Impression Management, Selbsttäuschung, Challenge und Threat: Psychobiologische Indikatoren von sozialem Stress bei Repressern und Defensiven

Die Klassifikation von Weinberger (1990) sieht Represser üblicherweise als Personen, die sich über ihre wahren Gefühle selbst täuschen. So wird behauptet, sie hätten in Angst auslösenden Situationen tatsächlich Angst, obwohl sie von sich selbst behaupten, keine Angst zu verspüren. Als Beleg dafür w...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Crost, Nicolas W.
Beteiligte: Stemmler, Gerhard (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2005
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Klassifikation von Weinberger (1990) sieht Represser üblicherweise als Personen, die sich über ihre wahren Gefühle selbst täuschen. So wird behauptet, sie hätten in Angst auslösenden Situationen tatsächlich Angst, obwohl sie von sich selbst behaupten, keine Angst zu verspüren. Als Beleg dafür wird der Befund zitiert, dass Represser in stressreichen Situationen zwar meist weniger Angst angeben als andere Personen, dass sie aber im Gegensatz dazu deutlich stärkere physiologische Reaktionen zeigen. Dies wird so interpretiert, dass Represser zwar keine Angst spüren würden, aber dennoch Angst hätten, die sich dann in der starken physiologischen Reaktion manifestiere. Allerdings gibt es auch Ergebnisse, die eine andere Sicht von Repressern vermitteln. So zeigen Befunde aus dem Bereich der Hemisphärenasymmetrie im EEG, dass sich Defensivität (eine Komponente der Repression) mit linksfrontaler Aktivierung und dadurch mit Annäherungsmotivation in Verbindung bringen lässt. Die Idee eines „defensiven Bewältigungsstils“, also einer primär vermeidenden Stressverarbeitung bei Defensiven (und damit auch bei Repressern), ist dementsprechend nicht durchgehend aufrecht zu erhalten. Auch konnte gezeigt werden, dass Represser nicht immer als Selbsttäuscher funktionieren. In bestimmten sozialen Situationen zeigen sie vielmehr starke Tendenzen zur positiven Selbstdarstellung (Impression Management). Um diese scheinbar widersprüchlichen Befunde in Einklang zu bringen, wird in der vorliegenden Arbeit zunächst eine alternative Interpretation der physiologischen Reaktion der Represser vorgeschlagen. Statt die Reaktion als Angst zu interpretieren, wird ein Modell vorgestellt, das solche Reaktionen als Herausforderung auf eine wichtige Situation deutet. Represser könnten also soziale Situationen als wichtig erachten und Task Engagement zeigen, eine Interpretation, die deutlich besser zu ihrem subjektiven Empfinden passen würde als die Deutung als Angstreaktion. Basierend darauf stellt die vorliegende Arbeit ein integriertes Modell von Defensivität und Repression im sozialen Kontext vor. So wird vermutet, dass defensive Personen soziale Situationen als für sie persönlich relevant betrachten und deswegen Task Engagement zeigen. Repressern gelingt es dann, die Situationen durch ihr Verhalten positiv zu beeinflussen, was ihnen positive Rückmeldung und ein positives Selbstbild beschert, während Defensiv-Hochängstliche bei der Bewältigung der Situation scheitern, negative Rückmeldung erhalten und sich deswegen bedroht fühlen. Um das Modell zu prüfen, wurden physiologische Indikatoren erhoben. Dazu wurden Probanden zunächst in Represser, Defensiv-Hochängstliche, Niedrigängstliche und Hochängstliche eingeteilt. Die Probanden bekamen im Laufe der Untersuchung positives oder negatives Persönlichkeitsfeedback, einmal in einer anonymen und einmal in einer öffentlichen Situation. Während die Probanden das Feedback in der anonymen Situation alleine betrachten konnten, war in der öffentlichen Situation eine weitere Person anwesend. Die Vermutung war, dass die öffentliche Situation mit negativem Feedback als sozialer Stressor wirken würde. Dadurch sollte bei den Defensiven eine Motivation zur positiven Selbstdarstellung ausgelöst werden, die bei den Repressern zu einem physiologischen Muster der Herausforderung (Challenge) und bei den Defensiv-Hochängstlichen zu einem Muster der Bedrohung (Threat) führen sollte. Um diese psychophysiologischen Muster zu prüfen, wurden das Spontan-EEG und verschiedene kardiovaskuläre Parameter der Probanden direkt nach dem Persönlichkeitsfeedback erhoben. Die Ergebnisse sprechen für das vorgestellte Modell. Zum einen konnte bei defensiven Probanden in der öffentlichen Situation mit negativem Feedback eine relative linksfrontale Aktivierung im EEG festgestellt werden, was für Annäherungsmotivation spricht. Defensiven werden also vermutlich durch die Gefahr einer sozialen Zurückweisung dazu motiviert, sich einer anderen Person anzunähern und so den sozialen Kontakt zu verstärken oder wiederherzustellen. Bei Repressern konnte weiterhin in der negativ-öffentlichen Bedingung ein steigendes Herzminutenvolumen (Cardiac Output) und ein sinkender peripherer Widerstand festgestellt werden, beides Indikatoren, die für eine Herausforderungsreaktion sprechen. Bei den Defensiv-Hochängstlichen war ein genau gegenteiliges Muster zu beobachten. Insgesamt sprechen die Ergebnisse dafür, dass Represser in sozialen Situationen mehr damit beschäftigt sind, soziale Ablehnung zu vermeiden. Da sie sich aber als kompetent in der Bewältigung solcher Situationen erleben, entwickelt sich keine Angstreaktion, sondern eine Reaktion der Herausforderung. Dieser Blickwinkel bietet eine sparsame und passende Erklärung für die zunächst widersprüchlich erscheinenden Befunde zu Repressern und liefert so einen Ansatz zum verbesserten Verständnis dieses Persönlichkeitstyps.
Umfang:123 Seiten
DOI:10.17192/z2006.0136