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Titel:Optimierung der Effekte von Psychotherapie: Wirksamkeit, Prädiktoren und Nebenwirkungen in der stationären Routineversorgung
Autor:Herzog, Philipp
Weitere Beteiligte: Brakemeier, Eva-Lotta (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2020
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2021/0044
DOI: https://doi.org/10.17192/z2021.0044
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2021-00444
DDC: Psychologie
Titel (trans.):Optimizing the effects of psychotherapy: Effectiveness, predictors, and side effects in routine inpatient care
Publikationsdatum:2022-09-07
Lizenz:https://rightsstatements.org/vocab/InC-NC/1.0/

Dokument

Schlagwörter:
negative Effekte, clinical prediction models, Wirksamkeit, psychotherapy, Prognostische Variablen, Klinische Prädiktionsmodelle, Nebenwirkungen, negative effects, prognostic variables, side effects, effects, effectiveness, Psychotherapie, Effekte, routine inpatient, Prädiktoren, predictors

Zusammenfassung:
In den letzten Jahrzehnten hat sich durch klinische Studien mit methodisch fundierten Designs eine breite Evidenzbasis von Psychotherapie für verschiedene psychische Störungen gebildet. Durch verschiedene randomisiert-kontrollierte Studien (engl.: „randomized controlled trial“; RCT), die in Meta-Analysen zusammengefasst werden, konnte die Wirksamkeit (im Sinne der „efficacy“) mit meist großen Effekten nachgewiesen werden. Gemäß des Phasenmodells der Psychotherapieforschung werden in der letzten Phase – Phase IV – Psychotherapien im naturalistischen Kontext, d.h. unter alltäglichen Routinebedingungen, untersucht. Im Rahmen eines praxisorientierten Forschungsparadigmas können solche praxisbasierten Studien eine Ergänzung zu RCTs darstellen, um vorhandene Probleme in der Psychotherapieforschung zu adressieren (z. B. Research-Practice-Gap, Stagnation von Effekten). Insbesondere in Deutschland werden psychisch schwer erkrankte Patient*innen oft im stationären Kontext (z. B. in psychosomatischen oder psychiatrischen Kliniken) behandelt. In diesem Rahmen mangelt es an Studien, welche diese Art der klinischen Wirksamkeit (im Sinne der „effectiveness“) mit geringeren Ein- und Ausschlusskriterien untersucht. Die Befunde zu Variablen, welche den Behandlungserfolg stabil vorhersagen, sind dabei oft heterogen. Daher soll im ersten Schritt dieser Dissertation die Wirksamkeit von stationärer Psychotherapie bei verschiedenen psychischen Störungen (Borderline-Persönlichkeitsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, Zwangsstörung, Depression) in deutschen psychosomatischen Kliniken untersucht als auch Ansatzpunkte zur Optimierung der Effekte durch die Analyse von Prädiktoren identifiziert werden. Die Studien 1-4 deuten darauf hin, dass spezifische evidenzbasierte Psychotherapieprogramme gemäß der jeweiligen nationalen Behandlungsleitlinien in der stationären psychosomatischen Versorgung wirksam implementiert wurden, jedoch in ihrer Wirksamkeit Unterschiede aufweisen. Während die Effektstärken für die Behandlung von Zwangsstörungen (N = 1.595 bzw. N = 514) und depressiven Störungen (N = 22.681 bzw. N = 6.377) als groß beurteilt werden können, sind sie für die Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen (N = 612) mittel bis groß sowie für die Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen (N = 878 bzw. N = 703) klein bis mittel. Aufgrund der großen Stichproben können die Effekte als Benchmark dienen und in zukünftigen Studien als Vergleich herangezogen werden. Darüber hinaus zielt die vorliegende Dissertation im nächsten Schritt darauf ab, allgemeine Prädiktoren für den Behandlungserfolg von Psychotherapie bei den o. g. Störungsbildern zu identifizieren. Im Sinne von prognostischen Variablen werden – getrennt für die verschiedenen Störungsbilder – solche Charakteristika von Patient*innen im Rahmen von klinischen Prädiktionsmodellen bestimmt, die angeben, welche Patientin besser bzw. schlechter von der Behandlung profitiert. Bei Patient*innen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen erweisen sich als wichtige Prädiktoren für den Therapieaabschluss ein höherer Schulabschluss sowie eine komorbide rezidivierende depressive Störung und