Dietmar Haubfleisch: 'Schülerarbeiten' als Quelle zur Erschließung der reformpädagogischen Unterrichts- und
Erziehungsrealität der Schulfarm Insel Scharfenberg
(Berlin) in der Weimarer Republik. In: Towards a History of Everyday Educational Reality. Ed. by Marc Depaepe,
Max Liedtke and Frank Simon (=Paedagogica Historica. International
Journal of the History of Education. New series, 31,1), Gent 1995, S. 151-180. - Wieder: Marburg 1999:
http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0002/welcome.html
'Schülerarbeiten' als Quelle zur Erschließung der reformpädagogischen Unterrichts- und
Erziehungsrealität der Schulfarm Insel Scharfenberg (Berlin) in der Weimarer Republik
Von Dietmar Haubfleisch
Text - Abbildung - Quellenanhang - Summary
Auf der Insel Scharfenberg, inmitten des Tegeler Sees, in
herrlicher Wald- und Seenlandschaft im Nordwesten Berlins,
wurde im Frühjahr 1922 ein städtisches
Jungeninternat gegründet, das sich unter der Leitung
des Pädagogen Wilhelm Blume (1884-1970) als 'Schulfarm
Insel Scharfenberg' zu einer der bedeutendsten
öffentlichen reformpädagogischen - von der
heutigen bildungshistorischen Forschung jedoch weithin
vergessenen - Versuchsschulen der Weimarer Republik
entwickelte [Anm. 1].
Der folgende Beitrag möchte aus der Menge der
gedruckten Quellen und der Fülle bislang weitgehend
unbeachtet gebliebener schriftlicher und bildlicher
Archivalien, die sich in einer Reihe von Archiven wie auch
in Privatbesitz ehemaliger Lehrkräfte und Schüler
der Schulfarm [Anm. 2] (bzw. deren
Nachkommen) befinden [Anm. 3],
'Schülerarbeiten' vorstellen und anschließend
ihre Bedeutung für die Erforschung der Unterrichts-
und Erziehungsrealität der Schulfarm knapp
analysieren.
Im Schuljahr 1922/23 unterrichtete auf Scharfenberg u.a.
auch die Schweizer Reformpädagogin und Pazifistin
Elisabeth Rotten, die mit Wilhelm Blume ein Leben lang
freundschaftlich verbunden blieb und aufgrund ihrer
vielfältigen internationalen Kontakte als eine der
wichtigsten pädagogischen Förderinnen dieser
Reformschule angesehen werden kann. Im Sommer 1928 bot
Elisabeth Rotten als Herausgeberin des 'Werdenden
Zeitalters' - einer der wichtigsten deutschsprachigen
reformpädagogischen Zeitschriften der 20er und
frühen 30er Jahre [Anm. 4] - an,
"eine Scharfenberg-Nummer herauszugeben", mit deren Hilfe
die Schulfarm Gelegenheit erhalten solle, ihre
"Anfänge, Erfahrungen und Ziele kostenlos vor eine
interessierte Öffentlichkeit [zu] bringen" [Anm. 5]. Die Inselgemeinschaft nahm dieses
Angebot dankend an und beschloß, die 'Scharfenberg-Nummer' als ein Gemeinschaftswerk zu schaffen: Mit der
Redaktion des Werkes wurde eine Kommission beauftragt [Anm. 6]; die Texte, so entschied man weiter,
sollten "nicht allein die Lehrer [...] schreiben, sondern
das Heft soll sich mosaikartig aus Beiträgen aller
zusammensetzen." [Anm. 7] Und so geschah
es dann auch: Im September und noch zu Beginn des Oktobers
wurde "mit Hochdruck" [Anm. 8] an dem
Werk gearbeitet. Im Oktober erschien die Arbeit, die - von
einem kurzen weiteren Beitrag abgesehen [Anm.
9] -, das gesamte Oktoberheft des Jahrganges 1928 des
'Werdenden Zeitalters' umfaßte - und als solches auch
als Einzelheft, gewissermaßen als kleines,
selbständiges 'Scharfenbergbuch' erworben werden
konnte [Anm. 10].
Das Werk erhielt den Titel 'Aus dem Leben der Schulfarm
Insel Scharfenberg'. Ein Zusatz verdeutlichte den Lesern,
daß es sich hier um "Bilder, Dokumente,
Selbstzeugnisse von Eltern, Lehrern, Schülern" der
Schulfarm handelte, redigiert von Wilhelm Blume und "H.
Samter, E. Schipkus, B. Schmoll, K. Martinu, J.
Heinrichsdorff, L. Knoll, H. Setzer als gewählte
Scharfenbergheft-Schülerkommission" (S. 329).
Zu Beginn der Publikation, einer Collage, die an
Lebendigkeit und Direktheit von keinem anderen Text der
(bzw. über die) Schulfarm übertroffen wurde [Anm. 11] - und der von daher unbedingt eine
Wiederveröffentlichung (Reprint) lohnen würde -,
hieß es zur Art der Selbstdarstellung, gleichsam ein
pädagogisches Credo für die Scharfenberger
Pädagogik formulierend:
"Wir wollen mit unsern Lesern so verfahren, wie wir es in
unserm Unterricht anstreben. Das heißt: nicht
Darlegungen als Fertigfabrikate bieten, sondern 'selbst
finden lassen'; aus Schnitten, Dokumenten, Selbstzeugnissen
von Schülern, Lehrern. Eltern möge man sich ein
Bild vom Werden, Sein und Wollen dieses Berliner
Schulexperiments machen; wenn Widersprüche nicht ganz
aufgehen, sind sie wohl auch in der Wirklichkeit
vorhanden." (S. 329)
Stück für Stück werden in dem
Gemeinschaftswerk der Inselgemeinschaft, unterbrochen von
zahlreichen künstlerischen Schüler- und
Lehrerarbeiten (Linolschnitte u.a.), einzelne Elemente der
Schulfarm behandelt - bis am Ende eine Collage entsteht,
die einen detaillierten (und nicht zuletzt) faszinierenden
Einblick in Entwicklung und Wesen der Schulfarm
gewährt.
Am Beginn steht ein - auf einer bereits zuvor publizierten
Arbeit des Scharfenberger Lehrers Wilhelm Radvann
basierender - Aufsatz 'Zur Geschichte der Insel
Scharfenberg im Tegeler See' (S. 330-332) [Anm. 12], zu deren Vorbesitzer u.a. die
Familie von Humboldt und der Naturforscher Carl Bolle, der
von seinen weltweiten Forschungsreisen Pflanzen mitbrachte,
sie auf Scharfenberg erfolgreich akklimatisierte und so aus
der Insel eine Art 'botanischen Wundergarten' machte,
gehörten. Es folgt ein Überblick darüber,
'Wie auf die Humboldt- und Bolleinsel eine Schule kam' (S.
332-338): ein Kapitel über die Vorgeschichte der
Schulfarm, die mit einer 'Lesevereinigung', einer
wandervogelähnlichen Schülergruppe um den jungen
Lehrer Blume am Humboldt-Gymnasium im Berliner Wedding,
begann, einen wichtigen Impuls durch den sog.
'Wynekenerlaß' vom November des Jahres 1918 erhielt
und 1921 schließlich zu einem zeitlich eng
befristeten 'Sommerschulversuch' Blumes und zweier Kollegen
mit einer Klasse des Humboldt-Gymnasiums auf der Insel
führte.
Der Vorgeschichte folgen Hinweise auf einige
ausgewählte 'Entwicklungsetappen' (S. 339-346) der
Schulfarm in den Jahren von 1922 bis 1928, so u.a. auf die
Abschaffung der Zensuren bald nach Beginn des
Schulversuches (S. 339) und auf die sog. 'Novemberpunkte'
(S. 339) des Jahres 1922, einer schriftlichen Fixierung
zentraler Grundsätze der Inselgemeinschaft. Der seit
1923 auf der Insel tätige Landwirt Paul Glasenapp
berichtet anhand von Aufzeichnungen aus
Wirtschaftsbüchern über 'Entstehung und Bedeutung
unserer Landwirtschaft' (S. 340-342), die der Schulfarm zu
ihrem Namen verhalf; in dem Abschnitt über die
'Abituriumsfrage' (S. 342-245) - dem sich dazugehörige
'Randbemerkungen des Leiters nach dem 6. Scharfenberger
Abiturium' (S. 345f.) anschließen - wird
hervorgehoben, daß die Schulfarm die für sie
zunächst gar nicht vorgesehene, für eine
Unterrichtsreformarbeit aber unerläßliche
Abituriumsberechtigung ausschließlich der
persönlichen Intervention des damaligen
preußischen Staatssekretärs Carl Heinrich Becker
verdankte.
In den beiden letztgenannten, über das Scharfenberger
Abitur handelnden Abschnitten werden bereits einige
Bausteine der Scharfenberger Unterrichtsorganisation
angedeutet, so z.B. die Einrichtung von Doppelstunden- und
Wochenplan, die der Vermeidung unnötiger
Unterrichtszersplitterung dienen sollten, vor allem aber
auch die Tatsache, daß die Scharfenberger
Schüler u.a. durch 'förmliche
Stundenplankonferenzen' (S. 343), durch Vergleiche mit
anderen Erziehungsmodellen (S. 343) wie durch Entwicklung
eigener 'Utopien' (S. 343) aktiv an der Gestaltung der
Unterrichtsorganisation mitbeteiligt wurden.
Dem einleitenden Teil folgend, wendet sich das erste
Hauptkapitel ausschließlich dem Unterricht zu (S.
346-366). Aus der Sicht des ehemaligen Scharfenberg-Schülers Wolfgang Pewesin wird der 'Kulturunterricht'
(S. 346-348) als eine "Vereinigung der geschichtlichen
Fächer: Geschichte, Deutsch, Philosophie, Religion,
Kunstgeschichte, Geographie" (S. 346) im Unterricht der
Oberstufe, "wie er einem Studenten der Geschichte
nachträglich erscheint" (S. 346), beschrieben. Ein
anderer Student und ehemaliger Schüler der Schulfarm,
Gerhard Metz, beschreibt seine 'Rückerinnerung an den
Deutschkurs' (S. 348f.), dem von ihm gewählten
Fächerschwerpunkt in der Oberstufe.
Heinrich Pridik schildert seine 'Hospitanten-Eindrücke
vom Gesamtunterricht in Scharfenberg' (S. 349-352) - als
"Zusammenfassung der vier Kernfächer: Deutsch,
Geschichte, Erdkunde und Religion" (S. 350),
gewisermaßen ein Äquivalent zum Kulturunterricht
auf der Scharfenberger Mittelstufe (Zwischenstufe). Der
Skizze Pridiks schließen sich weitere
Kleinbeiträge zum 'Gesamtunterricht' an: Kurze
'Indiskretionen aus dem privaten Sammelheft eines
Zwischenstüflers' (S. 352), eine Schilderung über
'Stilübungen am Epidiaskop' (S. 353), 'Wie der
Gesamtunterricht der Jüngsten 1928 in Gang kam' (S.
353-355) von dem Schüler Ernst Melamerson und eine
'Sonderbare Preisfrage. Erlebnisse eines 13-jährigen
Kommissionsmitgliedes' (S. 356-357) von dem Schüler
Bernd Burgemeister.
Dem folgen zwei Beiträge von Scharfenberger
Lehrkräften: Der Neuphilologe Wilhelm Moslé bringt
einen Beitrag über die 'Gruppenarbeit im englischen
Anfangsunterricht' (S. 357f.) der Scharfenberger
Mittelstufe. 'Scharfenbergs mathematischer Unterricht' (S.
358-359) ist anschließend das Thema des ehemaligen
Scharfenberger Mathematikers Ernst Sorge, der hier seiner
Auffassung Ausdruck verleiht, daß "die rein
theoretische Mathematik auf der Schule nur mit Vorsicht und
Beschränkung aufs Einfachere getrieben werden
[könne]" (S. 358): wohl erlaube der Mathematikkurs der
Oberstufe "das Grübeln über ferner liegende
mathematische Rätsel" (S. 358), sehr viel "wichtiger
und natürlicher" sei es aber, "auf der Insel der Tat
praktische Mathematik zu treiben" (S. 358):
"Messen und zeichnen kann man in Scharfenberg in
unerschöpflichem Ausmaß. Einige Jungen des
Mathematikkurses maßen unter Zuhilfenahme von
Stahlbandmaß, Holzwinkelmesser, Winkelspiegel und
Theodolit in einigen Monaten die ganze Insel aus. Hierbei
galt es erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden; die
Bandmaße mußten öfter durch dichtes
Gebüsch oder an einspringenden Buchten übers
Wasser gelegt werden. Bei der starken Bewaldung der Insel
war die Sichtweite gering. Dennoch können die
Messungen als beachtenswert genau gelten. Bei Vielecken von
mehreren hundert Metern Umfang wichen Anfangs- und
Endpunkte nach der Zeichnung nie um mehr als 6 m
voneinander ab. Nach diesen Messungen fertigte ein
Schüler eine Karte der Insel im Maßstab 1:2000
an und behandelte in einer Jahresarbeit das Verfahren und
seine Hilfsmittel. Die Karte wurde wiederum von
Schülern der Zwischenstufe in verschiedene andere
Maßstäbe - bis zu Wandkartengröße -
übertragen und außerdem durch Wiegen einer auf
Zinkblech aufgeklebten Karte oder durch Auszählung auf
Millimeterpapier zur Flächenbestimmung der Insel
verwertet.
