Möglichkeiten und Grenzen der partizipativen Entscheidungsfindung - eine Befragung von Ethikern mittels eines faktoriellen Survey

Theoretischer Hintergrund/Fragestellung Die vorliegende Promotionsarbeit behandelt das Thema des Shared Decision Making, welches ein bestimmtes Entscheidungsverfahren in der Medizin beschreibt, bei dem der Arzt und der Patient gemeinsam die Entscheidung über das Einsetzen diagnostischer bzw. therap...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Rosinger, Lydia
Beteiligte: Krones, Tanja (PD Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2013
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Theoretischer Hintergrund/Fragestellung Die vorliegende Promotionsarbeit behandelt das Thema des Shared Decision Making, welches ein bestimmtes Entscheidungsverfahren in der Medizin beschreibt, bei dem der Arzt und der Patient gemeinsam die Entscheidung über das Einsetzen diagnostischer bzw. therapeutischer Maßnahmen treffen. Vorteilhaft ist vor allem der stattfindende Informationsaustausch zwischen diesen beiden Parteien, der es ermöglicht, die subjektive Präferenz des Patienten, begründet z. B. durch seine Persönlichkeit, seinen Interessen, Erwartungen und bisherigen Erfahrungen, in Verbindung zu setzen mit dem Fachwissen des Arztes, der die klinische Situation einschätzen kann und medizinische Vor- und Nachteile kennt. Jedoch wird das Prinzip des Shared Decision Making als nicht immer indiziert betrachtet. Insbesondere in medizinischen Situationen, in denen eine schnelle und kompetente Entscheidung getroffen werden muss (der akute Notfall), sind Einschränkungen vorhanden (Frosch & Kaplan, 1999). Bislang wurde dieser Diskurs, wie medizinische Entscheidungen getroffen werden sollten, primär analytisch und theoretisch reflexiv geführt. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen, in denen Fakten und Präferenzen zum Entscheidungsprozess erhoben wurden, wurden in dieser Studie mit Hilfe eines faktoriellen Survey soziale Normen im Hinblick auf den Anwendungsbereich einer gemeinsamen Entscheidungsfindung durch die Befragungen von Mitgliedern der Akademie für Ethik in der Medizin e. V. (AEM) empirisch untersucht. Methodik Der eingesetzte faktorielle Survey beinhaltet sieben Faktoren (z. B. Konsultationsgrund, Anzahl der Therapiemöglichkeiten, Nebenwirkungen der Behandlung), mit jeweils 2 - 3 Ausprägungen (z. B. leichte/schwere Erkrankung, Vorsorgeuntersuchung). Die Faktoren wurden im Rahmen eines experimentellen Designs zu Fallgeschichten (Vignetten) mit unterschiedlichen Merkmalen kombiniert, in denen jeweils eine Behandlungssituation beschrieben wird. Auf einer 5-stufigen Beurteilungsskala sollten die Befragten einschätzen, wie in dieser Behandlungssituation entschieden werden sollte. Der Fragebogen wurde den 500 Mitgliedern der AEM per Post zugesandt. Insgesamt nahmen 176 Personen an der Befragung teil (Rücklaufquote: 35,2%). Die statistische Auswertung mittels logistischer Regression diente der Ermittlung des Einflusses der einzelnen Faktoren, ihrer Interaktionen sowie der Untersuchung von Gruppenunterschieden. Ergebnisse Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die gemeinsame Entscheidungsfindung mit 43,52% zur Beurteilung der Krankheitsgeschichten von den Ethikern am häufigsten genannt wurde. Durch Regressionsanalysen konnten verschiedene situative Faktoren als signifikant ermittelt werden. Als besonders einflussnehmend kristallisierte sich hierbei der Wunsch des Patienten, sich an medizinischen Entscheidungen zu beteiligen, heraus. Darüber hinaus gab die Mehrheit der Befragten an, im Falle einer eigenen Erkrankung ebenfalls eine gemeinsame Entscheidungsfindung zu bevorzugen. Diese Urteile hatten einen hochsignifikanten Einfluss auf die Vignettenurteile: Wenn die Befragten die Entscheidung bei eigener Krankheit selbst treffen wollen würden, so war ihre generelle Tendenz der Vignettenbeurteilung auch in Richtung Patientenentscheid. Diskussion/Forschungsausblick Anhand der ermittelten Ergebnisse wird der zentrale Bestand von Shared Decision Making im medizinischen Entscheidungswesen deutlich. Gleichzeitig können durch die Faktorenanalyse Situationen beschrieben werden, die Möglichkeiten bzw. Grenzen der partizipativen Entscheidungsfindung darstellen. Der weitere Forschungsbedarf ist jedoch groß. Nach den Ergebnissen dieser Studie scheint insbesondere der Beteiligungswunsch des Patienten hierbei ein bedeutsames Merkmal zu sein für die geeignete Art des Entscheidungsprozesses - die optionale Autonomie ist in diesem Zusammenhang zu beachten und zu respektieren, d. h. die Autonomie des Patienten sollte weder angegriffen noch aufgezwungen werden (Edward & Elwyn, 2006). Ein weiteres wichtiges Ergebnis der vorliegen Studie ist, dass soziale Normen in Bezug auf einen Einsatz von Shared Decision Making am stärksten von persönlichen Präferenzen beeinflusst werden, eine sozial-normative Beurteilung ohne individuellen Neigungen folglich nicht möglich war. Desweiteren kann anhand dieser Studie dargestellt werden, in welcher Weise, anhand von empirisch messbaren Werturteilen, eine normative Frage mit beantwortet werden kann. Weitere Untersuchungen sollten zur Bereicherung dieses Diskurses erfolgen.
DOI:10.17192/z2013.0532