Auswahl und Ausbildung junger Offiziere 1930-1945

Auswahl und Ausbildung junger Offiziere 1930–1945 Zur sozialen Genese des deutschen Offizierkorps Inhaltszusammenfassung: Die Planung der Aufrüstung begann schon vor 1933. Bemerkenswert ist die Genauigkeit mit der die Reichswehr die Zahlen der benötigten Offiziere schon 1920 festgelegt hatte....

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Main Author: Richhardt, Dirk
Contributors: Krieger,Wolfgang, Prof. Dr. (Thesis advisor)
Format: Doctoral Thesis
Language:German
Published: Philipps-Universität Marburg 2003
Subjects:
Online Access:PDF Full Text
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Description
Summary:Auswahl und Ausbildung junger Offiziere 1930–1945 Zur sozialen Genese des deutschen Offizierkorps Inhaltszusammenfassung: Die Planung der Aufrüstung begann schon vor 1933. Bemerkenswert ist die Genauigkeit mit der die Reichswehr die Zahlen der benötigten Offiziere schon 1920 festgelegt hatte. Deshalb ist festzustellen, daß das NS-System nicht der Auslöser sondern lediglich der Beschleuniger der personellen Aufrüstung im Bereich der Offizierergänzung war. Da diese Aufrüstung durch die Reichswehrführung schon vorbereitet wurde, gelang es nach 1933 die Einmischung der Partei in das Offizierkorps zunächst weitgehend abzuwehren. Die Vergrößerung des Offizierkorps erfaßte Bereiche, die auf dem ersten Blick wenig mit dem Militär zu tun hatten. So wurden die Schulen, die Universitäten und das Erziehungsministerium im Sinne der Militärs instrumentalisiert. Die Reichswehr erwies sich dabei als konservatives Moment, das auf eine traditionelle Schulbildung ihrer Offiziere pochte und die Bildungsfeindlichkeit des NS Regimes ablehnte. Da die Wehrmacht einen großen Bedarf an Abiturienten hatte, mußte sowohl das NS Regime seinen Kurs revidieren, als auch die Wehrmacht in ihren Ansprüchen an den Offizierersatz Einbußen hinnehmen. Bis zum Ersten Weltkrieg dominierten Adel und die höheren bürgerlichen Kreise bei der Auswahl der Offiziere. Jedoch machten die Verluste des Krieges diesen Anspruch obsolet, weshalb auch den mittleren und in Ausnahmefällen den unteren bürgerlichen Schichten der Zugang zum Korps ermöglicht wurde. Die Verkleinerung der Armee erlaubte dann eine so strenge Auswahl nach Familie und Leistung, wie sie wohl nie zuvor in der deutschen Armeegeschichte gegeben war. Die Aufrüstung nach 1930 und besonders nach 1935 setzte aber einen Prozeß in Gang, der die Anforderungen an das Korps im Bereich der Qualität immer mehr minimierte. So versuchte man das aktive Offizierkorps mit allen Mitteln zu erweitern, in dem man Reserveoffiziere, Polizeioffiziere, ehemalige Offiziere, Offiziere aus dem Unterführerkorps, österreichische und sudetendeutsche Offiziere, Offiziere aus den Wehrverbänden mit einbezog. Hinzu kamen noch reduzierte Anforderungen an die Anwärter und eine schnellere Vergrößerung des Offizierersatzes durch die Schulzeitverkürzung. Mit ihrem großen Bedarf an Offizieren beschleunigte die Wehrmacht auch einen Nivellierungsprozeß, der nolens volens im Sinne der nationalsozialistischen Gleichschaltung verlief. Der Offizierstand wandelte sich von einer Elite zu einer rein funktionalen Führungsgruppe mit einem eng beschränkten Bildungs- und daher auch Verwendungshorizont. Durch die rasante Aufstockung und durch die Beseitigung sozialer Aufnahmebedingungen kamen immer mehr Soldaten mit heterogenen politischen und sozialen Einstellungen und Sichtweisen in das Korps. Die Homogenität des