Einfluss einer Prämedikation mit Dikaliumclorazepat auf den affektiven Zustand des Patienten vor einer Anästhesie

Zusammenfassung: Hintergrund: Allgemeiner Standard der präoperativen anästhesiologischen Versorgung ist das vorbereitende Gespräch (Anamnese, Befunderhebung, Risikostratefizierung, Aufklärung und Einwilligung) und die Gabe eines Psychopharmakons mit überwiegend anxiolytischer Wirkung. Ziel der Phar...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Vogelsang, Vadim
Beteiligte: Höltermann, Walter (Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2012
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Zusammenfassung: Hintergrund: Allgemeiner Standard der präoperativen anästhesiologischen Versorgung ist das vorbereitende Gespräch (Anamnese, Befunderhebung, Risikostratefizierung, Aufklärung und Einwilligung) und die Gabe eines Psychopharmakons mit überwiegend anxiolytischer Wirkung. Ziel der Pharmakotherapie ist die Vermeidung von Disstress zur Sicherung von Patientenzufriedenheit und Therapieerfolg. Dazu wird allen Patienten präoperativ 20 bzw. 50 mg Dikaliumclorazepat (Tranxilium®) mindesten 60 Minuten vor Einleitung der Anästhesie verabreicht. Mit der hier vorgelegten Untersuchung soll diese gängige Praxis unter Anwendung wissenschaftlicher Kriterien auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Deswegen waren die prämedizierenden Anästhesisten hinsichtlich ihrer Gesprächsführung und der Wahl der verabreichten Menge an Dikaliumclorazepat völlig unabhängig. Methoden: In die Beobachtungsstudie konnten 461 Patienten (255 Frauen und 206 Männer) mit einem mittleren Alter von 49,8 + 16,0 Jahre (18-86 Jahre, Median 48 Jahre) eingeschlossen werden. Der affektive Zustand der Patienten und damit deren präoperative Angst wurde an 3 Beobachtungszeitpunkten (vor der Prämedikationsvisite, nach der Prämedikationsvisite und 60 Minuten nach der Einnahme von Dikaliumclorazepat) erfasst. Als Instrumente dienten dafür ein Fragebogen zur präoperativen Angst, ein Kurzfragebogen zur aktuellen Beanspruchung (KAB) und die Messung der präoperativen Angst als Selbstbeobachtung mit einer nicht skalierten visuellen Analogskala (VAS) von 0 (= keine Angst) bis 10 (= größte vorstellbare Angst). Ergebnisse: 1. Das präoperativ verabreichte Psychopharmakon führt, im Vergleich mit den Werten nach dem Prämedikationsgespräch, zu keiner darüber hinausgehenden Verbesserung des affektiven Zustandes der untersuchten Patienten. 2. Patienten mit negativen Vorinformationen oder negativen Vorerfahrungen haben vor dem Prämedikationsgespräch im Vergleich eine höhere emotionale Belastung, die sich durch das Gespräch mit dem Anästhesisten überdurchschnittlich stark reduziert (darstellbar anhand von VAS und KAB). 3. Patienten, die „Vertrauen zum Anästhesisten gefasst haben“ und „deren Angst durch das Prämedikationsgespräch abgebaut wurde“ lassen sich durch die Höhe der Werte zur Bestimmung der emotionalen Belastung (KAB) identifizieren. 4. Frauen leiden häufiger unter einer unspezifischen Angst vor einer Anästhesie. Auch haben Frauen, im Vergleich mit Männern, häufiger Angst aus der Narkose nicht wieder aufzuwachen bzw. während der Anästhesie unvorhergesehen wach zu sein. 5. Nach dem Prämedikationsgespräch nimmt die innere Anspannung bis zum Zeitpunkt des Anästhesiebeginns wieder zu. Wurde die emotionale Beanspruchung durch das Prämedikationsgespräch stark reduziert, so war diese Zunahme weniger deutlich darstellbar. Schlussfolgerungen: Die Untersuchung zeigt eindrucksvoll, dass Patienten vor einer Anästhesie von einem persönlichen Prämedikationsgespräch in Bezug auf ihre emotionale Beanspruchung/Angst profitieren, auch dann, wenn dieses Gespräch nicht nach strukturierten Vorgaben erfolgt. Dieses Ausmaß an emotionaler Entlastung kann im weiteren Verlauf bis zum Beginn der Anästhesie nicht konserviert werden, auch nicht durch die Gabe eines anxiolytisch wirkenden Psychopharmakon. Die Einschätzung der Wirkung des Psychopharmakons bleibt dabei offen und nur indirekte Hinweise lassen vermuten, dass deren Wirkung möglicherweise überschätzt wird. Patienten mit negativen Vorerfahrungen oder Vorinformationen bedürfen einer besonders intensiven Zuwendung, da sie von dem Prämedikationsgespräch besonders ausgeprägt profitieren. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass, wenn der prämedizierende Anästhesist auch der ist, der die Anästhesie durchführt, dieses sich auf die emotionale Beanspruchung und damit die Zufriedenheit der Patienten günstig auswirkt. Fazit: Dem Prämedikationsgespräch kommt in dem Gesamtprozess der operativen Behandlung hinsichtlich präoperativer Angst, emotionaler Beanspruchung und Patientenzufriedenheit ein hoher Stellen wert zu. Die Praxis der präoperativen Verabreichung eines angstlösenden Psychopharmakons bedarf der kritischen Überprüfung und der weitergehenden wissenschaftlichen Begleitung.
DOI:10.17192/z2012.0428