Trigonometrische Messungen wurden nötig, als wir die
Schallgeschwindigkeit durch Echoversuche auf dem Tegeler
See bestimmten. Wir brauchten dabei die Ebtfernung der
Insel vom Festland. Sie wurde auf Grund vieler
Theodolitmessungen von Schülern der Zwischenstufe
durch Zeichnen, von Schülern der Oberstufe durch
Rechnung gefunden. [...]." (S. 359)
In dieselbe Richtung wie Sorges Ausführungen zielen
auch die nachfolgenden Beiträge. 'Der
naturwissenschaftliche Unterricht auf Scharfenberg' (S.
359-360) wird von dem ehemaligen Schüler Martin
Grotjahn behandelt: Er beschreibt, wie die nahegelegenen
Industrieanlagen der Borsigwerke im Nordosten und der
Spandauer Siemenswerke im Südwesten des Tegeler Sees
für den physikalischen und chemischen Unterricht
"Gelegenheit zu eigenen Beobachtungen technischer und
chemischer Vorgänge" (S. 360) böten. Was den
Biologieunterricht anbelangt, so bräuchte
"Anschauungsmaterial [...] dem Scharfenberger
[Schüler] nicht an ausgerupften und verschrumpften
Pflanzen demonstriert werden, sondern es drängte sich
ihm täglich und stündlich auf" (S. 358f.):
"Scharfenberg ist ein verwilderter Garten und weist deshalb
an Bäumen, Sträuchern und Kräutern
Kostbarkeiten auf, wie man sie in einem ungepflegten
Naturpark nur selten findet." (S. 360) Und für
zoologische Untersuchungen böten "See, Insel und
Landwirtschaft [...] übergenug Gelegenheit zu
Beobachtungen" (S. 360):
"Auf der Spielwiese legt eine Ringelnatter Eier. Auf dem
Scharfenberg nisten Rotkehlchen. Im Brutapparat
schlüpfen die Kücken. Eine Ente hat Fallsucht.
Ein tot aufgefundener Pirol geht von Hand zu Hand. Man
betrachtet den Habicht, der an der Hühnerfarm
geschossen wurde. Man stopft eine Möve aus. Bei der
Schwergeburt eines Kalbes mit Gebärmuttervorfall sind
Schüler die Assistenten des Tierarztes. Eine ganze
Nacht hindurch haben Schüler Umschläge gemacht,
Klystierspritzen in den Darm eingeführt und so
schließlich unseren kleinen Rappen von der Kolik
gerettet." (S. 360)
Grotjahns Beitrag folgen als Kleinbeiträge: 'Aus einem
naturwissenschaftlichen Schülertagebuch' (S. 361) -
das von Martin Grotjahn über einen Zeitraum von zwei
Jahren geführt wurde und, "1500 Seiten mit 800
Zeichnungen und den Berichten von 72 Sektionen" (S. 361)
enthielt; der 'ornithologische Bestand Scharfenbergs im
Jahre 1924/25' (S. 361f.) von dem Schüler Rolf
Wernecke und 'Die Praeparatensammlung des Naturkurses' (S.
362f.) von dem Schüler Heinz Heimhold. Den
Abschluß des Unterrichtskapitels bilden 'Einige
Bemerkungen über die kulturelle und pädagogische
Bedeutung der Mathematik und der Naturwissenschaften' (S.
363-366) - grundlegende philosophische Erwägungen -
von dem Lehrer Walter Ackermann .
Das zweite Hauptkapitel wendet sich einem weiteren
Schwerpunkt der Scharfenberger Versuchsschularbeit, der
'Gemeinschaftsarbeit in Scharfenberg' (S. 366-374), zu.
Zunächst wird - basierend auf einem thematischen
Entwurf und einer Materialsammlung des Schülers Bruno
George, ausgeführt von Wilhelm Blume - auf die
'Geschichte der Arbeit' eingegangen (S. 366-371):
Geschildert wird, wie aufgrund wirtschaftlicher
Notwendigkeiten wie auch pädagogischer
Überlegungen nahezu alle im Inselleben anfallenden
Arbeiten von der Inselgemeinschaft selbst erledigt wurden,
wie sich die Organisation dieser Arbeiten - Einrichtung
täglicher Dienste und 'Ämter', Entstehung von
Fachgruppen, wie den Malern, Tischlern und Schlossern u.a.,
Einführung der 'Arbeitswoche' usw. - entwickelte:
"Dieser ganze Arbeitskomplex vom Waschdienst angefangen bis
hin zum Werkstättenzeugnis ist zunächst
wirtschaftlich wertvoll; wir sparen dadurch
Hausmädchen, Knechte, die Unkosten für
stundenweit herkommende Handwerker - von der entscheidenden
Beihilfe der landwirtschaftlichen Eigenproduktion hier ganz
zu schweigen. Sehr viele unserer Schüler könnten
bei den geringen finanziellen Mitteln ihrer Eltern hier
nicht aufwachsen, wenn wir nicht alle uns dieser 'Arbeit'
widmeten; oder sie müßten um Freistellen bitten.
Hier brauchen und sollen sie sich nicht irgendwie
abhängig oder als Almosenempfänger fühlen;
was sie nicht bezahlen, schaffen sie sich und anderen durch
ihrer Hände Arbeit. Hier geht das Wirtschaftliche ins
Ethische über; die wirtschaftliche Notwendigkeit ist
der Ursprung unserer Gemeinschaftsarbeit gewesen; jetzt
sehen wir nachträglich auch die mitgeborene rein
menschliche Wirkung. Zumal seit die aus Volksschulkreisen
stammenden Schüler überwiegen, beginnt diese
Seite fast zum wichtigeren Faktor zu werden. Es geht nicht
an, die Jungen aus ihrem Milieu herauszunehmen, sie, wie es
in manchen staatlichen Internaten geschieht, in den
empfänglichsten Jugendjahren den Dingen fern nur der
Wissenschaft und dem Sport leben zu lassen, als ob das so
sein müßte oder überhaupt das
Erstrebenswerte wäre. Schlimm für ihre
Charakterempfindung, wenn sie die Handarbeit, die ihre
Eltern ernährt hat, wegen ihrer bißchen
geistigen Begabung verachten, auf ihre einstigen
Schulkameraden, die jetzt schon im Handwerk oder in der
Fabrik stehen, herabschauen lernen, wenn sie dann nach den
Moden und Bräuchen der sogenannten höheren
Schichten schielen, nur sich möglichst schnell und
vorteilhaft 'den Errungenschaften der modernen
Zivilisation' einzuordnen streben. Eine Aufbauschule darf
nicht auf bloß intellektuelle Hochzüchtung
ausgehen; sie muß etwas anderes werden als eine
vierte 'höhere Schule' [...]." (S. 370)
Diesem Grundsatzbeitrag folgen weitere Detailbeiträge
zum Thema: Zunächst berichtet der Schüler Erich
Melamerson (basierend auf anderen Textversuchen einiger
seiner Mitschüler) über 'Unsere Arbeitswoche' (S.
371f.); dem folgen als 'Einzelberichte aus der
Gruppenarbeit' (S. 372-374) die Schülerbeiträge:
'Was unsere Tischlergruppe zu tun hat' (S. 372-374) von
Werner Knoll und 'Die Neubaukolonne' (S. 373f.) von Max
Weckmann.
'Die Selbstverwaltung auf der Insel' - nach dem Unterricht
und der Gemeinschaftsarbeit das dritte Kernelement des
Schulversuches - ist das Thema des dritten Hauptkapitels
(S. 374-387). Es beginnt mit einer Abhandlung über
'Die Abendaussprache' (S. 374f.) als dem entscheidenden
'Forum' der Gemeinschaft, dem die Regelung des
Gemeinschaftslebens, die Diskussion und Lösung der die
Gemeinschaft betreffenden Probleme zukam,
gewissermaßen der 'Vollversammlung' aller Mitglieder
der Inselgemeinschaft, in der jedes Mitglied jedes Thema
zur Diskussion stellen und - bei gleicher Stimme für
Lehrer und Schüler - zur Abstimmung bringen konnte;
ein getroffener Beschluß war dann solange 'Gesetz',
bis ein neuer Mehrheitsbeschluß dies
änderte.
Es folgt eine Ausführung über den am 11. August
begangenen 'Verfassungstag 1928' (S. 375f.) - dem zentralen
politischen Feiertag der Weimarer Republik, der auf der
Insel, anders als an vielen anderen Schulen der Zeit, eine
wichtige Rolle spielte. Ein dritter Aufsatz stellt den
'Ausschuß' (S. 377) als ein aus Lehrern und
Schülern bestehendes Selbstverwaltungsgremium der
Schulfarm vor. Eine vierte Darstellung handelt über
'Das Stimmrecht' (S. 377-379), das den neuen Schülern
nach einer Probezeit von der Inselgemeinschaft in einer
Abendaussprachen-Sitzung durch Wahl gewährt oder aber
nicht gewährt wurde - wobei letzteres nach zweimaliger
Wiederholung zur Nichtaufnahme des Schülers in die
Inselgemeinschaft führte.
Dem schließen sich einzelne 'Sonderberichte aus neuen
Selbstverwaltungsprovinzen' (S. 379-387) an: 'Die
Scharfenberger Schülerfeuerwehr' (S. 379f.) -
"entstanden aus dem Zwang der Selbsthilfe, aber auch aus
dem Bestreben, mit der Nachbarschaft über den See
engere Fühlung zu bekommen" (S. 379) - von dem
Schüler Erich Meyer, 'Die Scharfenberger
Hühnerfarm' (S. 380) von dem Schüler Heinz
Reinsch, 'Der Milchdienst' (S. 381) von dem Schüler
Heinz Ruthenberg, 'Die Schülerzeitung in Scharfenberg'
(S. 381-383) von dem Schüler Bruno George - mit
anschließenden 'Proben aus der Inselzeitung' (S.
383f.); der Schüler Erwin Oeser berichtet über
'Gestalt und Wert der Zeitungsberichte' (S. 385), die der
Gemeinschaft von den dazu gewählten
'Zeitungsberichterstattern' zu einzelnen Themenbereichen
(Politik, Feuilleton, Naturwissenschaften, Sport u.a.)
vorgetragen wurden, es folgen ein wichtiger Anhang
über 'Die Politik in Scharfenberg' von dem
Schüler Fritz Blümel (S. 385f.) und von dem
ehemaligen Scharfenbergschüler Paul Heinrichsdorff
eine Darstellung über 'Die freie Mitarbeit der
ehemaligen Schüler' (S. 387) - einem Charakteristikum
der Schulfarm.
'Die Stellung der Eltern in Scharfenberg' (S. 387-394) wird
als viertes Hauptkapitel behandelt. Richard Woldt, Vater
der Scharfenbergschüler Johannes und Helmut Woldt,
berichtet zunächst über 'Grundsätzliches'
(S. 387f.) zum Thema - vor allem hebt er den hohen
Stellenwert der für ein Internat ungewöhnlich
starken Elternmitarbeit auf der Insel hervor. Diesen
bestätigen auch weitere Beiträge: Auszüge
'Aus Protokollen verschiedener Schulgemeinden' (S. 388-391)
- der aus Schülern, Eltern, Lehrern und Angestellten
bestehenden 'Vollversammlung der Inselgemeinschaft';
'Eindrücke von der Oktoberschulgemeinde (Ein
Elternbrief an den Leiter)' (S. 391) von dem Schlosser und
Schülervater Buschke; ein Bericht der zweifachen
Schülermutter Annie Heinrichsdorff über den
'Elternarbeitsausschuß' (S. 391-393), ein
'Schlußwort' (S. 393f.) eines anderen Elternteils und
als 'Anhang' ein Bericht über den 'Verein der Freunde
der Scharfenbergschulidee e.V.' (S. 394) von dem
Schülervater Emil Metz.
Den Abschluß der Scharfenberger Selbstdarstellung
bildet das fünfte, 'Abgrenzungen' (S. 395-404)
betitelte Hauptkapitel. Der ehemalige Scharfenberger Lehrer
Erich Bandmann schreibt hier unter dem Thema 'Der Lehrer
und Scharfenberg' (S. 395-404) u.a. über die
(selbsterlebten) Schwierigkeiten des 'neuen Lehrerdaseins',
das eine grundlegende Abkehr vom traditionellen Lehrerbild
bedeute(te). In einem Aufsatz 'Über Scharfenberg im
Vergleich mit den Landerziehungsheimen' (S. 397f.) zeigt
der Lehrer Walter Ackermann die Nähe der Schulfarm zu
den Landerziehungsheimen auf, bezeichnet Scharfenberg
(aufgrund seiner Kostenstruktur, seiner sozialen Schichtung
u.a.) zugleich aber auch als Überwindung der
Landerziehungsheime - vor allem, da es hier "endlich [...]
gelungen [sei], das Landerziehungsheim jedem gesunden und
innerlich hierzu bereiten Jungen zugänglich zu
machen." (S. 397f.). Karl Berisch, Scharfenberger
Abiturient, der auch Schüler in Wickersdorf gewesen
war, kontrastiert in einem Vergleich zwischen 'Scharfenberg
und Wickersdorf' (S. 398-400) das von Wynekenschen
Jugendkulturideen geprägte und erstarrende Wickersdorf
mit dem jugendgemäßeren, undogmatischen,
'realistischeren', städtischeren und
entwicklungsfähigen Scharfenberg.
