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Titel:Utopischer Posthumanismus - zum Zusammenhang von Technik, Subjekt und Gesellschaft am Beispiel feministischer Science-Fiction
Autor:Habbel, Niklas
Weitere Beteiligte: Henninger, Annette (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2021
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2022/0122
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2022-01225
DOI: https://doi.org/10.17192/z2022.0122
DDC:100 Philosophie
Titel (trans.):Utopian Posthumanism - on the connection between technology, subject and society using the example of feminist science fiction
Publikationsdatum:2022-05-25
Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0

Dokument

Schlagwörter:
utopianism, feminism, dystopia, Feminismus, Transhumanismus, posthumanism, science fiction, technology, cyborgs, Posthumanismus, utopia, Science-Fiction, transhumanism, feminist utopianism, Utopie, Cyborgs, Technik, Technologie

Zusammenfassung:
Utopien – das sind Träume einer anderen, einer besseren Gesellschaft. Träume eines Lebens, das sich fundamental von dem unterscheidet, in dem die Utopie verfasst wurde. Utopien ziehen sich trotz divergierender Darstellungsformen quer durch die Geschichte, ihre Gesellschaften und Kulturen. Gesellschaftliche Veränderung beziehungsweise Fortschritt werden gleichzeitig auch oft mit Technologie in Verbindung gebracht. So stehen der Faustkeil und das Rad für erste Techniknutzungen, die das Leben der Menschheit grundlegend veränderten und andere Formen des Gemeinwesens erst ermöglichten. Der Pflug, die Dampfmaschine bis hin zur Gentechnologie oder künstlichen Intelligenz sind weitere Wegpunkte der technisierten Menschheit. Mit der Implosion der Sowjetunion und der damit zusammenhängenden weiteren Ausbreitung der marktwirtschaftlich organisierten Ökonomie begannen Utopien immer mehr zu verschwinden. Eine andere Gesellschaft wurde also immer schwerer denkbar, während gleichzeitig bahnbrechende technische Neuerungen in immer schnellerer Abfolge entwickelt wurden. Entwicklungen, die etwa durch Bio- und Gentechnologie oder durch künstliche Intelligenzen das Potenzial haben, den Menschen und seine Gesellschaften grundlegend zu verändern. Der Entwirrung dieses offensichtlichen Widerspruchs widmet sich diese Dissertation. Es wird untersucht, was das Veränderungspotenzial dieser neuen Technologien in seinem Kern ausmacht und wo das Utopische darin zu finden sein kann. Hierfür werden sich bestehende feministische Utopien angeschaut, in denen der ‚Mut zur Technologie‘ seit jeher besonders stark ausgeprägt ist. In einer theoretischen Auseinandersetzung wird die Utopie zunächst historisch hergeleitet und es wird gezeigt, dass Utopie kein genuin ‚westliches‘ Phänomen ist, sondern interkulturell vorhanden ist. Bei der Untersuchung der Funktion der Utopie wird besonders auf den Doppelschritt aus Kritik und normativem Ausblick hingewiesen, der konstitutiv für Utopien ist. Auch die Dystopie als Kehrseite der Utopie mit eigenständigen Charakteristika wird hervorgehoben sowie die Science-Fiction und Cyberpunk als heute wirkmächtige Kulturproduktionen der Erschaffung technikbezogener, alternativer Gesellschaften. Ausführlich wird der Komplex der feministischen Utopien mitsamt ihrer Historie, gesellschaftlichen Widerständen, inhaltlichen Schwerpunkten und Strukturmerkmalen dargestellt. Hier ist neben der thematischen Hervorhebung der Kategorie Geschlecht insbesondere eine strukturelle Prozesshaftigkeit der Utopien zu nennen, die in ihrer Hochphase ab 1968 die damals stagnierende Utopielandschaft wiederbelebten. Die Veränderungspotenziale der Technologien werden mithilfe des Theoriestrangs des Posthumanismus begriffen. Hier wird ausgehend von einer Kritik am Humanismus, in dessen Zentrum der damit einhergehende hierarchisierende Dualismus steht, dessen Wirkmächtigkeit seit der Aufklärung kaum überschätzt werden kann. Mithilfe von Theoretiker_innen wie Rosi Braidotti und Donna Haraway wird gezeigt, dass Technologie ein Mittel sein kann, diese gesellschaftlichen Dichotomien zu entgrenzen und zu irritieren. Dieser Irritation als utopisches Potenzial, das sich zunächst in neu gedachten Formen von Subjektivität und Körper zeigt und sich davon ausgehend auf die gesamte Gesellschaft auswirken soll, steht das regressive, autoritäre Potenzial der Technologien gegenüber, die in einer kapitalistischen, patriarchalen, nach Ungleichheitskategorien geordneten Welt nach Verwertungslogiken entwickelt werden. Aus der theoretischen Auseinandersetzung mit diesem widersprüchlichen Prozess werden Kategorien gebildet, mit denen in einer modifizierten qualitativen Inhaltsanalyse vier Werke feministischer Science-Fiction analysiert werden. Ziel ist es, technikbezogene Muster und Narrative auszumachen, also wie Technologien in diesen Romanen dargestellt sind, und welche Auswirkungen sie auf die dort beschriebenen Subjekte und Gesellschaften haben, um in einem zweiten Schritt in Bezugnahme auf die vorangegangene Theoriearbeit die mögliche Rolle von Technologien auf heutige utopische Potenziale beschreiben zu können. Die untersuchten Romane – Joan. D. Vinge: „The Snow Queen“ (1980); Joan Slonczewski: „A Door Into Ocean“ (1986); Larissa Lai: „Salt Fish Girl“ (2001); Nnedi Okorafor: „Binti“ (2015-18) bilden eine Bandbreite feministischer Science-Fiction ab, die nach der Hochphase feministischer Utopien verfasst wurden und in der utopische wie dystopische Versatzstücke auszumachen sind. Die Analyse der Werke zeigt, dass insbesondere in der Gen- und Biotechnologie sowie der Robotik große Potenziale liegen, das scheinbar festgeschriebene Bild von Subjektivität zu transzendieren, wobei aber auch gleichzeitig immer mögliche dystopische Kehrseiten dieser Technologie mitgedacht wurden. So wird herausgestellt, dass Posthumanismus und utopisches Denken eine Vielzahl Anknüpfungspunkte besitzen und so Raum für Synergieeffekte schaffen, die im Verlauf der Dissertation in dem dafür eingeführten Begriff des ‚utopischen Posthumanismus‘ kumuliert wurden. In diesem ‚utopischen Posthumanismus‘ könnte es zumindest wieder denkbar sein, das Träumen von einer besseren Gesellschaft, der Utopie zu wagen.


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