Die (Re-)Integration Kubas in Lateinamerika? Probleme der politischen und ökonomischen Anpassung nach dem Umbruch der Jahre 1989/90
Kuba war lange Zeit in vieler Hinsicht ein ?Schlüsselstaat? für Lateinamerika und die Karibik. Dies begann mit der Entdeckung durch Columbus und setzte sich mit der spanischen Kolonisierung, dem Sklavenhandel, sehr inegalitären Sozialstrukturen, sehr instabilen politischen Verhäl...
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Format: | Doctoral Thesis |
Language: | German |
Published: |
Philipps-Universität Marburg
2004
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Summary: | Kuba war lange Zeit in vieler Hinsicht ein
?Schlüsselstaat? für Lateinamerika und die Karibik.
Dies begann mit der Entdeckung durch Columbus und setzte sich
mit der spanischen Kolonisierung, dem Sklavenhandel, sehr
inegalitären Sozialstrukturen, sehr instabilen politischen
Verhältnissen nach der Unabhängigkeit und, in besonderem Maße,
durch das Abhängigkeits- und Spannungsverhältnis zu den nahe
gelegenen USA fort. Die kubanische Revolution nach 1959 stellte
dann einen markanten Wendepunkt dar. Das neue sozialistische
Regime veränderte die inneren ökonomischen, sozialen und
politischen Gegebenheiten radikal und wurde durch seine
politische Ausrichtung sowie die geostrategische Lage in der
bipolaren Welt des Kalten Krieges schnell zu einem bedeutenden
Faktor. In den Jahrzehnten nach der Kuba-Krise von 1962, die zu
einer Pattsituation in strategischer Hinsicht geführt hatte,
betrieb Kuba die Außenpolitik eines großen Landes.
Wirtschaftlich gestärkt durch den präferentiellen Handel mit
der Sowjetunion, politisch-ideologisch geprägt durch die starke
Hand des visionären Comandante en Jefe, Fidel Castro, und
gesellschaftlich strukturiert nach der Prämisse der
Kommunistischen Partei (PCC) sowie deren Massenorganisationen,
gelang es der Insel immer wieder, international für Aufsehen zu
sorgen. Die Castro-Regierung war besonders in den 70er Jahren
redlich darum bemüht, die Revolution in das südliche Afrika und
Lateinamerika zu exportieren und unterhielt zeitweise große
Militärkontingente im Einsatz in Übersee. Kuba beteiligte sich
aktiv an den linksgerichteten Guerillabewegungen
Lateinamerikas, u.a. in Nicaragua und Kolumbien, und die
politische Führung in Havanna wusste die gegen sie gerichtete
Politik der USA, propagandistisch für sich auszunutzen. Der
Ausschluss des Landes aus der Organisation Amerikanischer
Staaten (OAS) zu Beginn der 60er Jahre hatte, mit der Ausnahme
Mexikos, den Bruch der wirtschaftlichen und politischen
Beziehungen zu allen lateinamerikanischen Staaten zur Folge
gehabt. Bereits 1964, nur fünf Jahre nach der kubanischen
Revolution, war das Land innerhalb der Hemisphäre vollständig
isoliert. Das Aufkommen von Militärdiktaturen in der Mehrzahl
der lateinamerikanischen Länder in den 80er Jahren
verschlechterte die Position Kubas in der Region erneut, wobei
die Einbindung in den RGW zumindest für eine gewisse
wirtschaftliche Freiheit sorgte. Mit dem Zusammenbruch des
Ostblocks und der Auflösung des RGW fand nicht nur die Epoche
des Kalten Krieges ihr Ende, sondern für Kuba stellte sich
zugleich die Frage nach neuen politischen und vor allem
wirtschaftlichen Verbündeten. Zu diesem Zeitpunkt hatten
bereits einige Länder Lateinamerikas die diplomatischen
Beziehungen zu Kuba wieder hergestellt, aber Kuba war bis dahin
nur in dem lateinamerikanischen Wirtschaftssystem SELA als
einzigem multilateralen Gremium in der Region vertreten gewesen
und realisierte weit über 80% seines Handels mit den
Ostblockstaaten. Wenngleich Integrationsprojekte in
Lateinamerika eine relativ lange Tradition haben, zeichneten
sich die Ökonomien in der Region bis weit in die 80er Jahre
hinein eher durch geschlossene, nationale Märkte aus, was u.a.