In einem Aufsatz über das Verhältnis von
'Stadtschule und Scharfenberg' (S. 400-402) schildern der
ehemalige Scharfenberger Lehrer Julius Wolff wie auch der
Referendar Wilhelm Richter in seinem die 'Scharfenberg-
Nummer' abschließenden Aufsatz über
'Scharfenberg und die Großstadt' (S. 402-404) das
Spannungsverhältnis der 'Stadtrandschule' Scharfenberg
mit ihrer Großtstadtnähe einer- und ihrer
ländlichen Idylle andererseits.
Von allen Archiven besitzt das Archiv der - wenn auch in
stark veränderter Form - heute noch bestehenden
Schulfarm Insel Scharfenberg [Anm. 13]
die größte Vielfalt (und wohl auch Zahl) an
schriftlichen und bildlichen Archivalien zum Thema. Vor
allem befindet sich hier eine Quelle, die als die zentrale
Quelle der Schulfarm schlechthin bezeichnet werden kann -
und die aufgrund ihres hohen Aussagewertes wie ihres
schlechten Erhaltungszustandes dringend einer
Sicherheitsverfilmung bedürfte: es handelt sich um
eine siebenbändige, quarto-formatige 'Chronik der
Schulfarm Insel Scharfenberg', die, von Mai 1922 (mit
Rückblicken auf die Vorgeschichte) bis Juli 1929 (und
zwei vereinzelten Beiträgen vom Januar 1932) nahezu
lückenlos, von der gesamten Schulgemeinschaft
handschriftlich geführt, eine
außergewöhnlich dichte Auskunft über fast
alle Bereiche des Schulversuches gibt [Anm.
14].
Zum Teil tägliche Eintragungen, zum Teil längere
Zeiträume umfassende Sammel-Berichte wechseln
miteinander ab. Chronikalische Berichte Blumes werden
abgelöst von Berichten anderer Scharfenberger Lehrer
und Beiträgen von Schülern. Ergänzt werden
diese Bestandteile der Chronik durch Eintragungen von
Eltern und Inselbesuchern. Das Erlebnis eines Thomas Mann
Vortrags steht neben der Darstellung einer Beratung
über die Notwendigkeit von Ersparnismöglichkeiten
von Petroleum; der Bericht über ein naives
Weihnachtsgeschenk steht neben einer philosophischen
Abhandlung. Berichte von Ernte-, Theater- und Sportfesten,
von Museumsbesuchen und Exkursionen stehen neben
Scharfenberger Anektoden, diese wiederum neben Listen neu
eintretender Scharfenberger Schüler. Das alles ist
durchsetzt mit einer Vielzahl von Fotografien und
bildnerischen Schülerarbeiten (Zeichnungen,
Scherenschnitten u.v.a.m.) - die nicht zuletzt auch einen
deutlichen Hinweis auf den (auch) starken musischen
Charakter der Schulfarm geben.
Dadurch entsteht eine bunte Fascette - ein lebendiger und
tiefer Einblick in den Scharfenberger Alltag, der z.B.
sogar in architektonisch-bauliche Gestaltungsfragen
gewährt, z.B. durch ein Foto, das den Schüler
Arnold Fritz 1925 beim Anbringen großer, auf eigenen
Entwürfen basierender Wandfresken mit Liebesszenen aus
der Weltliteratur (Odysseus und Nausikaa, Waltharre und
Hildegund, Don Quichote und Dulcinea u.a.) zeigt [Anm. 15], oder durch
Architekturzeichnungen, die Scharfenberger Schüler
anläßlich der Planungen zur baulichen
Erweiterungen der Schulfarm im Jahre 1927 anfertigten [Anm. 16].
Innerhalb der Chronik nehmen die Protokolle der oben schon
genannten Abendaussprachen eine quantitativ wie qualitativ
herausragende Stellung ein: Die zum Teil von Blume, zum
Teil von den Schülern (und nur in wenigen
Ausnahmefällen von anderen Scharfenberger Lehrern)
erstellten Protokolle von 88 Abendaussprachen des Zeitraums
von 1922 bis 1929 [Anm. 17], die in
transkripierter Form einen Umfang von ca. 400 Seiten
einnehmen, vermitteln einen nahezu vollständigen
Über- und tiefen Einblick über diese zentrale
Institution der Schulfarm, ihre Themen und die Art der
Auseinandersetzungen und damit nicht zuletzt auch über
die Dimension der Selbstverwaltung auf Scharfenberg [Anm. 18] - die die Bezeichnung der
Schulfarmen als 'radikaldemokratisches Freiheitsexperiment'
[Anm. 19] gerechtfertigt erscheinen
läßt.
Die Protokolle der Abendaussprachen enthalten u.a. auch
Hinweise auf den Umgang der Gemeinschaft mit der Chronik:
Es wurde ständig in den einzelnen Bänden
geblättert und gelesen. Man erinnerte sich einst
geschehener Dinge, an Ferienerlebnisse, an einstige
Schüler und Lehrer. Auch bei anstehenden Problemen
bezog man sich des öfteren auf die Chronikbände,
falls man dort früher ähnliche Probleme - und
eventuell auch Lösungen - gefunden hatte. Die neuen
Schüler wurden anhand der Bände mit den 'Sitten',
den Gewohnheiten auf Scharfenberg vertraut gemacht.
Es wird aber auch deutlich, daß man einmal in der
Chronik Festgeschriebenes nicht als 'Gesetz', die Chronik
nicht als 'Gesetzblatt', einmal entschiedene Probleme nicht
zwingend als 'Präzedenzfälle' betrachtete -
sondern daß man durchaus Distanz zu eigenen
Entscheidungen, Mut zu neuen, veränderten Situationen
besser angemessenen Entscheidungen hatte [Anm. 20]. D.h., die Chronik diente (auch)
der Traditionsbildung - ohne daß aber diese Tradition
überbewertet und eine Erstarrung des Versuches somit
verhindert wurde.
Die Chronik, in der auch Mißstände (relativ)
offen dargestellt werden, wurde aber nicht nur von der
Gemeinschaft für die Gemeinschaft geschrieben: Sie
kann zudem nachweislich als ein Instrument der
'Selbstkontrolle' des Schulversuches und ein 'Protokoll'
über Entstehung und Entwicklung des Schulversuches
für Besucher wie für die 'Nachwelt' gesehen
werden.
Vergleicht man die Scharfenberger Chronik mit der
Selbstdarstellung im 'Werdenden Zeitalter', so fallen
Ähnlichkeit der Anlage (als 'Collage' von in erster
Linie von Schülern und Lehrern geschaffenen Bild- und
Textteilen) wie auch der Inhalte auf (wobei sich bei einem
solchen Vergleich die Schilderung einer Abendaussprache im
'Werdenden Zeitalter' als eine idealtypische Collage aus
mehreren Abendaussprachen erweist).
Weder der Zeitpunkt des Abbrechens der Chronikführung
im Jahr 1929, noch der Zeitpunkt des Zustandekommens des
Artikels im 'Werdenden Zeitalter' waren zufällig: Bis
in die Jahre 1928/29 hatte sich die Schulfarm zu einem
stabilen Schulversuch entwickelt - deren innere (und
äußere) Entwicklung zu einem gewissen
Abschluß gekommen war. Nunmehr bestand weniger
Interesse an einer schriftlichen Fixierung der weiteren
Entwicklung; und nunmehr konnte und sollte
gewissermaßen ein Fazit gezogen werden und eine
jahrelang gereifte, erfolgreiche Reformarbeit
selbstbewußt und stolz präsentiert werden!
Zu den im Archiv der Schulfarm erhalten gebliebenen Quellen
gehören - leider nicht vollständig - auch
Exemplare der Scharfenberger Schülerzeitungen,
insbesondere der von 1927 bis 1929 erscheinenden 'Ernte' -
auch diese wieder bestehend aus bildlichen Darstellungen
und Texten von Schülern und Lehrern.
Von den erhalten gebliebenen Schülerarbeiten, die im
Kontext des Scharfenberger Unterrichts entstanden sind,
sind hier insbesondere zwei Gruppen hervorzuheben:
Einmal handelt es sich um die 'Sammelhefte' der
Scharfenberger Mittelstufe, über die auch Pridik im
'Werdenden Zeitalter' berichtet hatte: Schülerarbeiten
wurden "nach einer Abstimmung über ihren Wert bei
günstigem Ausfall in einer 'Sammelmappe' gesammelt"
(S. 351), z.B. in Mappen zu 'Dorflehrgängen' in der
Lüneburger Heide "mit Hauszeichnungen,
Kirchenbeschreibungen, Grabinschriften, Viehstatistiken"
(S. 351); mehrere Mappen bzw. Themen "kreisen um das auf
einer Schulfarm naheliegende Thema 'der Bauer' [...]; [...]
die Eindrücke und Szenenbilder von dem Besuch der
Florian Geyer-Aufführung im Staatstheater sind
zusammen mit Erlebnissen von Proben und
Freilichtdarstellungen des eigenen 'Bauerntheaters'
gebunden; Aufsätze über fränkisches
Bauerntum zur Hans-Sachs-Zeit, über Gryphius und seine
Geliebte Dornrose, Streitschriften über die Frage: Wer
hat Recht - die Ritter oder die Bauern? schließen
sich an. 'Wie wir den Besuch des Berliner Volkskunde-
Museums für unser Bauernthema fruchtbar gemacht haben'
- war eine andere Mappe betitelt [...]. Damaschkes
Bodenreform, Max Eyth als Begründer der deutschen
Landwirtschafts-Gesellschaft, die Tendenzen des
Bauernbundes, Melioration, die Flachbearbeitung [sic!], die
Kartoffelpflanzmaschine, die
Überschußländer an Molkereiprodukten in der
Welt, die rentabelste Verwendung der
Phönixberegnungsanlage auf unserer Insel, die
Zusammensetzung unseres Schweinefutters waren
Überschriften, auf die man bei flüchtigem
Blättern in dem die 'grüne Ausstellungswoche'
behandelten 'Bande' stieß." (S. 351):
"Auch die schönsten Zeichnungen werden in die
Sammelmappe geklebt, werden Allgemeingut. Ein
Schriftkünstler malt die Unterschrift dazu.
Gruppenstolz statt persönlichen Ehrgeizes!" (S. 351)
Weiter handelt es sich um die Quartals-, bzw. Halbjahres-
und Jahresarbeiten der Scharfenberger
Oberstufenschüler, die diese "über gesetzte
Themata aus ihren Lieblingsgebieten" [Anm.
21] zu schreiben hatten: Dazu gehören z.B.
Arbeiten mit literarisch-landeskundlich-politischem
Schwerpunkt - so von Ewald Albrecht über 'Julius
Caesar. Reflected in Some Roman and English Literature'
(1932) [Anm. 22], von Hellmut Jaesrich
über 'das große und das kleine Britannien.
Betrachtungen zum Status der Dominions' (1926) [Anm. 23] und von Herbert Bestehorn
über 'Ford - Gandhi - Lenin. Eine Auseinandersetzung
mit unserer Zeit' (1932) [Anm. 24] -,
Arbeiten mit tendentiell geographisch-geologisch-physikalischen Schwerpunkten - so von Werner Astheimer
über 'die Moselschlinge bei Zell, Bau eines Reliefs
mit methodischem und wissenschaftlichem Begleittext' (1926)
[Anm. 25] und von Hellmut Heyn über
'die Glocknergruppe in den Hohen Tauern - Bau eines Modells
- methodischer und wissenschaftlicher Begleittext' (1927)
[Anm. 26] - sowie schließlich
Arbeiten mit dezidiert 'Scharfenberger' Themen - wie z.B.
von Walter Jenke über die 'Vermessung der Insel
Scharfenberg' (1926) [Anm. 27], eine
Arbeit von Heinz Franke mit dem Thema 'Untersuchung der
Wohn- und Arbeitsräume der Schulfarm Scharfenberg vom
lichttechnischen Standpunkt [aus gesehen]' (o.J.) [Anm. 28] - eine 66seitige, mit Tabellen,
Statistiken und Grafiken versehene Arbeit, in deren
Bewertung es heißt:
"Die Arbeit ist aus der praktischen Betätigung Frankes
als 'Lichtwart' in der Schulfarm Scharfenberg erwachsen.
Als solcher hat Franke 2 Jahre lang mit großer
Gewissenhaftigkeit die Lichtleitungen überwacht und
die notwendigen Reparaturen und Änderungen
ausgeführt. In der vorliegenden Arbeit untersucht er
die wichtigsten Räume der Schulfarm vom
lichttechnischen Standpunkt und macht in den Fällen,
in denen die Beleuchtung nicht den hygienischen
Anforderungen genügt, Vorschläge zur Abstellung
dieser Mängel. Die zu dieser Arbeit notwendigen
Messungen hat Franke mit dem Osram-Beleuchtungsmesser
ausgeführt, der uns gelegentlich eines Besuches des
Osram Lichthauses von der Firma in dankenswerter Weise zur
Verfügung gestellt wurde." [Anm.