Korps wurde zerstört und ein einheitliches Denken und Handeln, das noch die Reichswehr und auch die Alte Armee beherrscht hatte, war in der Wehrmacht folglich nicht mehr gegeben. Der erzwungene Bruch setzte innovative Kräfte frei und wurde deshalb wichtig, weil ein künftiger Krieg nicht mehr allein mit den Erfahrungen aus dem letzten gewonnen werden konnte. In den letzten Kriegsjahren 1941/42-45 verschlechterte sich das Personal der jüngeren Offiziere zunehmend. Dies hatte fünf Gründe: 1. Das Heerespersonalamt ging bis 1942 immer noch von einem kurzen Krieg aus und plante daher jeweils nur eine kurzfristige Ausbildung. 2. Die außermilitärische Ausbildung der Schüler wurde immer schlechter, gleichzeitig sanken die Anforderungen an den Ersatz immer tiefer. 3. Durch Material-, Personal-, und Gerätemangel wurde die Ausbildung erheblich reduziert. 4. Die gewaltige Überlegenheit der Kriegsgegner erlaubte jungen Offizieren keine Lernphasen. 5. Die Eingriffe von Seiten des NS Regimes wurden immer massiver und führten zu großen Verunsicherungen der Offiziere über das Kriegsbild, welches sie vermitteln sollten. Der Offizier wurde nur noch zum „Facharbeiter“ in seinem Bereich, wie sich dies schon in der Figur des Sonderführers und des Offiziers im Truppensonderdienst abzeichnete. So sollte auch bald die tradierte Bezeichnung Offizier durch die ideologisch aufgeladenen Begriffe „Führer“ und „Kämpfer“ ersetzt werden. Dies hätte eine radikale Veränderung des Offizierbildes an sich bedeutet: weg vom wägenden und wagenden Offizier, hin zum „fanatischen Weltanschauungskämpfer“ mit absoluter Hitlergläubigkeit. Personalmangel und die Veränderungen im Profil führten – notgedrungen – zu einer Veränderung des Korps. Neben nicht zu vermeidenden negativen Auswirkungen stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach möglichen Modernisierungsschüben, die hierdurch ausgelöst werden konnten. Als Indikatoren hierfür kann zum einen die Öffnung für breitere Schichten der Bevölkerung zur militärischen Elite angesehen werden und zum anderen die verbesserten Aufstiegschancen, die eine neue soziale Mobilität in das Offizierkorps brachte. Wenn die Öffnung einer Elite für größere soziale Schichten gewissermaßen eine Modernisierung darstellt, die auf Grund eines politischen Auftrages geschehen ist, und nicht aus dem eigenen Interesse dieser Elite, so ist hier nach weiteren Gründen für mögliche Modernisierungsschübe zu suchen. Im Rahmen der deutschen Militärgeschichte kann der geschilderte Prozeß als „Modernisierung“ aber auch als „Revolutionierung“ im Sinne eines grundlegenden Bruchs mit einer historischen Tradition bezeichnet werden. Hier wurde das tradierte deutsche Offizierkorps erstmals in seiner Geschichte zu einem reinen staatlichen Exekutivorgan der politischen Führung umgewertet. Nach liberal–demokratischem Verfassungsdenken wäre das die ihm zukommende Rolle, aber gerade diese den heutigen Vorstellungen entsprechende „Normalität“ hatte es bisher noch nicht gegeben. Es ist daher paradox, daß gerade der Führer eines totalitären Regimes dieses Primat der Politik über das Militär erzwingen konnte. Wenn auch in der Ergänzung des Militärs und in der Unterordnung desselben unter die Politik ein Modernisierungsprozeß oder auch nur eine „Pseudomodernisierung“ zu erkennen ist, so darf dabei nicht der Aufbau neuer restriktiver Methoden innerhalb dieser Innovationen mit ihrem gewaltigen zerstörerischen Potential übersehen werden.
Physical Description:368 Pages
DOI:10.17192/z2005.0100