Zusammenfassung:
Krebserkrankungen sind die vierthäufigste Todesursache in Deutschland mit einem Lebenszeitrisiko von 45% bei Männer und 38% bei Frauen. Plattenepithelkarzinome (Head and Neck Squamous Cell Carcinomas, HNSCC) stellen mit über 90% die häufigste Tumorentität des oberen Aerodigestivtraktes dar. Zu den führenden Risikofaktoren zählen Alkohol- und Tabakabusus. Der epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor (Epidermal Growth Factor Receptor, EGFR) ist in bis zu 100% dieser Tumoren überexprimiert und korreliert eng mit der Prognose der Erkrankung. Aus diesem Grunde ist EGFR ein Ziel diverser Therapeutika, wie z. B. monoklonaler anti-EGFR-Antikörper (z.B Cetuximab) oder EGFR-spezifischer Kinase-Inhibitoren (z.B. Gefitinib, Erlotinib). Die Untersuchung des EGF-Rezeptors sowie seiner Signalwege ist daher von zentraler Bedeutung zum Verständnis der Tumorbiologie von HNSCC.
Da der Grad der EGFR-Aktivierung mit dem Verlauf der Erkrankung korreliert, war es von Interesse zu untersuchen, wie empfindlich Tumorzellen von verschiedenen HNSCC auf eine Inkubation mit dem EGFR-Liganden EGF reagieren. Um dies zu testen wurden etablierte HNSCC-Zelllinien herangezogen und mit steigenden Konzentrationen von EGF (0; 0,1; 1; 10; 100; 1000 ng/ml) für 12 h inkubiert. Es zeigte sich erwartungsgemäß eine Zunahme der EGFR-Phosphorylierung, welche durch Detektion des Phosphotyrosins 1173 in EGFR dokumentiert werden konnte. Interessanterweise zeigten sich jedoch zwischen den getesteten Zelllinien zum Teil dramatische Unterschiede in der Empfindlichkeit der Rezeptorphosphorylierung nach Ligandeninkubation. So genügten z.B. bei der HNSCC-Zelllinie UMB-SCC-864 bereits 0,1 ng EGF/ml um eine maximale Phosphorylierung zu erreichen, wohingegen bei UT-SCC-26A auch Gaben von bis zu 1000 ng EGF/ml nur zu einer schwachen Phosphorylierung des Rezeptors führten. Übertragen auf die Situation in vivo weist dies auf eine sehr heterogene Sensitivität des EGFR-Signalweges hin, welche klinisch zu beobachtende Unterschiede in der Ansprechrate von anti-EGFR-Therapien zwischen verschiedenen Patienten (und damit verschiedenen HNSCC) sehr plausibel erscheinen lässt.
Morphologisch betrachtet führt die Inkubation der Zellen mit EGF zu einer Internalisierung und einer Degradation des EGF-Rezeptors in Co-Lokalisation mit AP2, sowie zu einer morphologischen Veränderung der Zellen vom ausgebreiteten hin zum sphärischen Typ.
Im Rahmen eines Pilotversuchs mit der HNSCC-Zelllinie UM-SCC-3 fiel bei einer Genexpressionsanalyse auf, dass der Zellzyklusinhibitor p21WAF1/CIP1 nach einer Inkubation mit 100 ng EGF/ml massiv hochreguliert wurde. Diese Beobachtung konnte auf Proteinebene an praktisch allen getesteten HNSCC-Zelllinien nach Inkubation mit 100 ng EGF/ml bestätigt werden. Um beurteilen zu können, ob dieser scheinbar paradoxe Effekt möglicherweise, wie bereits von einer anderen Gruppe vermutet, aufgrund unphysiologisch hoher (100 ng/ml) EGF-Konzentrationen zustande kam, wurde die Expression von p21WAF1/CIP1 auch nach Inkubation mit steigenden EGF-Konzentrationen (0; 0,1; 1; 10; 100; 1000 ng/ml) sowohl mittels Western-Blot-Analyse auf Proteinebene, als auch mittels quantitativer realtime PCR auf mRNA-Ebene, untersucht. In beiden Untersuchungen zeigte sich eine von der EGF-Konzentration direkt abhängige Zunahme der Expression, wobei die Änderungen der Protein- und mRNA-Konzentration eine gute Korrelation aufwiesen. Eine geringe Stagnation bzw. Verminderung des Anstiegs von EGFR-Protein- und -mRNA-Expression wurde bei massiv hohen EGF-Konzentrationen (1000 ng/ml) beobachtet, wobei dieser Effekt auf eine Liganden (EGF)-induzierte Depletion des EGF-Rezeptors von der Zelloberfläche zurückgeführt wird. Dass die Expression von p21WAF1/CIP1 direkt mit dem Aktivierungs- bzw. Phosphorylierungsstatus von EGFR korreliert, wird zusätzlich dadurch gestützt, dass es nach Inkubation von HNSCC-Zellen mit dem EGFR-spezifischen Kinase-Inhibitor AG1478 nicht nur zu einer Abnahme der basalen EGFR-Phosphorylierung kommt, sondern auch zu einer parallelen Abnahme der basalen p21WAF1/CIP1-Expression.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die in der vorliegenden Arbeit gezeigten Daten auf eine hohe Variabilität der Rezeptoraktivierung in HNSCC hinweisen. Es erscheint daher wahrscheinlich, dass anti-EGFR-Strategien (Cetuximab, Gefitinib, Erlotinib) teilweise dramatisch unterschiedliche Ansprechraten aufweisen können, was im klinischen Alltag gemachten Beobachtungen entspricht. Zukünftige Studien sollten daher neben dem alleinigen Nachweis der EGF-Rezeptor-Expression auch den Grad der EGFR-Aktivierung als möglichen prognostisch-therapeutischen Marker mit berücksichtigen. Die interessante aber scheinbar paradoxe Beobachtung einer direkten Korrelation von EGFR-Aktivierungsstatus und p21WAF1/CIP1-Expression, muss in weiterführenden Untersuchungen bezüglich ihrer Bedeutung für den Zellzyklus und die Radio(Chemo)Sensitivität von HNSCC Zellen untersucht werden.