-Wert der hausärztlichen Verteilung in der Literatur vielfach untersucht wurde, ist der Soll-Wert insbesondere seit der Implementierung des Morbiditätsfaktors noch unzureichend überprüft worden. Ziel der Studie war es zu überprüfen, inwiefern die hausärztliche Bedarfsplanung auf Landkreisebene ausreichend morbiditätsorientiert erfolgt und des Weiteren zu klären, ob regionale Unterschiede auftreten und diese in Zusammenhang mit Strukturmerkmalen oder sozialer Deprivation stehen. Dafür wurde der Zusammenhang zwischen der nach Bedarfsplan vorgegebenen Anzahl an Hausärzt*innen und dem Bedarf in Form regionaler Prävalenzwerte der Krankheiten Asthma, COPD, Diabetes mellitus Typ II und KHK aus den Gesundheitsatlanten des Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) sowie dem Quotienten ‚Hausärzt*innen je Krankheitspopulation‘ mittels Pearson- bzw. Spearman-Korrelation überprüft. Außerdem werden Unterschiede der Landkreise und kreisfreien Städte, mit Ausnahme der Landkreise im Ruhrgebiet, zwischen den Bundesländern, Ost- und Westdeutschland, den Kreis-, Raum und Regionstypen mittels Bayes-Faktor untersucht und Zusammenhänge – ebenso wie die Zusammenhänge zwischen morbiditätsorientierter Bedarfsplanung und GISD Index, der die sozioökonomische Deprivation darstellt, mittels Spearman-Korrelation analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass in Landkreisen mit höheren Diabetes-, KHK-, Asthma- und COPD-Prävalenzen der Bedarfsplan den Sollwert nicht ausreichend anpasst: Es besteht ein negativer Zusammenhang großer Effektstärke zwischen ‚Zunahme der Hausärzt*innensitzdichte je Krankheitspopulation‘ und ‚Zunahme der Prävalenz‘ (r (Diabetes)=-0,89; r(KHK)=-0,93; r(COPD)=-0,92; r(Asthma)=-0,85). Die Werte unterscheiden sich zwischen den Bundesländern, wobei für alle Gruppen ein Bayes-Faktor von >1000 gilt. In der Betrachtung von Merkmalen aus der Stadt- und Raumforschung sind die Assoziationen der nach Bedarfsplan angegeben Anzahl an Hausärzt*innen je Krankheitspopulation und Prävalenz für die Diabetes- und KHK-Population am stärksten. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen dem
Soll-Wert an Hausärzt*innen je Diabetes- bzw. KHK-Population eines Landkreises und
der Lokalisation in Westdeutschland mit einer großen bzw. mittleren Effektstärke
(r(Diabetes)=0,60; r(KHK)=0,45). Bezogen auf Kreis-, Raum- und Regionstyp sind die
Zusammenhänge beider Populationen positiv und größtenteils mittlerer Stärke (r>0,3).
Weiter liegt ein negativer Zusammenhang großer Effektstärke zwischen GISD Index und der vorgegebenen Anzahl an Hausärzt*innen in Bezug auf die Diabetes-
(r(Diabetes)=-0,54), und KHK-Population (r(KHK)=-0,70) sowie ein moderater negativer Zusammenhang bezogen auf die COPD-Population (r=-0,44) vor. Für die COPD-Population sind ansonsten keine und für die Asthma-Populationen sind z.T. inverse Assoziationen zu beobachten. Alles in allem erfolgt der Bedarfsplan bezogen auf die Betrachtung der Diabetes- und KHK-Population nicht ausreichend morbiditätsorientiert und weist regionale Unterschiede auf. Ländliche, weniger besiedelte und im Osten gelegene Landkreise sowie weniger verdichtete Raumordnungsregionen werden benachteiligt. Die Ergebnisse könnten unter anderem die Ungleichverteilung des Ist-Wertes an Ärzt*innen, wie es die Literatur vielfach beschreibt, erklären. Eine umfassendere, flächendeckende und gleichmäßigere Bedarfsplanung könnte unter anderem durch die Mitberücksichtigung des sozioökonomischen Faktors und einer präziseren Betrachtung der Morbidität bei der Berechnung der regionalen Verhältniszahl erreicht werden. Um die vorliegenden Ergebnisse zu ergänzen, könnte eine differenziertere Betrachtung der Krankheitslast mittels DALYs (disability-adjusted life years) oder der Ermittlung der Multimorbidität, Untersuchungen der Qualität der ambulanten Versorgung mittels ACSHs (ambulatory care-sensitive hospitalization), oder eine Berücksichtigung der privaten Krankenversicherung sowie des stationären Sektors erfolgen. Detaillierte Analysen der deutschen Bedarfsplanung und das Identifizieren benachteiligter Gebiete tragen dazu bei, regionale Unterschiede in der ambulanten Gesundheitsversorgung zu erklären und zu beseitigen. Dennoch sollte erwähnt werden, dass eine flächendeckende, gleichmäßige und wohnortnahe Bedarfsplanung nicht zwangsläufig zu einer verbesserten Versorgungssituation beiträgt und das Ungleichverhältnis von Bedarf und Angebot von ärztlichem Personal bewältigt. Ein Anheben der Anzahl des ärztlichen Personals sowie eine attraktivere Gestaltung des hausärztlichen Berufs insbesondere auf dem Land seitens der Politik sind ebenso erforderlich. |
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DOI: | 10.17192/z2024.0314 |