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Titel:Verhaltensanalyse bei Tau-transgenen Mäusen unter Intoxikation mit Saft aus Annona muricata
Autor:Jainsch, Britta
Weitere Beteiligte: Oertel, W. H. (Prof. Dr. Dr. h.c.)
Veröffentlicht:2021
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2021/0278
DOI: https://doi.org/10.17192/z2021.0278
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2021-02786
DDC: Medizin
Titel (trans.):Behavioural analysis by tau-transgenic mice under intoxication with juice of Annona muricata
Publikationsdatum:2021-06-29
Lizenz:https://rightsstatements.org/vocab/InC-NC/1.0/

Dokument

Schlagwörter:
R406W-Mutation, Tauopathien durch Umweltfaktoren, atypical parkinson syndromes of Guadeloupe, genetische Ursachen von Tauopathien, genetic causes of taupathies, Verhaltenstest, Mäuse, Tau, atypische Parkinson-Syndrome auf Guadeloupe, Annonacin, transgen, Tau-Protein, Protein Tau, environmental causes of taupathies, R406W mutation

Zusammenfassung:
Tauopathien sind eine Gruppe von neurodegenerativen Erkrankungen, die durch pathologische Veränderungen des Tau-Proteins im Sinne einer Dysfunktion und Akkumulation charakterisiert sind. Tau spielt als Mikrotubuli-assoziiertes Protein im zentralen Nervensystem eine wichtige Rolle bei dem Erhalt der Zellform und der Zellstruktur, beim axonalen Transport von intrazellulären Komponenten sowie beim Wachstum und bei der Stabilisierung von Axonen während der Entwicklung der Neurone. Sowohl Mutationen als auch Umweltfaktoren können eine pathologische Veränderung des Tau-Proteins hervorrufen. Eine Reihe von Punktmutationen im Tau-Gen ist mit einer Frontotemporalen Lobärdegeneration mit Tau-Ablagerungen assoziiert. Das in Pflanzen der Annonaceae-Familie enthaltene Neurotoxin Annonacin ist ein potenter Komplex-I-Inhibitor der Atmungskette der Mitochondrien und gilt als Ursache für die zu den Tauopathien zählenden atypischen Parkinson-Syndrome auf Guadeloupe. Eine Interaktion zwischen genetischen und Umweltfaktoren bei pathologischen Veränderungen des Tau-Proteins wurde im Vorfeld der vorliegenden Studie über eine parenterale Annonacin-Infusion in transgene Mäuse mit mutiertem humanen Tau-Gen mit der Punktmutation R406W, welche den Austausch einer Aminosäure Arginin gegen Tryptophan bewirkt, nachgewiesen. Die kurzfristige Exposition gegenüber Annonacin verstärkte die Dysfunktion und Akkumulation des Tau-Proteins bei den transgenen Mäusen in vivo. Ziel dieser Arbeit war es, langfristige Effekte beider Faktoren unter physiologischen Bedingungen durch eine enterale Gabe von Fruchtsaft aus Annona (A.) muricata, einem Hauptvertreter der Annonacea-Pflanzenfamilie, im Mausmodell zu analysieren. Hierzu wurden die Verhaltenscharakteristika zweier transgener Mauslinien, die humanes Wildtyp-Tau (hWT) oder humanes R406W-Tau exprimierten, und einer nicht-transgenen Kontrollgruppe (nTg) während einer Intoxikation mit Fruchtsaft von A. muricata ein Jahr lang untersucht. Die Ergebnisse wurden mit den Resultaten einer Verhaltensanalyse genetisch identischer Mauslinien ohne Verabreichung von Saft aus A. muricata verglichen. Die Verhaltenstests sollten Aufschluss darüber geben, ob die Mausmodelle phänotypische Merkmale einer genetisch bedingten Tauopathie (z. B. Frontotemporale Lobärdegeneration mit Tau-Ablagerungen assoziiert mit Tau-Mutationen) aufweisen. Weiter sollte geklärt werden, ob nicht-transgene Mäuse durch die Verabreichung von Saft aus A. muricata klinische Charakteristika der atypischen Parkinson-Syndrome von Guadeloupe entwickeln. Zudem wurde untersucht, ob die Umweltexposition mit