Zusammenfassung:
Das Prostatakarzinom ist der häufigste bösartige Tumor und die dritthäufigste zum Tode führende Krebserkrankung beim Mann. Seit Einführung der PSA-Bestimmung wird es zudem signifikant häufiger schon bei jüngeren Männern und in organbegrenzten Tumorstadien diagnostiziert. Dadurch ist auch die Zahl der durchgeführten radikalen Prostatektomien als operative Standardtherapie des organbegrenzten Prostatakarzinoms in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die häufigsten Nebenwirkungen dieser operativen Therapie sind Inkontinenz und erektile Dysfunktion, welche die Lebensqualität erheblich einschränken. Ein wichtiger Beitrag zur Verringerung dieser Nebenwirkungen ist die von Walsh entwickelte potenzerhaltende nervschonende Operationsmethode, deren Einfluss auf Potenz und Kontinenz allerdings in der Literatur widersprüchlich diskutiert wird. In dieser retrospektiven Studie wird der Frage nachgegangen, inwiefern die nervschonende Prostatektomie einen Einfluss auf die postoperative Kontinenz und Potenz sowie die Lebensqualität hat, und ob zudem neben der nervschonenden Operationsmethode auch andere Faktoren Prädiktoren für das postoperative Auftreten von Impotenz und Inkontinenz sind.
Es wurde ein Patientenkollektiv von 403 Patienten, die sich im Zeitraum von 2000 bis 2003 in der Universitätsklinik Marburg einer radikalen Prostatekto-mie unterzogen hatten, untersucht. Als Messinstrumente wurden mit dem IIEF-5, dem UDI-6 und dem IIQ-7 drei validierte Fragebögen verwendet.
Der positive Einfluss der Nervschonung auf die postoperative Potenz konn-te sowohl bei der unilateralen, als auch bei der bilateralen Nervschonung in dieser Studie bestätigt werden. Allerdings hatte die Nervschonung in dieser Studie keinen signifikanten Einfluss auf die Kontinenz. Die Lebensqualität korrelierte mit dem Kontinenzstatus, aber nicht mit der Operationsmethode. Interessanterweise zeigte sich ein signifikanter Einfluss der präoperativen Potenz auf die postoperative Potenz und Kontinenz. Auch als Prädiktor für Kontinenz war in der uni- und multivariaten Regressionsanalyse nur die präoperative Potenz signifikant. Als Prädiktoren für Potenz konnten ebenfalls die präoperative Potenz sowie die Operationsmethode, das Alter und den BMI in der univariaten Regressionsanalyse ermittelt werden, während in der multivariaten Regressionsanalyse nur noch die präoperative Potenz als Prädiktor signifikant war.
Es ist anzunehmen, dass der positive Einfluss der präoperativen Potenz auf die postoperative Potenz und Kontinenz darauf beruht, dass präoperativ potente Patienten eine bessere vaskuläre und nervale Versorgung des Urogenitalbereiches haben als Patienten mit präoperativer milder oder starker erektiler Dysfunktion. So scheinen präoperativ potente Patienten eine während der Operation eventuell vorkommende Verletzung besser zu tolerieren bzw. durch andere zusätzlich vorhandene kollateral verlaufende Gefäß- oder Nervenverbindungen kompensieren zu können.
Abschließend kann man sagen, dass die Nervschonung bei dem untersuchten Patientenkontingent einen positiven Einfluss auf die postoperative Potenzrate hat. Allerdings ist die nervschonende Operationsmethode nicht für alle an einem Prostatakarzinom erkrankten Patienten die geeignete Therapiemethode. In der individuellen Therapieplanung sind zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, wobei vor allem das onkologische Stadium des Prostatakarzinoms sowie die lokale Tumorausdehnung für die erforderliche Radikalität der Operation entscheidend sind. Wenn aber nach Abwägen dieser Faktoren eine nervschonende Prostatektomie in Frage kommt, sollte diese dem Patienten auch angeboten werden. Aufgrund des positiven Einflusses der präoperativen Potenz auf die postoperative Potenz und Kontinenz sollte diese in die Entscheidungsfindung mit einbezogen und am besten mit einem validierten Fragebogen erfasst werden.
Da der neurovaskuläre Status offenbar eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Impotenz und Inkontinenz nach radikaler Prostatektomie spielt, wäre es in zukünftigen Studien sinnvoll, die Hauptrisikofaktoren für Gefäßerkrankungen wie u.a. Nikotinabusus, arterielle Hypertonie, LDL-Erhöhung oder Diabetes mellitus als mögliche Prädiktoren für postoperative Kontinenz und/oder Potenz zu untersuchen.