auf die Abwesenheit starker, traditioneller Handelsbeziehungen
zurückzuführen war. Erst gegen Ende der 80er Jahre und
verstärkt in der ersten Hälfte der 90er Jahre, nach dem
Ablassen vom Modell der Importsubstitution sowie der
Redemokratisierung der meisten südamerikanischen Länder,
besannen sich die Regierungen auf ihre gemeinsamen
wirtschaftlichen Interessen. Im Jahr 1991 fand der erste Cumbre
Iberoamericana in Mexiko statt, im selben Jahr wurde mit dem
Vertrag von Asunción der MERCOSUR gegründet, und zwei Jahre
später einigte sich die Gemeinschaft der Andenländer auf die
Gründung einer Freihandelszone mit einem gemeinsamen Außenzoll.
Die Nachfolgeorganisation der ALALC, die 1980 ins Leben
gerufene Asociación Latinoamericana de Integración (ALADI),
wurde revitalisiert und zum institutionellen
?Regenschirm? für die kleineren multilateralen
Integrationsprojekte in der Region. Diese Phase des
?neuen Regionalismus? in Lateinamerika fiel mit der
Notwendigkeit für Kuba zusammen, die Handelsströme neu
ausrichten zu müssen und sich darüber hinaus in diesem
zunehmend globalisierten Umfeld neue politische Verbündete zu
suchen. Die Frage der vorliegenden Arbeit ist es, ob, und wenn
ja, auf welcher Grundlage eine (Re-)Integration Kubas in
Lateinamerika nach dem Umbruch in Osteuropa stattgefunden hat.
Hierzu werden im zweiten Kapitel der Arbeit die
wirtschaftlichen und (außen-)politischen Entwicklungen des
Landes vor 1989/90 dargestellt, da diese für die Analyse der
Fragestellung unabdingbar sind. Hierbei fällt auf, dass sowohl
die politischen als auch die ökonomischen Strukturen des Landes
über vier Jahrzehnte hinweg rein sozialistisch-kommunistischen
Regeln folgten, was ein besonderes Verhältnis zu den
Ostblockstaaten, eine tief verwurzelte Feindschaft gegenüber
den USA sowie heterogene Beziehungen zu anderen
Entwicklungsländern bedingte. Die verschiedenen
Entwicklungsphasen Kubas während dieser Zeit zeichneten sich
eher durch graduelle ideologische Verschiebungen als durch
fundamentale außenpolitische Richtungswechsel aus. Das dritte
Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklung Kubas
nach 1989/90 und geht neben den wichtigsten Strukturänderungen,
die als Basis für die wirtschaftliche und politische Einbindung
des Landes in Lateinamerika gelten müssen, auch auf die
Außenbeziehungen des Landes ein. Den Abschluss dieses Teils
bildet eine kurze theoretische Einführung in die Grundlagen und
Aspekte von Integration. Es wurde hierbei deutlich
herausgearbeitet, wie die Castro-Regierung der schweren
Wirtschaftkrise in der ersten Hälfte der 90er Jahre begegnete
und durch eine Reform des Außenhandels- sowie Finanzsektors die
nationale Ökonomie erneut stabilisieren konnte. Eine
Kombination von Dezentralisierung, Liberalisierung,
Außenöffnung (apertura) und der Ausbau neuer
Wirtschaftsbereiche machte das Land relativ wettbewerbsfähig,
wobei sich die sozialen und politischen Verhältnisse nur im
Detail veränderten. Durch die Einführung verschiedener neuer
