Antisemitischer Antifeminismus in der Wochenzeitung Junge Freiheit

Antifeminismus, der Gegenspieler des Feminismus, kann verstanden werden als Weltanschauung und Position gegen Liberalisierungs- und Entnormierungsprozesse von Geschlechterverhältnissen. Dabei wird von einem emanzipatorischen, herrschaftskritischen Feminismus ausgegangen, der sämtliche gesellschaftli...

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Main Author: Bockelmann, Foelke Hanna
Format: Masters Thesis
Language:German
Published: Philipps-Universität Marburg 2024
Subjects:
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Description
Summary:Antifeminismus, der Gegenspieler des Feminismus, kann verstanden werden als Weltanschauung und Position gegen Liberalisierungs- und Entnormierungsprozesse von Geschlechterverhältnissen. Dabei wird von einem emanzipatorischen, herrschaftskritischen Feminismus ausgegangen, der sämtliche gesellschaftliche Aspekte durchdringt und männlich zentrierte Zwangs- und Herrschaftsverhältnisse offenlegt. Aus der Forschung sind verschiedene antifeministische Diskursstränge und Positionen bekannt, die von einem heterogenen Akteur*innenfeld propagiert werden. Antifeminismus ragt weit in die Mitte der Gesellschaft hinein und birgt großes Mobilisierungspotenzial. Über antifeministische Argumentationen, die gesellschaftlich leicht Akzeptanz erfahren, erhalten auch tabuisiertere Weltanschauungen wie Antisemitismus Einzug in das Denken der Gesellschaft. Die historisch weit zurückreichenden Verbindungen zwischen Antisemitismus und Antifeminismus wurden bereits mehrfach untersucht. Birsl (2020) beschreibt diese nicht nur als ideologische Verschränkung, sondern als dezidiert antisemitischen Antifeminismus. Diese Studie greift Birsls Vorüberlegungen auf und untersucht, welche Antifeminismen in der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ vorkommen und inwiefern diese per se antisemitisch strukturiert sind. Die auflagenstarke Zeitung ist ein besonders spannender Untersuchungsgegenstand, da sie an der Schnittstelle zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus verortet wird und als das Sprachrohr der neuen Rechten sowie der AfD gilt. Damit stellt diese Studie in der Forschung die erste systematische Analyse des antisemitischen Antifeminismus dar. Begleitend untersucht wird die Frage nach der Rolle von Verschwörungsideologien bei der Artikulation von Antifeminismus. Ausgangspunkt dieser Frage ist die Annahme Salzborns (2021), Verschwörungsideologien seien immer auch antisemitisch. Die Notwendigkeit und Relevanz, (antisemitischen) Antifeminismus zu untersuchen, ist nicht nur begründet in der Zunahme von antifeministischen Vorfällen, sondern auch darin, dass durch einen antisemitisch strukturierten Antifeminismus völkisch begründeter Antisemitismus wieder sagbar wird. Zur Beantwortung der zentralen Frage dieser Studie wurden Ausgaben der Jungen Freiheit in dem Zeitraum Januar 2022 bis September 2023 untersucht. Zunächst wurde eine qualitative Inhaltsanalyse mit induktiven und deduktiven Kategorien nach Mayring durgeführt. Es folgte eine qualitative frame-Analyse nach Gamson und Modigliani, die den Kern der Studie ausmacht. Frames können verstanden werden als allgemeine Wahrnehmungs-, Struktur- und Deutungsmuster, mit denen Ereignisse und Informationen sinnhaft zusammengefügt werden und soziales Verhalten beeinflusst wird. Die Analyse, die auf einem Materialkorpus von 80 Artikeln beruht, ergab, dass Antifeminismus in verschiedenen Themenbereichen der Jungen Freiheit zu finden ist. Besonders häufig wurde antifeministisch Bezug genommen auf die Themenkomplexe der Abweichung von geschlechtlichen und sexuellen Normen sowie von einem traditionellen Familienbild. Zudem ließen sich 23 antifeministische frames rekonstruieren. In der Studie werden acht frames diskutiert. In vier dieser frames kann eindeutig ein antisemitisch grundierter Antifeminismus ausgemacht werden. Auf struktureller Ebene wird Antifeminismus zur antisemitischen Projektionsfläche für die Bedrohungen der Moderne. In den anderen vier frames kommt der zutage tretende Antifeminismus weitestgehend ohne antisemitische oder verschwörungsideologische Bezüge aus, jedoch nicht komplett. Somit variiert die Stringenz eines antisemitischen Antifeminismus in den einzelnen, herausgearbeiteten frames. Die Bezugnahme auf den antisemitischen Antifeminismus erfolgt in der Jungen Freiheit durchgehend verschwörungsideologisch durch Rückgriffe auf Narrative eines „Großen Austausches“, einer „Neuen Weltordnung“ oder auf das antisemitische Bild eines im Hintergrund agierenden Strippenziehers. Die gewonnenen Erkenntnisse stützen Birsl Überlegungen zu einem antisemitisch strukturierten Antifeminismus und bestätigen auch Salzborns Annahme, dass Verschwörungsideologien immer auch antisemitisch sind. Die Definition von Antifeminismus sollte somit um die verschwörungsideologische, antisemitische Komponente erweitert werden. Eine Validierung dieser Theorieerweiterung ist Aufgabe weiterer Forschung.
Physical Description:298 Pages
DOI:10.17192/ed.2024.0009