Geregeltes Vergnügen. Höfisches Theater in Schweden zur Zeit Nicodemus Tessins d.J. (1688-1706)

Nicodemus Tessin der Jüngere (1654-1728), bekannt als Hofarchitekt, Diplomat und Inventor des neuen Stockholmer Schlosses, zeichnete sich in seiner Tätigkeit als Oberintendant über die Gebäude und Gärten des schwedischen Königs ab 1697 auch als Theatermensch und Festorganisator aus. Im Vorsatz, ein...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Stork, Stefanie Alexa
Beteiligte: Krause, Katharina (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2016
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Nicodemus Tessin der Jüngere (1654-1728), bekannt als Hofarchitekt, Diplomat und Inventor des neuen Stockholmer Schlosses, zeichnete sich in seiner Tätigkeit als Oberintendant über die Gebäude und Gärten des schwedischen Königs ab 1697 auch als Theatermensch und Festorganisator aus. Im Vorsatz, ein Hoftheater zu konstituieren, sah Tessin weniger dessen Nutzung als Kontrollinstrument des absolutistischen Herrschers über seine Untertanen als schlichtweg seine reine Existenz. Für die Etablierung der Institution „Hoftheater“ und auch der mit ihr im Zusammenhang stehenden Hoffeste war es erforderlich, Karl XII. für die repräsentable Führung eines kulturell durchdrungenen Hoflebens zu sensibilisieren. Somit bemühte sich Tessin auch Schwedens Kunstproduktion im Ausland, vorwiegend in Frankreich, bekannt zu machen, um in der kontinentaleuropäischen Fest- und Theaterpraxis der Höfe Anerkennung zu gewinnen. Tessin stellte in seiner Amtszeit einen Organisationsapparat von Handwerkern und Künstlern auf, der zeitweise für den Theaterbau eingesetzt wurde. Von Tessin entdeckt und gefördert stellte sein Landsmann und Mitarbeiter Göran J. Törnquist eine bedeutende Figur innerhalb der Kultivierung des schwedischen Hoftheaters dar. Nachweislich nahm er im Schaffensprozess des Hoftheaters insofern Anteil, dass er während einer geförderten Reise durch Europa Tessin über die Entwicklungen der kontinentaleuropäischen Bühnen aufklärte. Als großer Schatz ist Filippo Juvarras Mappenwerk Pensieri zu sehen, welches Törnquist vom Künstler persönlich in Rom 1705/06 geschenkt bekam und für den Oberintendanten in Stockholm kopierte. Diese Eigenschaften führen zu der Annahme, Juvarra habe die Szenen auf die Bedingungen der Stockholmer Bühne zugeschnitten. Bühnenbilder für die Stockholmer Theater ließ Tessin allerdings aus Jean Bérains Pariser Atelier kommen. Diese bestanden aus variabel zusammensetzbaren Kulissenteilen und Hintergrundszenen und stammten aus der Hand des Bühnenkünstlers Jean Saint-Hillaire d’Oliver. Ebenfalls importierte Tessin eine Schauspielgruppe aus Frankreich. Im August 1699 ging die sogenannte Rosidortruppe aus Metz, die über ein Repertoire von über 80 Bühnenwerken zeitgenössischer und beliebter französischer Librettisten verfügte, mit König Karl XII. einen Anstellungsvertrag ein. Trotz des großen nordischen Krieges und der Hürden, die ihnen das Publikum vor Ort stellte, blieben sie sieben Jahren in Schwedens Hauptstadt. Zeitgleich entstanden in Stockholm zwei Theater: Im zweiten Obergeschoss, im corp de logis, der königlichen Residenz Kungshuset integrierte Tessin ein Saaltheater mit einer verhältnismäßig breiten Bühne, vier Zuschauerebenen, bestehend aus einem Parterre, seitlich platzierten Sitzbänken, einer Königsloge und einer Galerie. Das Kungshuset besaß eine typische Gassenbühne in Anlehnung an die zeitgenössischen Theaterhäuser der Stadt Paris. Mit dem Umbau einer großen Ballspielhalle an prominenter Stelle der Stadt, Slottsbacken, ließ Tessin das erste öffentliche Logentheater Stockholms errichten, welches dem Bedürfnis der gesellschaftlichen Elite von Aristokratie sowie den gebildeten Stockholmern nach gehobener Unterhaltung entsprach. Ähnlich der Spielstätte der Comédie-Française in Paris wurde das große Ballhaus von seinen Akteuren privatwirtschaftlich geführt und unterlag dem Risiko der ausbleibenden Besucherzahlen. Die Schauspieler verschuldeten sich für den Einbau dreier Logenränge, die überwiegend unbesetzt blieben. Letztlich verstand Tessin auch höfische Feste als Mittel, das moderne und kultivierte Hofleben sowie das Ansehen und die Pracht des Königs eindrucksvoll vorzuführen. Bei der Schöpfung von Ideen und schließlich auch in deren Umsetzung, im Arrangement der Divertissements für das schwedische Königshaus, lag sein Fokus unmissverständlich auf dem französischen Hof. So wählte er beispielsweise für Festarchitektur des Parks von Schloss Karlberg das für ein Gartenfest bevorzugte ikonografische Thema „Vier-Jahreszeiten“. Ein ebenso geläufiges Motiv im künstlerischen Rahmen stellte der oktogonale Pavillon dar, welcher bereits mehrmalig in den Versailler Parkfesten Ludwigs XIV. eingesetzt wurde. Einige Tessins handschriftlicher Aufzeichnungen und Briefe von Hoffesten bspw. sind allein der Groteske gewidmet. Mit dem Hintergrund, dass Tessins Vorbild Bérain seine Wanddekorationen mit innovativen, den Opern- und Festkostümen ähnlichen Figurinen ausschmückte, erfährt das Ornament eine Anbindung an Theater und Verkleidungsbankett, worin eine Verknüpfung von Groteske und Kostüm zu sehen ist. Tessin, der sich den begrifflichen Gattungsübergang von Groteske auf Kostüm zu eigen machte, drückte mit dem Adjektiv grottesque eine dem Kostüm anhaftende Exklusivität aus, welche gerade als Gegenteil einer ins Lächerliche übersteigerten Gestalt begriffen werden kann. Letztlich erscheint die Begrifflichkeit grottesque als eine dem Autor eigene Wertungseinheit und bezieht sich ausschließlich auf eine Verkleidungspraxis. Im kontinentaleuropäischen Vergleich reichlich spät etablierte Tessin ein Hoftheater, welches sich zur permanenten Begegnungsstätte des schwedischen Hofes mit zeitgenössischem französischen Theater herausbildete. Hemmten klimatische, personelle sowie finanzielle Gegebenheiten den raschen Aufbau eines Hoftheaters, so trotzte Tessin allen Erschwernissen mit der akribischen Aufrechterhaltung kollegialer Beziehungen im Ausland, der eigenen Weiterbildung und dem permanenten Fokus auf seine Ziele. Mit Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse, die Größe und Aktivitäten des schwedischen Hofes instituierte Tessin schließlich einen prächtigen Kulturbetrieb mit Festen und Theater.
Umfang:238 Seiten
DOI:10.17192/z2016.0235