Heinrich Salzmann (1859-1945) Leben und Leistung eines pharmazeutischen Standespolitikers
In Heinrich Salzmanns Lebenszeit 1859−1945 fallen die Gründung des Deutschen Reiches, die Monarchie unter Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II., der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus sowie der Zweite Weltkrieg. Derartig durchgreifende Ereignisse in führender Position altrui...
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Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2014
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Summary: | In Heinrich Salzmanns Lebenszeit 1859−1945 fallen die Gründung des Deutschen Reiches, die Monarchie unter Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II., der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus sowie der Zweite Weltkrieg. Derartig durchgreifende Ereignisse in führender Position altruistisch, unbestechlich und ehrenhaft zu bestehen, bedarf eines besonderen Charakters, und ein solcher zeichnete Salzmann aus. Seine Willenskraft, gepaart mit vorausschauender Intelligenz und ungewöhnlichem Fleiß, brachte ihm schon in der Jugend beste Zeugnisse ein und verschaffte ihm auch während seines weiteren Berufsweges bis hin zum promovierten Apotheker und Lebensmittelchemiker die Anerkennung seiner Lehrer und später die Achtung von Vertretern aus Politik und Forschung, wie seine zahlreichen Auszeichnungen belegen. Obendrein war er mit Besonnenheit und einer guten Portion Humor ausgestattet, so dass die DAV-Hauptversammlung 1902 in Koblenz den Richtigen zu ihrem Vorstandsvorsitzenden wählte, der dann über drei Dekaden hinweg die Geschicke der deutschen Pharmazie entscheidend mitprägte. Die Leidenschaft, mit der Salzmann in der sog. Gewerbefrage wider die regierungsseits favorisierte Personalkonzession kämpfte, und die Kritik an dem damit verbundenen, lang erwarteten ‚Entwurf eines Reichsapothekengesetzes‘ (1907) stehen beispielhaft für seine unermüdliche Bereitwilligkeit, sich für das Wohl der Standesgemeinschaft einzusetzen, obwohl ihm der Lohn speziell für diese Arbeit versagt blieb: Bekanntlich trat das Apothekengesetz erst 1960 in Kraft.
Zufrieden konnte Salzmann dagegen mit der Neugestaltung der Vor- und Ausbildung für Apotheker sein. Mit der für ihn typischen Beharrlichkeit hatte er zwischen 1902 und 1920 dafür gekämpft, das Maturum als Basis für angehende Kollegen gesetzlich festlegen zu lassen, um so das Anrecht auf ein akademisch vollwertiges Universitätsstudium zu sichern. Als 1904 eine korrigierte Prüfungsordnung auf der Grundlage der Primareife mit Nachweis über Lateinkenntnisse in Kraft trat, begrüßte dies Salzmann als das momentan Machbare, verlor seinen Plan jedoch nicht aus den Augen: Kurz vor Kriegsbeginn drängte er Kaiser Wilhelm II. in einer Immediateingabe, die berechtigten Ansprüche gesetzlich festzulegen, und aktivierte 1917 zahlreiche Fachgenossen der verschiedensten Sparten, in dieser Angelegenheit mit Nachdruck aufzutreten. 1920 schließlich erreichte Salzmann sein Ziel: Man etablierte das Abitur als Voraussetzung für zukünftige Pharmazeuten. Außerdem erfolgte auf seine Initiative hin die Umbenennung der bisherigen Berufsbezeichnungen und so trat an die Stelle des ‚Apothekerlehrlings’ ebenfalls im amtlichen Gebrauch der ‚Apothekereleve’ oder der ‚Apothekerpraktikant’, und der ‚Apothekergehilfe’ avancierte zum ‚Apothekerassistenten’, um der Gesellschaft auch über die Sprache den gehobenen Status dieses Berufs zu verdeutlichen. Des Weiteren unterstützte Salzmann die Einrichtung gesonderter Lehrstühle für Pharmazie, um unabhängig von Chemikern und Botanikern die Eigenständigkeit des Fachs zu demonstrieren; dabei mussten die Professoren Apotheker sein, um nicht nur die an die damalige Arzneimittelforschung angepassten neuen Inhalte, sondern zusätzlich praxisorientiert unterrichten zu können. Salzmanns innigster Wunsch nach einem erweiterten Ausbildungsgang − zweijährige Praktikantenzeit, Vorprüfung, sechssemestriges Studium und Staatsexamen − ging allerdings erst 1935 nach seiner Amtszeit in Erfüllung.
