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Titel:Der Einfluß des Apothekers auf die Therapie chronischer Wunden
Autor:Schmidt, Marc
Weitere Beteiligte: Morck, Hartmut (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2010
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2010/0754
DOI: https://doi.org/10.17192/z2010.0754
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2010-07543
DDC: Medizin
Titel (trans.):The influence of pharmacists on the therapy of chronic wounds
Publikationsdatum:2010-12-29
Lizenz:https://rightsstatements.org/vocab/InC-NC/1.0/

Dokument

Schlagwörter:
Outcome, Wundverschluss, Wundverband, Effectiveness, Outcome, Effectiveness, Kosten-Nutzen-Analyse, Moderne hydroaktive phasenadaptierte Wundauflagen, Chronisch Kranker, Therapie, Wound dressings, Interdisziplinär, Leg ulcers, Wundheilung

Zusammenfassung:
Die Versorgung chronischer Wunden ist ein multifaktorielles Geschehen, die betroffenen Patienten sind alt und multimorbid. 75% der Wunden sind vaskulär bedingt, häufig vorhandene Begleiterkrankungen wie Diabetes, Hypertonie und andere Stoffwechselerkrankungen, sowie Nicotinabusus und Adipositas erschweren die Wundheilung. Mit den traditionellen Vorgehensweisen und Maßnahmen zur Behandlung akuter Erkrankungen allein kann auf Grund der Vielzahl negativer Einflussmöglichkeiten kein optimales Ergebnis erzielt werden. Mit dieser Arbeit sollte die aufgestellte Hypothese, dass der Einfluss des Apothekers auf die Therapie chronischer Wunden den Erfolg und die Kosten der Behandlung nachhaltig verbessern kann, bewiesen werden. Neben der Grund – und den Begleiterkrankungen sind weitere Parameter für den Heilungsverlauf von großer Bedeutung. Die resultierenden (Co) Medikationen, die Auswahl der richtigen Wundauflagen in Abhängigkeit vom Zustand der Wunde und die Compliance der Patienten haben einen großen Einfluss auf den Therapieerfolg. Durch eine engmaschige, lückenlose (Foto) Dokumentation hat der Apotheker als „Case Manager“ stets neueste Informationen über den Zustand der Wunde bzw. den Verlauf der Wundheilung und kann gegebenenfalls zeitnah intervenieren. UAWs bei einem Wechsel der Begleitmedikation, allergischen Reaktionen oder Infektionen können so im Sinne von „pharmaceutical care“ effektiv entgegengetreten werden. Der Apotheker bewertet dabei Informationen aus unterschiedlichen Bereichen: Physiologie bzw. Pathophysiologie der Wunde, Pharmakologie bzw. Medikation und der Wundauflagen selbst, wie auch der Begleitmedikation. Compliance, Ernährungszustand, Lagerung und richtige Anwendung der ausgewählten Produkte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Die aus der Beurteilung der Gesamtsituation einzuleitenden Maßnahmen erfolgen dann streng nach definierten Standards oder Leitlinien. Der Beweis der Hypothese wurde im Rahmen einer Studie erbracht. Dabei wurde nach einem vorher festgelegten Studiendesign gearbeitet: Im Anschluss an eine abgeschlossene Diagnostik (Differentialdiagnostik, Gefäßstatus) und allen notwendigen Maßnahmen zur Kausaltherapie (Revaskularisierung etc.) wurden die Patienten aus der Klinik strukturiert übergeleitet. Direkt an der Schnittstelle stationär -> ambulant wurden die Betroffenen in das Programm aufgenommen, alle Beteiligten im ambulanten Sektor über das Modell informiert und deren Einverständnis zur Folgebehandlung eingeholt. Alle relevanten Daten wurden – unter Berücksichtigung des Datenschutzes - aus den Arztbriefen / Wundüberleitungsbögen entnommen, zentral erfasst und gespeichert. Die