Einfluss genetischer Variation von GLRB rs7688285 und NOS1 ex1f-VNTR auf neurale Korrelate der Furchtkonditionierung und -extinktion bei Personen mit Panikstörung und Agoraphobie im Kontext expositionsbasierter kognitiver Psychotherapie sowie neurale Korrelate verzögerter Furchtextinktion in einer multizentrischen Studie

Hintergrund: Panikstörungen (panic disorder, PD) mit und ohne Agoraphobie (AG) gehören zu den psychischen Erkrankungen mit der höchsten Prävalenz und haben schwerwiegende individuelle und sozioökonomische Bedeutung. Sie zeichnen sich durch exzessive Angstreaktionen auf spezifische Reize trotz Fehlen...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Ridderbusch, Isabelle Caroline
Beteiligte: Straube, Benjamin (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2020
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Hintergrund: Panikstörungen (panic disorder, PD) mit und ohne Agoraphobie (AG) gehören zu den psychischen Erkrankungen mit der höchsten Prävalenz und haben schwerwiegende individuelle und sozioökonomische Bedeutung. Sie zeichnen sich durch exzessive Angstreaktionen auf spezifische Reize trotz Fehlen einer tatsächlichen Bedrohung aus. Ein bedeutsamer Teil der individuellen Vulnerabilität für Angststörungen geht auf genetische Faktoren zurück. Kandidatengene wie GLRB und NOS1 sind als potentielle Risikofaktoren identifiziert. Unklar ist jedoch, wie genau sich diese Risikofaktoren auf neuraler und psychophysiologischer Ebene sowie im Kontext akuter PD/AG Diagnose auswirken und inwieweit solche Korrelate durch Psychotherapie beeinflussbar sind. GLRB steuert einen Rezeptor im zentralen Nervensystem, der postsynaptische Inhibition mediiert. NOS1 ist als sehr komplexes Gen mit vielen unterschiedlichen Funktionen assoziiert und kommt als Risikofaktor für diverse Erkrankungen, u. a. Angststörungen, infrage. Ein gut untersuchtes theoretisches Modell des Angsterwerbs ist die Furchtkonditionierung: Das Individuum lernt, einen ursprünglich neutralen Reiz (conditioned stimulus, CS) mit einem zeitlich gekoppelten aversiven Reiz (unconditioned stimulus, US) zu assoziieren. In der Folge kann der als Bedrohungsreiz gelernte CS + ebenso wie der US eine Furchtreaktion oder Vermeidungsverhalten auslösen, um zukünftigen Schaden vorzubeugen. Eine gelernte CS + /US Assoziation sowie die konditionierte Furchtreaktion können durch Extinktionstraining, bei dem der CS + wiederholt ohne US präsentiert wird, inhibiert werden. Dieser Mechanismus ist das Kernelement expositionsbasierter kognitiver Verhaltenstherapie (KVT). Studien zu den neuralen Korrelaten von Furcht legen ein Netzwerk von Furchtexpression und regulation nahe, zu dem u. a. die Amygdala (Emotionsexpression), der cinguläre Cortex (emotionale und kognitive regulative Prozesse) und der Hippocampus (Gedächtnisprozesse) gehören. Forschungsvorhaben: Ziel dieser Dissertation war es, die Psychopathologie der Panikstörung und ihre neurobiologischen Grundlagen zu untersuchen, indem der Einfluss genetischer Merkmale (GLRB rs7688285, NOS1 ex1f VNTR) auf PD/AG sowie grundlegende Extinktionsprozesse exploriert wurden. Dabei waren die neuralen Korrelate der veränderten Furchtkonditionierung und extinktion sowie eine Methodenvalidierung von besonderem Interesse. Die Ergebnisse sollen langfristig dazu beitragen, effiziente individualisierte Therapieangebote und präventive Maßnahmen zu entwickeln, um so die individuelle und gesellschaftliche Belastung durch PD/AG zu reduzieren. Methoden: Die vorliegende Dissertation fasst drei Artikel mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) zusammen, die im Rahmen der deutschen Forschungsverbünde „Panik-Netz“ und „PROTECT-AD“ entstanden sind. Das