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Titel:Hauptstudie zur Erfassung von interindividuellen und intraindividuellen Effekten adjuvanter rezeptiver medizinischer Musiktherapie bei Glaukompatienten( glaucoma chronicum simplex )
Autor:Bertelmann, Thomas
Weitere Beteiligte: Strempel, Ilse (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2009
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2009/0422
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2009-04222
DOI: https://doi.org/10.17192/z2009.0422
DDC:610 Medizin
Titel (trans.):Music therapy for glaucoma patients
Publikationsdatum:2009-07-03
Lizenz:https://rightsstatements.org/vocab/InC-NC/1.0/

Dokument

Schlagwörter:
Glaucoma, Stress, Music therapy, Rezeptive Musiktherapie, Stress, Glaukom

Zusammenfassung:
Das Glaukom ist eine chronische und potenziell zur Erblindung führende Erkrankung multifaktorieller Äthiologie. Neben einem individuell zu hohen Augeninnendruck aufgrund eines erhöhten Abflusswiederstandes des Kammerwassers im Trabekelmaschenwerk ( Flammer, 2008 ) und einer verminderten okulären Durchblutung aufgrund einer primären vaskulären Dysregulation ( Flammer, 2008 ) spielen in ganz besonderem Maße psychologische Faktoren ( Stress ) eine entscheidende pathogenetische Rolle ( Erb, 1998; Strempel, 2009 ). Musiktherapie in der Augenheilkunde, und im speziellen als adjuvante Therapieoption in einem multimodalen Therapiekonzept des primär chronischen Offenwinkelglaukoms, ist ein Novum. Erst seit etwa zehn Jahren werden am medizinischen Zentrum für Augenheilkunde der Philipps - Universität in Marburg Forschungsarbeiten diesbezüglich durchgeführt. In der internationalen Literatur finden sich keine vergleichbaren Studien. Durch medizinische Musiktherapie kann bei Patienten ein tiefgreifender Entspannungszustand induziert werden, der durch viele unterschiedliche Wirkmechanismen einen günstigen Einfluss auf die Entstehung und die Progressionsgeschwindigkeit eines glaukomatösen Schadens nimmt. In Pilotstudien konnte ein positiver Einfluss rezeptiver medizinischer Musiktherapie u.a. auf den Augeninnendruck, die okuläre Durchblutung und die psychische Grundstimmung der Patienten nachgewiesen werden ( Strempel, 2004, 2009; Eschstruth, 2004; Dippel, 2008 ). In diesen Studien wurde allerdings keine Kontrollgruppen mitgeführt, so dass die vorliegende Arbeit die erste Studie überhaupt ist, die neben einer Therapiegruppe auch eine Kontrollgruppe mitführt, um die therapeutische Wirksamkeit der Musiktherapie im direkten Vergleich beider Gruppen zeigen zu können. In der vorliegenden Studie wird die Wirksamkeit der Musiktherapie auf den Visus, den Augeninnendruck, verschiedene Biofeedbackparameter ( EMG, SC, VP ) und das subjektive Wohlbefinden wie auch in den Pilotstudien untersucht und dargestellt, so dass jetzt an einem großen Patientenkollektiv der Effekt medizinischer Musiktherapie beim primär chronischen Offenwinkelglaukom nachgewiesen wurde. Zusätzlich werden in der vorliegenden Arbeit die Effekte auf das Blutbild, auf verschiedene Neurotransmitter und auf das Neurovegetativum ( EEG ) erstmals untersucht. Die verwendete Entspannungsmusik ist eine synergistische Komposition aus entspannenden Musikelementen im Herzrhythmus, unterlegten binaurikulären Schwingungen, Texten zur Atmung und zur Entspannung, Visualisierungsübungen und Elementen der progressiven Muskelrelaxation nach Jakobson. Die vorliegende Studie ist eine monozentrische, prospektive, randomisierte Hauptstudie. Es nahmen insgesamt 41 Patienten ( Kontrollgruppe n = 16; Therapiegruppe n = 25 ) mit einem diagnostizierten primär chronischen Offenwinkelglaukom an den Untersuchungen teil. Der Studienzeitraum erstreckte sich für beide Gruppen über zehn aufeinanderfolgende Tage zur jeweils gleichen Uhrzeit ( zirkadiane Rhythmik ), an denen den Probanden in der Therapiegruppe täglich die etwa dreißig minütige Entspannungsmusik mittels Kopfhörer angeboten wurde. Die Probanden der Kontrollgruppe wurden gebeten, ohne weitere unterstützende Maßnahmen zu entspannen. Zusätzlich wurde ein Vorbereitungstermin und ein Nachbereitungstermin zur Bestimmung des Visus und des Gesichtsfeldes sowie zur Durchführung eines Wasserbelastungstests für alle Probanden durchgeführt. An allen zehn Tagen wurde vor und nach der etwa dreißig minütigen Untersuchungsphase der Augeninnendruck gemessen sowie der Kurzfragebogen zur aktuellen Beanspruchung ( KAB ) ausgefüllt. Während der Untersuchungsphase wurden die Biofeedbackparameter abgeleitet. Der POMS - Test zur