Risikofaktoren und Verlauf des problematischen Glücksspielverhaltens an Geldspielautomaten. Ergebnisse einer Längsschnittstudie mit Automatenspielern.

In Deutschland wird eine Gesamtzahl von 4,63 Mio. aktiven Automatenspielern angenommen. Davon weisen 54.000 eine subjektive Belastung auf. Die Zahl der Personen mit einem problematischen Glücksspielverhalten an Geldspielautomen wird auf 25.000 bis 30.000 geschätzt (Bühringer & Türk, 2000). Gelds...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Sonntag, Dilek
Beteiligte: Sommer, Gert (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2005
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:In Deutschland wird eine Gesamtzahl von 4,63 Mio. aktiven Automatenspielern angenommen. Davon weisen 54.000 eine subjektive Belastung auf. Die Zahl der Personen mit einem problematischen Glücksspielverhalten an Geldspielautomen wird auf 25.000 bis 30.000 geschätzt (Bühringer & Türk, 2000). Geldspielautomaten wird im Vergleich zu anderen Glücksspielen ein erhöhtes Risikopotential für die Entwicklung von Pathologischem Glücksspielverhalten zugeschrieben (Meyer, 1982). Es liegen weltweit neun Längsschnittstudien zum problematischen Glücksspielverhalten vor. Sowohl die Daten der Längsschnittstudien als auch die der Querschnittsstudien geben wenig Hinweise auf gesicherte Ergebnisse bezüglich der Risikofaktoren und des Verlaufs von problematischem bzw. Pathologischem Glücksspielverhalten. Die vorliegende prospektive Längsschnittstudie befasste sich daher einerseits mit dem Verlauf des problematischen Glücksspielverhaltens, andererseits mit möglichen Korrelaten und Risikofaktoren. „Problematisches Glücksspielverhalten“ wurde dabei als Überbegriff für sowohl Pathologisches Glücksspielen als auch für minderschwere Formen eines bereits dysfunktionalen Spielverhaltens gewählt und entsprechend operationalisiert. Aufgrund des postulierten hohen Risikopotentials von Geldspielautomaten konzen-trierte sich die Untersuchung auf Automatenspieler. Da der erste Untersuchungszeitpunkt kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands stattfand, wurden als für die Verlaufsuntersuchung besonders geeignete Stichprobe ausschließlich Personen aus den neuen Bundesländern rekrutiert, da sie zuvor nur in minimalem Ausmaß Kontakt zu Geldspielautomaten gehabt hatten. Diese Personen wurden von geschulten Interviewern nach einem kombinierten Zufalls-Quotenplan in Spielhallen aufgesucht und befragt. An der Studie nahmen aktive, regelmäßige Automatenspieler teil. Die Studie, die 1991 begann, umfasste vier Erhebungszeitpunkte, die im Abstand von einem Jahr stattfanden. An der ersten Untersuchungswelle nahmen 513 Automatenspieler teil, von denen 334 auch in der vierten Welle befragt werden konnten. Die Wiedererreichungsquote von 65 % ist im Vergleich zu anderen Längsschnittstudien durchaus befriedigend. Es wurden soziodemographische Merkmale, Aspekte des Spielverhaltens, spielbezogene Kognitionen, Spielmotivation, subjektive spielbedingte Belastung, spielbedingte Straftaten, Behandlungsbedarf, psychosoziale Unzufriedenheit, Alkoholprobleme, Drogenkonsum sowie Depressivität als mögliche Korrelate problematischen Automaten-spielverhaltens zum Untersuchungszeitpunkt 1 untersucht. Dabei wurde problematisches Spielverhalten gemäß dem rasch-skalierten Spielerbelastungsfragebogen zur Erfassung problematischen Automatenspielverhaltens (Kunkel, Herbst & Reye, 1987) operationalisiert. Zudem wurde überprüft, ob diese Variablen, gemessen zum Zeitpunkt 1, möglicherweise als Risikofaktoren für die Neuentstehung eines problematischen Spielverhaltens bis zum Erhebungszeitpunkt 4 wirkten. Ferner wurde das problematische und unproblematische Spielverhalten der Untersuchungsteilnehmer hinsichtlich seiner Konstanz bzw. Variabilität zwischen den Erhebungszeitpunkten 1 und 4 untersucht. Eine multiple logistische Regression ergab, dass Geschlecht, Vielspielen, spielbezogene kognitive Dysfunktionen, subjektive