Deutschamerikanertum und Volkstumsgedanke. Zur Ethnizitätskonstruktion durch die auslandsdeutsche Kulturarbeit zwischen 1918 und 1945
Retterath, Hans-Werner
Gegenstand dieser Arbeit ist die Konstruktion der deutschamerikanischen Ethnizität aus einer Mischung von Ethnizismus und ethnischem Nationalismus in der Zwischenkriegszeit durch inlandsdeutsche und deutschamerikanische 'Identitätsmanager'. Ethnizität als ideologisches Konstrukt der Moderne ist keine bloße Erfindung und nicht unbeschränkt manipulierbar. Ethnisches Bewußtsein bedient sich selektiv aktueller Diskurselemente und hängt von ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten ab.
Die Ethnizitätskonstruktion erfolgte unter dem Signet der auslandsdeutschen Kulturarbeit. Ihr Leitbegriff war Volk im Sinne von Ethnos, der sich aus dem Spektrum von Kultur und Rasse bestimmte. Die Kulturarbeit bezweckte unabhängig von Staatsgrenzen die Organisierung aller Deutschstämmigen. Mit der Kategorie Volk wurde versucht, die Kategorie Staat abzudrängen. Dazu postulierten die Kulturarbeiter die Pflege des deutschen Volkstums, womit sie die Kultur des deutschen Volkes meinten.
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts existierten viele antiamerikanische Stereotypen in Deutschland und in den 1840er Jahren waren theoretische und praktische Ansätze der Kulturarbeit formuliert worden. Zudem lebte im Deutschen Reich erst in den 1880er Jahren der auslandsdeutsche Gedanke langsam wieder auf, während die deutschamerikanische Bewegung um diese Zeit ihren Höhepunkt erreichte. Nach 1918 behinderten im Reich der aufblühende Antiamerikanismus und die eher negative Einschätzung der Zukunft Deutsch-Amerikas eine Befassung mit den Deutschamerikanern. Erste Differenzen zwischen inlandsdeutschen und deutschamerikanischen Kulturarbeitern zeigten sich mit dem Streit um die Deutschamerikaner als Kulturdünger. Dieser Vorwurf meinte den Verlust des deutschen Volkstums und führte daher nach 1935 zur inlandsdeutschen Forderung nach Rückwanderung.
Die drei Säulen der Konstruktion der deutschamerikanischen Ethnizität bestanden aus dem Idealbild des Deutschamerikaners, der deutschen Sprache und dem deutschamerikanischen Geschichtsbewußtsein. Der ideale Deutschamerikaner wurde an deutschen Tugenden sowie an idealen deutschamerikanischen Gruppen und Personen festgemacht. Generell lag das Primat bei der Konstruktion des Deutschamerikaners bei der Sprache. Angesichts der geringen Hoffnung auf Spracherhalt wurde die deutsche Sprache glorifiziert, die Legende über die verlorene Wahl des Deutschen als Staatssprache infolge der Stimme eines Deutschamerikaners zum warnenden Fanal des Sprachverlusts stilisiert und das Pennsylvania-Dutch als Vorbild für den Spracherhalt herausgehoben. Mit einem stärkeren Geschichtsbewußtsein hofften die Identitätsmanager, mehr gesellschaftlichen Einfluß zu gewinnen. Um eigene Forderungen zu legitimieren und den angloamerikanischen Anspruch als erste Amerikaner zu entkräften, wurde nach möglichst frühen historischen Belegen zur deutschamerikanischen Einwanderung gesucht. Weiter wurden deutschamerikanische Leistungen herausgekehrt, deutsche Tugenden an deutschamerikanischen Heroen festgemacht und deren Kult betrieben. Vor allem versuchte man, die deutschamerikanische Identität mit US-Mythen zu verknüpfen, wie etwa mit der des winning of the west. Um die Deutschen und Deutschamerikaner mehr für ihre Geschichte zu interessieren und ein grenzüberschreitendes gesamtdeutsches Bewußtsein zu schaffen, propagierten die Kulturarbeiter die Familiengeschichte.