29]
Ein anderer Schüler, Karl Schreck, schrieb u.a. anhand
eigener Fettgehaltmessungen in einer 86 Seiten Text
umfassenden und zusätzlich mit zahlreichen
statistischen Anhängen versehenen Arbeit über
seine 'Untersuchungen der Scharfenberger Milch' (1934) [Anm. 30]; in der Beurteilung dieser Arbeit
durch den Lehrer Wenke heißt es, diese sei "vom
biologischen Standpunkt aus [...] mit 'sehr gut' zu
bezeichnen", er halte sie auch "schon deswegen für
wertvoll, weil sie sich eingehend mit Scharfenberger
Verhältnissen befaßt" [Anm.
31].
Ab Ostern 1927 konnten solche selbständigen
'Jahresarbeiten' als eine eine schriftliche Prüfung
ersetzende Leistung zum Abiturium eingebracht werden [Anm. 32]; zum Abiturium 1932 entschied man
sich auf Scharfenberg gar, die im Kontext einer
Unterrichtseinheit über den Harzraum (mit Exkursionen)
entstandenen Arbeiten in Form von kollektiv erbrachten
Leistungen in insgesamt sechs gemeinsamen Mappen vorzulegen
[Anm. 33]:
"[...] als das hundertfach durchgefeilte Werkchen von
immerhin 400 Tippseiten in der letzten Deutschkurssitzung,
von Mitgliedern geschrieben und gebunden, vollendet vorlag,
empfanden alle aufs stärkste etwas von dem, was
Kerschensteiner Vollendungserlebnis nennt, wenn er es auch
nur in technischen Fächern in der Schule in der Regel
für möglich hält." [Anm.
34]
Die im Kontext des Scharfenberger Unterrichts entstandenen
Arbeiten zeigen das hohe 'Leistungsniveau' (Wissen,
Fähigkeiten und Fertigkeiten), das das der
'Normalschulen' der Zeit weit überragte, ebenso wie
die (partiell) erhalten gebliebenen Abituriumsunterlagen
[Anm. 35].
Zu letzteren zählen u.a. Abituriumsgutachten
('Charakteristika'), die Blume als Schulleiter über
die Abiturienten zu erstellen hatte. Zum Abiturium des
Jahres 1932 heißt es in einer Niederschrift aus der
Feder des behördlichen Abituriumleiters Franz
Schmidt:
"Die Gutachten zeigen eine ganz außerordentlich
eingehende Erfassung der Schülerpersönlichkeiten,
wie sie an anderen Schulen nicht erreicht wird." [Anm. 36]
Gewissermaßen als 'Gegenstück' zu diesen
Persönlichkeitsbildern Blumes hatten die Schüler
ihren Abituriumsmeldungen Lebensläufe
('Bildungsgänge') beizulegen, zu denen Schmidt 1932
bemerkte:
"Die Lebensläufe zeigen gute, bewußte Erfassung
des eigenen Werdeganges, besser als an anderen Schulen."
[Anm. 37]
Welche Qualität die Lebensläufe - auch als Quelle
für die Erforschung der Unterrichts- und
Erziehungsrealität auf Scharfenberg - haben, soll der
'Bildungsgang' des Scharfenberger Abiturienten Erwin Witt
in einem Quellenhang zu diesem Beitrag verdeutlichen.
Hermann Röhrs schrieb 1992 in seinem Aufsatz 'Die
Reformpädagogik - Illusion oder Realität?', in
dem er den 'Ertrag' der reformpädagogischen Praxis zu
bestimmen sucht, über die 'Leistungen', die
Schüler an reformpädagogisch orientierten Schulen
erbracht hätten [Anm. 38]: Die
Ergebnisse der Schüler von Reformschulen würden
sich von denen an 'Normalschulen' erzielten u.a.
unterscheiden durch bessere fachliche Kenntnisse,
insbesondere aber hätten sie eine präzisere,
systematischere und objektivere Denkweise, eine
ausgeprägte Kreativität und Erfindungsgabe
entwickelt: diese Ergebnisse seien, so Röhrs, "Folge
der selbsttätigen Arbeitsweise aufgrund der
methodischen Mündigkeit, die die Auseinandersetzung
mit relativ neuen Fragestellungen erlaubt. Als spezifisch
reformerzieherische Ergebnisse müssen die
bewährte Soziabilität und politische
Mündigkeit genannt werden, die erlauben, das
Gruppenleben fördernd mitzugestalten und politisch
Verantwortung mitzutragen" [Anm. 39].
Röhrs Thesen lassen sich anhand der vorhandenen
Quellen voll und ganz auch für die Schulfarm bzw. ihre
Schüler bestätigen.
Scharfenberg entließ junge Menschen - die ihre
Scharfenberger Jahre differenziert, aber durchweg als
positiv, als eine Zeit, die Spaß gemacht hat, als
eine Zeit glücklichen Daseins interpretieren - als
sozial und demokratisch gesinnte, politisch verantwortliche
Individuen, die den 'aufrechten Gang' zu gehen
wußten. Nicht 'zufällig' emigrierten von den
ehemaligen Scharfenberger Schülern einige unter der
Hitlerdiktatur; eine detaillierte Untersuchung anderer, in
Deutschland verbliebener Schüler bietet die ganze
Palette 'nichtangepaßten Verhaltens' - von
Nonkonformität, über Verweigerung und Protest bis
hin zu aktivem Widerstand, den zwei Scharfenberger
Schüler, Hans Coppi und Hanno Günther, mit ihrem
Leben bezahlten.
Um die Frage der 'Persönlichkeitsbildung' an einer
eindrucksvollen Schülerarbeit nochmals zu
verdeutlichen, sei hier abschließend auf eine
bildliche Quelle hingewiesen: eine Arbeit (Feder und
Aquarell) des 17jährigen Scharfenberger Schülers
(und späteren Kunsthistorikers) Josef Adolf Schmoll
gen. Eisenwerth, die (exemplarisch) aufzeigt, wie auf
Scharfenberg künstlerisches Talent gefördert,
politisches Bewußtsein und Analysefähigkeit,
Selbstbewußtsein und 'Widerstandsfähigkeit'
entwickelt und 'stabilisiert' wurden:
Die politische Karikatur zeigt die personifizierten
Kräfte der poltischen Parteien und Tendenzen am
Vorabend des zweiten (und entscheidenden) Wahlgangs zur
Wiederwahl des Reichspräsidenten (und ehemaligen
Generalfeldmarschalls) Paul von Hindenburg am 10.04.1932:
Hindenburg in der Mitte ist als Zeichen der Kraftlosigkeit
despektierlich als Vogelscheuche gezeichnet. An seinem
Pfahl sägen gemeinsam die Vertreter der
äußersten Rechten (SA-Mann) und Linken
(Rotfrontkämpfer der KPD). Noch wird Hindenburg
gestützt durch Reichskanzler Brüning (Zentrum),
der nur noch mit Notverordnungen und Kürzungen des
maroden Etats regiert, am Bürovorsteherpult hockend
und rechnend, am Federhalter kauend, und gehalten von
Düsterberg. Der Berliner Oberbürgermeister Dr.
Sahm, Leiter der überparteilichen Initiative zur
Wiederwahl Hindenburgs, wird gehalten vom Kapital und
gestützt durch einen Vertreter des SPD-'Reichsbanners
Schwarz-Rot-Gold'. Von der einen Seite kommt Ernst
Thälmann, Vorsitzender der KPD, mit Hammer- und
Sichel-Fahne und einem Messer (als Anspielung auf die
blutigen Straßenschlachten in Berlin ab 1931). Von
der anderen Seite steigt Hitler mit Hakenkreuz-Fahne und
Revolver empor, um Hindenburgs 'Stamm' umzutreten.
Industrielle, durch Zigarre beziehungsweise Geldsack als
solche gekennzeichnet, befinden sich auf beiden Seiten [Anm. 40].
Schlußbemerkungen
Der vorliegende Sammelband über 'Schülerarbeiten
als Quelle pädagogischer Historiographie' [Towards a History of Everyday Educational Reality. Ed. by Marc Depaepe,
Max Liedtke and Frank Simon (=Paedagogica Historica. International
Journal of the History of Education. New series, 31,1), Gent 1995] zielt auf
eine 'Alltagsgeschichte von Erziehung und Schule'. Im
Bewußtsein einer 'latenten Diskrepanz zwischen realem
Geschichtsverlauf und der 'Geschichte der Verordnungen''
weist er den 'Niederschriften von Schülern' 'einen
individuellen Charakter' zu, die eine größere
Annäherung an die konkrete erziehungs- und
schulgeschichtliche Situation' erlauben. Der Band verweist
damit auf ein eklatantes Forschungsdefizit, das von wenigen
Ausnahmen abgesehen - von denen hier die Arbeit 'Die
Schulpraxis der Pädagogischen Bewegung des 20.
Jahrhunderts' von Dieter Hoof (1969) hervorgehoben sei [Anm. 41] - erst in letzter Zeit zu
reduzieren begonnen wird [Anm. 42].
Im (vorliegenden) Falle der Schulfarm Insel Scharfenberg
liegen, wie gezeigt, eine ganze Reihe von
Schülerarbeiten vor.
Diese Arbeiten, die keinesfalls nur in unterrichtlichen
Kontexten entstanden sind, haben ihren Ausgangspunkt
häufig im (Scharfenberger) Leben der Inselbewohner
gefunden, beschränken sich (dabei) nicht auf einige
wenige Themenbereiche, sondern beziehen sich auf nahezu
alle Bereiche des Insellebens.
Individualleistungen der Schüler werden - als solche
erkennbar bleibend - nicht selten mit Arbeiten von
Mitschülern und/oder Lehrern, Eltern u.a. zu
Gemeinschaftsarbeiten gestaltet, wodurch - insbesondere mit
der beschriebenen Publikation im 'Werdenden Zeitalter' und
mit der Chronik der Schulfarm - 'ungewöhnliche',
einzigartige Quellen entstanden sein dürften.
Daß heute noch so zahlreiche Archivalien über
die Schulfarm vorliegen, kann als ein Glücksfall
bezeichnet werden. Daß so viele und derart gestaltete
Quellen überhaupt entstanden sind, charakterisiert das
Selbstverständnis der Schulfarm als einer von allen
Beteiligten gleichermaßen selbst geschaffenen
(radikal-) demokratischen Erziehungs- und
Lebensgemeinschaft, die als 'Schule der Tat', als
'Produktionsschule' unter 'Entfaltung der
schöpferischen Kräfte' eine selbstgestaltete
Gemeinschaft aller an dem Versuch Beteiligter sein
wollte.
Die Scharfenberger Schülerarbeiten stellen zweifellos
EINE (!) sehr vielfältige, herausragende und (damit)
nicht zu vernachlässigende Quellengruppe für die
Erforschung der Unterrichts- und Erziehungsrealität
der Schulfarm Insel Scharfenberg dar.
Doch: Es ist ein unumstößliches Faktum,
daß sich - schon alleine aufgrund einer in der Regel
nur unvollständig erhalten gebliebenen
Überlieferung - grundsätzlich jede historische
Situation einer exakten Rekonstruktion versperrt. Um sich
einer solchen zumindest annähern zu können, gilt
es - u.a. um die schon unvollständig erhaltene
Quellenmenge durch unzulässige Selektionen nicht noch
weiter zu reduzieren - als zu unbedingt zu erfüllende
Bedingung im Sinne einer 'histoire totale', ALLE (!) zu
einem gewählten Thema erreichbaren Quellen
heranzuziehen [Anm. 43].
Quellenanhang
Bildungsgang von Erwin Witt, Abiturient der Schulfarm Insel
Scharfenberg (1934) [Anm. 44].
Mein Vater entstammt einer ostpreußischen
Bauernfamilie. Nicht weit von dem ermländischen
Städtchen Heilsberg befand sich das väterliche
Gut. Da er zu den jüngeren Geschwistern zählte,
der älteste Sohn aber den Hof erben sollte, so wurde
er Schlosser und wanderte aus. Er zog nach Berlin, richtete
sich hier eine kleine Werkstatt ein und heiratete bald
darauf meine Mutter, die auch einer Bauernwirtschaft
Ermlands entstammt. Hier in Berlin wurde ich dann als
zweiter Sohn am 11.12.1914 geboren.
Einige Monate später kam mein Vater auf Urlaub zu uns,
und als er wieder zur russischen Front zurückfuhr,
nahm er mich zu seinen Geschwistern nach Ostpreußen
mit. Bis zum Jahre 1920 blieb ich hier bei meinen
Verwandten. Im Sommer kam dann meine Mutter zur Abstimmung
nach Ostpreußen, und als sie wieder nach Berlin
zurückfuhr, begleitete ich sie. Noch heute
erzählt sie zuweilen, wie ich zuerst garnicht
mitkommen wollte und immer wieder besorgt fragte, ob die
Berliner denn auch Honig und Fleisch zu essen bekämen;
denn daß die Städter, und zumal die Berliner,
alle am Verhungern wären, hatten mir meine Onkel im
Scherz erzählt, und ich hatte daran ernsthaft
geglaubt.
Und doch ging ich schließlich ohne Widerstreben mit
meinen Eltern nach Berlin. Die bevorstehende Seefahrt
(etwas mir bis dahin völlig Neues und Unbekanntes),
die hohen, vielstöckigen Mietshäuser und der
große Verkehr, von dem mir meine Mutter so viel zu
erzählen wußte, all das schien mir
sechsjährigem Knirps so verlockend und begehrenswert,
daß ich beinahe fröhlich war, dem Landleben
einstweilen Lebewohl zu sagen.