Spielbelastung, Alkoholstörung sowie Depressivität, erhoben zum Untersuchungszeitpunkt 1, signifikante Korrelate problematischen Automatenspielverhaltens zum selben Untersuchungszeitpunkt waren. Der stärkste Zusammenhang zeigte sich dabei für Depressivität, die mit einer siebenfach erhöhten Wahrscheinlichkeit einherging, problematisches Spielverhalten zu zeigen. Bezüglich der Entwicklung des Spielverhaltens über die Zeit zeigte eine Verlaufsanalyse, dass vom Erhebungszeitpunkt 1 zum Zeitpunkt 4 die Anzahl der Vielspieler in nichtsignifikantem Umfang abnahm, während die Zahl der Seltenspieler deutlich ab- und die der Gelegenheitsspieler deutlich zunahm. Im Einzelnen wurden zwei Drittel der Seltenspieler Gelegenheitsspieler, während ein Drittel weiterhin selten spielte. Die Gelegenheitsspieler blieben fast alle Gelegenheitsspieler. Von den Vielspielern aus Welle 1 spielten 72% auch zu Welle 4 noch viel, während die übrigen nur noch gelegentlich spielten. Zwischen Welle 1 und Welle 4 zeigte sich eine signifikante Zunahme des Anteils der problematischen Spieler von 14% auf 35%. Dabei fielen alle problematischen Spieler aus Welle 1 auch zum Zeitpunkt 4 in diese Kategorie. Zudem hatten 25% der zu Welle 1 unproblematischen Spieler bis zum Zeitpunkt 4 ein problematisches Spielverhalten entwickelt. Die Risikofaktoren für die Neuentstehung problematischen Glücksspielverhaltens bis zum Erhebungszeitpunkt 4 wurden mittels einer multiplen logistischen Regression überprüft. Es zeigte sich, dass ein negativer Spielgrund sowie Depressivität, erhoben in Welle 1, das Risiko für das Vorliegen eines problematischen Spielverhaltens zum Erhebungszeitpunkt 4 jeweils um das 2,5fache erhöhten. Besonders interessant ist die Bedeutung der Depressivität sowohl als Korrelat als auch als Risikofaktor problematischen Spielverhaltens sowie negativer Spielgründe als Risikofaktor. Zudem ist besonderes Augenmerk auf die 28% der Vielspieler zu richten, die sich im Laufe der vier Studienjahre in positiver Richtung zu Gelegenheitsspielern entwickelten. Schließlich ist zum einen die hohe Anzahl von Personen mit einer neuentwickelten Spielproblematik nach vier Jahren (25%), zum anderen die umfassende Konstanz der Spielprobleme bei den problematischen Glücksspielern der Welle 1 über vier Jahre von zentralem Interesse. Diese Ergebnisse müssen vor dem Hintergrund einiger methodischer Probleme diskutiert werden. Zum einen wurde für die Verlaufsuntersuchungen und die Risikofaktorenanalysen eine selektierte Gruppe der Spieler herangezogen, da nicht alle 513 Teilnehmer der Welle 1 erreicht wurden. Diese 334 Personen waren jedoch hinsichtlich soziodemographischer sowie spielrelevanter Merkmale mit den nicht erreichten Personen vergleichbar, so dass nicht von systematischen Ausfällen auszugehen ist. Zum anderen wurde in dieser Arbeit aufgrund der Studienziele der Anteil der Vielspieler überrepräsentiert. Deshalb darf man die hier gefundenen Prävalenzen und Inzidenzen nicht auf die Gruppe der Spieler verallgemeinern. Sie dienen - für die untersuchte Gruppe - lediglich der Trendanalyse, um Aussagen über den Verlauf des Vielspielens bzw. des problematischen Spielverhaltens machen zu können. Auch basieren die hier gefundenen Ergebnisse vorwiegend auf Aussagen von männlichen Spielern. Insofern können hier keine Verallgemeinerungen für weibliche Spieler gemacht werden. Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie erfahren die Störungsmodelle, die die Rolle von negativen Gründen und Depressivität bei der Entwicklung problematischen Glücksspielverhaltens postulieren, eine empirische Evidenz. Diese Ergebnisse sind auch für die Behandlung wichtig, da die Vermittlung von Copingstrategien zum Umgang mit negativen Emotionen aufgrund der vorliegenden Befundlage zumindest bei einem Teil von problematischen Spielern wichtig zu sein scheint. Weitere Überlegungen und Schlussfolgerungen für Forschung und Praxis werden dargestellt.
Umfang:193 Seiten
DOI:10.17192/z2005.0514