Gesetze (wie z.B. Decreto Ley No. 77 und 165) wurde die
Grundlage für die wirtschaftliche Integration Kubas in
verschiedene Märkte geschaffen. Neben dem Ausbau der
Handelsbeziehungen zur Europäischen Union wurde diese Phase
besonders durch die sich verbessernden wirtschaftlichen und
politischen Beziehungen zu lateinamerikanischen Staaten
geprägt. Im vierten Kapitel der Arbeit stehen die
Wiederaufnahme der politischen sowie wirtschaftlichen
Beziehungen Kubas in der Region und die Entwicklung der
bilateralen Beziehungen im Mittelpunkt. Die Grundlage für
diesen Teil bildet ein Satz von Interviews, die in den Jahren
2000 und 2002 in Montevideo und Havanna geführt wurden. Der
Autor hat hierbei den Beitritt Kubas zur ALADI im Jahr 1999 zum
Anlass genommen, die Untersuchung auf die übrigen elf
Mitgliedstaaten dieser Organisation zu begrenzen. Die
Auswertung der erhaltenen Antworten sowie der Entwicklung der
bilateralen Beziehungen Kubas zu den ALADI-Mitgliedstaaten
sollen als exemplarisch für die Beantwortung der Arbeitsthese
gelten. Im vierten Kapitel der Arbeit wird kurz auf die
Beziehungen Kubas zu den karibischen und mittelamerikanischen
Staaten eingegangen, jedoch gilt das Hauptaugenmerk bei der
Untersuchung der ALADI, die mit ca. 430 Mio. Einwohnern das
bisher größte multilaterale Integrationsprojekt in der
Hemisphäre darstellt und die potentesten Ökonomien
(Argentinien, Brasilien, Mexiko) mit einschließt. Während sich
der intraregionale Handel in Lateinamerika seit Anfang der 90er
Jahre ohnehin vervielfacht hat, konnte auch die Republik Kuba
ihre wirtschaftlichen Beziehungen in dieser Region erheblich
ausbauen. Neben der Tatsache, dass Kuba durch eine offensive
Außenpolitik die diplomatischen Beziehungen in Lateinamerika
und der Karibik zwischen 1990 und heute fast verdoppelt hat,
wurde das Land zudem verstärkt in multilaterale Bündnisse in
der Region eingebunden: 1991 nahm Kuba am ersten Cumbre
Iberoamericana teil, 1993 wurde die Comisión Conjunta mit der
CARICOM ins Leben gerufen, 1994 war Kuba Gründungsmitglied der
ACS, 1999 erfolgte der Beitritt zur ALADI und später im Jahr
die Teilnahme am ersten biregionalen Gipfeltreffen zwischen
Lateinamerika/ Karibik - EU, im Dezember 2000 wurde das Land
ACP-Vollmitglied und 2001 trat es dem Cariforum bei. Kuba ist
bis heute das erste Land, das der ALADI seit ihrer Gründung
beitrat und hat inzwischen mit allen elf Mitgliedstaaten
Kooperationsverträge abgeschlossen, die neben dem Ausbau der
Handelsbeziehungen auch den kulturellen, sozialen und
politischen Austausch fördern sollen. Wenngleich die ALADI, die
im Gegensatz zu ihrer Vorgängerorganisation ALALC keinerlei
Zeitplan für die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes hat,
durch ihre flexible institutionelle Struktur oft als low
profile organization tituliert wird, hat sie sicherlich zur
Katalysierung des internen Reformprozesses in Kuba beigetragen.
Das Ende der Arbeit bilden Zusammenfassung und Ausblick.