Wichtiger noch als die Stärkung der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Position der Pharmazeuten war die unmittelbare Sicherstellung ihrer Einkünfte über die Arzneitaxen. Salzmann kämpfte gegen die stetig zunehmende Macht der Krankenkassen, die ungeachtet der ihnen durch die Reichsversicherungsverordnung (RVO) gewährten Vergünstigungen immer größere Zugeständnisse von den Apothekern zu erzwingen suchten. Sein unermüdliches Ringen über 32 Jahre hinweg löste die Auseinandersetzungen zwischen den Kontrahenten zwar nicht, indes ist fraglich, ob ohne Salzmanns Kraftanstrengung die deutsche Apotheke überhaupt noch in der heutigen Form existierte: Befanden sich die Krankenkassen mithilfe der aufstrebenden industriellen Arzneifertigung doch durchaus in der Lage, ihren bereits eingeschlagenen Weg, Medikamente selbst zu vertreiben, unbeirrt fortzusetzen, zumal sie im Gegensatz zu den Pharmazeuten obendrein von dem illegalen Arzneimittelhandel außerhalb der Apotheken unberührt blieben und somit keine Umsatzeinbußen ausgleichen mussten. Es ist somit eines von Salzmanns großen Verdiensten, das Apothekenmonopol gegenüber den Krankenkassen behauptet zu haben. Diese Sonderstellung verpflichtete die Pharmazeuten allerdings zu immerwährender, namentlich für Alleinarbeitende schwer erträglicher Dienstbereitschaft, deren Umfang Salzmann über die Regelung der Sonntags- und der Nachtruhe zu bessern suchte. Bereits 1902 erreichte er zunächst für manche Bezirke eine stundenweise Sonntagspause bzw. für Orte mit zwei oder mehreren Apotheken einen Wechseldienst; doch mit dem Verweis auf das Apothekenmonopol modifizierten die jeweiligen Regierungen bis auf die gekürzte entgeltfreie nächtliche Inanspruchnahme ihre diesbezüglichen Anordnungen fast nur zum Nachteil der Pharmazeuten. Erst das Apothekengesetz von 1960 regelte den Notdienst. Ein weiteres Betätigungsfeld von Salzmann war zum einen die Umsetzung der RVO und zum anderen nach dem Ersten Weltkrieg die der Tarifverträge, die er zum Wohl der Apothekenleiter, aber auch der Angestellten federführend mitzugestalten wusste.
Salzmanns steter Einsatz zielte immer nur darauf ab, Beistand zu leisten und Not zu lindern, wozu die Verwaltung alter bzw. die Einrichtung neuer Hilfsfonds – darunter die Salzmann-Stiftung − ebenso gehörten wie letztlich auch die Schaffung der Handelsgesellschaft Deutscher Apotheker: Hageda. Die Berliner Apothekerschaft hatte sich berechtigterweise über die Belieferung mit minderwertigem Verbandszeug geärgert und bereits im November 1902 die Bildung einer Wirtschaftsgenossenschaft zum Ein- und Verkauf von textilen Materialien zur Wundversorgung vorgeschlagen; die Anregung wurde dann am 30. Dezember mittels Gründung der Hageda umgesetzt und Salzmann zum Vorsitzenden des ersten Aufsichtsrats gewählt. Der schließlich verabschiedete Vertrag legte als Gegenstand des Unternehmens den gemeinsamen Einkauf und die Herstellung von pharmazeutischen Präparaten, medizinischen Verbandstoffen und Arzneispezialitäten fest, beabsichtigte also von Anfang an eine Ausdehnung auf die Produktion. Hierbei zeigten sich einmal mehr Salzmanns Weitsicht und sein taktisch kluges Verhalten: Denn obwohl er die großindustrielle Fabrikation von Medikamenten als Vorstandsvorsitzender des DAV offiziell attackierte, war ihm andererseits klar, dass er diesen Prozess nicht aufhalten konnte; eine standeseigene Beteiligung daran erschien ihm deshalb mehr als sinnvoll und gerade für wirtschaftlich schwächere Kollegen überlebenswichtig. Es verwundert somit nicht, dass sich der DAV Ende 1903 mit der Frage beschäftigte, ob und wie die Ausdehnung des Unternehmens auf das ganze Deutsche Reich zu realisieren sei. Darüber hinaus hielt Salzmann die gemeinschaftliche Fabrikation von Spezialitäten, deren Herstellung nicht in jedem Apothekenlaboratorium möglich war, für ebenso gewinnbringend wie die Rezeptur von gewissen Präparaten im Großen durch besonders ausgerüstete Apotheker, die ihren Absatzmarkt im Kreis der Mitglieder fanden. 