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Titel:Zeichnungen indigener Künstler Brasiliens. Ästhetik, Komposition, Repräsentation und Funktion, in Beispielen von den Deni, Kanamari und Maxakali
Autor:Hainsch, Sebastian
Weitere Beteiligte: Münzel, Mark (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2013
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2016/0232
DOI: https://doi.org/10.17192/z2016.0232
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2016-02321
DDC: Allgemeines, Wissenschaft
Titel (trans.):Drawings of indigenous artists of Brazil. Aesthetics, composition, representation and function, in examples of the Deni, Kanamari and Maxakali
Publikationsdatum:2016-07-19
Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0

Dokument

Schlagwörter:
Amerika, Ethnologie, Kunstethnologie, Juruá, Arauan, Kunstgeschichte, Katukinan, Arawá, Kunstwissenschaft, Literat, Deni, Indianer, Amazonas, Macro-Ge, Deni, Brasilien, Katukina, Medien, Macro-Jê, Juruá, Kunst, Südamerika

Zusammenfassung:
Aktuell werden Zeichnungen von indigenen Künstler*innen Brasiliens in großer Zahl in den verschie­densten Kontexten angefertigt. Die Arbeit soll darlegen, dass sich die Künstler*innen das für sie relativ neue Medium in ei­ner ganz eigenen Art einverleiben und damit bisher Unausgesprochenes aus­drücken. Anhand von Zeich­nungen der Völker Deni, Kanamari und Maxakali werden ästhetische Prinzipien und kom­positorische Ideen herausgearbeitet und die Anverwandlung des künstlerischen Mediums auf drei Ebenen untersucht. Erstens auf einer dia­chronen Ebene, innerhalb derer eine Art Kunstge­schich­te der Zeichnungen indigener Kunstschaffender erkennbar wird. Zweitens werden die Zeich­nungen als Ausdruck einer politischen Äußerung und als Aussa­ge zum kul­turellen Weltbild analy­siert und interpretiert. Hier wird die Zeichnung als Bildakt betrachtet, ihr postulierender Charakter herausgestellt. Auch Flora, Fauna und die sogenannte „unbelebte Natur“ können Bildakte hervorbringen und Menschen zum künstlerischen Gestalten anregen. Dies führt zur dritten Betrachtungsebene: Zeichnungen werden hinsichtlich des kreativen Pro­zesses und des ästhetischen Vergnügens der Künstler*innen beleuchtet. Die drei Betrachtungsebenen werden im Rahmen einer Er­örterung verschiedener Forschungspositionen hauptsächlich brasilianischer und deut­scher Ethnolo­g*innen im ersten Teil der Arbeit vorgestellt und veranschaulicht. Weiterhin wird im ersten Teil die Geschichte der indigenen Zeichnung in Bezug zur Geschichte der indige­nen Lite­ratur Brasiliens gesetzt, weil sie oft gemeinsam mit ihr auf­tritt. Letzterer ist deshalb ein ausführliches Unterkapitel gewidmet. Die indige­ne Literatur in Brasi­lien basiert vor allem auf mündlicher Überlieferung traditio­neller Mythen und Erzählung­en. Zu beobachten sind dabei komplexe Bild-Text-Beziehungen, die daraus resultieren, dass sich die Zeichnungen häufig nicht (nur) auf die aufgezeichneten Mythenvarianten beziehen, sondern auch auf (dem Betrachter/Leser) unzugängliche Mythenvarianten und-Fragmente. Oft werden Dadurch die Komplexität des Mythenkosmos und die Wi­dersprüchlichkeit einzelner Mythen­varianten aufgedeckt. Auf theoretische Positionen der Kunstanthropologie und auf die Geschichte der in­digenen Zeichnung/Literatur folgen im zweiten Teil Erläuterungen zu Kontaktgeschichte, künstlerischer Produktion, rituellem Leben und Kosmovision der drei Völ­ker. Diese Einblicke schaffen eine Basis für das Verständnis der Zeich­nungen. Neben dieser auf ethnografischen Informationen fußenden Herangehensweise sollen im dritten Teil der Ar­beit detaillierte formale Bildanaly­sen eine Annäherung an die Besonderhei­ten und Eigenarten der einzelnen Künst­ler*innen sowie das Herausarbeiten von Gemeinsa­mem ermöglichen. Im dritten Teil werden sowohl aus Büchern entnommene Zeichnungen als auch in Workshops in den Dörfern der Deni, Maxakali und Kanamari entstandene Arbeiten untersucht. Die Beobachtung der Arbeitsabläufe der zweiten Werkgruppe erlaubt Einblicke in die Kommunikation der Künstler*innen untereinander und verdeutlicht die Dynamik der Entstehungsprozesse. Die Bildanalysen offenbaren verschiedene Prinzipien und Arbeitsweisen. So z.B. das teilweise oder vollständige Kopieren, meistens aus Büchern der indige­nen Literatur. Der Begriff „Kopieren“ erweist sich schnell als irreführend. Meist erfolgt ein Neuarrange­ment der Bildelemen­te der Ausgangszeichnung sowie ein Abwandeln der ursprüngli­chen künstlerischen Tech­nik. Wie auch bei der Anver­wandlung des Mediums der Zeichnung durch indige­ne Künstler*innen handelt es sich um einen kulturellen anthropopha­gischen Akt. Auch in der Anwen­dung der künstle­rischen Tech­nik zeigt sich dieses Wesensmerkmal. Viele Zeichner*innen sind begierig, neue künstlerische Techni­ken zu erler­nen und einige von Ihnen überwinden dabei die Grenzen des Vorgegebenen und kom­binieren ver­schiedene Arbeitsweisen miteinander. Daneben fallen andere Charakteristika der Zeich­nungen auf. So muss z.B. die Simultandarstellung v.a. in Zeichnungen, die Erzählungen und My­then zur Sei­te gestellt werden, oft mehrere zeitlich entfernte Erzählsequenzen unterbringen. Simultandarstel­lungen können der Erzähllogik der Mythe oder einer zeichnungsimmanenten formal-kompositori­schen Logik gehorchen. In den Simul­tandarstellungen können auch Bildele­mente ohne Ge­genstück im Mythen­text auftauchen. Diese Bildelemen­te entfalten manchmal ein regelrechtes Eigenleben, welches das ästheti­sche Ver­gnügen des Künstlers veran­schaulicht und die Eigenständigkeit der Zeichnung gegen­über der Er­zählung hervorhebt. Weiterhin fällt der Gebrauch von Bildrahmen auf, die Artifizialität und Zweidimensionalität der Zeichnun­gen betonen und ihnen häufig einen dekorativen, geradezu schmuckhaften Charak­ter ver­leihen. Letzterer kann eine große Spannung zwischen dem Abbildcha­rakter und dem Kunstwerkcharakter hervorrufen. Ein abschließender Exkurs geht auf Möglichkeiten der Ausstellungspraxis indigener Kunst ein und ist dabei auf einen Ausgleich zwischen kunstreferentiellen und kontextbezogenen Perspektiven bedacht. Die Dissertation wurde von der Gerda-Henkel-Stiftung mit einem Promotionsstipendium gefördert.


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