Furchtakquisitions- und -extinktionslernen wurde in Abhängigkeit des GLRB encodierenden Einzelnukleotid-Polymorphismus rs7688285 auf neurale, behaviorale, autonome, subjektive und klinische Parameter (Artikel I) sowie in Abhängigkeit des Promotor-Polymorphismus NOS1 ex1f VNTR auf neurale Korrelate (Artikel II) bei Personen mit PD/AG und gesunden Personen anhand eines experimentellen Paradigmas zur Furchtkonditionierung und -extinktion zu zwei Messzeitpunkten (bei Personen mit PD/AG vor und nach einer KVT) untersucht. Außerdem wurden bei gesunden Personen neurale Korrelate des verzögerten Extinktionslernens nach einer Konsolidierung sowie subjektive Parameter in einem 2-Tages-Paradigma untersucht (Artikel III). In Artikel I und II wurden Effekte der Gene sowie differentielle Lerneffekte unter dem Einfluss der Faktoren Diagnose PD/AG und Messzeitpunkt berücksichtigt. In Artikel III wurden Korrelate des Extinktionsprozesses und des Wiedereinsetzens der Furcht sowie Stabilität und Reliabilität dieser Korrelate über unterschiedliche Erhebungszeitpunkte und -orte untersucht. Ergebnisse: In Artikel I und II konnte gezeigt werden, dass die rs7688285-Allelvariation besonders im Hippocampus, Motorcortex, Inselcortex und anterioren cingulären Cortex (ACC) und die NOS1 ex1f VNTR-Allelvariation in Amygdala und Hippocampus mit generellen, diagnosespezifischen und diagnoseabhängigen differentiellen Lerneffekten assoziiert ist. Bei Personen mit rs7688285-A-Allel zeigten sich im differentiellen Lernen genau gegenteilige Effekte zwischen Personen mit PD/AG und Gesunden. Auf Ebene der Symptomschwere zeigten sich sowohl vor als auch nach expositionsbasierter KVT keine genotyp assoziierten Effekte. Auf neuraler Ebene jedoch gab es eine therapieabhängige Aktivierungsveränderung im ACC. Im Verhaltenstest zeigte sich bei A-Alleltragenden vor der Therapie ein subjektiv stärkerer Angstanstieg und eine stärkere Pulsfrequenzakzeleration. NOS1 ex1f VNTR assoziierte Effekte kamen vor allem während der Extinktionstrainingsphase zum Tragen. Personen mit der homozygoten S Allelvariante zeigten deutlich geringere und Personen mit PD/AG insgesamt höhere neurale Aktivierung. Differentielle Effekte zeigten sich insbesondere bei Personen mit PD/AG mit S/S Genotyp in einer höheren Aktivierung auf das Sicherheitssignal CS - , was als pathologische Übergeneralisierung diskutiert wird. In Artikel III konnte gezeigt werden, dass Furchtextinktionslernen stabil über Erhebungszeitpunkte und -orte mit einer Aktivierungsabnahme im Inselcortex und cingulären Cortex assoziiert war. Effekte des Wiedereinsetzens der Furcht wurden im ACC gefunden. Die neuralen Effekte waren mit korrespondierenden Veränderungen in der subjektiven Bewertung korreliert. Schlussfolgerungen: Zusammengefasst liefern die hier vorgestellten Studien Evidenz für generelle und spezifische Einflüsse genetischer Variationen auf Furchtkonditionierungs- und -extinktionsprozesse bei gesunden Personen und Personen mit PD/AG. Genetische Variationen in rs7688285 bzw. NOS1 ex1f VNTR sind möglicherweise prädispositionelle Risikofaktoren für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von PD/AG. Dabei spielen veränderte Prozesse im neuralen Furchtnetzwerk eine zentrale Rolle. Neurale Korrelate verzögerten Furchtextinktionslernens können robust mittels fMRT untersucht werden und das vorgestellte Paradigma bildet eine solide experimentelle Basis für die Untersuchung neuraler Mechanismen bei Angststörungen und Optimierungen in expositionsbasierter KVT. Die vorgestellten Arbeiten tragen zu einem besseren Verständnis der neurobiologischen Mechanismen von Furcht und Angst sowie der Ätiopathogenese der PD/AG bei.
Umfang:179 Seiten
DOI:10.17192/z2020.0365