1908 schließlich gründete man das ‚Spezialitätenunternehmen des Deutschen Apotheker-Vereins’. Der gemeinsame Einkauf und die Eigenproduktion konnten allerdings nur dann durchschlagenden Erfolg nach sich ziehen, wenn man eine regionale Zersplitterung vermied und von Berlin aus zentral die Geschäfte leitete. Die ersten beiden Zweigniederlassungen der Hageda wurden 1904 in München und in Köln eröffnet. Es folgten 1908 in Dresden, 1911 in Breslau und Hamburg, 1912 in Frankfurt am Main und 1916 in Essen weitere Filialen. Ferner trat die Hageda 1921 mit der Firma E. Glück Nachfolger in Königsberg in eine Interessengemeinschaft. Niederlassungen in Erfurt und Kassel lehnte Salzmann 1921 wegen pekuniärer Schwierigkeiten ab, nicht aber die ihm lukrativ erscheinende Errichtung einer Seifenfabrik in Berlin-Weißensee. Bereits 1908 hatten die österreichischen Kollegen in Wien, 1914 die ungarischen Apotheker in Budapest und ein Jahr später sogar Fachgenossen aus Konstantinopel Anträge auf Gründung von Zweigstellen eingebracht, die Salzmann jedoch – hauptsächlich aus politischen Motiven − abschlägig beschied. Auch die Danziger Pharmazeuten hatten 1906 Salzmann aufgefordert, eine Filiale in ihrer Stadt zu etablieren, ein Wunsch, dem (allerdings erst 1919) durch die Bildung der Tochtergesellschaft ‚Gedania‘ entsprochen wurde.
Unter Salzmanns Regie entstand nicht zuletzt 1909 das ‚Vereinshaus Deutscher Apotheker‘, in dem sowohl DAV als auch Hageda und Berliner Apotheker-Verein gemeinsam untergebracht waren; es gab damit eine Zentrale, von der aus die Geschicke der Kollegen selbst während des Ersten Weltkrieg hinweg gelenkt werden konnten. Salzmann kam seinen Aufgaben als DAV-Vorsitzender dabei weiterhin mit unendlichem Fleiß nach und entwickelte fast übermenschliche Kräfte, um die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Im Rahmen der großen Umwälzungen nach dem Krieg übernahm 1919 bekanntlich die Sozialdemokratie die Regierungsverantwortung. Salzmann befürchtete daher mit Recht eine Sozialisierung der Apotheken und arbeitete dafür, den Stand in Erwartung drohender politischer Auseinandersetzungen so eng wie möglich zusammenzuschließen, um eine Vergesellschaftung der Apotheken auf jeden Fall zu unterbinden. Aufgrund der Inflation und der Verarmung der Bevölkerung ging der Arzneimittelverbrauch so stark zurück, dass ein Großteil der Apotheken dem Ruin entgegensah. Der DAV-Vorsitzende wehrte sich: Hatte er während des Ersten Weltkriegs an die verschiedenen Regierungen 162 Eingaben – d. h. alle 10 Tage eine – adressiert, so verdoppelte er 1919 deren Zahl und steigerte diese dann noch einmal im Folgejahr.
Als 1933 die NSDAP von den Krankenkassen, der Ärzteschaft, den Drogisten und auch vom DAV eine Gleichschaltung vorzunehmen verlangte, musste Salzmann am 22. April mit seinem gesamten Vorstand zurücktreten. Im Mai 1938 zwang ihn der Reichsapothekerführer Albert Schmierer zudem, nach 32 Jahren seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der Hageda niederzulegen. Nun blieben ihm nur noch die Ranke-Apotheke und seine Familie. Die letzte Wegstrecke war von weiterem Verlust gekennzeichnet: Salzmann büßte durch die Bombardements auf Berlin in der Nacht zum 15. Februar 1944 gleichzeitig Apotheke und Wohnhaus ein. Eine Bleibe fand das alte Ehepaar bei einer Tochter in Castrop, wo der verdiente pharmazeutische Standespolitiker dann am 28. Juni 1945 gestorben ist. Dass sein Name seither zunehmend in Vergessenheit geriet und seine Lebensleistung bis heute nicht die angemessene Würdigung erfahren hat, war denn auch der Anlass, mit der vorliegenden Arbeit eine für die deutsche Pharmazie einst maßgebende und zudem menschlich integre Persönlichkeit einer größeren Öffentlichkeit wieder in Erinnerung zu rufen. |
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DOI: | 10.17192/z2015.0230 |