Hierbei werden die für die Bestätigung der Hauptthese
wichtigsten Entwicklungen noch einmal kurz dargestellt und
diskutiert: die innen- und außenpolitische Entwicklung Kubas
vor 1989/90, die politische und wirtschaftliche Entwicklung
nach dem Umbruch in Osteuropa, das bilaterale Verhältnis Kubas
zu den ALADI-Mitgliedstaaten, die Außenwirkung des Landes in
der Region und das derzeitige Potential für eine
fortschreitende Integration Kubas in Lateinamerika. Auf
Grundlage der momentanen politischen und wirtschaftlichen
Stellung Kubas in der Region wird ein Ausblick für die zu
erwartenden bilateralen und multilateralen Entwicklungen
gewagt: Die kubanischen Gesetzesänderungen im
wirtschaftspolitischen Bereich (z.B. zur empresa mixta und den
parques industriales) haben zweifelsfrei den Weg für die
ökonomische Integration des Landes in Lateinamerika geebnet. In
politischer Hinsicht haben sich jedoch auf beiden Seiten
Ressentiments bemerkbar gemacht, die erst durch den engeren
zwischenstaatlichen Kontakt und die fortschreitende Integration
Kubas in Lateinamerika ins Gewicht fielen. Die in Kapitel 4
unternommene Untersuchung der bilateralen Beziehungen zwischen
Kuba und den übrigen ALADI-Mitgliedstaaten hat gezeigt, dass
sich diese zwar insgesamt auf einem höheren Niveau befinden als
noch vor 15 Jahren, das es jedoch zum Teil erhebliche
Schwankungen in der Qualität der Beziehungen gibt. Dies hängt
zum einen von der jeweiligen Ausrichtung der einzelnen
Regierungen ab, ist aber auf der anderen Seite oftmals auch dem
unnachgiebigen Standpunkt Castros zu zurechnen. Vor dem
Hintergrund, dass für eine politische Integration die internen
politischen Verhältnisse eines Staates entscheidender sind als
für die wirtschaftliche, hat das sozialistische Kuba einen
schweren Stand bezüglich seiner mittelfristigen politischen
Einbindung in Lateinamerika. Die Untersuchung hat hierzu
ergeben, dass das anhaltend schlechte kubanisch-amerikanische
Verhältnis genauso einen Stolperstein darstellt wie die zum
Teil harschen verbalen Reaktionen der Castro-Regierung auf die
Kritik der Menschenrechtssituation von Außen. Aufgrund
ebendieser Faktoren wurden die politischen (und auch
wirtschaftlichen) Beziehungen zu Argentinien, Uruguay und
Mexiko in den vergangenen Jahren nachhaltig geschädigt. Castro
und sein Zögling Pérez Roque, wie auch vor ihm Außenminister
Robaina, haben es seit Beginn der 90er Jahre geschafft, in
einem Klima von neu erwachtem Regionalbewusstsein in
Lateinamerika, viele wirtschaftliche sowie politische Brücken
in der Region aufzubauen und Kuba aus der Isolation zu führen.
Die Reintegration Kubas in die Region hat stattgefunden, obwohl
letztendlich der Zusammenbruch des Ostblocks den entscheidenden
Ausschlag hiefür gegeben hat. Kuba betreibt heute fast ein
Drittel seines gesamten Außenhandels mit der ALADI und hat gute
Chancen, diesen Anteil mithilfe der komparativen Vorteile
besonders in humankapitalreichen Sektoren (z.B. pharmazeutische
Industrie, Tourismus) in Zukunft weiter auszubauen. Wichtig
wird jedoch sein, dass die kubanische Regierung, allen voran
der Protagonist Castro, die wertvollen bilateralen und
multilateralen Beziehungen nicht durch die Adaption einer
unsachdienlichen caudillo-Diplomatie immer wieder aufs Spiel
setzt. Mit Venezuela, Brasilien und Mexiko hat Kuba potente
Verbündete in der Region, und die neuen Entwicklungen des
FTAA-Projekts haben deutlich gezeigt, dass Kuba trotz der
geplanten Umsetzung der gesamtamerikanischen Freihandelszone
bis Januar 2005 nicht zwangsläufig mit einer erneuten Isolation
in der Region rechnen muss. Die bis dato unnachgiebige
Verhandlungsweise der USA bezüglich politischer und
wirtschaftlicher Kompromisse innerhalb der FTAA lassen es
momentan wahrscheinlicher erscheinen, dass zunächst bilaterale
Handelsabkommen geschlossen werden, was für Kuba den Vorteil
hätte, sich regional noch besser positionieren zu
können. |
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DOI: | 10.17192/z2004.0079 |