Trotz aller Gemeinsamkeiten der Kulturarbeiter auf beiden Seiten des Atlantiks gab es wegen der unterschiedlichen Bedingungen auch Differenzen im theoretischen und praktischen Vorgehen. So war die Kulturarbeit deutschamerikanischer Vertreter weit weniger dissimilatorisch als die der inlandsdeutschen Akteure. Folgende Paradigmenwechsel sind gerade in der NS-Zeit im Reich erkennbar:
a) die Gleichstellung der Deutschamerikaner mit den europäischen Auslandsdeutschen,
b) der Ersatz des Primats der Sprache durch das der Rasse,
c) die Orientierung weg vom städtischen hin zum ländlichen Deutschtum,
d) kriegsbedingte Abwertung der Schollenverhaftung und Aufwertung des Wandertriebs.
Der Erfolg der auslandsdeutschen Kulturarbeit im Deutschen Reich beruhte auf der Kompensation des Verlusts deutscher Weltgeltung. An die Stelle des verkleinerten, ungeliebten neuen Staates trat das Volk als säkularisierte Religion. Ferner beruhte der Erfolg auf dem Bildungsbürgertum, das die Kulturarbeit als seine ureigenste Sache verstand und damit sein gesunkenes Sozialprestige zu heben hoffte. Dagegen scheiterte die Kulturarbeit in den USA, weil sie letztlich eine 'reichsdeutsche Veranstaltung' war. Etwa waren mehr als über 90 % der deutschamerikanischen Identitätsmanager noch im Reich geboren und die allermeisten dort sekundär sozialisiert worden. Die Kulturarbeit war nur für wenige Deutschamerikaner attraktiv, denn bei der überwiegenden Mehrheit fehlte der Bezug zu ihrem Alltag.
Philipps-Universität Marburg
Customs, etiquette, folklore
opus:524
https://doi.org/10.17192/z2003.0646
urn:nbn:de:hebis:04-z2003-06464
ethnic language
German
This study deals with the construction of German-American ethnicity as a mixture of ethnicism and ethnical nationalism in the time between WW1 and WW2 by inland-German and German-American identity managers. Ethnicity as an ideological construct of the modern age is neither a mere invention nor an object of limitless manipulation. Ethnical consciousness uses selectively elements of actual discourses and depends on economical, political, social and cultural circumstances.
The construction of ethnicity was the main part of auslandsdeutsche Kulturarbeit (foreign-German cultural activity). Its dominating term was Volk in the meaning of Ethnos which was defined accordingly to the ideology of Kultur and Rasse. Kulturarbeit intended the organization of all German-borns without regard of national boundaries. The introduction of the category Volk was an attempt to diminish the importance of the category state. Therefore the Kulturarbeiter (cultural activists) postulated the care of German national traditions (deutsches Volkstum) by which they meant the culture of the German folk.
Already at the end of the 18th century there existed a lot of anti-American stereotypes in Germany and in the 1840ies theoretical and practical approaches of Kulturarbeit were formulated. Furthermore there was a slowly increasing revival of the foreign-German idea in the German Empire since the 1880ies. In the meantime the German-American movement reached its peak. After 1918 the flourishing anti-Americanism in Germany and the rather negative assessments of the future of German-America hindered activities for the German Americans. Here first differences between inland-German and German-American Kulturarbeitern appeared by the dispute about the German Americans as Kulturdünger (cultural fertilizer). This objection meant the loss of German national traditions and led therefore to the inland-German request for remigration after 1935.
The three pillars of German-American ethnicity consisted in the construction of the ideal German American, the German language and the German-American historical consciousness. The ideal German American was formed from German virtues and exemplified by ideal German-American groups and persons. Generally language had been the prime factor for the construction of German-American identity. In the face of little hope for the language preservation the German language had been glorified. The legend about the defeat in the vote due to a single vote of a German American about German becoming the national language of the USA had been stylized to a warning signal of language loss. And Pennsylvania-Dutch was pointed out as an example for language preservation. With a higher historical consciousness identity constructors aimed for more social influence. In order to legitimate own demands and weaken the Anglo-American claim as first Americans it was also searched for earlier references of German immigration. Furthermore the German-American achievements were emphasized, German virtues were connected with German-American heroes and their worship was pushed. Above all ethnical theorists looked for the connection of US-myths like the winning of the west to German-American identity. In order to interest Germans and German Americans for their history and to produce a borderless all-German consciousness the Kulturarbeiter propagated genealogy.
