Reorganisationen und Mikropolitik: Eine Analyse am Beispiel eines Baukonzerns
Prozesse der Unternehmensreorganisation gehören zu den zentralen Forschungsthemen der Arbeits- und Industriesoziologie. Dabei wird in jüngerer Vergangenheit immer offensichtlicher, dass diesbezüglich die Grundannahme von einem universell gültigen, strukturprägenden Leitbild der Reorganisation nicht...
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Contributors: | |
Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2006
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Subjects: | |
Online Access: | PDF Full Text |
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Summary: | Prozesse der Unternehmensreorganisation gehören zu den zentralen Forschungsthemen der Arbeits- und Industriesoziologie. Dabei wird in jüngerer Vergangenheit immer offensichtlicher, dass diesbezüglich die Grundannahme von einem universell gültigen, strukturprägenden Leitbild der Reorganisation nicht länger haltbar ist. Statt dessen prägen Vielfalt und Heterogenität das Bild, denn Reorganisationen sind weitaus mehr als exakt kalkulierbare und zweckrationale Veränderungsprozesse. Die Praxis zeigt, dass die Akteure nicht ohne Einfluss sind, sowohl formell als auch informell.
Hier setzt die Arbeit an und widmet sich der Frage, welche Relevanz mikropolitischen Konzepten zuzumessen ist, um Prozesse der Reorganisation und ihre nicht-intendierten Folgen verstehen und erklären zu können. Im Rahmen einer qualitativ empirischen Untersuchung in einem Baukonzern wird der Verlauf von Reorganisationsprozessen rekonstruiert und analysiert, um die Bedeutung von Mikropolitik bei der Konzeption, Implementierung und dem Leben von Veränderungen erschließen zu können. Von Forschungsinteresse ist, wodurch akteursspezifisches Handeln im Kontext organisationsspezifischer Strukturen bei Reorganisationen bestimmt, ermöglicht oder restringiert wird.
Die Arbeit nähert sich dem Untersuchungsgegenstand, indem sie ein theoretisches Gerüst zu Grunde legt, das strukturations- und akteurstheoretische Ansätze verknüpft. Der theoretische Bezugsrahmen entsteht in der Auseinandersetzung mit der Strategischen Organisationsanalyse (Crozier/Friedberg), der Mikropolitischen Organisationsanalyse (Küpper/Ortmann) und Giddens’ Strukturationstheorie. Die Diskussion sucht nach Anknüpfungspunkten, blendet jedoch auch ihre Schwachstellen und Schwierigkeiten nicht aus. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass erst eine Zusammenschau eben jener eine umfassendere Sicht auf und eine neues Verständnis von Reorganisationsprozessen erlaubt.
Vor diesem theoretischen Kontext werden die empirischen Ergebnisse der Untersuchung analysiert. Letztere geben Aufschluss über Verlauf, Schwierigkeiten und Konsequenzen von Reorganisationsprozessen aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Managementebenen. Im Zentrum stehen drei große Reorganisationsprojekte, die zu tief greifenden Umstrukturierungen innerhalb des Konzerns führten. Die Daten wurden auf Basis qualitativer Methoden der Sozialforschung gewonnen, einem Methodenmix aus offen-strukturierten Interviews, teilnehmender Beobachtung und Dokumentenanalysen. Die Datenauswertung erfolgt nach dem Verfahren der "zusammenfassenden" und "strukturierenden" Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring.
Die Empirie bestätigt, dass Reorganisation sich nicht vom Reißbrett aus planen und friktionslos umsetzen lassen. Zahlreiche Probleme, insbesondere solche der fehlenden Information und Partizipation sind Einflussfaktoren, die die Umsetzung von Veränderungen nachhaltig beeinträchtigen. Dabei sind hierarchische Differenzen nicht zu übersehen. Es kommt im Zuge von Restrukturierungsprozessen immer wieder zu Spannungen, Dilemmata und Paradoxien, die Auslöser für mikropolitisches Handeln sind.
Die Spiegelung der Ergebnisse vor dem theortischen Hintergrund kommt zu dem Schluss, dass komplexe Veränderungen, die auf eine Neuverteilung von Ressourcen in der Unternehmung abzielen, zu einer Intensivierung mikropolitischer Prozesse führen. Mikropolitik und Reorganisationsprozesse stehen in einem rekursiven Konstitutionszusammenhang. Die effiziente Umsetzung von Reorganisationsprojekten wird maßgeblich durch die Effektivität der gelebten Mikropolitik bestimmt. Diese ist nicht isoliert zu verstehen oder zu erklären, sondern nur, wenn sie als konstitutiver Bestandteil sozialer Interaktionen im Rahmen sozialer Systeme und deren organisationsspezifischen Rahmenbedingungen aufgefasst wird.
Das heißt, ohne eine Verknüpfung akteurs- und strukturtheoretischer Konzepte ist eine Erklärung von Veränderungsprozessen nicht ausreichend zu leisten. Erst diese Zusammenschau macht es möglich, die Ambiguitäten, Paradoxien, das auf den ersten Blick "unlogische" organisationalen Geschehens zu verstehen. |
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Physical Description: | 332 Pages |
DOI: | 10.17192/z2007.0111 |