Kognitive Selbstaufmerksamkeit und neuropsychologische Leistungsdefizite bei Zwangserkrankungen

Die neuropsychologische Leistungsfähigkeit von Zwangserkrankten wurde bereits vielfach untersucht. Einer der häufigsten Befunde ist dabei eine Beeinträchtigung im visuellen Gedächtnis, während die verbale Gedächtnisleistung eher bei solchen Aufgaben reduziert ist, in welchen das zu lernende Mater...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Koch, Julia
Beteiligte: Exner, Cornelia (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2013
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die neuropsychologische Leistungsfähigkeit von Zwangserkrankten wurde bereits vielfach untersucht. Einer der häufigsten Befunde ist dabei eine Beeinträchtigung im visuellen Gedächtnis, während die verbale Gedächtnisleistung eher bei solchen Aufgaben reduziert ist, in welchen das zu lernende Material für eine erfolgreiche Enkodierung zunächst in sinnvolle semantische Einheiten gruppiert werden muss und damit ein erhöhter Strukturierungsaufwand erforderlich ist. Auch die Befunde zu selektiven Aufmerksamkeitsleistungen sind uneinheitlich; hier finden sich sowohl Studien, die zeigen, dass Zwangserkrankte Schwierigkeiten dabei haben, ihre Aufmerksamkeit auf relevante Informationen zu richten und gleichzeitig irrelevante Informationen zu ignorieren, als auch Untersuchungen, die keine solchen Defizite nachweisen konnten. Gleichzeitig zeichnen sich Zwangserkrankte durch einen hohen Drang aus, eigene Gedanken und gedankliche Prozesse zu beobachten. Unklar blieb bislang jedoch, ob dieses hohe Maß an kognitiver Selbstaufmerksamkeit einen den kognitiven Defiziten zugrunde liegenden Mechanismus darstellen könnte. Ziel der vorliegenden publikationsbasierten Dissertation war daher, bei Zwangserkrankten das Vorliegen eines solchen ursächlichen Zusammenhangs zu überprüfen sowie zu untersuchen, inwiefern die kognitive Selbstaufmerksamkeit und weitere maladaptive Denkstile mit selektiven Aufmerksamkeitsleistungen zusammenhängen. In der ersten Studie wurde untersucht, ob eine experimentelle Erhöhung der kognitiven Selbstaufmerksamkeit zu schlechteren Leistungen im visuellen Gedächtnis von Zwangserkrankten führt. Zur Erfassung der visuellen Gedächtnisleistung sollten Zwangserkrankte und gesunde Kontrollprobanden drei Varianten einer komplexen geometrischen Figur unter drei experimentellen Bedingungen abzeichnen und nach einem Zeitintervall von drei Minuten aus dem Gedächtnis reproduzieren: In der ersten Versuchsbedingung war die Aufgabe der Probanden, beim Abzeichnen der Figur gleichzeitig auf die eigenen Gedanken zu achten, während sie in der zweiten Versuchsbedingung gleichzeitig akustische Stimuli beachten sollten. In der dritten Versuchsbedingung hingegen wurde keine parallele Aufgabe gestellt. Die Zwangserkrankten konnten weniger Details der drei Figuren reproduzieren, wenn sie bei deren Abzeichnen gleichzeitig auf ihre Gedanken oder akustische Stimuli achten sollten als wenn ihnen dabei keine parallele Aufgabe gestellt worden war. Bei den gesunden Kontrollprobanden hingegen war die visuelle Gedächtnisleistung nur dann schlechter, wenn sie sich beim Abzeichnen der Figuren auch auf die akustischen Stimuli konzentrieren sollten. In der zweiten Studie wurde dasselbe Versuchsdesign zur Erfassung der Rolle der kognitiven Selbstaufmerksamkeit als möglicher zugrunde liegender Mechanismus der verbalen Gedächtnisdefizite verwendet. Um herauszufinden, ob es sich dabei um einen für die Zwangsstörung spezifischen Effekt handelt oder ob dieser auch bei anderen psychischen Erkrankungsbildern zu finden ist, wurden außerdem depressive Probanden untersucht. Die verbale Gedächtnisleistung wurde mit Hilfe der drei Versionen des California Verbal Learning Tests, bei dem eine Liste von mehrfach dargebotenen Worten gelernt werden soll, erfasst. Die Probanden konnten sich über alle Gruppen hinweg weniger Worte merken, wenn sie parallel zum Lernen dieser Worte auch ihre Gedanken oder die akustischen Stimuli beachten sollten. Der Leistungsabfall war bei allen drei Versuchsgruppen gleich hoch. In der dritten Studie schließlich wurde untersucht, wie die habituelle kognitive Selbstaufmerksamkeit und weitere maladaptive Denkstile mit Leistungen in der selektiven Aufmerksamkeit bei Zwangserkrankten zusammenhängen. Die Fähigkeit, relevante Stimuli aus einer Vielzahl von Reizen herauszufiltern und irrelevante Reize zu ignorieren wurde mit Hilfe des Test d2 erfasst. Zunächst zeigte sich, dass Zwangserkrankte im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden hier schlechtere Leistungen zeigten. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass Alter, Intelligenz und Schuljahre zusammengenommen die selektive Aufmerksamkeitsleistung der Zwangserkrankten signifikant vorhersagten. Die Güte des Regressionsmodells konnte noch verbessert werden, wenn zugleich die habituelle kognitive Selbstaufmerksamkeit, die Ruminationsneigung und die Neigung, sich zu sorgen, als Prädiktoren genutzt wurden, während sich dies für Indikatoren der Symptomschwere nicht zeigte. Zusammengefasst bestätigen die Ergebnisse also die Annahme, dass eine hohe Ausprägung kognitiver Selbstaufmerksamkeit bei Zwangserkrankten zu einer Leistungsminderung im visuellen und verbalen Gedächtnis führt. Ebenso wie bei einer externen Zweit-Aufgabe wie dem Beachten von akustischen Stimuli scheinen kognitive Ressourcen beansprucht zu werden, die dann für die Gedächtnisaufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen. Zumindest bei den verbalen Gedächtnisleistungen scheint dieser Effekt jedoch nicht spezifisch für die Zwangsstörung sondern ein genereller Mechanismus zu sein, der sich auf Menschen unabhängig von ihrem klinischen Status auswirkt. Darüber hinaus unterstützen die Ergebnisse die Annahme,dass die kognitive Selbstaufmerksamkeit sowie andere maladaptive Denkstile eine wichtige Rolle beim Verständnis selektiver Aufmerksamkeitsdefizite von Zwangserkrankten spielen. Ob auch hier ein ursächlicher Zusammenhang besteht, kann aufgrund der vorliegenden korrelativen Befunde jedoch noch nicht abschließend geklärt werden.
DOI:10.17192/z2013.0073