In Berlin trat ich dann in die 20. Gemeindeschule in
Lichtenberg ein. Doch gefiel mir das Leben in der Stadt
nicht sonderlich. Der Reiz des neuen, des so angenehmen
Fremdseins war bald verflogen, und ich begann mich wieder
nach Ostpreußen, nach dem ungebundenen Leben auf dem
Lande zurückzusehnen. Es währte wohl noch 1 1/2
Jahre, bis mein Vater meinem Drängen nachgab und mich
wieder in die Ostprovinz zu meinen Verwandten brachte.
Unser Grundstück lag ungefähr 1500 m
außerhalb des Dorfes, und ich hatte daher
täglich eine halbe Stunde Wegs zur Schule. Im Sommer
war der Schulweg angenehm und abwechslungsreich. Im Winter
aber, wenn der Sturm den Schnee zu hohen Schanzen
zusammentrieb, wenn es 'stiemte' d.h. starkes Schneetreiben
war, dann schien es schon weniger verlockend, jeden Morgen
in der Dunkelheit quer-über-Feld zur Schule zu laufen.
War das Wetter bisweilen gar zu schlecht, so sattelte mir
mein Onkel einen unserer Schimmel, und los ging's im Trapp
dem Dorfe zu.
Reiten und Fahren war überhaupt meine
Lieblingsbeschäftigung. In der Schule lernte ich
leicht und brauchte mich deshalb nachmittags mit Aufgaben
nicht zu plagen. Kam ich nach Hause, so schob ich meinen
Schulranzen unter die Ofenbank, und dann ging's aufs Feld.
Im Winter half ich auf dem Schuppen beim 'Maschieren' (dem
Ausdreschen des Getreides), im Sommer holte ich die Pferde
von der Koppel oder brachte den Mähern das Vesperbrot
aufs Feld. Ich lernte vierspännig schälen, fuhr
die vollen Erntewagen in die Scheune und sprach den
unverfälschten Dialekt, kurz, ich lebte mich
während der 2 Jahre prächtig ein.
Nach Berlin wollte ich nie mehr zurück. Meine Eltern
jedoch waren anderer Meinung. Ich sollte eine höhere
Schule besuchen und mußte sofort nach Berlin
kommen.
Ein Jahr ging ich noch in die Gemeindeschule in
Lichtenberg, dann machte ich die Aufnahmeprüfung
für die Mittelschule.
Da ich einen weiten Schulweg hatte und diesen täglich
oft zweimal machen mußte (Spielturnen, Chor,
katholischer Religionsunterricht fielen auf den
Nachmittag), so war ich für gewöhnlich den
größten Teil des Tages auf der Straße
unterwegs. Das graue harte Steinpflaster und die
staubgeschwängerte Luft des Berliner Ostens waren
recht unterschiedlich zu der reinen Landathmosphäre,
aus der ich kam. Ich habe mich denn auch während der 3
Jahre in der Mittelschule nicht an die nach Büchern
und Examen riechenden Klassenräume gewöhnen
können. Jedes Jahr, wenn ich aus den Sommerferien, die
ich in Ostpreußen verlebte, zurückkehrte, wurde
mir das Fremde meiner Umgebung besonders fühlbar.
Wir suchten nach einem Ausweg. Da hörte mein Vater von
einer Inselschule nahe bei Berlin.
Ein scharfer Ostwind fegte über den See, als ich im
Februar 1928 zum ersten Mal nach Scharfenberg kam. Es lag
hoher Schnee, und der Tegeler Wald war wie tot.
Drüben, am anderen Ufer aber, war ein
geschäftiges Treiben. Ich erfuhr: Scharfenberg hatte
seinen allwöchentlichen Arbeitstag.
Daß Jungen auch ohne Kommandoworte und
patroullierenden Aufpasser arbeiten können, war
für mich überraschend, und ich staunte, wie
zwanglos-selbstverständlich sich hier alles
abwickelte. Dort schob ein älterer Junge einen
vollbeladenen Mistkarren über den Hof, hier zimmerten
zwei jüngere Kameraden an einem
reparaturbedürftigen Stuhl, Scherzworte flogen hin-
und herüber; ich merkte bald, hier weht ein frischer,
gesunder Zug, hier wirst Du Dich leicht einfühlen
können.
Nach bestandener Aufnahmeprüfung trat ich zu Ostern
des Jahres 1928 in Scharfenberg ein.
Mein erster Winter auf unserer Schulfarm war der
berühmte Kältewinter 28/29, und hier erlebte ich
gleich echtestes Scharfenberg. Früh um 6 Uhr, wenn es
noch Dunkel war, standen wir auf. Das kostete jeden Morgen
ein ganz Teil Selbstüberwindung, denn da unsere
Schlafsäle ungeheizt waren, die Fenster über
Nacht noch dazu offen standen, so herrschte drinnen
ungefähr dieselbe Temperatur wie draußen. Unsere
Handtücher, die wir nach der allabendlichen kalten
Dusche für gewöhnlich über die Bettlehne
hingen, waren wie Bretter und wir mußten acht geben,
daß sie nicht Rachen und dabei die Gewebe
zerstört würden. Schnell ging es dann, nur mit
Turnhose, Schuhen und Strümpfen bekleidet, hinaus zum
Uferweg, wo wir uns wegen des schneidenden Ostwindes eng
aneinander drängten. Bald tauchten die
Scheunenbewohner, von uns mit Hallo und 'Guten Morgen'
begrüßt, aus dem Dunkel auf; wir schlossen uns
ihnen an, holten die Insassen des Holzhauses ab, und liefen
dann gemeinsam unseren Dauerlauf zu Ende.
Doch einen höheren, weil über den Wert des rein
sportlich-körperlichen hinausgehenden, Sinn hat unsere
Gemeinschaftsarbeit. Hier finden wir uns alle, nach
vorausgegangenen Schulunterricht am Vormittag, zu
gemeinsamer Tätigkeit zusammen. Die Gärtner im
Garten, die Landwirte auf dem Felde, die Tischler an der
Hobelbank, die Schlosser an der Esse; ein jeder arbeitet an
seinem Platze; - nicht für sich, sondern für die
Gemeinschaft, für den Gesamtkörper unserer
Inselschule. Unsere Gemeinschaftsarbeit erhält erst
dadurch ihren besonderen Wert, weil durch sie unsere
jüngste Generation (die Untertertianer) schon
frühzeitig und unauffällig hingelenkt wird auf
den Grundsatz: uneigennützige Arbeit am Ganzen. Das
veranlaßt den einzelnen Jungen zur Aufgabe seines
naturgegebenen egozentrieschen Standpunktes und gibt ihm
von vornherein einen höheren, würdigeren
Blickpunkt, als ihn ein kleiner Egoist wohl haben
möchte.
Einfachheit in der Lebensführung, Pflege des
Gemeinschaftsgefühls und Stärkung des
Verantwortungsbewußtseins, das ist es, was wir hier
in Scharfenberg anstreben. Der Zug des betont Primitiven,
Einfachen, prägt sich nicht nur in unserer Kleidung
aus, (bei uns waren auch im Winter nicht kniefreie Hosen
verpönt, was uns bei der Tegeler Bevölkerung in
den Verruf barbarischer Sonderlinge brachte), auch der
Unterricht war nach diesen, durch unsere insulare Lage
geradezu bedingten Prinzipien entsprechend abgewandelt
worden. Radio und Telephon gab es bei uns nicht. Die
vielseitige Zerstreuung und Ablenkung, unter der die
unterrichtlichen Leistungen der Stadtschüler leiden,
fielen bei uns fort. Wir trieben
Konzentrationsunterricht.
Die Deutschkundlichen Fächer, bei uns mit dem
Sammelbegriff 'Gesamt' benannt, wurden in einem Lehrfach
zusammengefaßt. Unter dem gleichen Gesichtspunkt, die
Konzentration im Unterricht möglichst weitgehend zu
fördern, wurden unsere Unterrichststunden
verlängert. Statt in 45 minütigen Kurzstunden
zerrissen, war unsere Unterrichtszeit in jeweils 1 1/2
Zeitstunden aufgeteilt, Ja, in Physik erwies es sich auf
der Unterstufe wegen der viel Zeit erfordernden
Einzelversuche am geeignetsten, zwei unserer sogenannten
Doppelstunden zusammenzulegen.
Der Gesamtunterricht war für mich natürlich etwas
ganz Neues. In der Mittelschule behandelten wir
beispielsweise in Geschichte die Griechen, ohne daß
jemand von uns gewußt hätte, wie denn Korinth,
Athen, Sparta eigentlich zueinander lagen, wo sich die
Ebene von Marathon befand u.s.w. Unser Geschichtslehrer
erteilte uns auch Unterricht in Geographie. Statt den
Erdkundeunterricht nun aber zur Ergänzung unserer
Geschichtsstudien zu verwerten, lehrte er uns gleichzeitig
einmal die Züge des Xerres und Darius und die Struktur
der nördlichen Alpenzüge.
Im Scharfenberger Gesamtunterricht hatten wir uns im 3.
Jahre Indien zum Thema gewählt, doch beschränkten
wir uns hierbei keineswegs darauf, unser Thema nur nach
einer Seite, der geographischen beispielsweise,
auszuweiten, wir machten uns auch mit seiner Geschichte
vertraut; einige von uns hielten kleine Referate über
indische Veden, indisches Religions- und Kastenwesen,
andere wieder lasen Bücher über die
wirtschaftliche Bedeutung dieses Landes, wir unterrichteten
uns in Sonderstunden (wobei auch englische Texte
herangezogen wurden) über die Stellung und
Eingliederung seines 320-Millionenvolkes in das englische
Empire u.s.w.
Diese Art des Arbeitsunterrichtes war in ihrer reinsten
Form im Englischunterricht vorhanden. Wir waren alle
Anfänger in dieser Sprache und brachten daher allesamt
ein erhöhtes Interesse für das 'neue'
Unterrichtsfach mit. Unser Lehrer, Herr [Wilhelm] Moslé,
teilte uns in Arbeitsgruppen zu je 4-5 Mann ein, die, jede
für sich, selbständig arbeiteten. Hier wurde nun
Quartett gespielt (die Spielkarten waren mit englischen
Frage- und Antwortsätzen bedruckt, so daß sich
zwangsläufig eine Unterhaltung in englischer Sprache
ergab), English songs wie 'Old King Coal', 'Little Jack
Horner', 'Humpty Dumpty' wurden zwischendurch gesungen oder
leichte, mit Bildern unterhaltsam illustrierte Texte
gelesen. Herr Moslé aber ging von Gruppe zu Gruppe, half
uns über grammatische Schwierigkeiten hinweg,
verbesserte unsere Aussprache und rief uns, wenn
nötig, zu gemeinsamer Arbeit zusammen. Diese Art des
Unterrichtens gefiel uns allen außerordentlich. Wir
waren immer tüchtig bei der Sache und machten daher
auch in der Erlernung des fremden Idioms gute
Fortschritte.
In jener Zeit faßte ich eine Vorliebe für die
neueren Fremdsprachen, die sich im Verlauf der folgenden
Jahre nur noch vertiefte.
Im französischen Unterricht war es ähnlich. Auch
hier bekam ich in Herrn Professor [Carl] Cohn einen Lehrer,
der mir in jeder Beziehung mehr bot, als alle Lehrer, die
ich bis dahin kennengelernt hatte. Es war wunderbar mit ihm
Racinesche Verse zu lesen; wie nahe brachte er uns, bei der
Lektüre des Revolutionsromans 'Danton', den
stimmgewaltigen Helden von 1794, der vor Fonquier Tinville
und im Angesicht der Guillotine sich zu einer
Verteidigungsrede aufrafft, die das Volk rasend macht, und
es im leidenschaftlichen Proteststurm gegen die Schranken
des Revolutionstribunals wirft.
Und welche Mühe gab er sich mit unseren schriftlichen
Arbeiten!
Ich habe noch Hefte aus jener Zeit, in denen oft das Rot-Geschriebene die schwarzen Buchstaben erdrückt; und
doch war die Arbeit 'satisfaisant', wenn nicht gar 'bien
fait'. Beim Eintritt in die Oberstufe fiel mir die Kurswahl
denn auch nicht schwer, und obwohl ich leise den
Deutschkurs als zweite Möglichkeit erwog, entschied
ich mich doch für das mir Näherliegende: den
Neusprachenkurs.
Hier galt es nun, zwei in ihrem Charakter völlig
verschiedenartige Fremdsprachen: das Französische und
das Englische zu verbinden, daß die hierbei zu
überwindenen Schwierigkeiten ganz beträchtlich
sind zeigt sich schon daran, daß es nur wenig
Neuphilologen gibt, die beide Idiome wirklich gleichwertig
beherrschen. Ich persönlich fand mich aber mit diesen
Schwierigkeiten verhältnismäßig leicht ab.