Therapieempfehlung durch die Klinik erfolgte nach einem definierten Standard, dem Prinzip der phasenadaptierten feuchten Wundversorgung folgend. In der weiteren ambulanten Versorgung war der Apotheker für Auswahl und ordnungsgemäßen Einsatz der Produkte verantwortlich. Dabei folgte er ebenfalls konsequent dem Klinikstandard. Die Folgedokumentation erfolgte per Foto (unter Einsatz einer speziellen Software) und per Wundbogen, die Daten wurden halbjährlich ausgewertet und evaluiert. Die Einhaltung des dualen Therapieansatzes war zu jeder Zeit und ohne Versorgungsbruch sichergestellt, eine kontrollierte Auswertung der Daten lässt eine Beurteilung des Behandlungserfolgs zu. Folgende Qualitätskriterien wurden zur Bewertung des Therapieerfolges ausgewählt: Das Erreichen eines Wundschluß ist der primäre Endpunkt. Sollte dieses nicht erreicht werden können, sind stabile Wundverhältnisse bzw. das Vermeiden von Amputationen die alternativen sekundären Endpunkte. Unter dem Einsatz feuchter, phasenadaptierter Wundauflagen betrug die Erfolgsquote der Patienten, die adhärent waren und einen Wundschluß erreichten 95%. Der Einsatz der einzelnen Wundauflagen ist nicht diagnosespezifisch. Eine Fokussierung auf 4-5 Produktgruppen ist möglich, eine Straffung des Sortiments würde zu mehr Transparenz und vereinfachter Auswahl der Auflagen beitragen. Die Bildung von Preiskorridoren innerhalb einer Produktgruppe bzw. eine „Festbetragsregelung“ nach dem Vorbild generischer Gruppen bei Arzneimitteln schafft nur geringe Einsparungen pro Patient pro Jahr und behindert das Ausnutzen spezieller Eigenschaften der einzelnen Wundauflagen passend zur Wunde. 1% der Patienten erreichten stabile Wundverhältnisse und bei 4 % war eine Amputation unumgänglich. Die Anzahl Tage bis zum Wundschluß stellt das 2. Qualitätskriterium dar. Das von uns erreichte arithmetische Mittel von 90 Tagen bis zum Wundschluß, liegt innerhalb der Grenze der Definition einer chronischen Wunde, so dass auch dieses Qualitätskriterium als erfüllt angesehen werden kann. Dabei ist zu beachten, dass die Wundausgangsgröße nicht den Ausschlag für die Abheilungsdauer gibt, sondern die Ausgangsdiagnose und die Begleiterkrankungen. Das 3. Qualitätskriterium ist die Vermeidung eines Rezidivs, das mit < 6% ebenfalls erfüllt wurde. Vergleicht man die strukturierte Arbeitsweise im Wundkompetenznetz mit der Vorgehensweise der Regelversorgung wurden Einsparungen bei den Materialkosten von mehr als 70 % erzielt. Die Gesamtmaterialkosten bis zum Wundschluß betragen 323,70 Euro netto. Hochgerechnet auf das Einzugsgebiet Mittlerer Oberrhein würden sich allein für die AOK Versicherten dort eine Einsparung von ca. 1.3 Mio Euro p.a. ergeben. Die in Kapitel 6 dargestellten Ergebnisse - insbesondere bezogen auf die Wundschluß-raten, die Abheilungsgeschwindigkeit, die Rezidivrate, die Amputationsquote und die Kosten, zeigen, dass der Apotheker eine zentrale Rolle in diesem komplexen System spielen kann. Als aktiver „Case Manager“ vor Ort im Sinne von erweitertem „pharmaceutical care“ trägt er zu positiven Einflüssen auf den medizinischen, pflegerischen und wirtschaftlichen Bereich der Therapie bei. Weitere Erkenntnisse aus der Studie: Klassische klinische Studien (RCTs) eignen sich nur bedingt zur Beweisführung: Bei Patienten mit chronischen Wunden können die eingesetzten Produkte nicht verblindet (Schaum vs. Gel) werden, um die Behandlung zu randomisieren (auch BIAS durch zahlreiche Co Morbiditäten). Die Einstufung einer Wunde nach dem SETI Prinzip, ergibt rechnerisch