Die Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung in Abhängigkeit von der Behandlungssituation

Da die Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung den Behandlungserfolg wesentlich mit be-stimmt, stellt sich die Frage, wie medizinische Entscheidungen getroffen werden sollten. Im Wesentlichen lassen sich drei Formen der medizinischen Entscheidungsfindung voneinander abgrenzen: die gemeinsame Entsche...

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Main Author: Müller-Engelmann, Meike
Contributors: Rief, Winfried (Prof. Dr.) (Thesis advisor)
Format: Doctoral Thesis
Language:English
Published: Philipps-Universität Marburg 2010
Subjects:
Online Access:PDF Full Text
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Description
Summary:Da die Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung den Behandlungserfolg wesentlich mit be-stimmt, stellt sich die Frage, wie medizinische Entscheidungen getroffen werden sollten. Im Wesentlichen lassen sich drei Formen der medizinischen Entscheidungsfindung voneinander abgrenzen: die gemeinsame Entscheidungsfindung („shared decision making“ (SDM)), die ärztliche Entscheidung und die informierte Patientenentscheidung. Die gemeinsame Entschei-dungsfindung wird dabei in der Medizinethik häufig als Ideal betrachtet, da sie gewährleistet, dass die Meinung des Patienten ausreichend berücksichtigt wird. Es wurden vielfältige positi-ve Effekte einer gemeinsamen Entscheidungsfindung nachgewiesen, dennoch ist SDM in der medizinischen Alltagsversorgung bisher noch nicht breit implementiert. Fraglich ist, ob SDM überhaupt für alle Behandlungssituationen geeignet ist, oder ob Grenzen einer gemeinsamen Entscheidungsfindung definiert werden sollten, wie dies theoretische Modelle nahe legen. Die vorliegende Dissertation hatte das Ziel, soziale Normen bezüglich der medizinischen Ent-scheidungsfindung in verschiedenen Behandlungssituationen durch die Befragung von Mit-gliedern unterschiedlicher Interessengruppen systematisch zu untersuchen. In einem ersten Schritt wurden dazu qualitative Interviews mit Patienten, Ärzten und Experten des Gesundheitssystems geführt. In diesen Interviews wurden insgesamt 19 Faktoren identifi-ziert, die nach Ansicht von mindestens fünf befragten Personen einen Einfluss auf die Gestal-tung des medizinischen Entscheidungsfindungsprozesses haben sollten. Basierend auf den identifizierten Faktoren wurde im nächsten Schritt ein faktorieller Survey entwickelt. Dieser besteht aus den Beschreibungen verschiedener Behandlungssituationen, für die sieben rele-vante situative Merkmalen miteinander kombiniert wurden (der Anlass des Arztbesuchs, der Zeitpunkt negativer Konsequenzen, die verbleibende Zeit bis zum erforderlichen Behand-lungsbeginn, die Anzahl der Therapiemöglichkeiten, die Existenz von Nebenwirkungen, das Vorliegen wissenschaftlicher Belege für die Wirksamkeit der Behandlung sowie der Beteili-gungswunsch des Patienten). Mit dem faktoriellen Survey wurden im Rahmen einer größeren quantitativen Studie Allgemeinmediziner, Patienten und Mitglieder von Selbsthilfegruppen befragt. Diese wurden gebeten die ihnen vorgelegten Situationsbeschreibungen bezüglich der Frage, in welcher Form jeweils über die Behandlung entschieden werden sollte, einzuschät-zen. Die statistische Auswertung ergab, dass in den meisten Situationen eine gemeinsame Entscheidungsfindung als angemessen betrachtet wurde. Darüber hinaus zeigte sich, dass alle sieben untersuchten situativen Faktoren einen signifikanten Einfluss darauf haben, wie medi-zinische Entscheidungen getroffen werden sollten. Als besonders wichtig wurde hierbei be-wertet, den Beteiligungswunsch des jeweiligen Patienten zu berücksichtigen. Die stärkste Auswirkung auf die Beurteilung der Fallgeschichten hatte jedoch der persönliche Beteili-gungswunsch der Befragten im Falle einer eigenen Erkrankung. Basierend auf den durchgeführten Studien wurden Situationen beschrieben, in denen SDM als besonders wichtig angesehen wurde, und solche, in denen die Entscheidung nach Ansicht der Befragten am ehesten dem Arzt oder am ehesten dem Patienten überlassen werden könnte. Die Ergebnisse der vorliegenden Studien sollen Ärzten ermöglichen, die Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung den situativen Erfordernissen anzupassen. Darüber hinaus zeigen sie, wann eine patientenorientierte medizinische Versorgung als besonders wichtig zu betrachten ist, was vor allem vor dem Hintergrund vielfältiger Barrieren, die einer breiten Umsetzung einer gemeinsamen Entscheidungsfindung bisher im Weg stehen, relevant ist.
DOI:10.17192/z2010.0759