Direkte orale Antikoagulanzien – eine medizinische Innovation oder eine Herausforderung in der Alterstraumatologie? Einblicke in die Praxis & Erkenntnisse rund um das perioperative Management
Aktuell ist jeder zehnte alterstraumatologische Patient dauerhaft antikoaguliert. Zur oralen Antikoagulation stehen Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) zur Verfügung. Inzwischen beträgt der Verordnungsanteil der DOAK mehr als 60 %. Dabei handelt es sich um eine...
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Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2022
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Online Access: | PDF Full Text |
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Summary: | Aktuell ist jeder zehnte alterstraumatologische Patient dauerhaft antikoaguliert. Zur oralen
Antikoagulation stehen Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)
zur Verfügung. Inzwischen beträgt der Verordnungsanteil der DOAK mehr als 60 %. Dabei handelt es
sich um eine eher neue Wirkstoffklasse, deren antikoagulatorischer Effekt auf der Hemmung
spezifischer Gerinnungsfaktoren (Faktor (F)-IIa, FXa) beruht. Aufgrund geringerer Blutungsrisiken,
kürzerer Halbwertszeiten, einer fehlenden Notwendigkeit für ein regelmäßiges Monitoring sowie
selteneren Arznei- und Lebensmittel-Interaktionen ist absehbar, dass die DOAK weiter an Bedeutung
gewinnen und die etablierten VKA nach und nach ablösen werden. In etwa 15 % der Fälle müssen
Patienten ihre antikoagulatorische Medikation für eine Operation (OP) unterbrechen. Trotz
zunehmender Erfahrungen und existierender Empfehlungen stellt das perioperative DOAKManagement
eine Herausforderung im klinischen Alltag dar.
Die vorliegende Studie untersuchte den Einsatz von DOAK im perioperativen Setting der
Alterstraumatologie des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie (ZfOU) des Uniklinikum Gießen
und Marburg – Standort Marburg. Neben einer Darstellung des bisherigen perioperativen Vorgehens
sollte diese Arbeit evaluieren, ob die DOAK-Einnahme den OP-Zeitpunkt bei Patienten mit proximaler
Femurfraktur verzögert. Weiter sollte die Adhärenz zu bestehenden Empfehlungen analysiert und auf
Basis der gewonnenen Ergebnisse eine präoperative Checkliste entwickelt werden.
In der retrospektiven Studie wurden die Krankenakten aller >60-jährigen Patienten mit DOAKMedikation,
die von 2015–2016 am ZfOU aufgrund eines operativen Eingriffs stationär behandelt
wurden, ausgewertet. Untersucht wurden Patientencharakteristika, OP-spezifische Parameter (z. B.
Blutungsrisiko des Eingriffs) sowie Aspekte des perioperativen Verlaufs (z. B Auftreten von
Komplikationen). Bei der Entwicklung der Checkliste für den klinischen Alltag wurde neben den
eigenen Daten auch der über eine Literaturrecherche ermittelte aktuelle Wissensstand berücksichtigt.
Eingeschlossen wurden 112 Patienten (FIIa- Inhibitor: n=19, 17 %; FXa-Inhibitor: n=93, 83 %) mit
einem mittleren Alter von 78±8 Jahre. Das Kollektiv bestand aus (multi-) morbiden Patienten unter
Polypharmazie (Anzahl an Medikamenten bei Entlassung 10±3) mit einer hohen Prävalenz für
Nierenfunktionseinschränkungen (anamnestisch n=20, 17,9 %, laborchemisch n=66, 74,1 %). Die
häufigste Indiktion für die DOAK-Einnahme war Vorhofflimmern (n=68, 73,9 %). 70 % der primären
OPs gingen mit einem niedrigen Blutungsrisiko einher. Die häufigste Diagnose waren Frakturen der
unteren Extremität (n=28, 30,1 %). Die mittlere Dauer zwischen stationärer Aufnahme und operativer
Versorgung betrug 34±38 h, die mittlere OP-Dauer 79±53 min. Bei 98 % der Patienten wurde die
antikoagulatorische Medikation perioperativ pausiert (präoperativ 48±44 h, postoperativ 238±240 h).
Es bestand kein signifikanter Unterschied bei der präoperativen Pausierungsdauer in Abhängigkeit vom
intraoperativen Blutungsrisiko (p=0,466). 90 % der Patienten erhielten Enoxaparin (ClexaneÒ); 60 %
davon in therapeutischer Dosierung und wurden somit einer Bridging-Maßnahme unterzogen.
Signifikante Unterschiede beim perioperativen Vorgehen zwischen der FIIa- und FXa-Inhibitor-Gruppe
fehlten. Bei 43 % der Patienten trat postoperativ mindestens eine Komplikation auf. Dabei dominierten
systemische oder mechanische Komplikationen. Fünf Patienten (3,8 %) erlitten eine
Blutungskomplikation, bei 16 Patienten (12,1 %) kam es zu einem Hämoglobin-Abfall und bei einem
Patienten (0,8 %) zu einem thrombembolischen Ereignis.
Ein Vergleich des perioperativen Managements mit den bestehenden Empfehlungen ergab eine
mangelnde Adhärenz insbesondere beim postoperativen Vorgehen im Sinne einer Verlängerung der
Pausierung. Ausgenommen davon waren Patienten mit Hochrisiko-Konstellationen (z. B. schwer
eingeschränkte Nierenfunktion, hohes intraoperatives Blutungsrisiko), die entsprechend den
Empfehlungen behandelt wurden. Die Datenanalyse ergab eine Reihe von Faktoren, die im
perioperativen Management berücksichtigt und präoperativ exploriert werden sollten. Auf der Basis der
Studienergebnisse und der Literaturauswertung wurde für das ZfOU eine Checkliste entwickelt.
Die proximale Femurfraktur ist eine häufige Verletzung in der Alterstraumatologie, bei der der OPZeitpunkt
die Morbidität und Mortalität stark beeinflusst. Daher existieren klare Richtlinien für die
operative Versorgung. Die DOAK-Einnahme gilt als Risikofaktor für eine verspätete operative
Versorgung. Im vorliegenden Kollektiv wurden Patienten mit proximaler Femurfraktur (16 % des
Gesamtkollektivs) signifikant (p=0,043) früher operiert als Patienten mit anderen Verletzungen. Die
mittlere Zeit zwischen Aufnahme und OP (17±9 h) war am ZfOU kürzer als in vergleichbaren Studien.
Zusammengefasst deuten die Ergebnisse auf ein heterogenes Vorgehen im perioperativen Setting trotz
klarer Empfehlungen hin. Zur Verbesserung dieser Situation bedarf es weiterer prospektiver Studien,
insbesondere für nicht elektive Eingriffe sowie für Hochrisikokonstellationen. Der fehlende Vergleich
mit nicht-antikoagulierten Patienten und Patienten unter VKA sowie die fehlende Differenzierung von
elektiven und Notfall-OPs limitiert Aussagekraft der Studie. Die erarbeitete Checkliste kann helfen, das
perioperative Vorgehen zu optimieren und die Patientensicherheit zu erhöhen. Auch für die Konzeption
sowie Datenerhebung zukünftiger Studien könnte die Checkliste nützlich sein. Letztlich bleibt aber das
Vorgehen bei jedem Patienten aufgrund seiner individuellen Charakteristika und Risikofaktoren eine
Einzelfallentscheidung. |
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Physical Description: | 108 Pages |
DOI: | 10.17192/z2022.0374 |