Müdigkeit als Symptom in der Primärversorgung: eine systematische Übersichtsarbeit
1. Einleitung Symptomevaluierende Studien untersuchen die Prävalenz, Ätiologien und die Prognose von Symptomen in definierten Versorgungs-Settings. In meiner Arbeit präsentiere ich eine Übersicht solcher Studien zu der Beschwerde „Müdigkeit“ in der Primärversorgung. Müdigkeit ist ein vielschichtige...
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Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2015
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Subjects: | |
Online Access: | PDF Full Text |
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Summary: | 1. Einleitung
Symptomevaluierende Studien untersuchen die Prävalenz, Ätiologien und die Prognose von Symptomen in definierten Versorgungs-Settings. In meiner Arbeit präsentiere ich eine Übersicht solcher Studien zu der Beschwerde „Müdigkeit“ in der Primärversorgung. Müdigkeit ist ein vielschichtiges, subjektives Befinden, das einerseits physiologisch und harmlos sein kann, aber auch im Rahmen von psychischen oder somatischen Erkrankungen auftritt. Gerade weil Müdigkeit sehr weit gefasst ist und von unterschiedlicher Bedeutung sein kann, ist eine symptomorientierte Herangehensweise für den Allgemeinmediziner sinnvoll. Für ihn ist es wichtig, die Wahrscheinlichkeit dafür einzuschätzen, dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung mit abwendbar gefährlichem Verlauf bei einem Patienten mit der Beschwerde „Müdigkeit“ vorliegt.
Vorläufige Ergebnisse dieser Arbeit sind bereits in die aktualisierte DEGAM-Leitlinie zu „Müdigkeit“ eingeflossen.
2. Methoden
Nach Festlegung einer detaillierten Suchsyntax wurden in den Datenbanken Medline und Embase die einschlägigen Publikationen anhand von definierten Einschlusskriterien herausgefiltert. Zusätzlich wurde eine Handsuche in Kongressregistern des European General Practice Research Network und der North American Primary Care Research Group durchgeführt und die Literaturverzeichnisse der einschlägigen Arbeiten wurden durchgesehen, um weitere potentiell relevante Publikationen zu identifizieren. Zwei unabhängige Beurteiler prüften, ob die Arbeiten die von uns zuvor definierten Ein- und Ausschlusskriterien erfüllen. Die Daten der einschlägigen Arbeiten wurden extrahiert und die Studienqualität wurde anhand von 14 Qualitätsparametern beurteilt.
3. Hauptergebnisse
Aus der Literaturrecherche wurden 81 Studien in die Übersicht aufgenommen. Aus ihnen ergibt sich, dass Müdigkeit eine weit verbreitete Gesundheitsbeschwerde darstellt. Die Studien waren jedoch hinsichtlich ihrer klinischen und methodischen Charakteristika sehr heterogen, sodass ich oftmals Subgruppen, die für eine quantitative Synthese geeignet waren, gebildet habe. Besonders hohe Prävalenzen von bis zu etwa 70% zeigten sich bei systematischer Befragung der Patienten. Frei geklagte Müdigkeit als primärer oder sekundärer Beratungsanlass kam bei 13%-26% der Patienten vor. Studien, die nur Patienten mit Müdigkeit als Hauptkonsultationsgrund berücksichtigten, gelangten zu niedrigeren Häufigkeitsangaben, die in den Studienmerkmalen vergleichbaren Studien lieferten einen Punktschätzer von 4,1%. Müdigkeit war bei der Mehrheit der Patienten mit psychischen Erkrankungen, besonders Depression und Angststörungen, assoziiert. Gravierende somatische Ursachen traten selten auf, wenn die Erkrankungen nicht zu weit gefasst wurden und Kriterien, die auf eine Kausalität hinweisen, wie beispielsweise die zeitliche Beziehung, beachtet wurden. Eine Anämie lag bei etwa 2,1% der Müdigkeitspatienten vor, die Müdigkeit als Beschwerde spontan beim Arzt geäußert haben. Maligne Neoplasien wurden in allen Studien, in denen Müdigkeit nicht systematisch erfragt wurde, bei unter 1% der Patienten diagnostiziert. Einige Arbeiten untersuchten die Prävalenz des Chronischen Müdigkeitssyndroms. Wenn als „müde“ nicht nur Patienten definiert wurden, die bereits die wesentlichen Kriterien für CFS erfüllten, wurde festgestellt, dass nur ein kleiner Teil der Patienten (unter 5%) mit dem Symptom Müdigkeit in der Primärversorgung unter CFS litt. Bei einem Großteil der Patienten bestand die Müdigkeitssymptomatik auch nach mehreren Monaten fort. Nur ein kleiner Teil von etwa 5% der Patienten suchte den Allgemeinmediziner jedoch erneut wegen des Symptoms auf.
4. Diskussion und Schlussfolgerungen
Die Übersichtsarbeit belegt quantitativ, dass Müdigkeit eine sehr häufige Gesundheitsbeschwerde in der Primärversorgung darstellt. Für den Allgemeinmediziner sind Kenntnisse über die unterschiedlichen Ausprägungsgrade von Müdigkeit von großer Bedeutung. Es ergibt sich eine Spannbreite von Müdigkeit als harmlosem, nur bei systematischer Befragung angegebenem Symptom ohne nennenswerten Krankheitswert bis hin zu Müdigkeit als chronische die Lebensqualität deutlich beeinträchtigende Beschwerde. Schwierigkeiten bei der Auswertung ergaben sich dadurch, dass ein Teil der Studien erhebliche Mängel in der Studienqualität aufwies. Diese Studien konnten nicht in die statistische Analyse einbezogen werden. Die quantitative Synthese der Ergebnisse war zudem zum Teil problematisch und nur für Subgruppen möglich, da die Studien sich in ihren klinischen und methodischen Charakteristika stark voneinander unterschieden. Insgesamt zeigt diese Übersichtsarbeit, dass Müdigkeit als isolierter, vorübergehender Zustand auftreten kann, aber auch im Rahmen zahlreicher psychischer und somatischer Erkrankungen vorkommt. Wichtig für den behandelnden Arzt ist es, zu bedenken, dass Müdigkeit diverse Ursachen haben kann und in vielen Fällen von einer multifaktoriellen Genese auszugehen ist. Da bei Patienten, die Müdigkeit im hausärztlichen Setting angaben, selten gravierende somatische Ursachen zu Grunde liegen, sind umfassende, kostspielige diagnostische Verfahren, wenn keine Hinweise auf eine organische Erkrankung bestehen, nicht angemessen. Häufig ist Müdigkeit mit psychischen Störungen assoziiert, sodass eine ausführliche Anamnese mit Erfragung psychischer Symptome vor allem in Hinblick auf Depressionen empfehlenswert ist. |
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DOI: | 10.17192/z2015.0154 |