Zog mich einerseits das Formgefühl des Franzosen und
das klare, straffe analytische Wesen seiner Sprache an, so
liebte ich im Englischen, gleichsam wie zum innernen
Ausgleich, die lockere, freie und vielfältigere
Ausdrucksweise. Die englische Sprache liegt uns Deutschen,
ihres germanischen Einschlags wegen, in der Regel ja auch
bedeutend besser, als diejenige unseres westlichen
Nachbarvolkes. Ich habe mich beiden Sprachen fortan in
gleicher Weise gewidmet und habe daher auch in beiden eine
gewisse Fertigkeit in der Ausdrucksweise erlangt. Zur
größeren Vervollkommenung meiner sprachlichen
Kenntnisse plante ich vor ungefähr 2 Jahren mich an
einem Schüleraustausch zu beteiligen. Dies scheiterte
aber an der Unlust meiner Kurskameraden einerseits und den
schlechten Erfahrungen, die wir mit französischen
Austauschschülern, zwei Studenten, ein Jahr vorher
gemacht hatten.
Leider wurde die Konzentration und Einseitigkeit unseres
Kursunterrichtes durch allzu häufigen Lehrerwechsel
getrübt.
In den letzten Monaten allein hatten wir nach dem Tode
unseres Dr. [Richard] Tourbier 3 verschiedenen Kursleiter.
Vielleicht hat gerade diese Störung verhindert,
daß ich mich allzusehr auf meine Kursfächer
beschränkte; denn so habe ich mich auch mit den mehr
naturwissenschaftlich-mathematischen Gebieten eingehender
beschäftigen können und bin daher, im ganzen
gesehen, ziemlich gleichmäßig vorgebildet.
Unser Leben in Scharfenberg gliedert sich in 2 Teile: in
das Unterrichtliche und in das außerhalb der
Schulzeit liegende. Bevor wir nach Scharfenberg kamen,
widmeten wir den größten Teil des nachmittags
dem Elternhaus, womit das Problem der Freizeit für uns
eindeutig gelöst war. Auf unserer Inselschule
mußte also, damit am Nachmittag kein Loch
entstünde, etwas Anderes, Gleichwertiges an diese
Stelle treten. Hieran hat es bei uns auch nie gemangelt;
denn in einer Gemeinschaft, die 100 Jungen umfaßt,
ergibt sich ganz natürlich eine Mannigfaltigkeit der
Abwechslung; sei es die Ausübung der durch eine
geordnete Verwaltung bedingten Ämter, oder aber die
Verschiedenartigkeit der Interessen und Neigungen der
Jungen selbst. Bei uns hat das Problem der Organisation der
Freizeit als solches nie bestanden.
Von besonderer Bedeutung für unser Leben in
Scharfenberg sind unsere Feste. Wie beim Arbeitsnachmittag
finden sich hier alle Scharfenberger zu ihren
Festvorbereitungen zusammen. Ich habe bei jedem Erntefest
von neuem beobachten können, wie nach gemeinsamer
Tätigkeit (was Vernachlässigung aller
Sonderinteressen erforderte) die Schülerschaft
geschlossener war und sich erneut bewußt als Einheit
fühlte.
In meiner ersten Scharfenberger Zeit verstand ich von all'
dem naturgemäß noch recht wenig und nahm auch
einen entsprechend geringen Anteil an allem. Mit meiner
fortschreitenden geistigen und körperlichen
Entwicklung wuchs ich langsam ins Scharfenberger Leben mit
seinen Pflichten, Aufgaben und Forderungen hinein.
In Scharfenberg habe ich eine Vorliebe fürs
Theaterspielen bekommen; denn in Scharfenberg wird viel
Theater gespielt. Im Neubausaal, unserem
Hauptunterrichtssaal, ist hinten eine kleine Bühne
eingebaut, die zwar zu Aufführungen von kleineren
Einzelszenen vorzüglich geeignet ist,
größeren Darbietungen jedoch nicht ganz
genügt.
Schöner und größer, weil nicht an Raum und
Ort eng gebunden, kann dagegen eine Aufführung im
Freien gestaltet werden; und diesen Vorteil einer Wiesen-Wald-Wasserumgebung haben wir nie zu nutzen vergessen. Ein
Scharfenberger Fest ohne Theaterstück ist undenkbar,
und so kommt es, daß bei unserem Erntefest, das sich
mit wachsender Nutzung unseres Bodens allmählich zum
Hauptereignis des Jahres herausgebildet hat, ein
Theaterstück gewöhnlich in den Mittelpunkt
gerückt ist. Wie bei den technischen Vorbereitungen,
wurden auch beim Verteilen der Rollen möglichst alle
Scharfenberger berücksichtigt.
Bei meinem ersten Erntefest auf Scharfenberg sollte ich die
Rolle eines alten, ehrwürdigen Eremiten spielen,
obwohl ich damals eine helle, hohe Kinderstimme hatte. Es
muß sich denn wohl auch recht putzig angehört
haben. Mitten in der Rede wurde ich plötzlich gewahr,
daß ich mit viel zu hoher, einem alten Einsiedler
recht unähnlicher Stimme sprach, und versuchte nun,
möglichst unauffällig, auf die für mich
tiefmöglichste Tonlage herunterzukommen.
Bis zum nächsten Erntefest hatte ich in
Aufführungen kleinere Einzelszenen und bei
Deklamationsstunden im Gesamtunterricht bewiesen, daß
ich Verse und auch Prosa gut zu sprechen verstand. Als wir
daher im folgenden Herbste Kayßlers 'Simplizius'
aufführten, spielte ich schon eine der Hauptrollen:
Prinzessin Jarinda. Hier merkte ich zum ersten Mal, wie
laut man spechen, und wie übertrieben-stark man
artikulieren muß, um im Freilichttheater auch noch
den 25 m entfernt sitzenden Zuschauern verständlich zu
bleiben.
Auf weit höherer Stufe, weil unter fachmännischer
Leitung vorbereitet, stand unsere Aufführung im
nächstfolgenden Jahre.
Schon monatelang vorher erhielten wir Unterricht bei einem
Sprechtechniker, der mit seiner Methode des Bauchatmens,
verbunden mit einer ausgezeichneten Pflege der
Artikulation, uns dazu befähigte, die 'Braut von
Messina' in würdiger Weise zur Darbietung zu bringen.
Wir Hauptdarsteller (ich spielte die Königinmutter
Isabella) wurden hierbei einen besonders intensiven
Training unterzogen. Unermüdlich mußten wir die
Rollen 'durchflüstern' und zwar dabei die Konsonanten
mit solcher Präzision und Scharfe artikulieren,
daß man jedes Wort auf 50m Entfernung noch deutlich
verstehen konnte. Die Aufführung selbst bewies dann
erst, wie wichtig unsere gründliche Vorbereitung
gewesen war. Es wehte an diesem Tage ein leichter Wind von
den Zuschauern her, und wenn auch dieser widrige Umstand
die elementarwuchtige Wirkung unserer Massenchöre
nicht zu beeinträchtigen vermochte, wir
Einzeldarsteller hätten wohl ohne jene gründliche
Vorbereitung die nahezu 3 Stunden währende
Aufführung kaum durchgestanden.
Es ist stets ein langer, mühsamer Weg vom ersten Lesen
des Stückes bis zur eigentlichen Aufführung.
Meine erste Aufgabe war gewöhnlich, mich mit der
Person, die ich verkörpern sollte, vertraut zu machen.
Ich erreichte das, indem ich mir die Rolle öfters laut
vorlas. Auf einem Spaziergang durch die Insel brachte ich
mir in Muße durch wiederholtes sorgfältiges
Durchsrechen den Tonfall bei und gliederte den Text durch
Anmerken der Hebungen, Pausen und Senkungen, wobei ich
nicht versäumte, mich mehr und mehr in die von mir
darzustellende Person hineinzudenken und mich mit ihrem
Charakter, ihren Eigenheiten vertraut zu machen. Nun konnte
ich schon mit meinen Mitspielern einzeln Szenen lesen.
Es ist zweckmäßig, gleich diese Anfangsproben
möglichst da abzuhalten, wo später die Bühne
stehen soll. Dadurch gewöhnen sich die Darsteller
schon früh an den ihren zur Verfügung stehenden
Raum und verfallen nachher nicht in den Fehler, daß
sie einander verdecken und behindern, was sehr die Wirkung
des Bühnenbildes beeinträchtigt.
Noch auf eine andere Ungeschicktheit, die besonders
Anfängern eigen ist, hat der Regisseur schon hierbei
zu achten. Diese glauben gewöhnlich, daß man
sich einer Person, mit der man spricht, auch voll zukehren
muüsse. Auf die alltägliche Unterhaltung trifft
dies sicherlich zu. Wollte man diese Regel aber auf die
Bühne übertragen, so würde der Sprecher oft
gezwungen sein, den Zuschauern den Rücken zuzukehren,
was die Verständlichkeit stark beeinträchtigen
würde.
Auf der Bühne kann und muß man deshalb, wenn
irgend möglich, sich zu den Zuschauern kehren, und es
genügt oft schon eine einfache Handbewegung nach der
Seite des Gegenspielers, um den Eindruck der unmittelbaren
Anrede zu erwecken.
Probe folgt nun auf Probe. In der Zwischenzeit wird
fleißig 'Rolle gelernt'. Doch auch hier ist einiges
zu beachten.
Bei jedem Hersagen des Textes, handele es sich auch nur um
ein einfaches Rekapitulieren, nie darf man dabei ins
gedankenlose Herunterrasseln der Worte, ins 'Leiern'
verfallen. Ich vermied diesen Fehler am leichtesten, indem
ich die Rolle langsam 'durchflüsterte', d.h. stimmlos
sprach. Hierbei schonte ich einerseits meine
Stimmbänder, die ja bei Theaterproben im Freien
besonders stark beansprucht werden und konnte dafür
meine ganze Aufmerksamkeit der richtigen Satzbetonung und
der schärferen Artikulation der Konsonaten
zuwenden.
Dasselbe trifft für jede Art der Deklamation und des
auswendigen Hersagens überhaupt zu. Ich habe stets an
mir selbst erfahren, wie nachteilig sich diese lässige
Unachtsamkeit auswirkt. War der Schwung, die innere
Anteilnahme erst einmal zerstört, so fiel es mir
nachher sehr schwer, diesen Mangel wieder
auszugleichen.
Haben sich die Darsteller alle vom Manuskript 'frei
gemacht', so treten die Vorbereitungen in ein neues
Stadium: das eigentliche 'Spiel' beginnt. Man beherrscht
nun den Text, die Handlung kommt in Fluß, man spielt
sich aufeinander ein. Doch es genügt keineswegs, wenn
nur die Schauspieler unter sich 'Kontakt haben'. Auch die
Zuschauer müssen gleichsam mit magischen Fäden in
den Bannkreis der Handlung einbezogen sein. Erst wenn das
Publikum mitgeht und das Stück Phase um Phase mit
steigender Anteilnahme verfolgt, kann der einzelne
Darsteller sein Bestes geben und damit der Erfolg
vollkommen werden.
Bei Aufführungen an unserem Erntefest konnten wir von
vornherein mit einem dankbaren Publikum rechnen. Die Eltern
der Schüler, Gönner der Schulfarm oder ehemalige
Scharfenberger sind hierbei weitaus in der Mehrzahl. Sie
kommen nicht zu uns, um hohe künstlerische Leistungen
zu schauen, (dies Bedürfnis könnten sie in Berlin
ja besser befriedigen); als Menschen von echtem
Scharfenberger Geist ist ihnen das 'Was' weit wichtiger als
das 'Wie'; denn 'es kommt ja weniger darauf an, was man
macht, wenn man nur was macht.'
Scharfenberg will seine heranwachsende Jugend zur
Produktivität, zur Freude am Schaffen erziehen; denn
eine Schule erfüllt ihren wesentlichen Zweck erst
dann, wenn in ihr die jungen Menschen Vitalität
sammeln für ihr späteres Leben, für die
Jahre der Reife.
Da die Aufführung unserer 'Braut von Messina' am
Erntefestsonntag gut gelungen war, wollten wir einmal den
Versuch wagen und die Aufführung vor fremden Publikum
wiederholen. Von unseren selbstgefertigten Werbeplakaten
aufmerksam gemacht, fand sich bei uns eine stattliche
Besucherzahl ein. Sei es nun, daß das regnerische
Wetter uns die Stimmung verdorben hatte, oder aber die
Überwindung der abfänglichen kalten
Zurückhaltung unserer Besucher doch zu große
Schwierigkeiten machte, wir waren wenigstens alle der
Meinung, daß die Uraufführung am Erntefest
besser gewesen war und uns auch mehr Spaß gemacht
hatte.
Viel Aufmerksamkeit erregte bei unseren Gästen der
neue Mannschaftswagen unserer Schülerfeuerwehr, den
wir, um allen Eventualitäten vorzubeugen, am Ufer des
Sees in Stellung gebracht hatten.
Unsere Scharfenberger Feuerwehr, der ich seit 2 Jahren
angehöre, arbeitet mit der freiwilligen Tegelorter
Wehr zusammen. Bei mancher Gelegenheit haben wir schon
einander Hilfe gebracht.
