Zusammenfassung:
Urbanizität ist ein etablierter Risikofaktor für psychische Erkrankungen. Dies wurde in großen Bevölkerungsstudien insbesondere für Schizophrenie, aber auch für Depressionen und weitere psychiatrische Diagnosen nachgewiesen. Auf der Suche nach einer Kausalität wurden in den letzten Jahren zunehmend bildgebende Untersuchungen durchgeführt. Hier zeigten sich heterogene neuronale Korrelate des Risikofaktors. Ziel unserer Studie war es, eine multimodale Untersuchung des urbanen Aufwachsens an einer großen Kohorte (n=625) durchzuführen, um einen Vergleich mit den bisherigen Studien durchzuführen und bisherige Limitationen zu minimieren.
Bei der VBM ergaben sich als Haupteffekt keine signifikanten Resultate. In einer Gender-Interaktion konnte auf Trendlevel eine positive Korrelation von Urbanizitätsscore und Volumen der grauen Substanz im Bereich des entorhinalen Cortex bei männlichen Probanden nachgewiesen werden. Ebenfalls auf Trendlevel konnte bei der corticalen Dicke eine negative Korrelation mit dem Urbanizitätsscore im Bereich des visuellen Cortex, des Cingulums und des Precuneus gefunden werden. Die Untersuchung der Gyrifizierung brachte keine signifikanten Resultate hervor. Bei der DTI zeigte sich eine reduzierte FA in der ROI-Analyse des Fasciculus uncinatus und des Fasciculus fronto-occipitalis inferior. Die funktionelle Bildgebung (fMRI) zeigte eine positive Korrelation von urbanem Aufwachsen und der Aktivierung der linken Amygdala durch eine Aufgabe zur emotionalen Gesichterverarbeitung.
Unsere Studie reiht sich in die Heterogenität der bisherigen Studien ein. So konnten in der VBM und SBM im Bereich des bisher häufig als betroffen beschriebenen DLPFC keine signifikanten Resultate gefunden werden. Des Weiteren wurde bei der corticalen Dicke kein globaler Einfluss von urbanem Aufwachsen gezeigt, sondern eher lokal begrenzte Effekte. Auch die DTI-Analyse brachte andere Lokalisationen als die Vergleichsstudie hervor. Bei fMRI konnte wie in anderen Studien eine veränderte Aktivierung der Amygdala nachgewiesen werden.
Bei der corticalen Dicke wurden zwei betroffene Systeme diskutiert. Zum einen fand sich ein Trend im visuellen Cortex. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die sensorische Wahrnehmung der Umwelt, die sich in der Stadt und auf dem Land unterscheidet. Charakteristika der Umwelt, wie grüne Umgebung oder Lärmbelastung, könnten zum Risiko für psychische Erkrankungen in der Stadt beitragen. Aber auch eine Beteiligung des visuellen Systems an der Emotionsverarbeitung und damit an der Psychopathologie verschiedener Erkrankungen ist möglich. Zum anderen wurden zwei Trends gefunden, die sich mit dem Ruhezustandsnetzwerk (DMN) in Verbindung bringen lassen. Dieses ist an der Stressverarbeitung und damit ebenfalls an der Psychopathologie verschiedener Störungen beteiligt.
Bei der DTI wurden Reduktionen der FA in einem frontolimbischen und einem frontooccipitalen Netzwerk gefunden. Das frontolimbische System lässt sich mit Stressverarbeitung sowie Emotionsregulation in Verbindung bringen. Das frontooccipitale Netzwerk verbindet neben dem occipitalen Cortex auch weitere corticale Areale mit dem präfrontalen Cortex und hat vielfältige Funktionen. Sowohl für das frontolimbische als auch das frontooccipitale Netzwerk wurde eine Beteiligung an verschiedenen psychischen Störungen nachgewiesen.
Wie in einigen vorherigen Studien konnte eine veränderte Aktivierung der Amygdala im Zusammenhang mit urbanem Aufwachsen festgestellt werden. Die hier gefundene Hyperaktivierung durch emotionale Stimuli wurde im Speziellen mit Schizophrenie und Symptomen der Depression in Verbindung gebracht.
Einen Erklärungsansatz für die Heterogenität der Studienergebnisse stellt die Variabilität von Urbanizität dar. Bisherige Studien wurden mit populationsbasierten Werten durchgeführt, welche diese Variabilität nicht berücksichtigen. Es gibt vielfältige Aspekte, die für das Risiko durch Urbanizität verantwortlich sein könnten. Dazu zählen soziale und sozioökonomische Probleme, Umweltqualität, medizinische Versorgung und vieles mehr. Urbanes Aufwachsen als populationsbasierte Variable ist letztendlich zu ungenau, um all diese Aspekte einzubeziehen.
Stresserlebnisse und deren Verarbeitung könnten eine wichtige Rolle bei der Wirkung von Urbanizität als Risikofaktor spielen. Um die Wirkung als Risikofaktor abzuschwächen, muss das Ziel die Vermeidung von schädlichen Stresserlebnissen sein. Neben sozialem Stress wurden auch Stresserlebnisse durch mangelnde Umweltqualität beschrieben. Die politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, die sich hieraus ergeben, sind groß. Dennoch ist deren Bewältigung in Hinblick auf die zunehmende Urbanisierung und die gesellschaftliche Bedeutung psychischer Störungen von großer Relevanz.