Cortisolreaktion und Gedächtnisleistung nach unterschiedlichen Stressoren (Lernstress und Public Speaking) bei gesunden Probanden
In der vorliegenden Studie wurde ein von unserer Arbeitsgruppe entwickeltes Lernstress-Paradigma anhand eines ausbalancierten Messwiederholungs-Designs dahingehend evaluiert, ob es im Vergleich zu einer Lernbedingung unter Ruhe und dem etablierten Stressor „Public Speaking“ (Öffentliches Sprechen) e...
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Contributors: | |
Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2012
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Summary: | In der vorliegenden Studie wurde ein von unserer Arbeitsgruppe entwickeltes Lernstress-Paradigma anhand eines ausbalancierten Messwiederholungs-Designs dahingehend evaluiert, ob es im Vergleich zu einer Lernbedingung unter Ruhe und dem etablierten Stressor „Public Speaking“ (Öffentliches Sprechen) ebenso zu einem stressbedingten Cortisolanstieg bei 24 gesunden männlichen Probanden führt. Das Lernstress-Paradigma, welches aus einer computergestützen Zuordnungslernaufgabe unter Zeitdruck besteht, könnte damit als Paradigma in der Stress- und Gedächtnisforschung dienen, welches pragmatischer als der TSST oder Public Speaking ist und damit auch bei der Untersuchung von Patientengruppen (z.B. mit affektiven Erkrankungen und Angsterkrankungen) einsetzbar wäre. Zudem wurde der Frage nachgegangen, ob die durch Stress induzierte Cortisolreaktion die deklarative Gedächtnisleistung, gemessen anhand des AVLT, im Unterschied zur impliziten Gedächtnisleistung während der Lern- oder Konsolidierungsphase negativ beeinflusst.
Aufgrund von klinischen und experimentellen Studien kann davon ausgegangen werden, dass hippocampus-abhängige deklarative Gedächtnisleistungen durch Cortisol beeinflusst werden. Es wird vermutet, dass Cortisol an neuroanatomische Strukturen, die wesentlich in Lern- und Gedächtnisprozesse involviert sind – u.a. der Hippocampus, der präfrontale Cortex (PFC) sowie die Amygdala – bindet, und über eine Inhibition der Langzeitpotenzierung im Hippocampus zu einer Beeinträchtigung von Gedächtnisleistungen führt (Lupien et al., 2007). Allerdings wurden sowohl Beeinträchtigungen (Lupien & McEwen., 1997; Elzinga., Bakker & Bremner, 2005) als auch verbesserte Gedächtnisleistungen nach Stressor bzw. Cortisolgabe, vor allem bei emotionalen Wörtern (Buchanan & Lovallo, 2001; Kuhlmann & Wolf, 2006a) gefunden. Anhand der Unterscheidung verschiedener Gedächtnisprozesse zeigte sich, dass Cortisol die Gedächtniskonsolidierung (v.a. emotionalen Materials) zu verbessern scheint, während der Abruf gelernten Materials beeinträchtigt wird. Auch spielt die Höhe der Cortisolkonzentration, die im Sinne einer umgekehrten U-Funktion mit kognitiven Leistungen zusammenhängt, eine wesentliche Rolle (Domes et al., 2005). Weitere modulierende Faktoren sind der Grad der adrenergen Stressreaktion, der Tageszeitpunkt (Het, Ramlow & Wolf, 2005), Geschlechtereffekte (Wolf et al., 2001), sowie auch Persönlichkeitsfaktoren (Hemmeter, 2000). Im Gegensatz zu expliziten Gedächtnisleistungen scheinen Glukokortikoide keinen Einfluss auf implizite Gedächtnisleistungen zu haben (Kirschbaum et al., 1996; Lupien et al., 1997), vermutlich, da sie weitgehend von hippocampalen Strukturen unabhängig sind.
Es zeigte sich, dass die Stressreaktion auf beide Stressoren entgegen unserer Hypothesen unterschiedlich ausfiel: Sie umfasste beim Lernstress-Paradigma zwar eine signifikante Blutdruckerhöhung sowie Veränderungen im Befinden, beim Public Speaking-Paradigma jedoch zusätzlich einen bedeutenden Cortisolanstieg innerhalb der ersten halben Stunde nach Stressor (AUC; Z = -2,8; p = .005). Dabei konnten unter beiden Stress-Bedingungen sog. Cortisol-Responder gefunden werden, die sowohl auf Public Speaking als auch auf Lernstress mit einer signifikant stärkeren Cortisolantwort reagierten als sog. Cortisol-Non-Responder.
Die durch das Lernstress-Paradigma und Public Speaking induzierte Stressreaktion führte in der Gesamtgruppe entgegen unserer Hypothese zu keiner signifikanten Beeinträchtigung der deklarativen Gedächtnisleistung im AVLT, weder im unmittelbaren oder verzögerten freien Abruf noch in der Wiedererkennensleistung. Allerdings waren Public Speaking-Responder in der Abrufleistung der Interferenzliste im Vergleich zur Ruhebedingung beeinträchtigt, d.h. sie wurden stärker durch eine proaktive Interferenz beeinflusst. Es zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen Behaltensleistung – also der Gedächtniskonsolidierung – und Cortisol unter Public Speaking (r = -.446). Unter dem Lernstress-Paradigma an sich gab es, wahrscheinlich aufgrund des geringeren Cortisolanstiegs, keinen Zusammenhang zwischen Lernleistung oder expliziter Gedächtnisleistung und Cortisol. Die implizite Gedächtnisleistung wurde entgegen unserer Erwartung durch Stress beeinflusst; so war der Priming-Effekt der verzögerten lexikalischen Entscheidungsaufgabe unter Public Speaking verringert, dagegen fand sich ein positiver Zusammenhang zwischen Cortisolanstiegen und unmittelbarem Priming-Effekt unter Public Speaking-Respondern, sowie dem prozeduralen Gedächtnis (Spiegelzeichnen) unter Lernstress. Es gab keinen Hinweis, dass der Zusammenhang von Stress und Gedächtnisleistung durch die Aufmerksamkeitsleistung moduliert wurde.
Insgesamt konnten wir im Einklang mit anderen Studien bestätigen, dass Cortisol den Zusammenhang von Stress und Gedächtnisleistung, insbesondere die Konsolidierung, beeinflusst, wobei möglicherweise Interferenzeffekte eine Rolle spielen. Dabei wird von einer Interaktion von Glukokortikoiden mit noradrenergen Afferenzen ausgegangen (Roozendaal, 2002). Auch sollten in Zukunft Auswirkungen auf implizite Gedächtnisleistungen stärker beachtet werden. Gründe, weshalb wir keine Cortisolanstiege nach dem Lernstress-Paradigma nachweisen konnten, betreffen sowohl qualitative als auch methodische/quantitative Unterschiede zum Paradigma Public Speaking. Eine erneute Prüfung des Lernstress-Paradigmas unter Verstärkung seiner stress-fördernden Faktoren sollte daher erfolgen. |
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DOI: | 10.17192/z2012.0549 |