Wettbewerbskorporatismus und soziale Politik. Zur Transformation wohlfahrtsstaatlicher Politikfelder am Beispiel der Gesundheitspolitik
Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik in Europa. In Europa gelten die Sozialpolitik und insbesondere die Gesundheitspolitik als Felder, in denen die Nationalstaaten weitgehend den Ton angeben. Fragen der Krankenversorgung und etwaiger institutionell...
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Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2003
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Summary: | Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit
Gesundheitspolitik in Europa. In Europa gelten die
Sozialpolitik und insbesondere die Gesundheitspolitik als
Felder, in denen die Nationalstaaten weitgehend den Ton
angeben. Fragen der Krankenversorgung und etwaiger
institutioneller Reformen werden in der Regel als nationale
Angelegenheiten behandelt. Seit geraumer Zeit sind jedoch
deutliche Anzeichen erkennbar, dass das Politikfeld Gesundheit
vor einem dynamischen Prozess der Europäisierung steht. Die
vorliegende Untersuchung analysiert die unterschiedlichen Wege,
auf denen sich dieser Prozess vollzieht. Während bisher die
Verflechtungen zwischen dem europäischen Markt- und dem
deutschen Sozialrecht den wichtigsten Wirkungskanal
darstellten, über den die europäische Integration Einfluss auf
das deutsche Gesundheitssystem gewinnt, so dürften von der
wettbewerbspolitischen Neuausrichtung des Integrationsprozesse
(?Lissabonner Strategie?) und den Vorgaben der
Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion neue Impulse in
Richtung einer Europäisierung der Gesundheitspolitik ausgehen.
Dabei kommt der Offenen Methode der Koordinierung als einem
neuen Regulierungsmodus im europäischen Mehrebenensystem, der
zunehmend auch in der Gesundheitspolitik Anwendung findet,
besondere Bedeutung zu. Im ersten Teil der Studie wird gezeigt,
dass auf europäischer Ebene neue politischen Arenen entstehen,
in denen insbesondere der Europäische Gerichtshof, die
Europäische Kommission sowie der Europäische Rat aktiver und
entschiedener als bisher Gesundheitspolitik betreiben.
Gleichzeitig bilden sich neue Formen wechselseitiger
Abhängigkeit zwischen nationaler Gesundheitspolitik und
europäischen Entscheidungen heraus. Im Rahmen dieses Prozesses
schränken einerseits Vorgaben aus Europa die nationalstaatlich
zur Verfügung stehenden Politikoptionen ein; andererseits
nutzen aber auch Schlüsselakteure der nationalen
Gesundheitssysteme die europäischen Entscheidungsprozesse, um
eigenen Interessenlagen zum Durchbruch zu verhelfen und eigene
Strategieoptionen zu realisieren. Die Anwendung der Offenen
Methode der Koordinierung auf das Gesundheitswesen geht zum
einen mit einer strategischen Aufwertung, zum anderen aber auch
mit einer wettbewerbspolitischen Indienstnahme der
Gesundheitspolitik einher. Es ist davon auszugehen, dass die
enge Einbindung der europäischen Gesundheitspolitik in die
finanzpolitischen Vorgaben des EU-Finanzregimes und die Ziele
der neuen europäischen Wettbewerbspolitik den Druck in Richtung
auf die Stärkung einer kostendämpfungs- und
wettbewerbsorientierten Gesundheitspolitik in den
Mitgliedsstaaten erhöhen wird. Allerdings kann die Einbeziehung
der Erfahrungen aus anderen Ländern auch einen Beitrag dazu
leisten, Defizite des deutschen Gesundheitssystems, vor allem
ineffiziente Versorgungsstrukturen, zu überwinden. Der zweite
Teil der Studie befasst sich mit Funktion und Bedeutung eines
Gremiums des deutschen Gesundheitssystems für die Verteilung
von Gesundheitsleistungen. Dabei handelt es sich um den
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Der
Bundesausschuss hat sich vor allem in der zweiten Hälfte der
90er Jahre und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, zu
einer einflussreichen Instanz entwickelt, die weitreichende
Entscheidungen im Hinblick auf das Leistungsrecht der GKV
fällt. Der Staat hat ihm diesbezüglich schrittweise
entsprechende Kompetenzen übertragen ? vor allem um sich
von den Legitimationsrisiken zu entlasten, die mit einer
restriktiven Gewährung von Leistungen in der GKV verbunden
sind. Insofern fungiert der Bundesausschuss auch als Agentur
jenes gesundheitspolitischen Paradigmenwechselns, der vielfach
als Übergang von einer expansiven zu einer wettbewerbs- und
beitragssatzorientierten Gesundheitspolitik beschrieben worden
ist. Neben der Rekonstruktion dieses Prozesses der sukzessiven
?wetbewerbskorporatistischen Beauftragung? des
Bundesausschusses durch den Staat analysiert die Studie
zugleich, wie die beteiligten Akteure durch gezielte staatliche
Interventionen in die gesundheitspolitischen Kontextbedingungen
ein Eigeninteresse an der restriktiven Interpretation des
Leistungskatalogs entwickeln und auf diese Weise staatlichen
Steuerungszielen Rechnung tragen ? wobei sich der Staat
selbst über ein System von Genehmigungsvorbehalten und
Ersatzvornahmen ein Letztentscheidungsrecht für den Fall
missliebiger oder nicht fristgerechter Entscheidungen
vorbehält. Abschließend werden die inneren Widersprüche der
staatlichen Delegation von Steuerungskompetenzen und ? in
einem kurzen Ausblick ? die wachsende Bedeutung der
EU-Rechtsprechung für die nationalstaatliche Ausgestaltung des
Gesundheitssystems thematisiert. |
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DOI: | 10.17192/z2004.0089 |