Erhebung des längerfristigen psychischen Wohlbefindens wurde an Tag eins vor und an Tag zehn nach der Untersuchungsphase durchgeführt. An den Studientagen eins und zehn wurden in beiden Gruppen jeweils vor und nach dem etwa dreißig minütigen Untersuchungszeitraum insgesamt vier Blutentnahmen durchgeführt. Zudem erfolgte an diesen beiden Tagen die Ableitung der Elektroenzephalographie ( EEG ). Die Ergebnisse zeigen als unmittelbare Effekte auf die Augen, dass es innerhalb des zehntägigen Untersuchungszeitraums in der Therapiegruppe zu einer signifikanten Verbesserung des Fernvisus im Vergleich zur Kontrollgruppe kommt. Der Augeninnendruck sinkt an allen zehn Tagen während der etwa dreißig minütigen Untersuchungsphase in der Therapiegruppe, während er in der Kontrollgruppe steigt. Bis auf Tag sieben bestehen statistisch signifikante Unterschiede zwischen Kontrollgruppe und Therapiegruppe. Im durchgeführten Wasserbelastungstest zeigen sich in der Therapiegruppe deutlich niedrigere Schwankungen des Augeninnendrucks im Vergleich zur Kontrollgruppe. Besonders die zirkadianen Schwankungen der Augeninnendruckwerte, die durch den Wasserbelastungstest demaskiert werden, werden für eine schnelle Progression der glaukomatösen Veränderungen verantwortlich gemacht. In den durchgeführten Gesichtsfeldbestimmungen ergibt sich eine tendenzielle Verbesserung der Schwellenwerte und der altersbezogenen Standardabweichung ( MD ) bei den Probanden der Therapiegruppe, jedoch ohne statistische Signifikanz. Bezüglich der Effekte der Musiktherapie auf die physiologischen Parameter zeigen sich für den Hautleitwert oftmals statistisch signifikante Unterschiede sowohl im Kurzzeiteffekt wie auch im Langzeiteffekt zwischen Kontrollgruppe und Therapiegruppe im Sinne einer stärker ausgeprägten Entspannung in der Therapiegruppe. In der Elektromyographie ( EMG ) und beim Volumenpuls ( VP ) finden sich im Vergleich beider Gruppen uneinheitliche Ergebnisse. Für die Muskelspannung ( EMG ) und den Volumenpuls ( VP ) ergibt sich eine Korrelation zwischen den abgeleiteten Potentialen und den der Entspannungsmusik unterlegten binaurikulären Schwingungen, so dass sich hier ein direkter Effekt der binaurikulären Schwingungen auf die physiologischen Parameter darstellen lässt. Die Effekte der Musiktherapie bezüglich der subjektiven Befindlichkeit zeigen in den durchgeführten Tests zur aktuellen Beanspruchung ( KAB ) einen deutlichen, oftmals signifikanten Unterschied des aktuellen Wohlbefindens zwischen den beiden Gruppen sowohl im Kurzzeit - als auch im Langzeiteffekt. Im POMS - Test findet sich eine tendenziell stärkere Verbesserung des psychischen Wohlbefindens der Probanden der Therapiegruppe. Als Effekt der Musiktherapie auf neuroendokrine Parameter nimmt die Adrenalinkonzentration im Kurzzeiteffekt und im Langzeiteffekt in der Therapiegruppe stärker ab im Vergleich zur Kontrollgruppe, jedoch ohne statistisch signifikanten Unterschied. Die Cortisolkonzentration zeigt sich im Langzeiteffekt in der Therapiegruppe erniedrigt, allerdings ohne statistische Signifikanz. Die Ergebnisse der Noradrenalin - , Testosteron- und Endothelinkonzentrationen sowie die Parameter des kleinen Blutbilds (Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten, MCV, MCH, MCHC, Hämoglobin, Hämatokrit) ergeben kein einheitliches Bild in beiden Gruppen, es gibt zu große intra - und interindividuelle Schwankungen. Die Auswertung der Ergebnisse der Elektroenzephalographie kann aufgrund des umfangreichen Datenmaterials nicht in die vorliegende Arbeit miteinbezogen werden und wird später separat veröffentlicht. Zusammenfassend lässt sich zeigen, dass mit rezeptiver medizinischer Musiktherapie physiologische Parameter, die mit einer Glaukomerkrankung und der Progression eines glaukomatösen Schadens in Zusammenhang stehen, direkt günstig beeinflusst werden. Es besteht zudem ein direkter positiver Effekt auf die individuelle Psyche des einzelnen Glaukompatienten. Rezeptive medizinische Musiktherapie ist als kostengünstige adjuvante Therapie ohne Nebenwirkungen. Sie ist zudem überall und ohne großen Aufwand anwendbar. Sie hat auf den sozioökonomischen Sektor eine enorme Auswirkung im Sinne einer deutlichen Kostenreduktion im Gesundheitswesen. Sie verbessert im Besonderen und nachhaltig die Lebensqualität von Glaukompatienten. Daher ist die rezeptive medizinische Musiktherapie keine elektive adjuvante Therapieoption, sondern ein Soll in jedem guten und umfassenden Therapiekonzept!


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