Das Urothelkarzinom des oberen Harntrakts: Umfassende retrospektive Analyse des Marburger Kollektivs von 2004 bis 2015

Das Urothelkarzinom der oberen Harnwege tritt bei circa 5 pro 100.000 Einwohner auf, Inzidenz steigend. Die Betroffenen sind im Median 70–73 Jahre alt. Männer erkranken doppelt so häufig wie Frauen. Die Gesamtmortalität liegt bei 0,6 pro 100.000 Einwohner. Als Risikofaktoren sind vor allem Tabakkons...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Isfort, Philipp
Beteiligte: Olbert, Peter (PD Dr. med.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2020
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Das Urothelkarzinom der oberen Harnwege tritt bei circa 5 pro 100.000 Einwohner auf, Inzidenz steigend. Die Betroffenen sind im Median 70–73 Jahre alt. Männer erkranken doppelt so häufig wie Frauen. Die Gesamtmortalität liegt bei 0,6 pro 100.000 Einwohner. Als Risikofaktoren sind vor allem Tabakkonsum, beruflich bedingte Exposition mit verschiedenen Gefahrenstoffen, Alkoholkonsum, höheres Alter, männliches Geschlecht, Übergewicht, ein vorheriges Harnblasenkarzinom, Nierensteine, dialysepflichtige Niereninsuffizienz, chronische Harnwegsinfektionen sowie eine Radiotherapie im kleinen Becken zu nennen. Pathogenetisch relevant sind Missense- und Nonsense-Mutationen, Genfusionen, Amplifikationen, Deletionen, Chromosom-9-Verluste wie auch Mutationen in Promotorregionen. Klinisch präsentiert sich das Malignom zumeist durch Hämaturie oder Flankenschmerzen. Es stellt 5–10 % aller Urothelkarzinome dar, wobei das Nierenbecken doppelt so häufig wie der Harnleiter betroffen ist. Die Diagnose gelingt vorrangig durch Ureterorenoskopie, Computertomographie-Urographie und bioptische Sicherung. Therapeutischer Goldstandard ist die offene radikale Nephroureterektomie. Bei der Diagnose sind mehr als die Hälfte der Tumoren lokal fortgeschritten (> pT2) mit zumeist G2-, dicht gefolgt von G3-Differenzierung; circa 8–11 % der Patienten haben bereits Lymphknoten- und circa 5–9 % Fernmetastasen. Das krebsspezifische 5-Jahres-Überleben der Tumoren der oberen Harnwege liegt bei 64–76 %. Ziel dieser retrospektiven Studie war es, eine detaillierte Darstellung des Marburger Kollektivs von Patienten mit einem Malignom der oberen Harnwege im Zeitraum 2004 bis 2015 unter Berücksichtigung aller krankheitsrelevanten Faktoren zu liefern. Darüber hinaus wurde anhand von Gruppenanalysen die Ausprägung international anerkannter Risikofaktoren untersucht und dabei besonderes Augenmerk auf die Tumorklassifikation als nicht beeinflussbarer Endpunkt sowie auf die Ausprägung der Clavien-Klassifikation gelegt. Ebenfalls in der Untersuchung enthalten war das Detektieren und Analysieren weiterer signifikanter Ergebnisse im Gruppenvergleich. Das Kollektiv bestand aus circa zwei Dritteln Männern und einem Drittel Frauen. Die untersuchten Patienten erkrankten im Median mit 72 Lebensjahren. 42,9 % von ihnen waren Raucher. Der Body-Mass-Index lag im Durchschnitt im Bereich der Präadipositas. 15,5 % der Erkrankten übten Risikoberufe aus. Das Hauptsymptom war eine Makrohämaturie. Nennenswert war das häufige Auftreten früherer Harnblasenkarzinome (22,9 %). Metachrone Harnblasenkarzinome sowie Fernmetastasen entwickelten sich mit 20 % und 19 % in vergleichbarer Häufigkeit. Der Seitenbefall war linksakzentuiert, wobei das Nierenbecken deutlich häufiger als der Harnleiter (55,7 % zu 34,9 %) betroffen war. Die Diagnosestellung gelang vor allem per Computer- und Magnetresonanztomographie, Urinzytologie sowie Ureterorenoskopie. Zu 75 % wurde mittels radikaler Nephroureterektomie therapiert. Die meisten Tumoren wurden pT3 klassifiziert, die wenigsten pTis. Knapp ein Fünftel der Patienten hatte lokale Lymphknoten-, circa ein Zehntel Fernmetastasen. Etwas mehr als 50 % der Tumoren war mäßig, circa ein Drittel schlecht differenziert. Über 95 % der Tumoren waren Transitionalzell-, unter 5 % sarkomatoide und Plattenepithelkarzinome. Unser Kollektiv zeigte eine im Vergleich zu anderen publizierten Studien fortgeschrittenere Tumorausdehnung, womöglich bei unzureichend flächendeckender fachurologischer Versorgung im Marburger Umland. Jedoch waren Lokalrezidive bei uns seltener, was für eine gute Therapie und Nachsorge des Primarius in Marburg spricht. Passend dazu waren die Zeiträume bis zum Auftreten metachroner Zweittumoren größer. In der Analyse unserer Vergleichsgruppen zeigte sich, dass Männer signifikant häufiger rauchten und ebenso häufiger metachrone Harnblasenkarzinome mit transurethraler Resektion hatten als Frauen. Die Zeiträume bis zur Entstehung kontralateraler Tumoren der oberen Harnwege waren entsprechend kleiner. Damit bestätigte sich der Verdacht, dass das Rauchen ein signifikanter kanzerogener Risikofaktor ist. Dieses wurde zusätzlich dadurch verdeutlicht, dass Raucher signifikant früher als Nichtraucher erkrankten. Eine höhere Invasivität oder Aggressivität der Tumoren zeigte sich unter Rauchern jedoch nicht. Unter 72-jährige Patienten rauchten signifikant häufiger und hatten signifikant mehr Flankenschmerzen, jedoch vergleichbare Tumorstadien. Signifikant häufiger vorangegangene und im Trend häufiger synchrone Harnblasenkarzinome bei über 72-Jährigen, die weniger rauchten, sprachen eher gegen eine Assoziation mit dem Rauchen und mehr für den Risikofaktor „Alter“. Die Auswirkung des Gewichtes erschien widersprüchlich. Fernmetastasen bei Diagnose sowie auch synchrone Harnblasenkarzinome traten signifikant häufiger bei einem Body-Mass-Index < 25 kg/m2 auf, Lokalrezidive und metachrone Fernmetastasen hingegen bei ≥ 25 kg/m2. Vorangegangene Harnblasenkarzinome wirkten sich entgegen der Vermutung nicht nachteilig auf die TNM-Klassifikation oder die Differenzierung der Tumoren aus. Interessanterweise zeigten Patienten mit vorangegangenem Harnblasenkarzinom jedoch signifikant häufiger Harnleiter- und seltener Nierenbeckenkarzinome.
Umfang:145 Seiten
DOI:10.17192/z2021.0037