dem Saft aus A. muricata die Verhaltensmerkmale von Tau-transgenen Mäusen verstärkt. Die Verhaltensmerkmale der Versuchstiere wurden mit Hilfe von jeweils fünf Verhaltenstests zu fünf Zeitpunkten geprüft. Der Rotarod-Test (ROD) untersuchte motorische Funktionen und die Koordination. Der Offenfeld-Test (OFT) analysierte die lokomotorische Aktivität sowie das exploratorische Verhalten und detektierte potenzielle ängstliche Verhaltensweisen. Der Objektwiedererkennungstest (OWT) prüfte das deklarative Gedächtnis. Mittels dem Sozialen-Interaktionstest (SIT) ließ sich eine Enthemmung des sozialen Verhaltens oder ein sozialer Rückzug identifizieren. Der Forcierte-Schwimm-Test (FST) deckte eine mögliche depressive Verhaltensweise der Versuchstiere auf. Die in den Verhaltenstests nachweisbare erhöhte lokomotorische Aktivität und das verstärkte explorative Verhalten der transgenen R406W-Mäuse entspricht den psychopathologischen Merkmalen einer genetischen Tauopathie im Sinne einer psychomotorischen Disinhibition oder frontalen Enthemmung. Die mit der Dauer der Behandlung mit Saft aus A. muricata zunehmende Veränderung des affektiven und angstbezogenen Verhaltens der Mäuse (verstärktes depressives Verhalten, verstärkte Ängstlichkeit) werden auch bei den atypischen Parkinson-Syndromen von Guadeloupe, die mit dem Verzehr von A. muricata Produkten in Verbindung gebracht werden, beobachtet. Einschränkungen des deklarativen Gedächtnisses traten bei den Mäusen im untersuchten Zeitraum nicht auf. Der Verlust der Habituation des R406W-Genotyps hinsichtlich der lokomotorischen Aktivität deutet aber möglicherweise auf eine Störung des Lernverhaltens und auf diskrete Gedächtnisdefizite hin. Motorische Einschränkungen traten bei keinem Genotyp in keinem Behandlungsarm auf, möglicherweise aufgrund des auf 12 Monate begrenzten Beobachtungszeitraumes. In der Literatur wurden solche Defizite in dem auch in der vorliegenden Studie verwendeten R406W-Mausmodell (gleiche Tau-Isoform, gleicher Promotor) erst in einem höheren Alter der Versuchstiere nachgewiesen. In verschiedenen Tests zeigten die Tau-transgenen Tiere unter Behandlung mit Saft aus A. muricata verstärkte pathologische Verhaltensmerkmale, was auf eine Interaktion der genetischen Prädisposition und des Umwelteinflusses hindeutet. Beispielweise wiesen die mit Saft aus A. muricata behandelten transgenen R406W-Tiere ein vermindertes Aufrichtverhalten trotz erhöhter lokomotorischer Aktivität auf und hWT-Tiere legten im OFT eine geringere Strecke mit geringerer Geschwindigkeit zurück als die mit Wasser behandelten Tiere desselben Genotyps. Die Ergebnisse dieser Arbeit bestätigen die Befunde früherer in vitro und in vivo Untersuchungen. Aufgrund der toxischen Effekte von Annonacin auf das zentrale Nervensystem sollte von dem Konsum von Früchten und Saft aus A. muricata abgeraten werden. In Anbetracht der Tatsache, dass Fehlfunktionen und pathologische Ablagerungen des Tau-Proteins bei der neurodegenerativen Alzheimer-Erkrankung eine wesentliche Rolle spielen, sind auf das Tau-Protein abzielende Therapien vor allem nach Versagen diverser Therapieansätze gegen Beta-Amyloid von enormem wissenschaftlichen Interesse. In diesem Kontext können Mausmodelle Zusammenhänge zwischen dem Tau-vermittelten pathologischen Geschehen und einer Neurodegeneration in vivo aufzeigen. Therapieansätze, die auf pathologische Veränderungen durch das Tau-Protein ausgerichtet sind, lassen sich in Tau-transgenen Mausmodellen mittels Verhaltensanalyse auf Wirksamkeit und Verträglichkeit prüfen.


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