Wortstellungsvariation im Deutschen: Psycholinguistische Untersuchungen zur Relativsatzposition
Das Deutsche erlaubt eine Reihe von Wortstellungsvariationen. So wird zum Beispiel ein nomenbezogener Relativsatz häufig erst am Satzende nach dem Verb realisiert, statt direkt auf das Nomen, welches er spezifiziert, zu folgen. Man spricht im ersten Fall von Distanzstellung oder Extraposition des Re...
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Contributors: | |
Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2013
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Subjects: | |
Online Access: | PDF Full Text |
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Summary: | Das Deutsche erlaubt eine Reihe von Wortstellungsvariationen. So wird zum Beispiel ein nomenbezogener Relativsatz häufig erst am Satzende nach dem Verb realisiert, statt direkt auf das Nomen, welches er spezifiziert, zu folgen. Man spricht im ersten Fall von Distanzstellung oder Extraposition des Relativsatzes, im zweiten Fall von dessen Kontaktstellung oder Adjazenz.
Doch wodurch wird die Wahl der Relativsatzposition bestimmt? In der Vergangenheit wurde eine Vielzahl von Faktoren diskutiert, wobei man sich mit der Relativsatzlänge und der Extrapositionsdistanz entweder stärker auf strukturelle Faktoren konzentrierte oder mit dem Informationsstatus des Nomens oder des Relativsatzes diskurspragmatische Faktoren in den Vordergrund hob. Sofern empirische Daten herangezogen wurden, stammten diese fast ausschließlich aus Akzeptabilitäts- und Korpusstudien, also sogenannten Offline-Messungen. Online-Messungen, die den Einfluss dieser Faktoren während der Verarbeitung der kritischen Satzstrukturen abbilden, existieren jedoch kaum oder kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen.
Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Sie versucht in einer Reihe von EKP-Studien den Einfluss und das Zusammenspiel der am häufigsten genannten Faktoren Relativsatzlänge, Extrapositionsdistanz und Fokus auf die Verarbeitung von Relativsätzen in ihren beiden Stellungsvarianten darzustellen, ergänzt durch einen weiteren, bisher eher unbeachteten Faktor - der grammatischen Funktion des Bezugsnomens.
Der erste Teil der Arbeit gibt zunächst einen umfassenden theoretischen Überblick über das Phänomen der Relativsatzextraposition, sowohl hinsichtlich seiner grammatischen Beschreibung als auch aus der Verarbeitungsperspektive. Es schließt sich eine ausführlichere Methodenbeschreibung an, in der Frequenzanalysen und ereigniskorrelierte Potenziale (EKP) als Auswertungsmethoden von EEG-Daten erläutert und ein Überblick relevanter Ergebnisse bisheriger Studien aufgeführt werden. Im experimentellen Teil dieser Arbeit erfolgt schließlich die Darstellung der drei durchgeführten EKP-Studien, inklusive der parallel erhobenen Akzeptabilitätsbewertungen. Diese wurden durch zwei zusätzliche Akzeptabilitätsstudien ergänzt. Bereits die Ergebnisse der Akzeptabilitätsbewertungen brachten gegenüber den bestehenden Studien neue Erkenntnisse. So zeigte sich bezüglich des Einflusses der Faktoren Relativsatzlänge und Extrapositionsdistanz, dass eine Abhängigkeit zur grammatischen Funktion des Bezugsnomens besteht: Bezieht sich der Relativsatz auf das Subjekt, ist die Extrapositionsdistanz für die Bewertung der extraponierten Relativsatzposition entscheidend. Wird der Relativsatz jedoch an das Objekt angebunden, nimmt der Einfluss der Extrapositionsdistanz ab und es wird das Verhältnis zwischen Extrapositionsdistanz und Relativsatzlänge entscheidend.
Die EEG-Messungen konnten dieses Bild weiter konkretisieren. Der Einfluss der Extrapositionsdistanz wurde zunächst unabhängig von der grammatischen Funktion in Form einer N400 auf dem eindeutig markierten Relativpronomen und dem Relativsatzverb für eine lange Extrapositionsdistanz des Relativsatzes sichtbar. Der in den Akzeptabilitätsbewertungen beobachtete Unterschied bezüglich der grammatischen Funktion des Bezugsnomens wurde erst in einer späten Positivierung auf dem Relativsatzverb sichtbar. Sie zeigte sich nur für eine lange Subjektanbindung zusätzlich zur N400.
Ein Einfluss des Informationsstatusses des Bezugsnomens konnte in diesem Experimentdesign ebenfalls nur für die Subjektanbindung eines extraponierten Relativsatzes nachgewiesen werden, allerdings nur, solange keine stärkeren informationsstrukturellen Einflüsse hinzu traten, wie es bei einer veränderten Argumentabfolge durch Scrambling der Fall ist. Er zeigte sich in Form einer frühen N400 auf dem Relativsatzverb wenn das Bezugsnomen nicht neu, sondern vorerwähnt war, unabhängig von der Extrapositionsdistanz, und führte zum Ausbleiben der späten Positivierung bei großer Extrapositionsdistanz bei einem fokussierten, neuen Bezugsnomen.
Als funktionale Erklärung der Negativierungen wurde eine erschwerte Reaktivierung des Bezugsnomens bei der Integration des Relativsatzes vorgeschlagen, die durch die große Entfernung zum Bezugsnomen entsteht (Extrapositionsdistanz) oder durch die geringere Salienz eines vorerwähnten Nomens (Informationsstatus). Beide Faktoren sind zunächst unabhängig voneinander wirksam. Erst in einem weiteren Verarbeitungsschritt, in dem die Gesamtstruktur, also die erfolgte Integration des Relativsatzes evaluiert wird, fließen alle Faktoren zusammen. Die Bewertung der Gesamtstruktur erfolgt nun in Abhängigkeit von der grammatischen Funktion des Bezugsnomens, was das differenzierte Auftreten der P600 für die lange Subjektanbindung zeigt.
Die Stellungsvariation von Relativsätzen lässt sich folglich nicht an einem einzigen Faktor festmachen. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Wechselspiel mehrerer Faktoren. |
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DOI: | 10.17192/z2014.0086 |