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Titel:Implizite Theorien in der Familienpolitik: Der Kinderbetreuungsausbau im kommunalen Fallvergleich
Autor:Vidot, Viviane Marie
Weitere Beteiligte: Henninger, Annette (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2017
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2018/0215
DOI: https://doi.org/10.17192/z2018.0215
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2018-02159
DDC: Philosophie
Titel (trans.):Implicit Theories in Family Policy: A Comparative Case Study of the Expansion of Municipal Childcare
Publikationsdatum:2018-06-26
Lizenz:https://rightsstatements.org/vocab/InC-NC/1.0/

Dokument

Schlagwörter:
social research, child care, Kinderbetreuung, Inhaltsanalyse, Sozialpolitik, Familienpolitik, kommunale Politik, empirical social research, Qualitative content analysis, empirische Sozialforschung, Familienpolitik, qualitative Sozialforschung, interpretative policy analysis, interpretative Inhaltsanaly, lokale Politikfeldforschung, interpretive policy analysis, U3-Ausbau, im

Zusammenfassung:
Einen wesentlichen Wandel hat die Familienpolitik in den vergangenen Jahren durch das sogenannte Kinderförderungsgesetz (KiföG) vollzogen. Dieses Bundesgesetz sieht einen flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige vor. Die Umsetzung fällt den Kommunen zu, die unterschiedlich mit dieser Herausforderung umgehen. Zentrale These dieser Dissertationsschrift ist, dass die lokalen AkteurInnen der Implementation des Kinderbetreuungsausbaus Gesetze nicht nur ausführen, sondern eigenständig interpretieren. Damit werden die Ideen der lokalen AkteurInnen zum Politikfeld zentral für die Erklärung der Vielfalt der Kinderbetreuung in Deutschland. In der vorliegenden Dissertationsschrift wird die lokale Varianz in der Kinderbetreuungsquote daher als Ausdruck unterschiedlicher Vorstellungen zur Kinderbetreuung analysiert. Die Studie zeigt auf, wie implizite Theorien lokaler AkteurInnen Deutungsmacht über die lokale Kinderbetreuungspolitik entfalten. Hierbei wurde die Bildung eines lokalen Konsens der lokalen AkteurInnen über die impliziten Theorien festgestellt. Entlang dieser impliziten Theorien entwickeln sich in den untersuchten vier Kommunen eigenständige kinderbetreuungspolitische Profile. Diese werden entlang der Leitnerschen Weiterentwicklung der Esping-Andersenschen Familialismus Typologie verortet. Die Studie verdeutlicht, dass lokalspezifische Übersetzungen von einheitlichen überlokalen Vorgaben unterschiedliche lokale (de)familialistische Profile hervorbringen. Untersucht wurden jeweils zwei ost- und westdeutsche Kommunen. Samplingkriterien waren maximaler Kontrast in der Kinderbetreuungsquote und minimale Kontraste in den Rahmenbedingungen regierende Partei, Pro-Kopf-Einkommen, Verwaltungseinheit und Bevölkerungsdichte der Kommunen. Innerhalb der vier ermittelten CDU-regierten Kommunen wurden in Ost- wie auch in Westdeutschland inhaltsanalytische Interviews mit ausgewählten AkteurInnen der Implementation des KiföG geführt. Die theoretische Rahmung ist entlang der akteurszentrierten Ideenforschung der Policy-Analyse entwickelt. Mit dem Advocacy-Coalition-Framework von Sabatier ist das Forschungsfeld strukturiert. In Anlehnung an Hofmann (1993) wird in der Analyse der Vergleichskommunen mit dem Konzept der impliziten Theorien gearbeitet. Politik selbst wird als Deutungsentwurf sozialer Wirklichkeit untersucht. Die Deutungen und Vorstellungen zur Kleinkindbetreuung unterschieden sich zwischen den Kommunen deutlich: Kleinkindbetreuung wird in den Ost-Landkreisen A und B als Selbstverständlichkeit begriffen. Die beiden defamilialistischen Profile unterscheiden sich in den Vorstellungen zur Aufgabe des Staates bei der Bereitstellung von Kinderbetreuung. Als zentral erwies sich die Verarbeitung der teilweise als traumatisch erlebten Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Der Landkreis A bewältigt die Wendejahre proaktiv. Die lokalen AkteurInnen heben persönliche Freiheit und Eigenverantwortung für die Gestaltung von Kinderbetreuung hervor. Vielfalt in der Pädagogik ist erwünscht, dementsprechend gibt es eine bunte lokale Trägerlandschaft. Der Landkreis A weist ein liberal familialistisches Profil auf während der Landkreis B ein zentralistisch familialistisches Profil aufweist. Hier wurden die Wendejahre eher reaktiv bewältigt. Der Erhalt des Bestehenden ist zentral. Kinderbetreuung wird unter staatlicher Aufsicht organisiert und der Landkreis ist zentraler Träger von Kindertagesbetreuungseinrichtungen. Kleinkindbetreuung wird in der westdeutschen Stadt C als Sozialpolitik begriffen. Die sozialpolitische Deutung zielt auf Hilfen für dysfunktionale Familien. Das explizit familialistische Profil trägt die Vorstellung der „normalen Kindheit“ im privaten Schutzraum der Familie. Anders in der Stadt D, in der ein defamilialistisches Profil vorgefunden wurde. Kinderbetreuung wird hier als Wirtschaftspolitik begriffen wird. Die wirtschaftspolitische Deutung von Kinderbetreuung fokussiert auf die frühe Aktivierung von hochqualifizierten Müttern,verbunden mit – im Vergleich zum Bundesdurchschnitt - hohen Gebühren der Betreuungseinrichtungen. Für geringverdienende Eltern stellen diese eine Hürde zur Inanspruchnahme von u3-Kinderbetreuung dar. Die lokalen Rahmenbedingungen können die lokale Vielfalt trotz einheitlicher Bundesvorgaben durch das KiföG nicht erklären. Insgesamt bestätigt die Studie, dass lokale Ziele der Kinderbetreuung anhand der impliziten Theorien der lokalen AkteurInnen in eigenständige familialistische Profile münden. Die lokale Ebene hat einen erheblichen Einfluss auf die Regulierung von Kinderbetreuung. Abschließend werden die beschriebenen impliziten Theorien und die sich daraus abgeleiteten lokalen familialistischen Profile entlang des Theorems der doppelten Vergesellschaftung (Regina Becker-Schmidt 1987) bewertet.


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