Although the Kulturarbeiter on both sides of the Atlantic had a great deal in common there existed also differences in their theoretical and practical performance due to different circumstances. Thus the Kulturarbeit of the German-American protagonists was less dissimilatoric than the one of the inland-Germans. Especially in Germany in the time of the Third Reich the following changes of paradigms can be found:
a) the equating of the German Americans with the foreign-Germans (Auslandsdeutschen) in Europe,
b) the replacement of the primacy of language by Rasse,
c) the orientation away from the urban to the rural Germanness,
d) caused by the war devaluation of the attachment to the soil and enhancement of the preparedness for migration.
The success of auslandsdeutsche Kulturarbeit in Germany was based on the compensation of the loss of Germanys world-wide recognition. The Volk as a secularized religion replaced the reduced unloved new state. Further the success depended on the educated classes who looked at it as their very own matter and hoped to improve their social status by it. However Kulturarbeit failed in the USA because in the end it was an Inland-German activity. For instance more than 90 % of the German-American identity managers had been born in Germany and mostly secondary socialized there. Auslandsdeutsche Kulturarbeit had only been attractive for a few German Americans and the vast majority missed its relation to their everyday life.
2003-11-11
Europäische Ethnologie / Kulturwissenschaft
auslandsdeutsche Kulturarbeit
2011-08-10
Ethnizität
ethnic ideals
German Americans
Ethnizität [Motiv]
Deutschamerikanertum und Volkstumsgedanke. Zur Ethnizitätskonstruktion durch die auslandsdeutsche Kulturarbeit zwischen 1918 und 1945
ths
Prof. Dr.
Scharfe
Martin
Scharfe, Martin (Prof. Dr.)
Philipps-Universität Marburg
ppn:126151121
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie
Gegenstand dieser Arbeit ist die Konstruktion der deutschamerikanischen Ethnizität aus einer Mischung von Ethnizismus und ethnischem Nationalismus in der Zwischenkriegszeit durch inlandsdeutsche und deutschamerikanische 'Identitätsmanager'. Ethnizität als ideologisches Konstrukt der Moderne ist keine bloße Erfindung und nicht unbeschränkt manipulierbar. Ethnisches Bewußtsein bedient sich selektiv aktueller Diskurselemente und hängt von ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten ab.
Die Ethnizitätskonstruktion erfolgte unter dem Signet der auslandsdeutschen Kulturarbeit. Ihr Leitbegriff war Volk im Sinne von Ethnos, der sich aus dem Spektrum von Kultur und Rasse bestimmte. Die Kulturarbeit bezweckte unabhängig von Staatsgrenzen die Organisierung aller Deutschstämmigen. Mit der Kategorie Volk wurde versucht, die Kategorie Staat abzudrängen. Dazu postulierten die Kulturarbeiter die Pflege des deutschen Volkstums, womit sie die Kultur des deutschen Volkes meinten.
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts existierten viele antiamerikanische Stereotypen in Deutschland und in den 1840er Jahren waren theoretische und praktische Ansätze der Kulturarbeit formuliert worden. Zudem lebte im Deutschen Reich erst in den 1880er Jahren der auslandsdeutsche Gedanke langsam wieder auf, während die deutschamerikanische Bewegung um diese Zeit ihren Höhepunkt erreichte. Nach 1918 behinderten im Reich der aufblühende Antiamerikanismus und die eher negative Einschätzung der Zukunft Deutsch-Amerikas eine Befassung mit den Deutschamerikanern. Erste Differenzen zwischen inlandsdeutschen und deutschamerikanischen Kulturarbeitern zeigten sich mit dem Streit um die Deutschamerikaner als Kulturdünger. Dieser Vorwurf meinte den Verlust des deutschen Volkstums und führte daher nach 1935 zur inlandsdeutschen Forderung nach Rückwanderung.