allein 96 unterschiedliche Ausgangssituationen, wobei die Grenzen zwischen den Stadien auch noch fließend sind und so eine unrealistisch große Menge Patienten zur Studie erforderlich wäre. Nach Expertenmeinung ist der Einsatz feuchter Wundauflagen die „best practice“ Methode, so dass es fraglich wäre ein Votum der Ethikkommission für eine nicht feuchte Wundbehandlung als Vergleichskohorte zu erhalten, falls eine prospektive Untersuchung organisiert werden sollte . Ein Literaturvergleich ist nur bedingt möglich, da es auf Grund der komplexen Datenstrukturen bis zum heutigen Tag keine Untersuchung gibt, die Wundschlussraten, Wundausgangsgrößen, Diagnosen und Materialkosten erfasst und miteinander vergleicht. Im Wundkompetenznetz MOR wurde zudem nicht nur der durchgängige Einsatz moderner Wundauflagen realisiert, sondern ein festgelegter Behandlungspfad implementiert, der sowohl Diagnose, strukturierte Überleitung und Folgedokumentation umfasst. Dabei ist der Einsatz bestimmter Wundauflagen nur ein Teilbaustein des gesamten Prozesses. Allein die Untersuchung der Alltagswirklichkeit = effectiveness ist bei der Beurteilung der Verbesserung der Therapie chronischer Erkrankungen die geeignete Methodik. Die klinische Wirksamkeit = efficacy lässt sich durch die vielfältigen Einflüsse auf den Krankheitsverlauf nicht als suffiziente Messgröße einsetzen. Die strukturierte Therapie chronischer Wunden zeigte, dass eine gezielte Steuerung der Patienten durch „Case Management“ zu einer optimierten Koordinierung der Behandlungsabläufe führt und damit eine signifikante Verbesserung des Therapie- erfolges und der Kostensituation ermöglicht. Im Wundkompetenznetz MOR wurden dabei keinerlei neuartige Arzneimittel, Wundauflagen oder ähnliches eingesetzt. Allein die konsequente Einhaltung und Überwachung der „best practice“ Vorgehensweisen, vor allem an den intersektoralen Schnittstellen führte zu den guten Behandlungserfolgen. Die strikte Umsetzung der von uns geforderten Qualitätskriterien + Gefäßstatus, Differentialdiagnostik + strukturierte Überleitung, feuchte Wundversorgung ohne Phasenbruch + (Foto) Dokumentation sorgen für einen hohen „outcome“. Die Entwicklung und Einführung einer nationalen Leitlinie ist dringend erforderlich. Lagen die Kosten bei allen Diagnosen der Regelversorgung immer höher, ließen sich beim DFS keine signifikanten Unterschiede entdecken, was möglicherweise auf die Einführung der S3 Leitlinie Diabetischer Fuß zurückzuführen ist. Zur Verbesserung der augenblicklichen Datenlage bedarf es einer multizentrischen Studie. Die Signifikanz der Ergebnisse der monozentrischen Untersuchung in der Region Mittlerer Oberrhein ist so eindeutig, dass es weniger Sinn macht in der untersuchten Region weitere Patienten einzuschließen, als vielmehr die gleichen Erhebungen an anderen Orten durchzuführen. Die Komplexität der Versorgung chronischer Wunden erfordert für die Zukunft eine Berücksichtigung weiterer Komponenten, die einen Einfluss auf den Therapieerfolg haben, wie Schmerztherapie als wichtiges Lebensqualitäts- und Compliance Merkmal (v.a. bei Verbandwechsel), Diabetes Versorgung mit oralen Antidiabetika und Insulinen oder die optimale Einstellung des Blutdrucks. Grundsätzlich ist es von Vorteil das ganze Medikationsprofil der Patienten mit in das „Case Management“ im Sinne von „pharmaceutical care“ aufzunehmen, um UAWs oder Wechselwirkungen anderer Art (z.B. Wundheilungsverzögerung unter Cortisonen) besser zu beherrschen.


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