Wir Feuerwehrleute waren auf Scharfenberg jedoch nicht die
einzigen, die eine Uniform trugen und
regelmäßige Übungen inner- und
außerhalb Scharfenbergs abhielten. Auch eine
Kameradschaft der H.J. und eine Jungvolkgruppe gibt es bei
uns schon seit langem. Durch die umwälzenden
politischen Ereignisse in Deutschland angeregt,
beschäftige auch ich mich eingehende mit den Zielen
der nationalen Jugendbewegung, und da ich fand, daß
sie ungefähr die gleichen ethischen Grundforderungen
vertrat wie sie in Scharfenberg schon seit langem
richtungsgebend waren, so trat ich ein. Doch ich wurde, das
muß ich offen sagen, ziemlich enttäuscht; denn
gerade um das Führerprinzip, von dem ich so viel Gutes
erhofft hatte, war und ist es hier noch übel
bestellt.
Die Führer, welche doch in allem Vorbild sein sollten,
waren dieser Auszeichnung mit einer einzigen Ausnahme
keineswegs würdig. Sie sind in erster Linie dafür
verantwortlich, daß mit dem Anwachsen der H.J. ein
rüder Ton in Scharfenberg einriß. Sie
vergaßen, daß man einen geraden Menschen nicht
mit einer grünen oder grauen Kordel imponieren kann,
wenn sich ganz offensichtlich dahinter nur ein Jammerlappen
verbirgt. Es war schmerzlich für uns Mitglieder der
H.J. Vorwürfe dieser Art von anderen Scharfenbergern
anhören zu müssen. Da sagte man uns oft: 'Was
habt ihr denn vor uns, die wir nicht in einer Schar sind,
voraus?' Jungen, die sich um Pöstchen raufen, in
moralischer Hinsicht aber den Scharfenberger Forderungen
nicht genügen, könnten uns als Vorgesetzte wenig
bieten.'
Diese Einwände sind ohne Zweifel zum großen Teil
berechtigt, und es zeugt von einer allgemeinen inneren
Unreife und Schwäche unserer Gruppe, daß sie
bisher noch nicht diese Mängel zu beheben
vermochte.
Je näher das Abitur rückte, desto mehr wandte ich
mich naturgemäß den geistigen Interessen zu und
löste mich allmählich von allem, was
außerhalb desselben liegt. Gleichzeitig
beschäftigte ich mich auch immer mehr die Frage der
Berufswahl.
Ich möchte gerne die neuen Sprachen studieren; doch da
mein Vater schwerkriegsbeschädigt ist, noch dazu
mehrere Jahre hindurch arbeitslos war, wird dieser Wunsch
wohl kaum in Erfüllung gehen können. Andernfalls
würde ich mich damit trösten müssen, das
Sprachenstudium vorläufig als private Liebhaberei
weiter zu treiben.
Einstweilen werde ich mich jedoch um eine Beamten- oder
kaufmännische Stelle bemühen müssen.
Summary:
The 'Schulfarm Insel Scharfenberg' (Berlin), a boarding
school for boys, which was founded in 1922, was one of the
most important experimental state schools belonging to the
new education movement of the Weimar Republic. In contrast
to its significance it has been more or less forgotten by
researchers of the history of education.
There exists a great number of published and unpublished
written and pictorial sources for the study of its history,
among them also pupils' works.
These varied works, which were not only produced in the
context of lessons and subjects, were often inspired by the
daily life on the island of Scharfenberg. Their themes were
not restricted to a few aspects of life but covered almost
every part of it.
The essays and works of art which the boys produced show
that the school saw itself as a radically democratic
community in which life and education were based on the
same rights for each member. Everybody actively took part
in creating the lifestyle and educational principles of the
'Schulfarm'.
For the exploration of daily life and educational practice
at the 'Schulfarm' it is important to study all the
available sources and in this context the works of the
pupils are important materials.
Anmerkungen
Anm. 1:
Weitere Auskünfte über die Schulfarm:
Dietmar Haubfleisch, Schulfarm Insel Scharfenberg. Mikroanalyse der reformpädagogischen Unterrichts- und Erziehungsrealität einer demokratischen Versuchsschule im Berlin der Weimarer Republik, Frankfurt [u.a.] 1999 [vgl. Kurzinfo]
-
Und: Quellen zur Geschichte der Schulfarm Insel Scharfenberg (Berlin). Hrsg. von Dietmar Haubfleisch, Marburg 1999: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0001/welcome.html
- Sowie z.B.:
Dietmar Haubfleisch, Berliner Reformpädagogik in der Weimarer
Republik. Überblick, Forschungsergebnisse und -perspektiven. In: Die
Reform des Bildungswesens im Ost-West-Dialog. Geschichte, Aufgaben, Probleme. Hrsg. von Hermann Röhrs und Andreas Pehnke (=Greifswalder Studien
zur Erziehungswissenschaft, 1), Frankfurt a.M. [u.a.] 1994, S. 117-132; unveränd. wieder in: Ebd., 2., erw. Aufl., Frankfurt [u.a.] 1998, S. 143-158; leicht akt. wieder: Marburg 1998: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1998/0013.html
-
Dietmar Haubfleisch, Die Schulfarm Insel Scharfenberg. Ein Beitrag
zur Überwindung der traditionellen Schule in der Weimarer Republik.
In: Schule ist mehr als Unterricht. Beispiele aus der Praxis ganztägiger
Erziehung. Hrsg. von Christian KUBINA (=Materialien zur Schulentwicklung, 18), Wiesbaden 1992, S. 126-140; mit akt. Anmerkungsteil wieder: Marburg 1999:
http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0010.html
-
Dietmar Haubfleisch, Schulfarm Insel Scharfenberg. Reformpädagogische
Versuchsschularbeit im Berlin der Weimarer Rpublik. In: "Die alte
Schule überwinden". Reformpädagogische Versuchsschulen zwischen
Kaiserreich und Nationalsozialismus. Hrsg. von Ullrich AMLUNG, Dietmar
Haubfleisch, Jörg-W. Link und Hanno Schmitt (=Sozialhistorische Untersuchungen zur Reformpädagogik und Erwachsenenbildung,
15), Frankfurt 1993, S. 65-88 [künftig zit. als: Haubfleisch,
Schulfarm (1993a)].
-
Dietmar Haubfleisch, Schulfarm Insel
Scharfenberg. Mikroanalyse der reformpädagogischen
Unterrichts- und Erziehungsrealität einer
demokratischen Versuchsschule im Berlin der Weimarer
Republik [Forschungsbericht]. In: Mitteilungen &
Materialien. Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum e.V.,
Berlin, Heft Nr. 39/1993, S. 115-119 [künftig zit.
als: Haubfleisch, Schulfarm (1993b)].
-
Dietmar Haubfleisch, 'Schülerarbeiten' als Quelle zur
Erschließung der reformpädagogischen Unterrichts- und Erziehungsrealität
der Schulfarm Insel Scharfenberg (Berlin) in der Weimarer Republik. In:
Towards a History of Everyday Educational Reality. Ed. by Marc Depaepe,
Max Liedtke and Frank Simon (=Paedagogica Historica. International
Journal of the History of Education. New series, 31,1), Gent 1995, S. 151-180. - Wieder: Marburg 1999:
http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0002/welcome.html
-
Dietmar Haubfleisch, Die Schulfarm Insel Scharfenberg in der NS-Zeit.
In: Weimarer Versuchs- und Reformschulen am Übergang zur NS-Zeit.
Beiträge zur schulgeschichtlichen Tagung vom 16. - 17. November 1993
im Hamburger Schulmuseum. Hrsg. von Reiner Lehberger (=Hamburger Schriftenreihe
zur Schul- und Unterrichtsgeschichte, 6), Hamburg 1994, S. 84-96. - U.d.T.
'Die Schulfarm Insel Scharfenberg (Berlin) in der NS-Zeit' und im Anmerkungsteil
leicht verändert wieder: Marburg 1997: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1997/0007.html
-
Dietmar Haubfleisch, Die Schulfarm Insel Scharfenberg (Berlin) nach 1945.
In: Schulen der Reformpädagogik nach 1945. Beiträge zur dritten
schulgeschichtlichen Tagung vom 15. bis 16. November 1994 im Hamburger
Schulmuseum. Hrsg. von Reiner Lehberger (=Hamburger Schriftenreihe zur
Schul- und Unterrichtsgeschichte, 7), Hamburg 1995, S. 57-93. - Im Anmerkungsteil
leicht verändert wieder: Marburg 1997: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1997/0008.html
-
Dietmar Haubfleisch, Schulfarm Insel Scharfenberg (Berlin) - oder:
Vom Nutzen der Geschichte. In: Zeitschrift für Erlebnispädagogik,
Jg. 16 (1996), Heft 2/3: Februar/März, S. 5-19. - Leicht veränd.
Neuausg., unter Weglassung der Abbildungen, Marburg 1996: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1996/0001.html
-
Anm. 2:
Die 'Erinnerungen' der ehemaligen Lehrkräfte und
Schüler als eine wichtige Quelle seien in diesem
Zusammenhang hier wenigstens kurz erwähnt.
Anm. 3:
Vgl. zu den Quellenbeständen zum Thema (bislang):
Haubfleisch, Schulfarm (1993b), S. 116-118.
Anm. 4:
Das Werdende Zeitalter. Hrsg. von Elisabeth Rotten [ab Jg.
5 (1926) gemeinsam mit Karl Wilker], [wechselnde
Erscheinungsorte]. Jg. 1 (1922) - 11 (1932). - Dazu:
Das Werdende Zeitalter (Internationale Erziehungs-Rundschau). Register
sämtlicher Aufsätze und Rezensionen einer reformpädagogischen
Zeitschrift in der Weimarer Republik. Zusammengestellt und eingeleitet
von Dietmar Haubfleisch und Jörg-W. Link (=Archivhilfe, 8), Oer-Erkenschwick 1994
; Auszug der Einleitung (S. 5-16) wieder in: Mitteilungen
& Materialien. Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum e.V., Berlin,
Heft Nr. 42/1994, S. 97-99; Einleitung in leicht korr. Fassung u.d.T.:
'Dietmar Haubfleisch / Jörg-W. Link: Einleitung zum Register der reformpädagogischen
Zeitschrift 'Das Werdende Zeitalter' ('Internationale Erziehungs-Rundschau')'
wieder: Marburg 1996: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1996/0012.html
Anm. 5:
Protokoll der 84. Abendaussprache (1928). In: Berlin,
Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg, Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg [künftig zit. als:
Berlin, LA, SIS: CH], VII, o.S. -
Bereits 1926 war im 'Werdenden Zeitalter' ein kurzer
Bericht über die Schulfarm von Gerhard Metz, der von
1922 bis 1926 Schüler der Schulfarm gewesen war,
veröffentlicht worden: Gerhard Metz, Schulfarm
Scharfenberg. In: Das Werdende Zeitalter. Eine
Monatsschrift für Erneuerung der Erziehung, Jg. 5
(1926), S. 179-183. - Zu Beginn des Jahres 1928 erschien
ein zweiter, von Elisabeth Rotten verfaßter Artikel,
der ausführlicher auf die Schulfarm einging: Elisabeth
Rotten, Das Janusgesicht der Schule. In: Das Werdende
Zeitalter. Eine Monatsschrift für Erneuerung der
Erziehung, Jg. 7 (1928), S. 1-4.
Anm. 6:
Protokoll der 84. Abendaussprache (1928). In: Berlin, LA, SIS:
CH, VII, o.S: "Die erste Frage ist: Sollen wir mit oder
ohne Kommission arbeiten? [...]. Schließlich nach
langer Debatte [...] entscheidet man sich für eine
Sieben-Männer-Kommission."
Anm. 7:
Protokoll der 84. Abendaussprache (1928). In: Berlin, LA, SIS:
CH, VII, o.S. - Im Protokoll der 85. Abendaussprache vom
09.08.1928. In: Berlin, LA, SIS: CH, VII, o.S., hört man
vom Fortschreiten der Arbeit: "Darauf nahm die Kommission
für das 'Werdende Zeitalter' das Wort, indem sie noch
einmal um rege Mitarbeit bat. Sie hätte zwar schon
eine Reihe von Beiträgen erhalten, aber meistenteils
von Außenstehenden, die Inselbewohner ließen
noch auf sich warten. Der Endtermin wurde auf den 15.
August festgesetzt."
Anm. 8:
Berlin, LA, SIS: CH, VII, o.S.
Anm. 9:
Friedrich Kilchemann, Aus der Kleinarbeit des Weltbundes.
Vereinigung der Pädagogischen Locarnofreunde in der
Schweiz. In: Das Werdende Zeitalter. Eine Monatsschrift
für Erneuerung der Erziehung, Jg. 7 (1928), S. 405-
408.
Anm. 10:
Als Einzelheft ist es so heute noch im Besitz ehemaliger
Scharfenbergschüler bzw. deren Nachkommen.
Anm. 11:
Neben der 'Scharfenberg-Nummer' im 'Werdenden Zeitalter'
gibt es über die Schulfarm eine ganze Reihe weiterer
gedruckter Quellen, von denen hier hervorgehoben seien: die
erste umfangreichere Selbstdarstellung der Schulfarm:
Wilhelm Blume, Die Schulfarm auf der städtischen Insel
Scharfenberg bei Berlin. In: Deutsche Schulversuche. Hrsg.
von Franz Hilker, Berlin 1924, S. 312-330, außerdem
der sich mit der Publikation im 'Werdenden Zeitalter'
vielfach kreuzende und diesen vor allem durch eingehendere
pädagogische Reflexionen ergänzende Aufsatz:
Wilhelm Blume, Die Schulfarm Insel Scharfenberg. In: Das
Berliner Schulwesen. Hrsg. von Jens Nydahl. Bearbeitet
unter Mitwirkung Berliner Schulmänner von Erwin
Kalischer, Berlin 1928, S. 135-186 und S. 568f.; kurzer
Auszug wieder in: Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis
1933. Die bündische Zeit. Hrsg. von Werner Kindt
(=Dokumentation der Jugendbewegung, 3), Düsseldorf [u.a.] 1974, S. 1462-1466.
