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Titel:Patienten in der Chirurgischen Klinik der Universität Marburg in Friedens- und Kriegszeiten. Eine Studie anhand von Patientenakten der Jahre 1928, 1940/41 und 1944.
Autor:Serowinski, Lara Rieke
Weitere Beteiligte: Sahmland, Irmtraut (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2020
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2020/0393
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2020-03931
DOI: https://doi.org/10.17192/z2020.0393
DDC: Medizin
Titel (trans.):Surgical patients of the university hospital Marburg during peace und war. A study on the basis of patients records from 1928, 1940/41 and 1944.
Publikationsdatum:2020-11-10
Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0

Dokument

Schlagwörter:
Universitätsklinik Marburg, university hospital Marburg, civil population in hospital, Second World War, Chirurgie, zivile Bevölkerung, patients records, Zweiter Weltkrieg, Patientenakte, Surgery

Zusammenfassung:
Während die Chirurgie durch etablierte Anästhesieverfahren und Antisepsis im 19. Jahrhundert kontinuierliche Fortschritte gemacht hatte, war die Zeit der Weltkriege wieder von Rückschlägen geprägt. Aufgrund der besonderen Verhältnisse mussten Therapieverfahren verändert werden, die medizinischen Ressourcen verknappten sich, während gleichzeitig Lazarette für verletzte Soldaten errichtet werden mussten. Zudem spielte der Einfluss des Nationalsozialismus seit den frühen 1930er Jahren eine zunehmend größere Rolle sowohl bei der Aus- und Weiterbildung, als auch bei Therapieentscheidungen. Vor diesem Hintergrund wird die Versorgung von chirurgischen Patienten während des Zweiten Weltkrieges mit der in den Vorkriegsjahren verglichen. Hierfür wurden Daten aus jeweils 300 Patientenakten der Marburger Chirurgischen Klinik der Jahre 1928, 1940/41 und 1944 ausgewertet. Die Ergebnisse wurden mit Informationen aus zeitgenössischen Quellen ergänzt und abgeglichen. Mit zunehmender Akzeptanz von Krankenhäusern, einer steigenden Zahl an krankenversicherten Bürgern und besseren Operationsbedingungen nahmen immer mehr Patienten eine Behandlung in Krankenhäusern in Anspruch. Die Marburger Chirurgische Klinik musste auf Grund der zunehmenden Patientenzahlen mehrmals expandieren. Von 1928 bis 1944 war Rudolf Klapp Direktor dieser Klinik. Während des Zweiten Weltkrieges wurde sie durch zwei Bombenangriffe teilweise beschädigt. Unter dem Einfluss der Ideologie des Nationalsozialismus führten Chirurgische Kliniken in den 30er Jahren Zwangssterilisationen bei Männern nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durch, so auch in Marburg. Zudem wurde in den Krankenhaus-Aufnahmebögen gezielt nach „erblichen“ Erkrankungen wie Missbildungen, Nerven- oder Geisteskrankheiten und Alkoholismus gefragt. Anhand der ausgewerteten Akten ist zu erkennen, dass es in Marburg zu deutlichen Versorgungsveränderungen während des Krieges aufgrund von Ärzte-, Pflegepersonal- und Bettenmangel sowie Kriegszerstörungen kam. Die Basisversorgung war aber stets gewährleistet. Insgesamt wurden in dem untersuchten Zeitraum mehr Männer als Frauen in der Klinik behandelt (37,3- 45% Frauenanteil). Während des Krieges war eine Zunahme der Patientinnen zu verzeichnen, da viele Männer ihren Kriegsdienst ableisteten. Die meisten der stationär behandelten Patienten stammten aus der ländlichen Umgebung Marburgs. Der Großteil war gesetzlich versichert. Neben den zivilen fanden sich auch Krankenakten von Zwangsarbeitern aus Lagern in Marburgs Umgebung. Sie erhielten dieselben notwendigen Behandlungen, wurden aber zügiger entlassen. Jeder aufgenommene Patient wurde von den Chirurgen anamnestiziert und körperlich untersucht. In den Kriegsjahren fielen die Aufnahmebögen aufgrund des Ärztemangels in diesem Zeitraum knapper aus. Durch die Lebensmittelversorgung aus dem Umland Marburgs waren selbst 1944 die Ernährungs- und Kräftezustände der chirurgischen Patienten noch relativ gut. Die Krankheitsbilder änderten sich bis auf kriegsbedingte Bomben- oder Schussverletzungen bei Zivilisten nicht. Es wurden allerdings nur noch Patienten mit dringlich behandlungsbedürftigen Erkrankungen aufgenommen, gleichzeitig sank die Aufenthaltsdauer der Patienten erwartungsgemäß von 1928 zu 1944 um knapp 3 Tage. Zurückzuführen ist dies vor allem auf Bettenknappheit, da Teile der Klinik zeitweise zerstört waren und Betten für zivile Patienten durch das eingerichtete Reservelazarett für Soldaten fehlten. Insgesamt wurden 48,7 bis 61% der Patienten visceralchirurgisch, orthopädisch oder urologisch in Lokal- oder häufiger in Allgemeinanästhesie operiert. Es scheint keinen Mangel an den typischen Narkotika Äther und Chloräthyläther während des Krieges gegeben zu haben. Die konservativen Therapien beinhalteten Ruhigstellungen, Wundversorgungen sowie Krankengymnastik. Letzteres war Prof. Klapp besonders wichtig und er entwickelte eigene Krankengymnastikübungen. Die Therapiemethoden waren modern und entsprachen dem Niveau einer Universitätsklinik. Blut-, Urin- und Röntgenuntersuchungen gehörten zum Standard. In den Kriegsjahren wurden Patienten häufiger zu Nachkontrollen in die Chirurgische Poliklinik wiedereinbestellt, da sie frühzeitiger entlassen wurden. Die Mortalität nahm von Kriegsbeginn zum -ende zu, was auf schwerere Erkrankungen oder Verletzungen zurückzuführen ist. Der Großteil der Verstorbenen wurde im Pathologischen Institut obduziert. Die Marburger Chirurgen wie auch die Ärzte anderswo haben sicherlich dazu beigetragen, durch die weitgehende Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung der Zivilbevölkerung und der Soldaten den Krieg zu unterstützen. Dabei ist besonders Prof. Klapp zu erwähnen, der sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg Beratender Chirurg war. Er forschte auf dem Gebiet der Kriegschirurgie und seine entwickelten Verfahren, wie z.B. die Drahtextension, wurden maßgeblich durch seine Kriegserfahrungen beeinflusst und vorangetrieben. In den 30er Jahren erprobte der Oberarzt Hans Boeminghaus eigene Operationstechniken zur Sterilisation beim Mann, die er bei der Zwangssterilisation von „schwachsinnigen“ Männern anwendete. Durch Unabkömmlichkeitsstellungen versuchte Klapp immer wieder, seine Ärzte weiter für die Patientenversorgung in Marburg behalten zu können, dennoch wurden einige von ihnen in den Kriegsjahren zum Heeresdienst eingezogen. Zudem mussten sie auch das Reservelazarett mitbetreuen.


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