für symptomspezifische Veränderungen niedrige Affektregulationsfähigkeiten und keine vorherige ambulante Psychotherapie. Bei Patient*innen mit Posttraumatischen Belastungsstörungen scheint eine stärkere Ausprägung im Bereich Psychotizismus, die Anzahl an Diagnosen und eine Asthma-Diagnose konstant in einem negativen prädiktiven Zusammenhang zum Behandlungserfolg zu stehen. Bei Patient*innen mit Zwangsstörungen sind die Symptomschwere bei Aufnahme, die allgemeine psychopathologische Belastung, eine höhere soziale Unterstützung und mehr Waschzwänge wichtige Prädiktoren für Symptomveränderungen. Bei Patient*innen mit Depressionen beeinflussen zwar fast alle soziodemographischen und klinischen Faktoren vor der Behandlung die psychopathologische Gesamtbelastung auf unterschiedlichen Faktoren zu Beginn der Behandlung, dieser direkte Einfluss schwächt sich im Verlauf der Behandlung jedoch ab. Während dieser Behandlung sind diverse Faktoren veränderungsresistent und deuten auf stabile psychopathologische Faktoren hin, wie z. B.: Suizidalität, agoraphobische Ängste, Lebensunzufriedenheit, physische Beeinträchtigung und Schmerzen. Der stärkste Einfluss ergibt sich von der Suizidalität zu Behandlungsbeginn auf negative Kognitionen bei Behandlungsende, von agoraphobischen Symptomen bei Behandlungsbeginn auf die Ängstlichkeit bei Behandlungsende und von der körperlichen Beeinträchtigung bei Behandlungsbeginn auf die wahrgenommene Beeinträchtigung bei Behandlungsende. Letztlich wird auch die andere Seite der Medaille betrachtet: neben positiven Effekten kann Psychotherapie auch negative Effekte hervorrufen. Im Rahmen eines systematischen Reviews werden in Studie 5 die Messinstrumente zur Erhebung von negativen Effekten unter psychometrischen Gesichtspunkten evaluiert sowie eine konsensuale Definition und Konzeptualisierung von negativen Effekten vorgeschlagen und Empfehlungen zur Verbesserung der Erfassung von negativen Effekten abgeleitet. Dieses systematische Review ergibt, dass die vorhandenen Messinstrumente zwar viele Bereiche abdecken, ihre psychometrischen Gütekriterien hingegen zumeist als unbefriedigend zu beurteilen sind. Anschließend wird aus den Implikationen des Reviews der Zusammenhang zwischen dem Auftreten von negativen Effekten und dem Behandlungserfolg während eines stationären CBASP-Programms für chronische Depression in Studie 6 untersucht. Es zeigt sich, dass fast alle Patient*innen mindestens einen negativen Effekt berichten, aber lediglich die wahrgenommene Abhängigkeit von der Therapeutin in einem negativen Zusammenhang zum Behandlungserfolg steht. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich die Ergebnisse aus Phase III-Studien der Wirksamkeitsforschung auf ein angewandtes stationäres Setting übertragen lassen. Im Rahmen der Studien 1-4 konnten einige Prädiktoren (z. B. Symptomschwere zur Aufnahme) aus vorherigen Befunden von RCTs repliziert werden; zum Teil spielen jedoch bei stationären Psychotherapiepatient*innen auch andere Variablen eine wichtige Rolle zur Vorhersage des Behandlungserfolgs, was auf unterschiedliche Gründe vor allem im Hinblick auf die Spezifika des Settings (z. B. höhere Therapiedosis in kürzerer Zeitspanne) und der Heterogenietät der Stichproben zurückzuführen ist. Bei den Studien 5-6 konnten sowohl definitorische Aspekte von negativen Effekten adressiert werden, um deren Erfassung noch zu verbessern, als auch die Relevanz durch die Zusammenhänge zum Behandlungserfolg näher beleuchtet werden. Durch alle Studien können insgesamt Ansatzpunkte dafür gefunden werden, um die Effekte von stationärer Psychotherapie in Deutschland noch zu optimieren. Die Studien 1-4 liefern beispielsweise sowohl Benchmarks für die absolute Wirksamkeit von Psychotherapie in der stationären Routineversorgung als auch durch die Prädiktoranalysen praxisbasierte Evidenz, welche wiederum in zukünftigen RCTs z. B. bei Randomisierungsprozeduren berücksichtigt werden kann. Durch Rückmeldeschleifen der Ergebnisse aller Studien an klinisch-tätige Praktiker*innen kann kurzfristig ein evidenzbasiertes Outcome-Monitoring stattfinden und langfristig das Praxis-Forschungsnetzwerk in Deutschland gestärkt werden.


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