Die drei Säulen der Konstruktion der deutschamerikanischen Ethnizität bestanden aus dem Idealbild des Deutschamerikaners, der deutschen Sprache und dem deutschamerikanischen Geschichtsbewußtsein. Der ideale Deutschamerikaner wurde an deutschen Tugenden sowie an idealen deutschamerikanischen Gruppen und Personen festgemacht. Generell lag das Primat bei der Konstruktion des Deutschamerikaners bei der Sprache. Angesichts der geringen Hoffnung auf Spracherhalt wurde die deutsche Sprache glorifiziert, die Legende über die verlorene Wahl des Deutschen als Staatssprache infolge der Stimme eines Deutschamerikaners zum warnenden Fanal des Sprachverlusts stilisiert und das Pennsylvania-Dutch als Vorbild für den Spracherhalt herausgehoben. Mit einem stärkeren Geschichtsbewußtsein hofften die Identitätsmanager, mehr gesellschaftlichen Einfluß zu gewinnen. Um eigene Forderungen zu legitimieren und den angloamerikanischen Anspruch als erste Amerikaner zu entkräften, wurde nach möglichst frühen historischen Belegen zur deutschamerikanischen Einwanderung gesucht. Weiter wurden deutschamerikanische Leistungen herausgekehrt, deutsche Tugenden an deutschamerikanischen Heroen festgemacht und deren Kult betrieben. Vor allem versuchte man, die deutschamerikanische Identität mit US-Mythen zu verknüpfen, wie etwa mit der des winning of the west. Um die Deutschen und Deutschamerikaner mehr für ihre Geschichte zu interessieren und ein grenzüberschreitendes gesamtdeutsches Bewußtsein zu schaffen, propagierten die Kulturarbeiter die Familiengeschichte.
Trotz aller Gemeinsamkeiten der Kulturarbeiter auf beiden Seiten des Atlantiks gab es wegen der unterschiedlichen Bedingungen auch Differenzen im theoretischen und praktischen Vorgehen. So war die Kulturarbeit deutschamerikanischer Vertreter weit weniger dissimilatorisch als die der inlandsdeutschen Akteure. Folgende Paradigmenwechsel sind gerade in der NS-Zeit im Reich erkennbar:
a) die Gleichstellung der Deutschamerikaner mit den europäischen Auslandsdeutschen,
b) der Ersatz des Primats der Sprache durch das der Rasse,
c) die Orientierung weg vom städtischen hin zum ländlichen Deutschtum,
d) kriegsbedingte Abwertung der Schollenverhaftung und Aufwertung des Wandertriebs.
Der Erfolg der auslandsdeutschen Kulturarbeit im Deutschen Reich beruhte auf der Kompensation des Verlusts deutscher Weltgeltung. An die Stelle des verkleinerten, ungeliebten neuen Staates trat das Volk als säkularisierte Religion. Ferner beruhte der Erfolg auf dem Bildungsbürgertum, das die Kulturarbeit als seine ureigenste Sache verstand und damit sein gesunkenes Sozialprestige zu heben hoffte. Dagegen scheiterte die Kulturarbeit in den USA, weil sie letztlich eine 'reichsdeutsche Veranstaltung' war. Etwa waren mehr als über 90 % der deutschamerikanischen Identitätsmanager noch im Reich geboren und die allermeisten dort sekundär sozialisiert worden. Die Kulturarbeit war nur für wenige Deutschamerikaner attraktiv, denn bei der überwiegenden Mehrheit fehlte der Bezug zu ihrem Alltag.
2000
2000-11-15
opus:524
Deutschland / Nationalismus / Rassismus
foreign-German cultural activity
https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2003/0646/cover.png
Migration
ethnische Identität
ethnic history
Bund der Auslandsdeutschen
Nationalismus [Motiv]
Customs, etiquette, folklore
Ethnologie
https://doi.org/10.17192/z2003.0646
German Americanness and the idea of Volkstum (national culture). Towards the construction of ethnicity by the auslandsdeutsche Kulturarbeit (foreign-German cultural activity) between 1918 and 1945
urn:nbn:de:hebis:04-z2003-06464
monograph
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Retterath, Hans-Werner
Retterath
Hans-Werner
USA-Auswanderung
Volkstumsarbeit
doctoralThesis
Deutschamerikaner
Deutsche / Ausla
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