Global Health als Themenfeld in der medizinischen Ausbildung – eine qualitative Studie unter Global Health-Lehrenden in Deutschland

Gesundheit und Medizin werden zunehmend von Faktoren beeinflusst, die über nationale Gesundheitssysteme und traditionelle Ländergrenzen hinausgehen. Der Fluss und Austausch von Waren, Informationen, Arbeitskräften, Patienten und Krankheitserregern zwischen Ländern verändert unser Verständnis von Ges...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Havemann, Matthias
Beteiligte: Bösner, Stefan (Prof. Dr. med.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2021
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Gesundheit und Medizin werden zunehmend von Faktoren beeinflusst, die über nationale Gesundheitssysteme und traditionelle Ländergrenzen hinausgehen. Der Fluss und Austausch von Waren, Informationen, Arbeitskräften, Patienten und Krankheitserregern zwischen Ländern verändert unser Verständnis von Gesundheit, den Determinanten von Gesundheit und die Art und Weise in der Medizin praktiziert wird. Weltweit wird zunehmend gefordert die medizinische Ausbildung an den Einfluss der Globalisierung anzupassen, unter anderem durch die Integration von Global Health in das medizinische Curriculum. Doch bis jetzt gibt es keine einheitliche Definition oder einheitliches Verständnis von Global Health. Diese Studie verwendet ein auf der Grounded Theory-Methodologie basierendes Mixed-Method-Design, um besser zu verstehen, wie GH in der medizinischen Ausbildung in Deutschland unterrichtet wird. Wir haben zehn Interviews mit elf Experten geführt und eine Online-Umfrage im Rahmen der Teilnehmervalidierung angeschlossen. Dabei ging es darum das Verständnis von GH, die Unterrichtsinhalte und die didaktische Vorgehensweise von Global Health-Lehrenden in Deutschland zu explorieren. Die Interviewinhalte wurden in vier Hauptfragen kategorisiert: (1) Was ist Global Health? (2) Welche Themen gehören zu Global Health? (3) Wie kann Global Health unterrichtet werden? und (4) Was ist wichtig für die Zukunft von Global Health? Als Ergebnisse zeigen wir die historische Entwicklung von Global Health, die Beziehung zu Public Health, International Health und Tropenmedizin, die Unterrichtsinhalte und -ziele, die Zielgruppen des Global Health-Unterrichts, Unterrichtsformen, didaktische Ansätze, Wege wie Global Health in das medizinische Curriculum integriert werden kann und Ideen zur Zukunft von Global Health im Allgemeinen und in der deutschen medizinischen Ausbildung. Das zentrale Ergebnis dieser Studie ist das Verständnis von Global Health als Umbrella Term. Dieser Begriff wurde von einem der interviewten Experten in einem Nebensatz verwendet und fand in einer Reihe der Interviews großen Anklang. Die Metapher des „Umbrellas“ haben wir dann weiterentwickelt, um am Beispiel des Schirmes („Umbrella“), der hinter einer Lichtquelle einen Kernschatten und einen umgebenden Halbschatten wirft, das Verhältnis zwischen Global Health und anderen Disziplinen wie Public Health, International Health und Tropenmedizin zu verdeutlichen und aufzuzeigen, wie einige Themen zum klaren Kern von Global Health gehören, während andere eher vom diffuseren Halbschatten abgedeckt werden. Im Kern von Global Health steht demnach das Verständnis der supraterritorialen Determinanten von Gesundheit. Diese Determinanten überschreiten traditionale Grenzen und Territorien und werden in der Regel nicht durch traditionelle Modelle der sozioökonomischen Gesundheitsdeterminanten erfasst. In unserem abschließenden Modell zeigen wir, wie das konkret aussehen kann, insbesondere für die medizinische Ausbildung. Global Health erfordert auf Grund seiner bereits im Namen enthaltenen Globalität und der damit verbundenen Komplexität einen transdisziplinären Ansatz und innovative Unterrichtsformen. Wir zeigen, wie diese in das medizinische Curriculum integriert werden können und dem übergeordneten Ziel dienen, Ärztinnen und Ärzte für das 21. Jahrhundert auszubilden mit einem Verständnis für die globalen Abhängigkeiten und deren Einfluss auf die Gesundheit, mit interkulturellen Kompetenzen und einem transformativen Ansatz, der Verantwortungsübernahme, sowie ein moralisches und politisches Bewusstsein fördert. Nach unserem Kenntnisstand ist dies die erste Studie, die ausführliche Interviews mit Global Health-Lehrenden in der medizinischen Ausbildung nutzt, um deren Global Health-Verständnis und -Praxis zu erkunden. Das Verständnis von Global Health als Umbrella Term ist dabei ein neues Konzept, dass einige der Diskrepanzen zwischen bisherigen Global Health-Definitionen zusammenführt. Mit den supraterritorialen Determinanten von Gesundheit als genuiner Kern von Global Health wird eine sauberere Definition und Abgrenzung zu anderen Disziplinen, Fächern und Feldern erleichtert. Das Global Health-Verständnis der von uns interviewten Lehrenden in der medizinischen Ausbildung spiegelt dabei die internationalen Diskussionen um die normativen Ansprüche und das koloniale Erbe von Global Health wider. Das Bewusstsein für diese Themen kann dabei zu einer Stärkung der Sozialwissenschaften innerhalb der medizinischen Ausbildung und damit einem tiefergehenden Verständnis von Medizin im Allgemeinen beitragen. Die Analyse der deutschen Global Health-Landschaft und der aktuellen politischen Entwicklungen belegt die Relevanz von Global Health in der heutigen Gesellschaft und seine wachsende Bedeutung im nationalen und internationalen politischen Geschehen. Das Verständnis von Global Health als Umbrella Term hat das Potential die weitere Zukunft von Global Health in Lehre, Forschung und Praxis mitzugestalten. Die Integration von Global Health in das medizinische Curriculum trägt dazu bei, Gesundheitsfachkräfte auf die Bedürfnisse einer globalisierten Welt in unserer Zeit vorzubereiten.
Umfang:180 Seiten
DOI:10.17192/z2021.0148