Anm. 12:
Wilhelm Radvann, Beiträge zur Geschichte der Insel
Scharfenberg im Tegeler See. In: Mitteilungen des Vereins
für die Geschichte Berlins, Jg. 46 (1929), S. 12-
25.
Anm. 13:
Adresse: Schulfarm Insel Scharfenberg, 13505 Berlin.
Anm. 14:
Berlin, LA, SIS: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, 7
Bde. (1922-1929/32) [Bd. I (1922), Bd. II (1922-1923), Bd.
III (1923), Bd. IV (1923-1924), Bd. V (1924-1927), Bd. VI
(1927), Bd. VII (1928-1929/1932)]. -
Walter Lehmann, Die Schulfarm Insel Scharfenberg. In:
Pädagogisches Zentralblatt, Jg. 5 (1925), S. 145-167,
hier S. 155: "Die Lektüre der von Lehrern und
Schülern gemeinsam geführten Chronik gewährt
köstliche Einblicke in das Schulleben dieser Werdenden
[=der Jugendlichen]."
Anm. 15:
Das Foto ist u.a. abgebildet in: Blume, Schulfarm (1928),
S. 153. -
Berlin, LA, SIS: CH, V, S. 172f.: "Bald nach Schulbeginn [im
Frühjahr 1925] [...] fing Arnold Fritz mit der
Ausmalung des sogenannten Blumezimmers an, das er in den
nächsten 2 Monaten mit einem Bilderfries nach eigener
Wahl und eigenem Entwurf versehen durfte: ein Auftrag, der
eine Folge der Weihnachtsausmalung des Verstibüls war.
Der Photograph der Atlanticphotogesellschaft, der uns in
dieser Zeit einmal wieder heimsucht [...], hat unseren
Wandmaler bei der Arbeit festgehalten. Dort malt er gerade
am Don Quichotebild - auch die anderen 6 Bilder stellen
Liebesszenen der Weltliteratur dar, wie sie in den
Schränken darunter aufgestellt sind."
Anm. 16:
S. z.B.: Berlin, LA, SIS: CH, V, S. 310-312.
Anm. 17:
Es fanden in diesem Zeitraum insgesamt 93 Abendaussprachen
statt; von diesen fehlen in den Chronikbänden
lediglich 8 Protokolle; das Protokoll einer weiteren, der
18. Abendaussprache vom 20.10.1922 (im ersten Band der
Chronik), ist unleserlich, da die betreffende Seite
diagonal herausgerissen ist.
Anm. 18:
Es kann als den Stellenwert der Abendaussprachen treffend
charakterisierend bezeichnet werden, wenn der neu in die
Scharfenberger Gemeinschaft eintretende Lehrer Bandmann in
der 31. Abendaussprache vom 16.05.1923 erklärte, er
habe in den beiden Aussprachen, an denen er bislang
teilgenommen habe, "über Scharfenberg viel mehr
erfahren [...], als ich es sonst getan hätte"
(Protokoll der 31. Abendaussprache vom 16.05.1923. In:
Berlin, LA, SIS: CH, II, S. 8).
Anm. 19:
S. z.B.: Wilhelm Richter, Radikaldemokratisches
Freiheitsexperiment. Zum Tode Wilhelm Blumes, des
Gründers von Scharfenberg - Schon damals Kern- und
Kursunterricht. In: Der Tagesspiegel. Unabhängige
Berliner Morgenzeitung vom 29.11.1970; u.d.T.
'Nachruf auf Wilhelm Blume [...]' wieder in: Wilhelm
Richter, Schulerinnerungen, Berlin 1976, S. 58-61 [als Dok.
Nr. III].
Anm. 20:
S. z.B.: Protokoll der 47. Abendaussprache (1924). In: Berlin, LA, SIS: CH, V, S. 31, sowie: Protokoll der 86. Abendaussprache (1927). In: Berlin, LA, SIS: CH, VII, o.S.
Anm. 21:
Aus dem Leben, S. 344.
Anm. 22:
Berlin, LA, SIS: Ewald Albrecht, Julius Caesar. Reflected in
Some Roman and English Literature, Jahresarbeit 1932 (mit
Beurteilung von Richard Tourbier).
Anm. 23:
Berlin, LA, SIS: Hellmut Jaesrich, Das große und das
kleine Britannien, Jahresarbeit, 1926 (mit Beurteilungen
u.a. von Wilhelm Blume). - Vgl.: Aus dem Leben, S. 346.
Anm. 24:
Berlin, LA, SIS: Herbert Bestehorn, Ford - Gandhi - Lenin.
Eine Auseinandersetzung mit unserer Zeit, hdsch.
Jahresarbeit, November 1932.
Anm. 25:
Berlin, LA, SIS: Werner Astheimer, Die Moselschleife bei Zell.
Bau eines Modells, methodischer und wissenschaftlicher
Begleittext. Jahresarbeit, November 1926 (mit Beurteilungen
u.a. von Ernst Sorge und Wilhelm Blume).
Anm. 26:
Berlin, LA, SIS: Hellmut Heyn, Die Glocknergruppe in den Hohen
Tauern - Bau eines Modells - methodischer und
wissenschaftlicher Begleittext'. Jahresarbeit, Februar 1927
(mit Beurteilungen u.a. von Ernst Sorge).
Anm. 27:
Berlin, LA, SIS: Walter Jenke, Die Vermessung der Insel,
Jahresarbeit, November 1926 (mit Beurteilungen u.a. von
Ernst Sorge).
Anm. 28:
Berlin, LA, SIS: Heinz Franke, Untersuchung der Wohn- und
Arbeitsräume der Schulfarm Scharfenberg vom
lichttechnischen Standpunkt, Halbjahresarbeit, o.J. (mit
Beurteilungen von Otto Friesecke).
Anm. 29:
Berlin, LA, SIS: Heinz Franke, Untersuchung der Wohn- und
Arbeitsräume der Schulfarm Scharfenberg vom
lichttechnischen Standpunkt, Halbjahresarbeit, o.J. (mit
Beurteilungen von Otto Friesecke).
Anm. 30:
Berlin, LA, SIS: Karl Schreck, Untersuchungen der
Scharfenberger Milch. Jahresarbeit zum Abitur Ostern 1934
(mit Beurteilungen von Kurt Wenke).
Anm. 31:
Berlin, LA, SIS: Karl Schreck, Untersuchungen der
Scharfenberger Milch. Jahresarbeit zum Abitur Ostern 1934
(mit Beurteilungen von Kurt Wenke).
Anm. 32:
S. dazu bes.: Versetzungs- und Prüfungsbestimmungen
für die öffentlichen höheren Lehranstalten
in Preußen. Amtliche Bestimmungen. Zusammengestellt
und erläutert von Karl Metzner und Karl Thiele.
Zusammengefaßte neue Aufl. (Stand vom 6. August 1928)
(=Weidmannsche Taschenausgaben von Verfügungen der
Preußischen Unterrichtsverwaltung, 41), Berlin 1929.
- Vgl. dazu: Haubfleisch, Schulfarm (1993a), S. 79f.
Anm. 33:
Ein Teil dieser Mappen findet sich in: Berlin, LA, SIS. - Eine
Beschreibung der sechs Mappen findet sich in: Berlin, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung / Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung / Archiv (BBF): Sammlungen der ehemaligen Gutachterstelle für das deutsche Schul- und Studienwesen: Jahresberichte für das Schuljahr 1932/33, Bd. 248d, Nr. 88: Berlin,
Schulfarm Insel Scharfenberg (Blume), S. 25-27. - Vgl. dazu
auch: Wilhelm Blume/Gerhard Frühbrodt, Das dreizehnte
Schuljahr. 7 Kapitel zu seiner Problematik und praktischen
Gestaltung (=Vergleichende Erziehung. Schriftenreihe der
Pädagogischen Arbeitsstelle, 4), Wiesbaden 1955, S.
103-118 (=Kap. 'Ein Jahresprotokoll als Einlage zur
Verdeutlichung des Methodischen').
Anm. 34:
Berlin, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung / Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung / Archiv (BBF): Sammlungen der ehemaligen Gutachterstelle für das deutsche Schul- und Studienwesen: Jahresberichte für das Schuljahr 1932/33,
Bd. 248d, Nr. 88: Berlin, Schulfarm Insel Scharfenberg
(Blume), S. 27.
Anm. 35:
Vgl. dazu auch: Ernst Wiechert, Ein Mensch ist niemals
arbeitslos. Eine Abiturrede, gehalten von Ernst Wichert im
Jahre 1929 in Königsberg. In: Die Zeit vom 24. Juli
1981; das Zitat findet sich auch wieder in: Wolfgang
Pewesin, Rede, gehalten auf der Feier zum 60jährigen
Bestehen der Schulfarm Insel Scharfenberg am 22. Mai 1982,
in: 60 Jahrfeier. Eine Nachlese (=Neue Scharfenberg-Hefte,
4), Berlin 1983, S. 5-16, hier S. 6f.: "[Wir] sind [...]
nicht ganz ohne Verständnis und Anerkennung geblieben,
nicht nur in den [eigenen] Mauern, sondern auch
daraußen. Eure Abiturientenaufsätze hat ein
Ministerialrat [=Metzner!] gelesen, dem alle Schulen
Ostpreußens und Groß-Berlins unterstehen. Und
er hat mir gesagt, solche [Abituriums-] Aufsätze
bekomme er nur noch von einer Stelle zu lesen. Es ist eine
Insel bei Tegel, und auf ihr, nur durch eine Fähre zu
erreichen, liegt ein kleiner Staat, eine Aufbauschule ohne
Lehrplan, mit Schülern, die den Acker selbst bestellen
und ihr Schulgeld nach Selbsteinschätzung zahlen
[...], eine Hochbegabtenrepublik [!] mit Selbstverwaltung.
Von dieser Schule stammen die Aufsätze, die mit den
eurigen zu vergleichen sind. Und als ich es hörte, war
es mir eine große Freude [...]." -
Quellen zu den Abiturien 1923-1929 und 1932-35 befinden
sich im Archiv der Schulfarm, im Geheimen Staatsarchiv
Preußischer Kulturbesitz (Berlin) sowie
im Bundesarchiv (Berlin).
Anm. 36:
Berlin, LA, SIS: Prüfungsunterlagen, Mappe 3:
Reifeprüfungen 1925-1935.
Anm. 37:
Berlin, LA, SIS: Prüfungsunterlagen, Mappe 3:
Reifeprüfungen 1925-1935.
Anm. 38:
Hermann Röhrs, Die Reformpädagogik - Illusion
oder Realität? Ein Kapitel der internationalen
Reformpädagogik. In: Pädagogik und Schulalltag,
Jg. 47 (1992), S. 562-583; wieder in: Hermann Röhrs, Reformpädagogik und innere Bildungsreform (=Hermann Röhrs, Gesammelte Schriftenm, 12), Weinheim 1998, S. 140-165; hier bes. (1992) S. 571-579.
Anm. 39:
Röhrs, Reformpädagogik (1992), S. 579.
Anm. 40:
Die Arbeit befindet sich in der Berlinische Galerie im
Archiv J.A. Schmoll gen. Eisenwerth; abgebildet ist sie
bislang in: Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth, Ein
Gespräch mit Dorothèe Gelderblom, Bielefeld, 3. Juli
1988. In: Rollenbilder im Nationalsozialismus - Umgang mit
dem Erbe. Hrsg. von Stefanie Poley, Bad Honnef 1991, S.
382-389, hier S. 387.
Anm. 41:
Dieter Hoof, Die Schulpraxis der Pädagogischen
Bewegung des 20. Jahrhunderts. Berichte und
Unterrichtsbilder, Bad Heilbrunn 1969 (s. bes. Hoofs
kritische Bemerkungen auf S. 9 und S. 28).
Anm. 42:
Vgl. den Sammelband: 'Die alte Schule überwinden'.
Reformpädagogische Versuchsschulen zwischen
Kaiserreich und Nationalsozialismus, Hrsg. von Ullrich
Amlung, Dietmar Haubfleisch, Jörg.-W. Link und Hanno
Schmitt (=Sozialhistorische Untersuchungen zur
Reformpädagogik und Erwachsenenbildung, 15), Frankfurt
1993.- Inhaltsverzeichnis
wieder: Marburg 1997:
http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1997/0001.html
Anm. 43:
Vgl. hierzu etwa: Georges Duby/Guy Lardreau, Geschichte und
Geschichtswissenschaft. Dialoge, Frankfurt 1982 [zuerst
franz. 1980], bes. S. 184.
Anm. 44:
Berlin, LA, SIS: Prüfungsunterlagen, Mappe 3:
Reifeprüfungen der Schulfarm Insel Scharfenberg 1925-
1935, hier: Reifeprüfung 1934, Bildungsgang von Erwin
Witt, Abiturient der Schulfarm Insel Scharfenberg
(1934).