Zusammenfassung:
Vor dem Hintergrund von sich vervielfältigenden Globalisierungs- und Transnationalisierungs-prozessen gehe ich der Frage nach, welche Resonanz nationalstaatliche Grenzen überschreitende Bewegungen in einer sich derzeit (noch) vorwiegend auf ethnische Prinzipien der Zugehörigkeit beziehenden Nationalgesellschaft hervorrufen und wie sich diese auf das politische Verhandeln von gesellschaftlicher Zugehörigkeit/Nicht-Zugehörigkeit auswirken. In der aktuellen deutschen Migrations- und Integrationspolitik wird besonders deutlich und damit auch greifbar, wie sehr Vorstellungen gesellschaftlicher Zugehörigkeit gerade Verhandlungsgegenstand sind. So sind nationale Integrationsprogramme paradigmatische Orte, an denen Positionen zur Gestaltung von Einwanderung und zu Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation in einer pluralistischen Gesellschaft gebündelt und verlautbart werden, an denen man sich der politischen Verantwortlichkeit für die Organisierung von Gemeinschaft vergewissert und zudem diesbezügliche Regierungsweisen plausibilisiert.
Mit den im 19. Jh. erstarkenden nationalen Bewegungen und insbesondere mit der Institutionalisierung des deutschen Nationalstaates etablierte sich eine Zugehörigkeitsordnung, deren Konzeptualisierung und Kodifizierung von Bürgerschaft, deren Vorstellungen gemeinschaftlichen Zusammenhalts auch eine Grundlage für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um nationalstaatliche Kohärenz bilden. Dabei zeige ich, wie der Bedeutungsaufschwung nationaler Ideen, die maßgeblich auf die Gründung eines deutschen Nationalstaates als ideale Form der selbstbestimmten Organisation einer Gesellschaft von freien und politisch gleichen Bürgern abzielten, von Erzählungen rassisch-ethnisch-kultureller Zusammengehörigkeit flankiert wird, die das nationale Egalitätsversprechen nachhaltig einschränken.
Die integrationspolitische Programmatik ist für verschiedene Deutungen von Zugehörigkeit anschlussfähig – sie agiert flexibel im Spannungsfeld von Gleichheits- und Differenzvorstellungen. So finden sich zugleich Bemühungen, jenen in der integrationssensiblen Diagnostik sichtbar werdenden Asymmetrien entgegenzuwirken, wie Anknüpfungen an ein System von rassisch-ethnisch-kulturellen Unterscheidungen, aus dem heraus gesellschaftliche Ungleichheiten plausibilisiert werden. Einerseits richtet sich die Integrationspolitik an Eingewanderte als Bürgerinnen und Bürger, als Mitglieder der deutschen Gesellschaft. Andererseits ist diese Einschließung nicht gleich-gültig, nicht bedingungslos, sie wird sowohl mit der utilitaristischen Begründung ihrer Notwendigkeit als auch mit der Formulierung von Integrationsforderungen an Erwartungen geknüpft.
Die tradierten Vorstellungen von Deutschland als Kulturnation werden nicht einfach von einem neu umworbenen Gesellschaftsverständnis als Einwanderungsland abgelöst – vielmehr stellen beide Deutungsformationen gesellschaftlicher Kohärenz sinnhafte Verweisungs- und Überlieferungszusammenhänge dar, die jeweils abgerufen werden, die sich überschneiden und Koalitionen eingehen können. Hierfür zeigt sich maßgeblich die Verflechtung verschiedener Bedeutungsdimensionen des Kulturbegriffs verantwortlich, die eine Mehrdeutigkeit von Gesellschaftsbildern zulässt, wenn nicht sogar organisiert.
Schließlich weisen die integrationspolitischen Programme zugleich auf einen Wandel von einer rassisch-ethnisch-kulturellen Bestimmung gesellschaftlicher Zugehörigkeit hin zu einem eher politischen Verständnis von Bürgerschaft. Die Aufwertung und Bewerbung von Vielfalt als ein vielversprechendes Modell gesellschaftlichen Miteinanders, die Anerkennung herkunftsbezogener Lebensweisen, die Wertschätzung der Erfahrungen aus transnationaler Mobilität beschränken die Plausibilität von Homogenitätserzählungen und ermöglichen Perspektiven des kulturellen Wandels.